Banküberweisungen innerhalb der Europäischen Währungsunion
Wenn ein italienischer Händler einen Mercedes importiert, bezahlt er dessen Preis an seine Hausbank, die ihn an die italienische Zentralbank mit dem Auftrag weiterleitet, ihn an den deutschen Exporteur zu überweisen. Die italienische Zentralbank beauftragt die Europäische Zentralbank mit der Überweisung, wofür ihr Konto bei der Europäischen Zentralbank mit diesem Betrag belastet wird. Der Eingang des Betrages bei der Italienischen Zentralbank und die Zunahme der italienischen Schulden bei der Europäischen Zentralbank heben sich auf, was eine Geldvernichtung in demselben Ausmaß bedeutet. Die Europäische Zentralbank beauftragt die Bundesbank, den Betrag an den Exporteur zu überweisen und dafür eine entsprechende Geldschöpfung vorzunehmen. Die Bundesbank hat eine Verbindlichkeit gegenüber der Hausbank des Exporteurs und eine Forderung an die Europäische Zentralbank. Die Geldmenge im Euroraum hat sich nicht verändert, der Importeur hat den Kaufpreis bezahlt und der Exporteur hat ihn erhalten. Soweit scheint alles in Ordnung zu sein.
Da jede nationale Zentralbank nur ein Konto bei der Europäischen Zentralbank unterhält, ist auch die Multilateralität des Handels zwischen den Mitgliedstaaten des Europäischen Währungsraums sichergestellt, da beispielsweise ein Überschuss deutscher Importe nach Italien durch einen Überschuss italienischer Importe nach Frankreich ausgeglichen werden können.
Dieser Mechanismus ähnelt den nationalen Überweisungen, beispielsweise innerhalb Deutschlands. Alle Kreditinstitute verfügen über jeweils ein Konto bei der Bundesbank. Wenn nun ein Betrag von der Sparkasse KölnBonn an die Filiale der Deutschen Bank München überwiesen werden soll, nimmt die Bundesbank die Überweisung vor, indem sie das Konto der Sparkasse KölnBonn belastet und das Konto der Deutschen Bank München erkennt. Auch hier werden die Überweisungen zwischen den deutschen Kreditinstituten ausgeglichen.
Soweit scheint auch hier alles in Ordnung zu sein. Allerdings braucht die Sparkasse KölnBonn für die Überweisung einen Kontostand, den sie sich, wenn er noch nicht vorhanden war, erst noch besorgen muss. Sie kann ihn sich bei einer anderen Bank leihen oder auch bei der Bundesbank selbst, indem sie ihr ein hinreichend gut bewertetes Wertpapier als Pfand überlässt. Sie kann auch solch ein Wertpapier direkt an die Bundesbank verkaufen, wenn diese noch im Rahmen der Kaufprogramme der Europäischen Zentralbank Bedarf hat. Kann sich die Sparkasse KölnBonn das Geld für die Überweisung nicht besorgen, muss sie ein Insolvenzverfahren eröffnen.
In diesem entscheidenden Punkt hinkt der Vergleich mit der Überweisungspraxis der Europäischen Zentralbank seit 19. November 2007, wofür sich das Akronym Target 2 für eine ellenlange und nichtssagende Bezeichnung (Trans-European Automated Real-Time Gross-Settlement Express Transfer System) eingebürgert hat. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass die Notenbank, die den Überweisungsauftrag gibt, nicht über einen Bestand auf ihrem Konto bei der Europäischen Zentralbank verfügen muss und im Falle der Überweisung auch keine Wertpapiere übergeben muss. Es entsteht deshalb eine offene Position, was impliziert, dass der negative Targetsaldo, der bei ihr eingetragen wird, einen unbesicherten Kredit darstellt, den sie vom Eurosystem nach eigenem Gustus und ohne Begrenzung beziehen kann. Sie muss den Kredit auch nicht tilgen, indem sie zu einem späteren Zeitpunkt Wertpapiere aus ihrem Bestand an die Europäische Zentralbank übergibt. Statt fluktuierender Überschüsse und Defizite stellten sich substantielle hartnäckige Kreditforderungen und -schulden von Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion gegenüber der Europäischen Zentralbank ein. (Man vergleiche auch meinen Aufsatz über die Target-Kontroverse im Septemberheft von WiSt.)
