Wenn das Scheitern scheitert
Warum Zombiefirmen Konjunktur haben

Scheitern gehört dazu. Das lernt uns das Leben. Kein Mensch kann nur Erfolg haben, und Niederlagen bilden den Charakter. Wer es schafft, dem Scheitern Positives abzugewinnen, also die richtigen Lehren daraus zu ziehen, gewinnt damit die Basis für späteres Gelingen. Diese etwas altkluge, aber doch praktische Lebensweisheit gilt auch für die Wirtschaft. Was im Umkehrschluss bedeutet: Wer das Scheitern verhindert, hemmt dadurch auch das Gelingen – eine steigende Zahl an Zombiefirmen, die oft nur durch staatliche Protektion weiterleben, bestätigen dies. Dazu gleich mehr.

Der österreichische Wirtschaftswissenschafter Joseph Alois Schumpeter (* 1883, † 1950) hat für den Prozess der wirtschaftlichen Unruhe den Begriff der schöpferischen Zerstörung geprägt. Er hatte damit etwas ganz Präzises im Sinne: die vielen kleinen Revolutionen innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Grundidee: Der durch Wettbewerb ausgelöste Prozess fördert eine ständige Erneuerung und Verbesserung der Produktionsmethoden sowie von Gütern und Dienstleistungen. Man nennt dies heute Innovation: Altes wird durch Neues ersetzt – der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine zentrale Rolle spielt dabei der einfallsreiche Unternehmer. Durch immer neue Ideen und den Einsatz immer neuer Erkenntnisse treibt der Entrepreneur den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt voran.

Nicht nur das Scheitern, sondern auch dessen Analyse ist wichtig, weil der Gescheiterte den Mitbewerbern signalisiert, welche Methoden, Techniken, Produkte oder Dienstleistungen keinen Erfolg versprechen. Die realistische Einschätzung von Dos und Don’ts gehört zur seriösen Risikoabschätzung eines jeden Unternehmers. Ein erfolgreiches marktwirtschaftliches System muss sich daher zwingend mit der unangenehmen Frage des Scheiterns auseinandersetzen.

Denn Scheitern ist nicht gleich Scheitern, Bankrott nicht gleich Bankrott. Ein Insolvenzregime ist umso effizienter, je besser es im nachhinein (in der Krise) den Wert des haftenden Schuldnervermögens schützt, ohne dadurch im vornherein unerwünschte negative Anreize zur sorglosen Wirtschaftstätigkeit (moral hazard) des Schuldners zu setzen. Denn dies würde eben die wirtschaftliche Entwicklung hemmen oder gar verunmöglichen.

Wenn man sich die Bedeutung des Insolvenzrechts für eine funktionierende Marktwirtschaft vergegenwärtigt, überrascht es – erstens – nicht, dass das in der Schweiz entwickelte Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) bereits 1892 in Kraft trat – also älter ist als das moderne Zivilgesetzbuch und das Obligationenrecht. Der Schutz des Schuldnervermögens einerseits und das Verhindern von negativen Anreizen zum frivolen Wirtschaften andererseits stehen dabei natürlich in einem gesellschaftlichen Zielkonflikt. Wie der Gesetzgeber damit umgeht, ist entscheidend dafür, wie stark der rechtliche Erwartungsrahmen die für eine Marktwirtschaft so wichtige Rechtssicherheit für Gläubiger und Schuldner schaffen kann.

Es überrascht – zweitens – auch nicht, dass die Insolvenz in den einzelnen Staaten unterschiedlich geregelt ist. In der Schweiz steht der Schutz der Gläubigerinteressen im Vordergrund – in den USA besteht das höchste Ziel hingegen darin, dem Schuldner einen «fresh start» zu ermöglichen. Diese unterschiedliche Gewichtung der Ziele hat viel mit dem kulturellen Selbstverständnis einer Gesellschaft zu tun. Entscheidend für die Effizienz ist allerdings nicht das Gewichten des Zielkonflikts, sondern vor allem, dass das Insolvenzregime im vornherein einen klaren Erwartungsrahmen schafft.

