Gastbeitrag
Grenzenlos innovativ
Die Bedeutung der Erwerbsmigration für den Innovationsstandort Schweiz – und was das mit Deutschland zu tun hat

Zuwanderer leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Innovationskraft der Schweiz. Überdurchschnittlich viele Startup-Gründer, Forscher und Erfinder stammen dabei aus Deutschland.

Die Schweizer Wirtschaftsgeschichte ist auch eine Geschichte der Migration. Zugezogene Pioniere machten in der Schweiz bahnbrechende Erfindungen, gründeten Firmen von Weltruf und lieferten die Grundsteine für Branchen, die längst zur DNA der Schweizer Wirtschaft gehören. 13 der 20 grössten Konzerne wurden ursprünglich von Ausländern gegründet (u.a. Nestlé, Roche und Novartis). Doch welchen Anteil haben Menschen mit ausländischen Wurzeln an der Schweizer Innovationskraft heute? Eine neue Analyse des Think Tanks Avenir Suisse liefert diesbezüglich eine Bestandesaufnahme.

Ausgangslage: Warum die Schweiz auf Innovation angewiesen ist

Innovation ist der Grund, warum viele Menschen heute ein Leben in Wohlstand führen können. Sie ist aber auch für den Erfolg des Schweizer Wirtschaftsstandorts ausschlaggebend. Ein Hochlohnland an der «technologischen Grenze» kann den Wohlstand nur verteidigen und erhöhen, wenn sich die eigene Volkswirtschaft fortlaufend erneuert. Nur durch Innovation – d.h. durch die Entwicklung neuartiger Produkte und Verfahren – können Schweizer Unternehmen ihre internationale Konkurrenzfähigkeit erhalten. Ebenso unverzichtbar ist Innovation bei der nötigen Transformation der Wirtschaft im Rahmen des Klimawandels.

Hinter jeder Innovation stehen in der Regel hochqualifizierte und spezialisierte Arbeitskräfte. Weil solche Talente angesichts der Schweizer Wirtschaftskraft seit jeher knapp sind, ist der Innovationsstandort auf die Zuwanderung von Fachkräften und Menschen mit Unternehmergeist angewiesen.

Analyse: Welchen Anteil Ausländerinnen und Ausländer an der Innovationsleistung haben

Um die Bedeutung der Zuwanderung für den Innovationsstandort Schweiz zu messen, folgen wir einer simplen Methodik: Wir fokussieren auf den Ausländeranteil in den für die Innovation relevanten Bereichen. Privatwirtschaftliche Unternehmen treiben den Innovationsprozess voran, insbesondere auch in Form kreativer Neugründungen. Als Forschungs- und Bildungsanstalten spielen zudem die Hochschulen eine wichtige Rolle.

Wie Abbildung 1 überblicksartig aufzeigt, ist der Ausländeranteil an der Innovationsleistung überdurchschnittlich hoch. Ausländerinnen und Ausländer machen gut einen Viertel der Bevölkerung aus, sind – über alle Indikatoren hinweg – aber für rund die Hälfte der Innovationsleistung verantwortlich.

Ausländerinnen und Ausländer prägen als Firmengründer den Strukturwandel. Sie haben als Forscher einen überdurchschnittlichen Anteil daran, dass Unternehmen innovative Prozesse sowie neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln können – und die Volkswirtschaft langfristig wettbewerbsfähig bleibt. Und sie sind mitverantwortlich für das exzellente Hochschulsystem der Schweiz mit Vorzeigeinstitutionen. Damit generieren sie langfristiges Wachstum und helfen mit, den Wohlstand zu sichern.

Grosse Bedeutung des «grossen Kantons»

Die ausländische Wohnbevölkerung stammt zu gut einem Drittel aus den drei grossen Nachbarländern. Diese durch die geografische und sprachliche Nähe bedingte Zuwanderungsstruktur ist eine Schweizer Besonderheit. In den meisten europäischen Ländern stammen die grössten ausländischen Bevölkerungsgruppen aus geografisch und kulturell weiter entfernten Ländern [1]. Wenig überraschend sind die Nachbarländer denn auch für die Innovation in der Schweiz wichtig.