Saldenausgleich
Obwohl diese Salden die Ergebnisse von durchschnittlich 90 Millionen Zahlungen im Gesamtwert von rund 430 Billionen Euro pro Tag sind, die aus Warenlieferungen, Wertpapierhandel, Gewährung oder Rückzahlung von Darlehen, Geldanlage bei Banken (Fluchtgeld), Direktinvestitionen, Immobilienerwerb usw. resultieren, haben sie bislang keine Tendenz zur allmählichen Verringerung gezeigt, sondern sind im Gegenteil immer weiter angewachsen. Per 30. September 2020 betrug die Forderung der Bundesbank an die Europäische Zentralbank 1.115.189.250.498,07 Euro, also rund 1,115 Billionen Euro. Seit 31. Juli 2020, also innerhalb von 2 Monaten, stellt dies eine Steigerung von 95,975 Milliarden Euro dar. Die Schulden Italiens betrugen per 30. September 2020 546,330 Milliarden Euro, per 31. August 2020 betrugen die Schulden Spaniens 458,539 Milliarden Euro, die Schulden der Europäischen Zentralbank selbst 297,105 Milliarden Euro, die Schulden Portugals 80,361 Milliarden Euro, die Schulden Griechenlands 71,749 Milliarden Euro, die Schulden Österreichs 43,294 Milliarden Euro, und die Schulden Belgiens 42,750 Milliarden Euro.
Das von der Europäischen Zentralbank praktizierte System der Quantitativen Lockerung hat maßgeblich zum Aufbau der Salden beigetragen. Zum Beispiel bedeutet der von der Europäischen Zentralbank angeordnete Ankauf italienischer Staatsanleihen durch die italienische Zentralbank, dass diese Geld schafft, welches auf dem Weg über Target z.B. nach Deutschland transferiert werden kann, um deutsche Vermögenstitel (Wertpapiere, Immobilien usw.) zu erwerben. Die deutschen Targetforderungen und die italienischen Targetverbindlichkeiten steigen infolgedessen.
Während unter dem gut durchdachten Bretton-Woods System die Salden regelmäßig mit Gold oder Dollars ausgeglichen und ggf. die Währungsparitäten angepasst werden mussten, unterbleibt der Saldenausgleich nach dem Target-System. Machen wir uns nichts vor: Die deutschen Forderungen an die Europäische Zentralbank stellen einen uneinbringlichen Kredit dar. Dieser Kredit wird nie zurückgezahlt werden, er kann nie fällig gestellt werden, er wird derzeit und vermutlich noch sehr lange nicht verzinst, er kann nicht verbrieft werden und er kann nie eingefordert werden. Wenn ein Schuldnerland aus der Europäischen Währungsunion austritt, müsste es zwar seine Schulden bei der Europäischen Zentralbank zurückzahlen, aber wenn es das nicht tut, weil dafür jegliche Rechtsgrundlage fehlt, wird auch nichts passieren. Die Refinanzierung der Bundesbank wird dem deutschen Steuerzahler überlassen werden. Um es noch klarer auszudrücken: Der deutsche Kredit an die Europäische Zentralbank stellt quasi ein Geschenk an die Schuldnerländer dar, denn die Vermögensobjekte und Güter, die Gebietsdeutsche im Austausch an Käufer aus anderen Ländern des Eurosystems abgetreten haben, sind weg und werden sich rechtlich nie mehr zurückfordern lassen.
Offene Kredite und deren mögliche Verwendung
Es gibt Stimmen, die argumentieren, dass es gleichgültig sei, ob der Positivsaldo der Bundesbank als Forderung an die Europäische Zentralbank bestehen bleibe, oder in Form von Wertpapieren der Schuldnerstaaten an die Bundesbank übereignet würden. Zwar könnte die Bundesbank im letzteren Fall die Wertpapiere verkaufen und den Erlös als Bundesbankgewinn an den Staat überweisen, doch krankt dies daran, dass diese Staatspapiere nahe am Ramschstatus gerated werden. Deren Wert bestimmt sich durch die Garantie der Europäischen Zentralbank, sie drei Jahre vor ihrer Fälligkeit zu kaufen, nicht durch die Wirtschaftslage der Schuldnerstaaten. Dies zeigt eine interessante Entwicklung der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen Italiens von Oktober 2018 bis Oktober 2019. Diese fiel von 3,48 Prozent auf 0,92 Prozent, was von einigen politischen Ereignissen bestimmt wurde: Präsident Draghi verkündete am 18. Juni 2019 in Sintra, dass die Europäische Zentralbank ihre Politik der Quantitativen Lockerung wieder aufnehmen wolle, am 2. Juli 2019 sickerte durch, dass Christine Lagarde die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank würde, und am 3. Juli 2019 verkündete Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici, dass die Europäische Union auf ein Defizitverfahren gegen Italien verzichten wolle. Diese politischen Einflüsse katapultierten den Wert italienischer Staatsanleihen nach oben.
