Gastbeitrag
Die Weltmeisterschaft 2022 in Katar
Was bringt ein Boykott?

Am Sonntag begann die wahrscheinlich polarisierendste Fußball-Weltmeisterschaften der Geschichte. Bereits seit der Vergabe der WM an Katar vor gut 12 Jahren ranken sich die Meldungen über Missstände im Wüstenstaat. Beim Aufbau der Infrastruktur für das Sportgroßereignis sind nach Informationen von Amnesty International bis zu 15.000 Arbeiter gestorben, die Arbeits- und Menschenrechtslage sei zudem sehr schlecht. Zuletzt erregte kurz vor Beginn des Turniers zudem ein katarischer WM-Botschafter mit homophoben Äußerungen Aufmerksamkeit (ZDF, 2022). Neben der schlechten Menschenrechtslage im Emirat stehen aber auch Themen wie das enorme Ausmaß der notwendigen Arbeiten für die Ausrichtung des Turniers im Mittelpunkt der Kritik: 8 Stadien wurden komplett neugebaut, es entstand ein neuer Flughafen, ein neues U-Bahn-System, 100 neue Hotels und rund um das Finalstadion wurde eine komplett neue Stadt errichtet: Die Planstadt Lusail. Die Kosten für das gesamte Projekt Weltmeisterschaft 2022 belaufen sich auf etwa 150 Mrd. € – keine WM vorher war teurer. Fraglich ist angesichts der geringen Bevölkerung allerdings, welches Vermächtnis von der Weltmeisterschaft in Katar bleiben wird – oder ob die Stadien und die Infrastruktur nach dem Turnier ungenutzt bleiben.

Katar ist mit seinen 2,7 Mio. Einwohnern ein eher bevölkerungsarmes Land dieser Welt. Gleichwohl verfügt das Emirat aber über sehr hohe Erdgas- und Ölvorkommen, wodurch das kleine Land gemessen am BIP pro Kopf zu einem der reichsten Länder der Erde zählt. Die Reserven sind jedoch erschöpflich und werden schätzungsweise in der Mitte dieses Jahrhunderts verbraucht sein, wodurch das Land seinen Fokus langfristig ändern muss. Doch bereits jetzt (und seit vielen Jahren) versucht Katar, sein Image als Rohstofflieferant abzulegen und sich als globaler Player in anderen Bereichen zu positionieren. Als Katalysator für dieses Vorhaben wir der Sport genutzt: Mithilfe der Fußball-Weltmeisterschaft plant sich das Emirat als Tourismusziel zu etablieren. Das Turnier sorgt für große mediale Aufmerksamkeit und Reichweite, wodurch sich Katar positionieren und sein Image formen kann. Außerdem kommen zu den Spielen der WM zahlreiche ausländische Fans ins Land, Netzwerke werden geknüpft, Kontakte aufgebaut und vertieft (Kaplandiou et al., 2016). Doch zumindest für aktuelle Umfragewerte aus Deutschland könnte dieses Vorhaben scheitern. Nach neuesten Ergebnissen des Deutschland Trends planen 56% der Deutschen die Spiele der WM zu boykottieren, während nur 18% der Befragten angaben, ähnlich viele Spiele wie bei vergangenen Turnieren schauen zu wollen (Deutschland-Trend, 2022). Angesichts der vielen Toten auf den Baustellen sowie der schlechten Menschenrechtslage fordern viele Fanverbände und Organisationen, diese Weltmeisterschaft zu boykottieren und die Spiele nicht zu verfolgen.

Der Boykott als wirksames Mittel?

Doch wann ist ein Boykott geeignet und wem würde dieser in Bezug auf die Spiele der Weltmeisterschaft schaden? Grundsätzlich kommt eine Handelsbeziehung zwischen zwei Parteien immer dann zu Stande, wenn beide Parteien daraus einen Vorteil für sich ziehen können. Ein Boykott ist dabei als Druckmittel zu verstehen, bei dem eine Partei vom Wirtschaftsverkehr ausgeschlossen wird. Beim Boykott verzichtet eine Partei demnach aber auch ganz bewusst auf den entstehenden Vorteil aus der Handelsbeziehung. Im Falle des Konsums der Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft würde der Konsument als boykottierende Partei also auf den Genuss einer Unterhaltungsdienstleistung verzichten. Auf der anderen Seite der Beziehung stehen unter anderem Sponsoren, TV-Sender, das Gastgeberland Katar, die Nationalmannschaften bzw. die Spieler sowie die FIFA. Anhand dieser Akteure soll in diesem Beitrag die Wirkung eines Boykotts kurz analysiert werden.

