Gastbeitrag
Wer von der „Letzten Generation“ kennt Milutin Milankowic?

Ein konstituierendes Element einer Demokratie sind Protestdemonstrationen, sofern sie sich im Rechtsrahmen bewegen. Doch sollte man sich vor Protestdemonstrationen zunächst über die zugrundeliegenden Sachverhalte informieren. Ob die Demonstranten der „Letzten Generation“ mit dem Werk Milutin Milankowics wenigstens einigermaßen vertraut sind, scheint mir fraglich.

Milutin Milankowic (1879–1958)

war ein serbischer Mathematiker. Er studierte bis 1902 Tiefbau an der Technischen Hochschule in Wien. Im Jahr 1909 erhielt er einen Lehrstuhl für angewandte Mathematik an der Universität Belgrad. Dort wandte er sich der astronomisch-mathematischen Grundlagenforschung zu. 1914 wurde Milankovic bei Beginn des Ersten Weltkrieges aufgrund seiner serbischen Nationalität in Budapest interniert. Dort konnte er in der Bibliothek der ungarischen Akademie der Wissenschaften und des Ungarischen Instituts für Meteorologie über den Einfluss astronomischer Zyklen auf das Klima der Erde arbeiten, wo auch sein erstes Manuskript hierüber entstand. Seine Forschungen waren von Vorarbeiten des britischen Autodidakten James Croll (1821-1890) beeinflusst, der den Gravitationseinfluss von anderen Planeten des Sonnensystems auf die Erdbahnparameter einschließlich des damit verknüpften Eiszeitproblems untersucht hatte.

Im Jahre 1920 veröffentlichte Milankovic das Werk Théorie mathématique des phénomènes thermiques produits par la radiation solaire bei Gauthier-Villars in Paris 1920. Im Jahre 1941 krönte er sein Lebenswerk mit dem Buch Kanon der Erdbestrahlung und seine Anwendung auf das Eiszeitenproblem (Königlich Serbische Akademie der Wissenschaften, Belgrad), in welchem er seine Erkenntnisse zusammenfasste. Zu seinen Lebzeiten erfuhr Milankovic nicht die gebührende Anerkennung. Erst nach seinem Tode wurde seine Theorie allgemein bestätigt und setzte sich allgemein durch.

Die Orbitalzyklen

Mit Kepler und Galilei setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Doch ist diese Bewegung nicht gleichförmig, sondern sie ist Resultante von drei zyklischen Erdorbitalkomponenten, welche die Sonneneinstrahlung und damit das Erdklima beeinflussen. Dieser Zusammenhang, besonders in Bezug auf die Eiszeiten, stellt den Gegenstand von Milankovics Theorie dar. Diese Komponenten sind die Exzentrizität, die Schiefe der Ekliptik und die Präzession.

Die Exzentrizität misst, wie sehr die Erdumlaufbahn von einem perfekten Kreis abweicht. Dies ist auf den Einfluss der Anziehungskraft der beiden riesigen Gasplaneten Jupiter und Saturn zurückzuführen. Je mehr elliptisch die Erdumlaufbahn ist, desto ausgeprägter die Jahreszeiten, da mehr Sonnenstrahlung bei dem sonnennächsten Punkt die Erde erreicht und weniger bei dem erdfernsten. Der Zyklus dauert etwa 100.000 Jahre. Gegenwärtig ist die Exzentrizität eher kreisförmig mit weniger ausgeprägten Jahreszeiten.

Die Schiefe der Ekliptik beschreibt den Winkel, in dem die Rotationsaxe der Erde in ihrem Lauf um die Sonne geneigt ist. In den letzten Millionen Jahren variierte der Neigungswinkel zwischen 22,1 und 24,5 Grad. Je größer der Neigungswinkel, desto extremer unsere Jahreszeiten, da jede Erdhalbkugel im Sommer mehr (und im Winter weniger) Sonneneinstrahlung erhält, wenn sie mehr zur Sonne geneigt (von der Sonne abgeneigt) ist. Dieser Zyklus erstreckt sich über ca. 41.000 Jahre. Vor ca. 10.700 Jahren war die Schiefe maximal und wird in ca. 9.800 Jahren seine minimale Neigung erreichen. Das führt zu milderen Wintern und milderen Sommern.

