GastbeitragWie weiter mit der Schuldenbremse?Finanzpolitische Stabilität gründet auf einem strengen Regelwerk aber keinem dogmatischen Schuldenabbau

Stabile finanzielle Verhältnisse sind ein bedeutender Standortvorteil der Schweiz. Auf Bundesebene sind sie eng mit der 2003 eingeführten Schuldenbremse verknüpft. Mit der Pandemie hat das Regelwerk auch eine weitere grosse Bewährungsprobe bestanden. Umfangreiche Unterstützungsmassnahmen zur Abfederung weitreichender wirtschaftlicher Auswirkungen waren dank dem Ausweichen auf den ausserordentlichen Haushalt und der geringen Verschuldung möglich. Gibt es nach diesen Erfahrungen Bedarf für eine Änderung des Regelwerks? Ja, aber nur im Kleingedruckten. Eine Neuausrichtung, wie in einem kürzlich eingereichten Vorstoss im Parlament gefordert, gefährdet die finanzpolitische Stabilität des Bundes. Im Umgang mit Krisenschulden sollte sich das Parlament hingegen das Ursprungskonzept der Schuldenbremse in Erinnerung rufen. Die Thematik dieses Blogs bedingt zuweilen technisches Vokabular. Eine Box am Ende des Texts erläutert deshalb die Elemente und Funktionsweise der Schuldenbremse.

Ideen zur Lockerung der Schuldenbremse sind nicht neu. Vor der Coronakrise versuchten jene, denen das Korsett der Schuldenbremse seit jeher zu eng war, die zahlreichen Überschüsse für ihnen genehme Zweckbindungen zu verankern. Die Erfahrungen der Coronakrise haben solchen Bestrebungen offenbar den Reiz nicht genommen. Ein im Herbst eingereichtes Postulat strebt eine Anpassung des eigentlichen Ziels der Schuldenbremse an. Das Regelwerk soll neu auf eine Stabilisierung der Schuldenquote anstelle des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben ausgerichtet werden. Damit sollen künftig die Bruttoschulden mit dem BIP-Wachstum zunehmen dürfen.

Sparst du nicht in der Zeit, so hast du nichts in der Not

Der Vorschlag legt den Finger auf einen wunden Punkt: Ist es sinnvoll, mit dem bestehenden Regelwerk dem Bund eine sinkende Schuldenquote zu bescheren? Benötigt die Schweiz zur Wahrung der finanziellen Stabilität eine Ausgabenregel, die in guten Zeiten sogar eine Reduktion des Schuldenstands zur Folge hat? Bekanntlich führte die Schuldenbremse zwischen 2003 und 2019 zu einem Abbau der (Brutto-)Schulden um 27 Mrd. auf 97 Mrd. Franken. In diesem Umfang hat die Reduktion zwar nicht direkt mit der Schuldenbremse, sondern mit der Neigung zum konservativen Budgetieren zu tun. Der Mechanismus geht aber dennoch über die Bedingungen zur Tragbarkeit von Staatsschulden hinaus. Im Lehrbuch ist zu lesen: Die Tragbarkeit ist unter der Bedingung gegeben, dass die Schulden langfristig nicht stärker als das Wirtschaftswachstum zunehmen.

Der Ruf nach einer Korrektur könnte auf Anklang stossen, zumal der Mechanismus nur geringfügig geändert würde. Den Unterstützern des Postulats schwebt vor, zur Berechnung des Ausgabenplafonds zusätzlich zum bestehenden Konjunkturfaktor einen Wachstumsfaktor heranzuziehen. Effektiv handelt es sich allerdings keineswegs um ein kleineres Facelifting. Wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Vorschlag schreibt, wäre es mit der vorgeschlagenen Neuausrichtung künftig zulässig, dass die Ausgaben stets im Umfang des Wirtschaftswachstums über den Einnahmen lägen.

Damit würde die Schuldenbremse ihres wichtigsten Trumpfes beraubt, dem Zwang zum Masshalten in guten Zeiten, und würde eine antizyklische Ausgabenpolitik weitgehend verunmöglichen. Nur mit letzterer ist indes der Tendenz zu Defiziten und Verschuldung («deficit bias») entgegenzuwirken. In der politischen Praxis werden die Staatsausgaben in schlechten Zeiten zwar gerne erhöht, aber in guten Zeiten in aller Regel nicht wieder zurückgefahren. Ein Blick auf die Erfahrungen mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zeigt, wie zahnlos eine Fiskalregel ist, wenn dies zugelassen wird.