Neben den bekannten Marken Adidas, Coca Cola, McDonalds, Visa oder Kia als Sponsoren der Weltmeisterschaft treten dieses Jahr auch Qatar Airways oder Vio als Sponsoren der WM auf. Angesichts der großen Absatzmärkte auch abseits der WM dürften die Sponsoren kaum um ihr Geschäft fürchten, wenn Konsumenten die Weltmeisterschaft boykottieren. Durch die ohnehin schon sehr hohe Bekanntheit der Marken kann das Sponsoring der Weltmeisterschaft kaum geeignet sein, um den Absatz der eigenen Produkte anzukurbeln. Lediglich das Image der Unternehmen könnte Schaden nehmen, wenn die Konsumenten die Unternehmen mit dem Turnier und der schlechten Menschenrechtslage in Katar in Verbindung setzen („reputational risk“). Somit könnte langfristig ein gewisser Absatzeinbruch durch ein schlechteres Image entstehen. Durch einen Boykott nehmen die Konsumenten jedoch keine Notiz von den Sponsoren, weshalb die Sponsoren kurzfristig auf jeden Fall keine negativen Folgen von einem Boykott davon tragen würden. Auch langfristig ist zumindest anzuzweifeln, ob das Sponsoring bei der Weltmeisterschaft nachhaltig so in Erinnerung der Konsumenten bleibt, dass die Unternehmen einen Imageschaden befürchten müssen.

Alleiniger Inhaber der Übertragungsrechte an der Fußball-Weltmeisterschaft ist die FIFA, die die Rechte an TV-Anstalten veräußert. Geschätzte 215 Mio. € haben ZDF und ARD für die Übertragungsrechte an Spielen dieser Fußball-Weltmeisterschaft an die FIFA bezahlt. Gleichzeitig haben die beiden öffentlich-rechtlichen Sender aber auch Übertragungsrechte an die Telekom und an den Privatsender RTL weiter veräußert. Die Verträge sind dementsprechend längst geschlossen, die Erlöse aus den Übertragungsrechten fließen der FIFA als Veräußerer also auf jeden Fall zu; die Kosten für die Übertragungsrechte entstehen den Sendern dementsprechend auch. Für die TV-Sender hat ein Boykott der WM-Spiele durch die Konsumenten somit negative Folgen: Durch geringere Zuschauerzahlen sinken die Erlöse aus den Werbeinnahmen im Rahmen der Übertragung, weil weniger Menschen die Werbung sehen. Dadurch wird das Geschäft für die TV-Sender unattraktiver, gegebenenfalls können die Kosten aus dem Kauf der Übertragungsrechte sogar nicht mehr gedeckt werden. Die WM würde für die Fernsehsender dementsprechend zum Verlustgeschäft werden. Die nationalen TV-Sender sind von einem Boykott dementsprechend negativ betroffen.

Entscheidend an der Erstellung der Unterhaltungsdienstleistung sind die Mannschaften und deren Spieler beteiligt. Ohne Fußballspieler könnte ein Turnier nicht stattfinden. Für viele Nationalmannschaften und Spieler ist die Weltmeisterschaft das größte Turnier ihrer Karriere und damit eine einmalige Chance, sich auf der größten internationalen Bühne zu präsentieren. Die Nationalmannschaften und insbesondere die Spieler sind von einem Boykott direkt nicht betroffen, da bspw. die Prämien an das Abschneiden im Turnier geknüpft sind und nicht an Zuschauerzahlen oder ähnliches. Dennoch sind auch die Spieler indirekt betroffen, da sie ihre Unterhaltungsdienstleistung nicht präsentieren können, wenn niemand zuschaut. Das ist zunächst nicht weiter problematisch, jedoch ist die Weltmeisterschaft für viele Spieler eine einmalige Chance, sich auf internationaler Bühne zu präsentieren und ggf. auch für andere Vereine zu empfehlen. Diese Chance wird den Spielern zumindest teilweise genommen, wenn Spiele boykottiert werden.