Was könnte Deutschland mit seiner Target-Kreditforderung anfangen, wenn es denn darüber verfügen könnte und eine Tilgung mit Gold oder AAA-gerateten Wertpapieren verlangen könnte? Zunächst könnte das infolge der Corona Pandemie für das Jahr 2021 in Höhe von 96 Milliarden Euro veranschlagte Budgetdefizit finanziert werden. Die wegen Überalterung steigende Rentenlast könnte teilweise aus Erträgen eines Staatsfonds finanziert werden, wenn der analog dem Norwegischen Staatsfonds oder dem Saudi-Arabischen Staatsfonds eingerichtet werden könnte. Der deutsche Goldbestand wurde in den Jahren 1951 bis zu dem ominösen Brief des damaligen Präsidenten der Bundesbank, Karl Blessing, an den damaligen Vorsitzenden der FED, William Martin, vom 30. März 1967, aufgrund der deutschen Exportüberschüsse im Rahmen des Bretton-Woods Systems gebildet. Er betrug im Jahre 1968 rund 4.000 Tonnen Gold. Mittlerweile umfasst er 3.396 Tonnen Gold, wovon 37% von der FED in New York und 13% von der Bank of England verwahrt werden. Der Marktwert dieser 3.396 Tonnen Gold dürfte bei rund 220 Milliarden Euro liegen, was immerhin einem Fünftel der heutigen Targetforderungen entspricht. Von diesen goldenen Zeiten kann man heute nur träumen.
Forderungsverzicht und Neue D-Mark als Parallelwährung
Was sollten wir mit einer uneinbringlichen Forderung in Höhe von 1,115 Billionen Euro anfangen? Wir könnten uns großzügig zeigen, 1 Billion Euro davon abschreiben, diese den Schuldnerstaaten der Europäischen Währungsunion zum Geschenk machen und gleichzeitig eine Win-Win Situation auch für uns damit verbinden. Deutschland sollte eine Neue D-Mark als Parallelwährung einführen. Deutsche Staatsbürger und Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben, hätten das Recht, maximal 20.000 Euro im Verhältnis 1:1 gegen Neue D-Mark einzutauschen. Dies wäre im Pass einzutragen. Die Umtauschfrist sollte maximal 4 Wochen betragen. Insoweit die Summe von 1 Billion Euro nicht erreicht ist, sollte die Differenz für weitere 4 Wochen Unternehmen und Banken angeboten werden. Damit könnte die Bundesbank 1 Billion Euro erlösen und hätte damit den Großteil ihrer uneinbringlichen Targetforderung über Beiträge der eigenen Bevölkerung eingenommen. Dieser Betrag sollte leicht erreicht werden können, da die Privathaushalte der Bundesrepublik Deutschland zu Ende des zweiten Quartals 2020 über ein Geldvermögen in Höhe von 6,63 Billionen Euro verfügten und mehrheitlich in Sorge vor einer Inflation wegen der hemmungslosen Geldschwemme durch die Europäische Zentralbank händeringend nach wertstabilen Veranlagungsformen für ihre Vermögen suchen.
Die Neue D-Mark sollte ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland als Zahlungsmittel zum Kurs von 1:1 zum Euro gelten. Das schließt jedoch einen höheren Wechselkurs für die wertstabile Neue D-Mark, die über den Betrag von 1 Billion nach Verpflichtung der Bundesbank nicht weiter vermehrt werden sollte, nicht aus. Die Findung ihres Wechselkurses zum Euro sollte dem Markt überlassen werden. Als Zahlungsmittel würde dann faktisch weiterhin der Euro gelten, als Wertaufbewahrungsmittel die Neue D-Mark. Die Bundesbank sollte den für die Ausgabe der Neuen D-Mark eingenommenen Eurobetrag als Dispositionsmasse behalten und damit das coronabedingte Haushaltsdefizit des Jahres 2021 sowie Rückzahlungen des Hilfspaketes der Europäischen Union finanzieren. Darüber hinaus könnte ein Staatsfonds nach dem Muster des norwegischen Staatsfonds eingerichtet werden, aus dessen Erträgen Beiträge zur Finanzierung der Rentenversicherung der Babyboomer-Generation geleistet werden könnten.