Die Erde wackelt auch leicht auf ihrer Achse. Das ist ihre axiale Präzession, die aus Gezeitenkräften durch Gravitationseinflüsse von Sonne und Mond resultiert. Die Erde wölbt sich am Äquator, was ihre Rotation beeinflusst. Der Zyklus der axialen Präzession erstreckt sich auf etwas über 25.700 Jahre. Sie macht die saisonalen Kontraste in einer Erdhälfte extremer und in der anderen weniger extrem. Derzeit macht sie in der Südhälfte die Sommer heißer und in der Nordhälfte moderater. In etwa 13.000 Jahren wird sich dieses Muster verkehren (mehr Extreme in der nördlichen Erdhälfte und weniger in der südlichen). Daneben gibt es auch eine apsidale Präzession. Außer der Erdachse wackelt auch die Orbitalellipse der Erde aufgrund ihrer Wechselwirkung mit Jupiter und Saturn. Ihr Zyklus erstreckt sich auf etwa 112.000 Jahre. Beide Präzessionswirkungen zusammen beschreiben einen Gesamtrezessionszyklus von im Schnitt 23.000 Jahren.

Erdgeschichte

Die Uratmosphäre unseres Planeten vor ca. 4 Milliarden Jahren hatte keinen Sauerstoff, sondern bestand aus Kohlendioxyd, Methan und Wasserdampf. Trotz geringerer Sonneneinstrahlung herrschen Temperaturen von etwa 500. Durch Abkühlung entstand der Urozean. Aus der Atmosphäre wurde Kohlendioxyd gelöst und in Sedimenten gebunden; das wurde durch Verwitterung der Steine verstärkt. Nach Entstehen der Vegetation wurde durch Photosynthese Kohlendioxyd aus der Atmosphäre entnommen. Die Sedimente gelangten teilweise in das Erdinnere und wurde geschmolzen. Durch Vulkanismus gelanget Kohlendioxyd wieder in die Atmosphäre.

Mehr Klarheit liegt über die letzten 500 Millionen Jahre vor. In den ersten 100 Millionen Jahren lag der Kohlendioxydgehalt der Atmosphäre zwischen 4.000 und 6.000 ppm (Teile pro Million). In der Zeit von vor 400 bis vor 250 Millionen Jahren war der Kohlendioxydgehalt ähnlich wie heute und es gab eine Eisbedeckung bis etwa den 30. Breitengrad. In der Zeit von vor 250 bis vor 100 Millionen Jahren lag der Kohlendioxydgehalt wieder deutlich über 1.000 ppm. Das war die Periode der Dinosaurier mit Temperaturen, die um 8% höher als heute waren.

Die letzten 65 Millionen Jahre heißen Känozoikum oder Erdneuzeit. In deren ersten 30 Millionen Jahren lag der Kohlendioxydgehalt bei etwa 1.000 ppm; vor etwa 50 Millionen Jahren überschritt er sogar den Wert von 1.500 ppm; die Durchschnittstemperatur lag 120 über der heutigen. Mit der Abnahme der Kohlendioxydkonzentration bis auf 300 ppm fielen allmählich die Temperaturen, bis vor 35 Millionen Jahren die Vereisung der Antarktis einsetzte. Vor 7-8 Millionen Jahren begann auch die Nordhälfte zu vereisen und es bildete sich das grönländische Inlandeis heraus. Diese Entwicklungen wurden von plattentektonischen Verschiebungen von Kontinenten bewirkt.

Eiszeit, Gegenwart und „Letzte Generation“

Vor 2,5 Millionen Jahren setzte das Eiszeitalter ein, in welchem wir heute noch leben. Dessen Beginn ist wohl durch die Schließung der mittelamerikanischen Landbrücke bedingt, wodurch die Meeresströmungen weit in den Nordatlantik umgelenkt wurden. Für die vergangenen 720.000 Jahre liegen Eisbohrkerne der Antarktis vor, die eine hervorragende Datenbasis darstellen.

Milankovic beschäftigte sich besonders mit dem Eiszeitalter. Er berechnete den kombinierten Effekt der drei Orbitalzyklen (als deren wichtigsten Teilzyklus er die Schiefe der Ekliptik erachtete), womit er die Eiszeiten berechnete. Deren Zyklus betrug in den letzten Jahrhunderttausenden etwa 41.000 Jahre (wobei er sich vor ca. 800.000 Jahren an für einige Jahrhunderttausende auf 100.000 Jahre verlängert hatte). Diese Eiszeitzyklen haben einen asymmetrischen sägezahnartigen Verlauf. Sie entwickeln sich relativ langsam in Richtung einer Eiszeit. Nach Erreichen deren Höhepunkts tritt nach relativ kurzer Zeit eine deutliche Erwärmung ein. Die letzte Eiszeit endete vor rund 10.000 Jahren. Die hierauf folgende Warmzeit bewirkte vor etwa 6.000 Jahren nicht nur eine Vegetationsperiode in der Sahara; es waren bis dahin auch sämtliche Alpengletscher abgeschmolzen. Seither bewegen wir uns auf eine neue Eiszeit zu, doch ist die Kohlendioxydkonzentration in der Erdatmosphäre seit Beginn des Industriezeitalters von etwa 280 ppm auf 412 ppm gestiegen, besonders in den letzten 20 Jahren. Dies hat die Klimaentwicklung in Richtung einer Warmzeit umgelenkt. Der Kühltrend, der vor etwa 6.000 Jahren begann, hat sich offenbar nicht fortgesetzt.