Abbildung 2 zeigt, welchen Anteil Staatsangehörige aus Deutschland, Frankreich und Italien an der Innovationsleistung ausmachen. Was auffällt: die Differenz zwischen dem Bevölkerungsanteil und dem Anteil an den Erwerbstätigen. Grund dafür sind nicht zuletzt die Grenzgänger, die im Falle Frankreichs die französische Wohnbevölkerung in der Schweiz zahlenmässig längst übertreffen. Hinsichtlich Innovationsbeitrag haben die Deutschen klar die Nase vorn: Obwohl sie «nur» 3,6% der hiesigen Bevölkerung ausmachen, ist ihr Anteil an den Startup-Gründern dreimal, an den Erfindern fast fünfmal so hoch. Nicht weniger bedeutend ist der Anteil der Deutschen am Personal der Schweizer Universitäten.

Bedeutung der Zuwanderung ist höher, als es der Ausländeranteil an der Innovationsleistung suggeriert

Wegen einer eingeschränkten Datenverfügbarkeit messen wir den Zuwanderungseffekt ausschliesslich über die Staatsangehörigkeit. Damit dürften wir die effektive Bedeutung der Migration für die Innovation stark unterschätzen. So liegt der Ausländeranteil an der Bevölkerung bei 26 %. Rechnet man zu den Ausländern die eingebürgerten Schweizer hinzu, haben jedoch 39% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund.

Basierend auf Daten der Arbeitskräfteerhebung lässt sich der Zuwanderungseffekt gemäss Migrationshintergrund approximieren. So zeigt Abbildung 3 den Ausländeranteil an den Erwerbstätigen für die zehn produktivsten Branchen der Schweiz. Und: wie gross der Anteil ist, wenn zu den Ausländern die eingebürgerten Schweizer Erwerbstätigen addiert werden. Während 45% aller Erwerbstätigen in der Schweiz einen Migrationshintergrund aufweisen, sind es in den exportstarken Pharma-, Chemie- und Uhrenindustrien bis zu zwei Drittel. Es wäre folglich nicht überraschend, wenn die Zuwanderung nicht «nur» die Hälfte, sondern bis zu zwei Drittel der Schweizer Innovationsleistung verantwortet.

Innovationsstandort Schweiz ist aussergewöhnlich stark internationalisiert

Die präsentierten Zahlen sind auch im internationalen Vergleich äusserst hoch. Beispiel Startup-Gründer: In der Schweiz verfügen rund 50% der Startup-Gründer und 80% der Unicorn-Gründer (Startups mit Bewertung von über 1 Mrd. US-Dollar) über einen ausländischen Pass. In Deutschland hat hingegen «nur» jeder fünfte Startup-Gründer einen Migrationshintergrund [2]. In den USA – die traditionell für Gründer und Talente eine hohe Anziehungskraft ausüben – sind Einwanderer für 55% aller Unicorn-Gründungen verantwortlich [3]. Beispiel Erfinder: International leben geschätzte 10% der Erfinder in einem anderen Land als ihrem Geburtsland [4]. Mit Ausnahme von Luxemburg (35% ausländische Erfinder bei einem Ausländeranteil an der Bevölkerung von über 47%) weist kein anderes Land auch nur annähernd so hohe Werte auf wie die Schweiz (37%) [5]. In Deutschland liegt der Anteil ausländischer Erfinder bei 6%, in den USA bei 18%.