Das Ausrichterland Katar möchte das Turnier nutzen, um das Image des Rohstofflieferanten abzulegen und sich u.a. als attraktives Touristenziel zu präsentieren. Neben diesem Ziel des Imageaufbaus betreibt das Land mit dem Turnier auch Sportswashing und versucht durch eine gelungene Sportgroßveranstaltungen von den Problemen im Inneren des eigenen Landes abzulenken. Ein Boykott hätte demnach keine direkten Auswirkungen auf das Gastgeberland, da das Turnier mittlerweile gestartet ist und die Infrastruktur aufgebaut ist. Dennoch würde ein Boykott dazu führen, dass die Präsentation des Emirates als attraktives Touristenziel eine Zielgruppe nicht erreicht. Die Ziele des Landes geraten somit in Gefahr. Allerdings muss hier auch angemerkt werden: Wer die WM wegen der Menschenrechtslage in Katar boykottiert, würde das Land wahrscheinlich auch nicht bereisen, wenn der Boykott als Mittel nicht gewählt worden wäre. Ein Boykott würde für das Land somit keinen Unterschied machen. Als Chance kann aber gesehen werden, dass durch das Turnier die medialen Aufmerksamkeit jeden Tag auf Katar gerichtet ist. Ein Boykott hätte hier also ggf. negative Auswirkungen auf die Reichweite der Berichterstattung und Katar steht dadurch besser da als gedacht – ein Boykott wäre demnach ggf. kontraproduktiv.

Die FIFA finanziert sich zu großen Teilen aus der Vermarktung der Fußball-Weltmeisterschaft (FIFA 2022). Die Erlösströme resultieren dabei zu großen Teilen aus dem Verkauf von TV-Übertragungsrechten, Lizenzrechten und Marketingrechten. Die weltweiten Erlöse betragen allein im Jahre 2022 mehr als 4 Mrd. US-$. Von einem Boykott wäre die FIFA allerdings keineswegs betroffen, da die Verträge mit TV-Anstalten und Sponsoren bereits geschlossen und wirksam sind. Während Sponsoren, TV-Sender, Spieler und Katar zumindest in einem gewissen Ausmaß betroffen wären, bleibt die FIFA von einem Boykott der Weltmeisterschaft durch die Konsumenten wohl gänzlich unberührt.

Doch egal ob man nun plant, diese Weltmeisterschaft zu boykottieren oder die Spiele doch zu schauen: Katar ist als Player im internationalen (und vor allem europäischen) Fußball bereits lange etabliert und kaum mehr wegzudenken. So kann und muss die gekaufte Vergabe der WM 2022 in Katar kritisiert werden, es darf auch kritisch hinterfragt werden, was von einer WM im Emirat Katar bleiben wird. Fest steht aber auch, dass die WM-Vergabe nach Katar nur die Spitze des Eisbergs ist. Bei genauerer Betrachtung fällt auf: Die Kataris sind im europäischen Topfußball nicht nur geduldet, die Tätigkeiten im europäischen Fußball und die damit verbundenen Einnahmen für die Verbände und Clubs sind sogar Willkommen!

Katar ist als Partner im internationalen Fußball schon längst etabliert

Die staatliche Fluglinie Qatar Airways ist nicht nur Sponsor der WM, sondern auch von vielen internationalen Vereinen. So finanziert die Fluggesellschaft nicht nur die FIFA und die UEFA, sondern ist auch bei zahlreichen Spitzenclubs als Sponsor ein wichtiger Partner. Neben Paris St. Germain, der AS Roma oder den Boca Juniors zählt seit 2018 auch der deutsche Serienmeister Bayern München zu einem der wichtigsten Partner Katars. Doch diese Wichtigkeit beruht auf Gegenseitigkeit: Nicht nur Katar schätzt den deutschen Rekordmeister als Sponsoringobjekt, auch der Club selbst hält große Stücke auf diese Partnerschaft, vor allem aus ökonomischen Gründen. So ist nicht nur der Sponsoringbeitrag von ca. 17 Mio. € im Jahr ein attraktives Geschäft, durch die regelmäßigen Reisen nach Katar und der Reputation in einem der reichsten Länder der Welt entsteht auch ein wichtiger Absatzmarkt für Bayern München.