Da die Neue D-Mark nur bei der Bundesbank geparkt werden könnte, wäre sie der Belastung mit Negativzinsen entzogen. Weil der Gesamtbetrag von Neuer D-Mark mit einer Billion feststeht, hätte sie ähnliche Vorteile wie Gold und Bitcoin. Es steht zu erwarten, dass die Neue D-Mark in beträchtlichem Maße als stabiles Wertaufbewahrungsmittel Verwendung führen würde, da sie, im Gegensatz zu Bitcoin, durch die Autorität der Bundesbank gesichert wäre. Daher könnten auch Banknoten im Nennwert von 1.000 Neuen D-Marks emittiert werden.
Als Gegenleistung für das großzügige Geschenk Deutschlands an die Schuldnerländer der Europäischen Währungsunion in Höhe von 1 Billion Euro müsste Deutschland darauf bestehen, den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahingehend zu revidieren, dass die gegenwärtige Buchungspraxis des Targetsaldos eines Mitgliedslandes auf 3% von dessen Bruttoinlandsproduktes beschränkt wird. Die Europäische Zentralbank wäre zu verpflichten, den Überschuss eines positiven Targetsaldos über 3% des Bruttoinlandsproduktes eines Mitgliedslandes diesem in Gold oder in AAA-gerateten Wertpapieren zu erstatten. Wenn die Targetschulden eines Mitgliedslandes 3% von dessen Bruttoinlandsproduktes übersteigen, müsste das entsprechende Mitgliedsland der Europäischen Zentralbank die überschießende Schuld in Gold oder in AAA-gerateten Wertpapieren erstatten, widrigenfalls dieses Land so lange von jenen Zahlungstransaktionen, welche seine Schuldenpositionen erhöhen, auszuschließen wäre, bis es den Saldenausgleich geleistet hätte.
Zweifellos sind der deutschen Politik bei der Aushandlung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union Fehler unterlaufen, doch hat keiner dieser Fehler Deutschland mehr als eine Billion Euro gekostet. Diese Scharte gilt es, auszuwetzen.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die europäischen Südstaaten ein solch großzügiges Geschenk nicht als solches empfinden, wofür man Konzessionen machen sollte. Sie haben diese ungeheuren Summen schon längst als selbstverständliche Verpflichtung Deutschlands abgehakt. Deren Inrechnungstellung und anschließende Schenkung würde als Ungehörigkeit Deutschlands empfunden, welche zu nichts verpflichte. Die Targetforderung Deutschlands sei nichts anderes als ein temporärer Ausfluss der normalen Überweisungstätigkeit der Europäischen Zentralbank. Das Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 sei lediglich eine Insubordination gegenüber dem Europäischen Gerichtshof. Hier wäre noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Während für viele Entscheidungen der Europäischen Union Einstimmigkeit erforderlich ist, gilt für den Rat der Europäischen Zentralbank die Mehrheit der Mitglieder. Deutschland und Malta haben z.B. jeweils eine Stimme. Selbst dieses Stimmrecht kann nicht immer ausgeübt werden, da manche Mitglieder zuweilen pausieren müssen. Pro Kopf der Bevölkerung hat Deutschland das geringste Stimmpotential in der Geldpolitik, doch die höchste Haftung pro Kopf der Bevölkerung. Verhältnismäßigkeit sieht anders aus.
Hinweis: Ein ausführlicher Überblick von Christian Seidl über die Target II-Kontroverse ist in Heft 9 (2020) der Fachzeitschrift WiSt erschienen.
„Weil der Gesamtbetrag von Neuer D-Mark mit einer Billion feststeht, hätte sie ähnliche Vorteile wie Gold und Bitcoin. Es steht zu erwarten, dass die Neue D-Mark in beträchtlichem Maße als stabiles Wertaufbewahrungsmittel Verwendung führen würde, da sie, im Gegensatz zu Bitcoin, durch die Autorität der Bundesbank gesichert wäre.“
Warum stellt sich die Bundesbank mit ihrer Autorität nicht einfach hinter Gold und Bitcoin? Ist es überhaupt eine gute Idee, dass der Gesetzgeber ein gesetzliches Zahlungsmittel priveligieren darf? Wenn es im Krieg erst wird, dürfen die Rüstungsfirmen interessanterweise auf Gold für ihre Waffen bestehen.