Herausforderungen: Was dem Innovationsstandort Grenzen setzt

Eine erfolgreiche und tragfähige Migrationspolitik ist auf Akzeptanz in der Bevölkerung angewiesen. Selbst wenn diese nicht nachlässt, stellen drei Entwicklungen in Frage, ob die Schweiz auch langfristig die besten Talente aus aller Welt anziehen kann:

  1. Aufgrund bekannter demografischer Entwicklungen schrumpft das Arbeitskräftepotenzial nicht nur in der Schweiz, sondern in vielen westlichen Ländern. Die Schweiz muss damit rechnen, dass die Erwerbsmigration aus Europa zukünftig abnimmt.
  2. Als Folge hiervon verschärft sich der internationale Wettbewerb um Talente. Immer mehr Länder lockern bereits althergebrachte Zuwanderungsregeln und versuchen stattdessen gezielt, qualifizierte Fachkräfte anzuwerben.
  3. Gleichzeitig setzt die Schweiz weiterhin auf eine ineffiziente Drittstaaten-Zuwanderungspolitik (Staaten ausserhalb der EU/Efta). So machen aussereuropäische Talente denn auch nur einen geringen Teil der Beschäftigten aus. Durch das planwirtschaftliche und administrativ aufwändige Kontingentsystem droht die Schweiz sich selbst zu schaden.

Empfehlungen: Wie wir die Innovationskraft der Schweiz nachhaltig sichern können

All diese Herausforderungen sind bereits heute zu spüren. Während sich die vorliegende Analyse jedoch auf die ökonomischen Effekte zur Innovationsfähigkeit konzentriert, spielen für eine tragfähige Migrationspolitik auch andere Aspekte wie Infrastrukturkosten oder nicht-ökonomische Herausforderungen der Zuwanderung eine wichtige Rolle. Einerseits sind Unternehmen, Hochschulen und Investoren darauf angewiesen, die benötigten Talente zu finden, um innovativ erfolgreich zu sein. Andererseits sind die Zuwanderungszahlen bereits heute hoch und daher ein Politikum. Vor diesem Hintergrund lauten unsere Empfehlungen zuhanden der Politik:

Kurzfristig: Zuwanderungssystem für Drittstaaten-Angehörige punktuell optimieren

  1. Vereinfachungen für Hochschulabsolventen
  2. Einführung «Startup-Visa»
  3. Bestehende Kontingente an demografische Entwicklung koppeln

Langfristig: Neue Zulassungspraxis für Hochqualifizierte aus Drittstaaten: Im Rahmen eines neuen Regimes könnte die Aufenthaltsbewilligung unbürokratisch erteilt werden, wenn ein Jobangebot mit einem gewissen Mindesteinkommen vorliegt.

Eine bessere Nutzung des globalen Talentpools könnte dazu beitragen, die Position der Schweiz als «Innovationsweltmeister» zu wahren. Langfristig dürfte an einer Debatte zur Rolle der Drittstaaten-Migration kaum ein Weg vorbeiführen – und zwar primär als Ersatz versiegender heutiger Fachkräftequellen. Denn wie diese Publikation zeigt, ist Zuwanderung für die Innovationskraft und damit für den Wohlstand keine Option, sondern ein Muss.

Hinweis: Weiterführende Informationen finden Sie in der Avenir-Suisse-Studie «Grenzenlos innovativ» sowie im Blog-Beitrag «Wer gründet die Schweiz?».

Literatur

[1] Dorn, David, und Zweimüller, Josef (2021): Migration and Labor Market Integration in Europe. In: Journal of Economic Perspectives, 35(2), S. 49–76.

[2] Friedrich-Naumann-Stiftung und Bundesverband Deutsche Startups (2023): Migrant Founders Monitor 2023.

[3] Anderson, Stuart (2022): Immigrant Entrepreneurs and U.S. Billion-Dollar Companies. NFAP Policy Brief.

[4] Miguelez, Ernest, und Fink, Carsten (2017): Measuring the International Mobility of Inventors: A New Database. In: Fink, Carsten, und Miguelez, Ernest (Hrsg.): The International Mobility of Talent and Innovation: New Evidence and Policy Implications, S. 114–61. Cambridge: Cambridge University Press.

[5] Cristelli, Gabriele, und Lissoni, Francesco (2020): Free Movement of Inventors: Open-Border Policy and Innovation in Switzerland. Arbeitspapier.

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