Neben dem Sponsoring von Qatar Airways bei Paris St. Germain existiert im französischen Vereinsfußball ein noch wirksameres Engagement Katars. Im Mai 2011 kaufte der katarische Staatsfond (Qatar Sports Investment) zunächst 70% der Anteile am Club, ein Jahr später erwarb die Qatar Sports Investment dann auch die restlichen 30%. Wesentlichen Anteil beim Umsetzen der Übernahme hatte auch der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der Anhänger von Paris St. Germain ist. Seit der Übernahme durch das Emirat investierte Paris St. Germain fast 1,5 Mrd. € in neue Spieler, denen nur knapp 500 Mio. € aus Transfererlösen entgegen stehen. Besondere Aufmerksamkeit erlangte Paris (und damit auch das Emirat) vor allem durch den Transfer des brasilianischen Superstars Neymar für 222 Mio. €, der neben seinem spektakulären Wechsel aus Barcelona nach Frankreich zeitgleich auch als Botschafter für Katar agierte. Die damals festgelegte Ablösesumme (222 Mio. €) setzte der FC Barcelona als Abschreckung in dem Wissen, dass diese Summe kein Club zahlen kann – Katar bewies offensichtlich das Gegenteil. Mit diesem Transfer gelang dem Emirat also ein echtes Ausrufezeichen im europäischen Fußball, die damals gezahlte Ablösesumme ist bis heute die höchste jemals für einen Spieler gezahlte Ablösesumme – und damit ein echtes Prestigeobjekt für Katar. Spätestens seit der Vertragsverlängerung von Kylian Mbappe in Paris, dessen Gesamtpaket sich auf ca. 600 Mio. € belaufen soll, weiß man in Fußball-Europa, dass finanziell an Paris St. Germain kein Weg vorbei führt und das Emirat Katar zu einem bedeutenden Player im europäischen Fußball aufgestiegen ist. Wichtiger Strippenzieher bei allen Entscheidungen und Deals in Paris ist dabei Präsident Nasser Al-Khelafi, der eine sehr enge Beziehung zur Regierung in Katar pflegt und nicht nur aufgrund seiner Tätigkeit bei Paris St. Germain ein wichtiger Akteur im europäischen Fußball ist.

Der ehemalige katarische Tennisprofi Al-Khelafi ist im Jahr 2013 vom katarischen Staatschef Tamim bin Hamad Al Thani zum Minister ohne Geschäftsbereich ernannt worden – eine enge Verknüpfung in die Politik Katars ist damit offensichtlich. Gleichzeitig ist Al-Khelafi Präsident und Strippenzieher von Paris St. Germain, im Vorstand des französischen Ligaverbands, Mitglied des UEFA-Exekutivkomitees und einer der Vorsitzenden der europäischen Clubvereinigung (ECA), über die er auch wesentlich an den Planungen der Europäischen Super Liga beteiligt war. Al-Khelafi kann also großen Einfluss auf den gesamten Fußball in Europa nehmen und ist in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden. Da er zudem Minister in Katar ist, kann davon ausgegangen werden, dass bei seinen Entscheidungen auch immer Interessen des Emirats vertreten werden und nicht bloß die Belange der europäischen Clubs im Vordergrund seines Handelns stehen.

Ein WM-Boykott wäre nach allen Informationen über Missstände und Menschenrechtsverletzungen in Katar somit zwar absolut nachvollziehbar, die Wirkung eines Boykotts wäre für viele Akteure aber verkraftbar. Außerdem würde ein Boykott nichts am Einfluss ändern, den Katar ohnehin schon auf den europäischen Fußball ausübt. Vielmehr sollte es darum gehen, dem Emirat die große Bühne zur Präsentation zu geben, die Katar für Sportswashing nutzen möchte. Diese mediale Aufmerksamkeit durch die Weltmeisterschaft muss genutzt werden, um auf die Missstände im Land aufmerksam zu machen. Nur so kann dem Land wirklich geschadet werden: Wenn der Plan, das Turnier zu nutzen, um sich als attraktive Touristenregion zu präsentieren, nicht wie gewünscht abläuft. Aktionen wie die der dänischen Nationalmannschaft und ihres Ausrüsters Hummel sind dabei genau die richtige Reaktion auf eine Weltmeisterschaft in Katar.

Literatur:

Deutschland-Trend (2022). ARD-DeutschlandTrend: Nur geringes Interesse an Fußball-WM. Zugriff unter: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3211.html [22.11.2022]

FIFA (2022). Finanzen 2020 und Budget 2022. Zugriff unter: https://publications.fifa.com/de/annual-report-2020/2020-financials-and-2022-budget/2022-budget/ [22.11.2022]

Kaplanidou, K., A. Al Emadi, M. Sagas, A. Diop & G. Fritz (2016). Business legacy planning for mega events: The case of the 2022 World Cup in Qatar. Journal of Business Research, 69 (10). S. 4103-4111.

ZDF (2022). Salman: Homosexualität „geistiger Schaden“. Zugriff unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/zdf-doku-katar-homosexualitaet-geistiger-schaden-breyer-100.html [22.11.2022]

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