Ist das schon die Katastrophe oder wäre eine neue Eiszeit nicht auch eine Katastrophe, gegen die wir uns unbeabsichtigt geschützt haben? Wären die Dinosaurier nicht schon als angebliche Folge eines gewaltigen Meteoriteneinschlags ausgestorben, würden sie infolge des um 80 kälteren Klimas in der Gegenwart möglicherweise erfrieren. Die Milankovic-Zyklen liefen nicht gleichmäßig ab. So gab es vor etwa 1.000 Jahren eine Warmperiode, in welcher die Wikinger Grönland besiedelt hatten und bis in die Gegend des heutigen Kanadas vordrangen. Vor etwa 700 bis 800 Jahren kühlte sich die Küste Grönlands soweit ab, dass die Nachfahren der Wikinger dort nicht überleben konnten. Auch Amerika ging aus europäischer Sicht wieder verloren.

Die gegenwärtige Erwärmung ist darauf zurückzuführen, dass wir mehr fossile Brennstoffe verfeuern, als deren Kohlendioxydemission wieder absorbiert werden kann. Die fossilen Brennstoffe wurden in früheren Jahrmillionen gebildet und im Boden neutralisiert. Wir setzen sie jetzt wieder frei und restaurieren damit die kohlendioxydgeschwängerte Atmosphäre, die damals herrschte.

Die „Letzte Generation“ hat m.E. nicht begriffen, dass man die fossilen Energien nicht durch nachhaltig gewonnene Energien in vollem Ausmaß ersetzen kann, aber man kann die Kohlendioxydemission auf ein solches Niveau reduzieren, welches von den Meeren und der Vegetation absorbiert werden kann. Überflüssige Kohlendioxydemissionen müssten unterbunden werden. Es werden jede Menge Reisen unternommen, um Leistungssportereignissen beizuwohnen, ganz so, als ob es kein Fernsehen gäbe, in welches das Geschrei der Fans auch künstlich eingeblendet werden könnte. Erholungsurlaube können auch im eigenen Land erholsam sein. Kriege und militärische Aktivitäten allgemein sind Quellen erheblicher Kohlendioxydemissionen. Gegenwärtig wird das Gas, welches Russland nicht liefert, abgefackelt. Es wäre sowohl für die Umwelt, als auch für uns, deutlich besser, wir könnten es weiter verbrauchen, da dann weniger Fracking-Gas gefördert und verbrannt werden müsste.

Unser Planet wird derzeit von 8 Milliarden Menschen bewohnt. In wenigen Jahrzehnten werden es 10 Milliarden sein. Diese Menschenmasse kann unser Planet nur unter Austeritätsbedingungen, wenigstens für erhebliche Bevölkerungsmassen, ernähren und beherbergen. Das lässt sich nur durch strikte Geburtenkontrolle vermeiden, die leider mit einer temporären Überalterung verbunden ist. Atomkraft wurde sogar von der EU als Ausweg angepriesen. Das wäre schön, wenn nicht der Atommüll wäre, welcher 1 Million Jahre gelagert werden sollte. Das spricht sich wohl unbedarft aus, aber man muss beachten, dass sich vor etwa 1 Million Jahren (nach anderer Auffassung 12 Millionen Jahren) die Prähominiden in die vier Unterklassen Gorilla, Schimpansen, Orang-Utans und Homo Sapiens aufspalteten.

Das in diesem Aufsatz ausgebreitete Wissen ist allgemein verfügbar. Weshalb verweigert sich die „Letzte Generation“ der Realität und macht hochgradige Kunstwerke für die Klimaentwicklung verantwortlich? Weshalb wohl hat sie bisher Beuys  verschont?   

2 Antworten auf „Gastbeitrag
Wer von der „Letzten Generation“ kennt Milutin Milankowic?“

  1. Danke Herr Seidl, das war der beste und vernünftigste Kommentar zur Klimafragen den ich je gelesen habe. Können Sie mir sagen, ob das Buch von
    Milankovic, egal ob englisch oder deutsch, irgendwo zu mäßigen Preisen erhältlich ist? (Antiquariat?)
    Roland Gähler

  2. Hallo Herr Seidl,
    ich habe noch eine Frage.
    Ich vermute, dass es sehr genaue Messungen zu den Erdbahnparametern gibt. Ändert sich derzeit messbar die große Halbachse unserer Ellipsenbahn um die Sonne, das heißt ist ein Trend Richtung Eiszeit schon erkennbar oder nicht.

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