Fehlentscheid zum Abbau der Corona-Schulden

Abgesehen davon, dass der Vorschlag den Charakter der Schuldenbremse ändert, lässt er die Erfahrungen der Coronakrise ausser Acht. Die Frage ist nicht, ob künftige Notlagen zu hohen Defiziten führen, sondern wie hoch diese einst ausfallen werden. Wer in normalen Zeiten eine Stabilisierung der Schuldenquote anstrebt, nimmt mit jeder ausserordentlichen Krise einen Anstieg der Schuldenquote in Kauf. Langfristig drohte ein Treppeneffekt, weil in guten Zeiten zu wenig gespart würde. Als Folge davon würde das eigentliche Ziel des Vorschlags verfehlt und der Spielraum zur Krisenbekämpfung sukzessive schwinden.

Die heutige Regelung ist diesbezüglich wesentlich besser. Sie verpflichtet in normalen Zeiten zu Budgetdisziplin, erhöht dadurch die staatliche Krisenresistenz und ermöglicht einen flexiblen Umgang mit krisenverbundenen Schulden. Spielraum, den das Parlament im Nachgang zur Coronakrise nicht in vollem Umfang genutzt hat. Der durch die ausserordentlichen Ausgaben während der Pandemie angehäufte Fehlbetrag des Amortisationskontos von rund 25 Mrd. Franken soll einerseits durch künftige Überschüsse und andererseits mit Teilen der Gewinnausschüttung der Nationalbank korrigiert werden. Zur Debatte stand auch, die Hälfte des Amortisationskontos mit dem Ausgleichskonto zu verrechnen, das aufgrund der Überschüsse der 2010er Jahre einen positiven Saldo von 30 Mrd. Franken aufweist.

Dass sich das Parlament für die strengere Variante, den vollständigen Schuldenabbau ohne Verrechnung mit den vergangenen Überschüssen, entschieden hat, ist nachvollziehbar. Die gleichzeitig beschlossene Verlängerung der Amortisationsfrist (bis 2035) ist im Gesetz festgehalten, die Verrechnung nicht. Genau genommen fusst der parlamentarische Entscheid aber auf einem Irrtum. Die sechsjährige Frist kann nur verlängert werden, wenn innerhalb derselben weitere wirtschaftliche Verwerfungen auftreten. Eine Verlängerung auf Vorrat sieht das Gesetz nicht vor.

Verrechnung von Krisenschulden und Überschüssen künftig zulassen

Zudem ist eine Verrechnung keineswegs illegitim. Der Zweck der Schuldenbremse besteht nicht im Schuldenabbau, sondern in deren Stabilisierung. Zwar ging man bei Einführung der Schuldenbremse davon aus, dass mit dem Mechanismus ein Abbau einhergehen würde. Im Vordergrund stand jedoch das Ziel, die bestehenden Bundesschulden zu stabilisieren. Mit Blick auf künftige Krisen sollte das Parlament deshalb auf seinen Entscheid zurückkommen und unter Beibehaltung eines bestimmten Reservebetrags eine Verrechnung der beiden Konten künftig zulassen. Wäre die Hälfte des Fehlbetrags auf dem Amortisations- mit dem Ausgleichskonto verrechnet worden, hätte der Saldo des Ausgleichskontos immer noch 10 Mrd. Franken betragen.

Das ist keine Neuinterpretation der Schuldenbremse: Was der Bund den Steuerzahlern in guten Zeiten zu viel abknöpft, erstattet er durch die Verrechnung zurück. Der viel zitierten Aussage, die Schuldenbremse erlaube für harte Zeiten zu sparen, wird so effektiv nachgelebt. Denn zum fiskalpolitischen Konsens, dass Einnahmen und Ausgaben auszugleichen sind, gehört auch die Erkenntnis, dass Überschüsse und Fehlbeträge auf den Haushaltskonten von mehreren Dutzend Milliarden Franken dem Ursprungkonzept der Schuldenbremse widersprechen. Entsprechend sind sie zu bereinigen. Wird darauf beharrt, dass Krisenschulden vollständig durch künftige Überschüsse zu kompensieren sind, verkommt der Schuldenabbau zum Dogma.

Die Schweiz sollte ihrer finanzpolitischen Stabilität Sorge tragen. Eine Neuausrichtung der Schuldenbremse des Bundes auf eine Stabilisierung der Schuldenquote käme einer Aufweichung des Regelwerks gleich und würde dieses Ziel gefährden. Da das bestehende Regelwerk in guten Zeiten einen Schuldenabbau zur Folge hat, wäre es künftig angebracht, durch ausserordentliche Ausgaben angehäufte Schulden mit vergangenen Überschüssen zu verrechnen. Der Glaubwürdigkeit der Schuldenbremse wäre damit geholfen. Denn ein signifikanter Schuldenabbau erfüllt das Kriterium «Generationengerechtigkeit» ebenso wenig wie ein deutliches Schuldenwachstum.

Lukas Schmid ist Fellow beim Think-Tank Avenir Suisse. Dieser Beitrag erschien erstmals auf dem Blog der Denkfabrik.

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