Diese Erwartungen haben sich in den letzten Jahren verschlechtert, wenn man die Entwicklung des Anteils an Zombiefirmen in einer Volkswirtschaft betrachtet. Also jener Firmen, die eigentlich insolvent sind, jedoch durch günstige Kredite künstlich am Leben erhalten werden. Es sind untote Firmen, deren Geschäftsmodell nicht mehr wettbewerbsfähig ist, aber oft nur durch Patronage am Leben gehalten wird und damit das wirtschaftliche Umfeld für die gesunden Firmen beeinträchtigt. Dies bestätigen die neuesten verfügbaren Zahlen, die umfassend erhoben wurden. Gemäss einer Untersuchung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) von Firmen ausserhalb des Finanzbereichs in 14 entwickelten Volkswirtschaften hat der Anteil an Zombieunternehmen seit Mitte der 1980er Jahre bis 2017 von 5% auf 15% stark zugenommen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass nötige Insolvenzen weiter verschleppt werden, nimmt ebenfalls zu. Die Corona-Stützungsmassnahmen wie auch die Rettungsschirme für die Strombranche sind in diesen Daten noch nicht einmal berücksichtigt.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Die Zombifizierung der Wirtschaft entsteht dann, wenn der Zielkonflikt von Gläubigern und Schuldnern nicht klar geregelt ist und die Insolvenz zum Spielball der mächtigen Lobbys und Verbände wird. Es ist das Verdienst des ungarisch-stämmigen Harvard-Ökonom János Kornai (* 1928, † 2021), dies messerscharf analysiert zu haben. Es ging ihm um nichts weniger als die Erkenntnis, warum harte Budgetbeschränkungen für die Unternehmen in einer blühenden Marktwirtschaft zentral für deren Funktionsfähigkeit sind.

Der Mann wusste, wovon er sprach – er war im Sozialismus aufgewachsen, in dem das Zombieunternehmen den Normalfall darstellt. 1928 in Budapest geboren, machte Kornai rasch Karriere als Journalist im Zentralorgan der Kommunistischen Partei Ungarns und wurde Leiter der Wirtschaftsredaktion. Irgendwann dämmerte ihm, dass die schöngefärbten offiziellen Statistiken nichts mit der Realität und Lebenswirklichkeit vieler Ungaren zu tun hatten. Er brach mit dem Kommunismus, verliess die Zeitung und begann zu doktorieren. In seiner Dissertation zur «Überzentralisierung» deckte er bereits 1956 die Mängel der Zentralplanung, die irrationale Fixierung auf den Output (Tonnage) ohne Qualitätsanspruch, das bürokratische Feilschen um Planwerte und die selbstzerstörerische Kraft der systeminhärenten Versorgungsmängel schonungslos auf.

Der ungarische Ökonom Janos Kornai (*1928, †2021) hat gezeigt, dass nicht nur Staatsbetriebe sondern auch «systemrelevante» Unternehmen, die im Krisenfall gerettet werden, weniger effizient sind, da sie in letzter Konsequenz nicht mit dem Konkurs rechnen müssen.

Mitte der 1960er Jahre begann er im Ausland zu lehren, v.a. in den USA. 1986 erschien sein Artikel «The Soft Budget Constraint» in der international angesehenen Schweizer Wissenschaftszeitschrift Kyklos. Noch heute gehört dieser Artikel zu den vielzitierten Beiträgen in den Wirtschaftswissenschaften. Kornai zeigt darin, dass das geregelte Scheitern die zentrale Stellschraube des Erfolgs einer Marktwirtschaft ist: In einer funktionierenden Marktwirtschaft müssen verlustreiche Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Es gibt für alle harte Budgetbeschränkungen. Unternehmen haften für ihre Fehlentscheidungen.

Das stärkt den sorgsamen Umgang mit knappen Mitteln, fördert Innovationen und wirkt als Selektionsmechanismus: Ineffiziente Unternehmen verschwinden vom Markt. Bei staatseigenen oder staatlich protegierten Unternehmen existiert dagegen eine weiche Budgetbeschränkung, weil der Staat den Untergang von Unternehmen über Zuschüsse, Marktabschottung, Risikoübernahme oder Subventionen verhindert. Das verleitet zu Sorglosigkeit. Es fehlt an Fortschrittsdynamik, die Planung ist erratisch und ineffizient. Kurz: das Vertuschen des Scheiterns führt letztlich zum Scheitern der gesamten (Plan-)Wirtschaft.

Warum ist Kornais Artikel aus dem Jahr 1986 aktueller denn je? Weil weiche Budgetbeschränkungen nicht nur Planwirtschaften, sondern auch das Funktionieren einer Marktwirtschaft gefährden. Weil weitreichende wirtschaftspolitische Massnahmen zur Rettung von Unternehmen in Notlagen mittelfristig mit hohen gesellschaftlichen Kosten einhergehen. Weil künstlich am Leben gehaltene Unternehmen ohne tragfähige Geschäftsmodelle zu Zombiefirmen mutieren. Weil Zombiefirmen zu Fehlallokationen und politisch motivierter Kreditvergabe führen. Weil Zombiefirmen den Strukturwandel behindern und Kapital und Arbeitskräfte in unproduktiven Branchen binden.

Der politische Reflex, in jeder Krise die betroffenen Unternehmen als systemrelevant einzustufen und zu retten, unterläuft die Fundamente einer funktionierenden Marktwirtschaft. Wer die weichen Budgetbeschränkungen genauer analysiert, muss sich eingestehen: Auch in unserer Marktwirtschaft gibt es mehr Staatswirtschaft, als viele wahrhaben wollen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert