Gastbeitrag
Warum wir einen neuen Medien- und Politikstil brauchen
Und wie dieser aussehen könnte

Bad news are good news. Das Geschäftsmodell der Medien ist die negative Schlagzeile. Immer gewesen. Weil der Mensch für Gefahr die größte Aufmerksamkeit zeigt. Das sichert sein Überleben. Als Individuum wie als Spezies. 

Hochwasser, Kriege, Klimawandel, Staatsschulden – die Themen ändern sich (manche auch nicht), die Struktur bleibt die Gleiche: Betrachtet man die Welt aus dem Blickwinkel eines Nachrichtenmagazins, steht sie immer kurz vor dem Untergang (dabei blüht in vielen Demokratien und Marktwirtschaften das Leben).

Psyche nimmt Schaden

Für Menschen, die sich an politischen und gesellschaftlichen Debatten beteiligen wollen (und eine Demokratie lebt davon) ist das ein Problem. Selbst mit dem Wissen, dass die Nachrichten nur den schlimmen Ausschnitt menschlichen (Zusammen-)Lebens zeigen, kann man sich dauerhaft kaum dagegen wehren, dass Texte und Bilder der eigenen Psyche Schaden zufügen. Man muss sich mindestens eine ordentliche und stetige Portion positiver Gegen-Nachrichten verordnen, will man sich nicht von negativen Eindrücken auf Dauer überwältigen lassen. 

Neben der individuellen Herausforderung kommt eine gesellschaftliche hinzu. Wenn Menschen, aufgrund medialer (negativer) Berichterstattung, zunehmend der Meinung sind, alles wird immer schlimmer, geht erst das Vertrauen in die Lösungskompetenz bestehender Institutionen und dann die Institutionen selbst verloren – und damit Demokratie, Rechtsstaat und die Marktwirtschaft. 

Nadelöhr-Journalismus

Genau das geschieht aktuell. Das Institutionenvertrauen schwindet zunehmend. Ein möglicher Grund: der technische Fortschritt in der Kommunikation. Früher war Kommunikation in die Breite wenigen vorbehalten. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Zeitungen vor allem. Das war Segen und Fluch zugleich. Am Nadelöhr wurde Spreu von Weizen getrennt. Die Qualität der Berichterstattung war recht hoch, wobei nicht immer nur Weizen, sondern auch Spreu durch das Nadelöhr kam. Gesellschaftlicher Stand, Haltung und Beziehungen ebneten vielfach den Weg in die Medienwelt. 

Das Nadelöhr gibt es nicht mehr. Jeder kann heute Reichweite schaffen. Und es bekommen vor allem jene diese Reichweite, die am lautesten „Gefahr“ rufen. Die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich geändert, aber der Mensch ist der geblieben, der er immer war. Noch immer schaut und hört er dort hin, wo potenziell der Untergang verkündet wird. 

Deswegen haben die Julian Reichelts dieser Welt so massenhaft Zulauf. Sie rufen, dass die Welt bald untergehe – und alle starren hin (ein bisschen stimmt das mit dem Untergang ja auch, denn es ist vor allem ihre eigene Welt, das eigene gesellschaftliche Standing, das die Rufenden in einer sich wandelnden Gesellschaft in Gefahr sehen – aber das ist ein anderes Thema.) Und wenn der nächste ruft „nicht bald“, sondern „morgen“, findet sich noch einer, der damit Aufmerksamkeit findet, dass er die Welt bereits „heute“ untergehen sieht. Und keiner, der dem Treiben Einhalt gebietet. Vielleicht war das Nadelöhr doch eher Segen als Fluch. 

Medienkompetenz mit Unterstützung

Auf der anderen Seite. Jeder Mensch hat die Freiheit, sich den Reicheltschen Verschwurbelungswelten zuzuwenden oder es eben sein zu lassen. Wir allen haben eine eigene Verantwortung. Wir alle können uns jenen Medien zuwenden, die Übertreibung, Zuspitzung und Verdrehung sein lassen. Die gesellschaftliche Aufgabe ist, junge Menschen so zu bilden, dass sie diese Entscheidungen treffen können. Findet diese Bildung statt, ist jedem eine selbstverantwortliche Auswahl der Mediennutzung zuzumuten. 

Voraussetzung ist, dass es diese Medien gibt. Dafür müssen sich die so genannten Qualitätsmedien von falschen Zuspitzungen verabschieden. Diese waren nicht weiter tragisch, als es die Nadelöhr-Medienwelt noch gab. Der Schaden hielt sich in Grenzen. Das ist heute anders. Wer sich in den Reigen der „Alles-wird-immer-schlimmer“-Digitalmarktschreier einreiht, ist mitverantwortlich für den Niedergang des Institutionenvertrauens. 

Noch immer liest man in renommierten Zeitungen Titel wie „Rentenversicherung vor dem Bankrott“. Gemacht von Medienmenschen, die es besser wissen. Die wissen, dass die Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren funktioniert, das System praktisch gar nicht bankrottgehen kann. Dennoch wird es geschrieben. Weil es Aufmerksamkeit bringt. Und auf Dauer tiefen Frust bei den Menschen. 

Unter Jugendlichen ist das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung erschreckend niedrig. Viele glauben, dass sie im Alter kaum davon was haben werden. Die Folge: Die Menschen verlieren das Vertrauen, dass die Politik mit guten Reformen die Dinge zum Besseren wenden kann. Könnte sie aber. Wenn aber stattdessen rechte Ränder die Wahlstimmen erhalten, weil sie die Abschaffung „unfähiger Eliten“, versprechen, dann kommt keine Reform, dann kommt der Untergang. 

Fokus auf mögliche Verbesserungen

Die Medien müssen also eine neue Sprache finden. Bisher wurde oft das Schreckensszenario nach vorne gestellt (Rente vor dem Bankrott). In einer Welt, in der das tatsächliche Schreckensszenario die Machtübernahme von autoritären und demokratiefeindlichen Kräften ist, muss sich die Kommunikation ändern. Etwa in dem mögliche positive Effekte von Veränderungen stärker in den Vordergrund gerückt werden. Nicht, was kostet die Rente mit 63 die Gesellschaft an Wohlstand, sondern was bringt dessen Abschaffung an zusätzlichen Wohlstand. Oder: Was sind die Vorteile eines soliden Haushalts, statt, was sind die Nachteile von übermäßiger Staatsverschuldung. 

Der Grat dabei ist ein schmaler. Medien müssen und sollen Probleme benennen. Ohne Problembewusstsein keine Lösung. Noch wichtiger ist es deshalb zu lernen, ohne Übertreibung zu kommunizieren, ohne Verfälschung durch Weglassung, ohne Zuspitzung durch Verallgemeinerung von Einzelfällen. 

Und vielleicht geht das nicht, ohne die Menschen stärker in die Verantwortung dafür zu nehmen, sich ihr eigenes Bild zu machen. Und vielleicht braucht es dafür auch mehr Korrekturhilfen. Bei aller medialen Bildung: Wir alle sind stetig überfordert, Informationen nach Glaubwürdigkeit, Echtheit und Interessenslenkung einzuordnen. Wir alle brauchen Unterstützung. Durch jene, die im Thema sind. Die nach bestem Wissen und Gewissen Hilfestellung geben. Damit jene, die ihr Süppchen kochen, weil sie die Gefahrenaufmerksamkeit der Menschen zu ihrem finanziellen Zweck und für ihr nimmersattes Ego nutzen, der Boden entzogen wird. 

Und was für die Medien gilt, gilt auch für die Politik.  

Wenn der erbitterte Kampf zwischen den demokratischen Parteien vor allem der AfD hilft und die demokratischen Parteien schwächt, dann muss sich zumindest Oppositionspolitik ändern. Das alte Rezept der Opposition war: Man schadet der Regierung mit scharfer Kritik wo man kann, und dies kommt einem selbst zu Gute. Jetzt profitiert vor allem, wer in einem demokratischen Gemeinwesen besser nicht profitieren sollte. Der einzige Ausweg, vor allem für die CDU: ihre politische Kommunikation grundlegend ändern. Statt ständiger Kritik, bessere Angebote vorlegen. Der Soziologe Detlef Pollack hat es jüngst in der Süddeutsche Zeitung ganz wunderbar beschrieben:

„Die Herausforderungen sind so gewaltig, dass die CDU die Bekämpfung der Klimakrise zum Beispiel zu ihrem ureigenen Anliegen machen müsste und zeigen müsste, dass sie mit ihr besser umgehen kann als die Grünen. Sie müsste sich dabei nicht verbiegen, sondern könnte unter Rückgriff auf ihre eigenen Werte und Traditionen Vorschläge unterbreiten, die die Grünen und die SPD auf ihrem eigenen Feld überholen. Dazu hätte sie gute Gründe, wenn sie sich etwa auf Stichworte wie die Bewahrung der Schöpfung besinnt oder auch das Kriterium der Sozialverträglichkeit des anstehenden Wandels. Darüber hinaus könnte sie diese Vorschläge mit ihrer eigenen Handschrift versehen, indem sie zum Beispiel herausstellt, dass die Klimakrise nur dann zu bewältigen ist, wenn die marktwirtschaftlichen Mechanismen nicht ausgehebelt werden.“

Meine Überzeugung: Medienschaffende, Politiker und Politikerinnen, in der Wissenschaft Arbeitende, wir alle müssen andere Wege finden, für gute Politik und eine Gesellschaft in Wohlstand und Freiheit zu werben als ständig die Alarmglocke zu läuten. Wir betreiben sonst das Geschäft der Demokratiefeinde und Autoritätsfreunde. 

Johannes Eber

Eine Antwort auf „Gastbeitrag
Warum wir einen neuen Medien- und Politikstil brauchen
Und wie dieser aussehen könnte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert