Die Zahl der Asylerstanträge ist in den letzten Jahren wieder deutlich angestiegen: Nach 148.233 Erstanträgen 2021 und 217.774 im Folgejahr wurden in den ersten acht Monaten des Jahres 2023 schon 204.461 Anträge gestellt In diesen Zahlen nicht enthalten sind die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Diese müssen keinen Asylantrag stellen, sondern genießen „vorübergehenden Schutz“ gemäß § 24 Aufenthaltsgesetz in Verbindung mit Artikel 5 der Richtlinie 2001/55/EG. Ebenfalls nicht in den obigen Zahlen enthalten sind die „Familiennachzügler“, die keinen Asylantrag stellen müssen. In den Jahren 2016 bis 2022 kamen auf diese Weise ca. 212.000 Menschen nach Deutschland.
Die Asylantragsteller weisen im Durchschnitt eine sehr geringe Qualifikation auf. Unter den volljährigen Asylerstantragstellern des ersten Halbjahres 2021 hatten 32,1% die Grundschule als höchste Bildungseinrichtung besucht und hatten 31,8% vor ihrer Flucht keine Berufstätigkeit ausgeübt. Unter den schon berufstätig gewesenen Flüchtlingen hatten 37,7% nur einfache Tätigkeiten ausgeübt.
Wie sehen auf der anderen Seite die Zahlen zum Zuzug von Fachkräften, also (potentiellen) Einwanderern, aus? Vergleicht man diese Zahlen mit den Zahlen zu den Asylerstanträgen, so stellt man ein deutliches Ungleichgewicht fest: Zwischen 2012 und 2021 kamen ca. 2,27 Millionen (zum großen Teil unqualifizierte) Flüchtlinge, aber nur ca. 297.000 Fachkräfte und Hochqualifizierte nach Deutschland.
In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass es in dem genannten Zeitraum eine Nettoabwanderung von Deutschen ins Ausland im Ausmaß von 313.000 Personen gegeben hat. Dabei handelt es sich laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung aus dem Jahr 2019 um Personen, die deutlich jünger und deutlich besser qualifiziert als der Bevölkerungsdurchschnitt sind. Mit anderen Worten: Die Fachkräftezuwanderung hat noch nicht einmal die Abwanderung einheimischer Fachkräfte ausgleichen können.
Das strukturelle Problem des Sozialstaats Deutschland
Es ist kein Zufall, dass die Zahlen zur Zuwanderung unqualifizierter Flüchtlinge und zum Zuzug ausländischer Fachkräfte in einem krassen Missverhältnis stehen. Sie sind vielmehr der Ausdruck eines strukturellen Problems: Der Sozialstaat ist sehr attraktiv für geringqualifizierte und wenig attraktiv für hoch qualifizierte Zuwanderer. Erstere profitieren von den hohen Sozialleistungen, die sie zwangsläufig in großem Umfang in Anspruch nehmen, werden aber von den zur Finanzierung ebendieser Leistungen notwendigen hohen Steuern kaum tangiert, weil sie nur geringe Einkommen erzielen. Genau umgekehrt ist es bei letzteren: Sie verdienen relativ viel und nehmen kaum Sozialleistungen in Anspruch, sodass für sie Länder mit niedrigen Steuern und geringen Sozialleistungen attraktiver als Länder mit einem gut ausgebauten System der sozialen Absicherung sind. Es kommt also zu einer Negativselektion. Unser Sozialstaat zieht gerade die Menschen an, die das Land und die einheimische Bevölkerung belasten und schreckt diejenigen ab, deren Zuzug für Deutschland von Vorteil wäre. Auf Dauer sind deshalb offene Grenzen nicht mit einem Sozialstaat vereinbar, da sich dieser so selbst zerstören würde. Die erste und wichtigste Voraussetzung für die Etablierung einer rationalen Migrationspolitik ist die Einsicht in dieses Problem.
Die Flüchtlingskrise in Deutschland
Was die konkreten ökonomischen Konsequenzen der Flüchtlingskrise angeht, ist es sinnvoll, zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Folgen zu unterscheiden.
Kurzfristig machen sich zuallererst die hohen Ausgaben für die Flüchtlinge bemerkbar: einerseits direkte Ausgaben für deren Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Unterkunft etc., andererseits indirekte Ausgaben, die nicht den einzelnen Flüchtlingen zurechenbar sind, wie z.B. die Ausgaben für zusätzliche Asylsachbearbeiter, Polizisten, Lehrer oder Verwaltungsrichter. Eine verlässliche „offizielle“ Zahl zu den Gesamtausgaben gibt es bis heute nicht, sodass man auf Schätzungen angewiesen ist. Als realistische Größenordnung für die Gesamtkosten im Zeitraum von 2015 bis 2022 wird man von etwa 270 Milliarden Euro ausgehen müssen.
In der mittleren Frist wirkt sich die Flüchtlingskrise vor allem auf Arbeits- und Wohnungsmarkt aus, dann nämlich, wenn die Flüchtlinge die Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen und beginnen, am Arbeitsmarkt als Anbieter und am Wohnungsmarkt als Nachfrager aufzutreten. Grundsätzlich wird durch die Zunahme des Erwerbspersonenpotentials die sich abzeichnende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitnehmer zumindest gebremst, vielleicht sogar umgekehrt. Denn ohne Zuwanderung würde die Bevölkerung und damit das Arbeitsangebot abnehmen, sodass Arbeit knapper und die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer besser werden würde. Dies würde tendenziell zu einer steigenden Lohnquote führen, d.h. der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen würde zunehmen. Infolge der Flüchtlingskrise ist aber mit einem langsameren Anstieg, unter Umständen auch einem Rückgang der Lohnquote zu rechnen. Von dieser Entwicklung profitieren die Kapitaleigner bzw. die Arbeitgeber, die andernfalls eine Veränderung der funktionalen Einkommensverteilung zu ihren Lasten fürchten müssten.
Allerdings wird der Arbeitsmarkt nicht gleichmäßig betroffen. Die Flüchtlinge sind im Durchschnitt schlecht qualifiziert und haben kaum Deutschkenntnisse. Deshalb dauert es nicht nur lange, bis sie in den Arbeitsmarkt integriert werden, sie haben auch überwiegend geringqualifizierte und niedrigbezahlte Jobs und sind häufig und lange arbeitslos. Dementsprechend ist der Anteil derjenigen, die Leistungen nach Sozialgesetzbuch II (SGB II), also „Bürgergeld“ und Sozialgeld, beziehen, sehr hoch.
So sahen die Arbeitsmarktzahlen für Asylbewerber aus den acht wichtigsten Herkunftsländern im Mai 2023 wie folgt aus: Ihre Beschäftigungsquote betrug 41,8; 36,0% von ihnen waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt; die Arbeitslosenquote belief sich auf 30,4% und die SGB-II-Quote auf 45,7%.
Flüchtlinge konkurrieren deshalb am Arbeitsmarkt hauptsächlich mit den einheimischen Geringverdienern; aufgrund des erhöhten Arbeitskräfteangebots in diesem Sektor des Arbeitsmarkts ist mit Lohndruck und tendenziell sinkenden Löhnen für geringqualifizierte Tätigkeiten zu rechnen. Auch was die Nachfrage nach Wohnungen angeht, stehen die Flüchtlinge vor allem mit den einheimischen Geringverdienern in Konkurrenz, da sich die Nachfrage beider Gruppen hauptsächlich auf kleine, weniger gut ausgestattete, schlechter gelegene und deshalb billigere Wohnungen richtet. Am Wohnungsmarkt kommt es besonders in diesem Bereich zu steigenden Mieten, vor allem in Großstädten. Außerdem nimmt die Konkurrenz um Sozialwohnungen ebenfalls zu.
Diese mittelfristigen Effekte haben offensichtlich eine regressive Verteilungswirkung: Es sind nämlich vor allem die einheimischen Geringverdiener, die unter der Flüchtlingskrise zu leiden haben, während die hochqualifizierten Gutverdiener nicht nur kaum Nachteile zu gewärtigen haben, sondern sogar mit Vorteilen rechnen können: Schließlich werden hochqualifizierte Arbeitskräfte durch den Zustrom Geringqualifizierter relativ knapper, was zu einer Verbesserung ihrer Verdienstsituation führen wird. Die Einkommensverteilung wird also ungleichmäßiger. In diesem Zusammenhang kann man vom Dilemma der Integration sprechen, da diese negativen Verteilungswirkungen umso stärker ausfallen, je besser sich die Flüchtlinge integrieren, also je mehr von ihnen am Markt Arbeit anbieten und Wohnraum nachfragen.
Langfristig sind fiskalische Probleme zu befürchten. Die anfänglichen Hoffnungen, dass die Flüchtlinge einen Beitrag zur Lösung der mit dem demographischen Wandel einhergehenden Probleme leisten können, haben sich schnell zerschlagen. Wegen des geringen Qualifikationsniveaus und des geringen Qualifizierungspotentials der Flüchtlinge ist von ihnen keine spürbare Linderung des Fachkräftemangels zu erwarten. Aus denselben Gründen werden sie auch unser System der sozialen Sicherung nicht entlasten. Im Gegenteil, da Flüchtlinge im Durchschnitt mehr Sozialleistungen in Anspruch nehmen, als sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wird zu einer großen zusätzlichen Belastung der öffentlichen Haushalte und der Kassen der gesetzlichen Sozialversicherung kommen. Das zeichnet sich schon heute ab: So hatten im Jahr 2022 anerkannte Flüchtlinge einen Anteil von 12,9% an den SGB-II-Leistungen bei einem Bevölkerungsanteil von 1,8% (ohne Ukraineflüchtlinge).
Selbst unter optimistischen Annahmen ist damit zu rechnen, dass jeder Flüchtling im Laufe seines Lebens den Staatshaushalt mit 207.000 Euro belastet – also in Höhe dieses Betrags mehr Leistungen in Anspruch nimmt, als er Abgaben zur Finanzierung derselben zahlt. Für die 2,14 Millionen Flüchtlinge, die zwischen 2015 und 2022 einen Asylerstantrag in Deutschland gestellt haben, ergibt das eine Gesamtsumme von 443 Milliarden Euro – und zwar zusätzlich zu den kurzfristigen Kosten von bisher 270 Milliarden Euro. Addiert man beide Zahlen, so kommt man auf eine Summe von 713 Milliarden Euro. Darin sind wohlgemerkt die Kosten für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nicht enthalten.
Die Flüchtlingskrise hat aber auch Konsequenzen, die sich nicht unmittelbar in Euro und Cent beziffern lassen, die aber deswegen nicht weniger real sind. Diese sind vor allem auf die Zunahme der Diversität der Bevölkerung zurückzuführen. Diversität ist nicht grundsätzlich ein Problem – aber sie kann zu einem Problem werden, wenn sie ein zu großes Ausmaß annimmt. Am offensichtlichsten äußert sich dieses Problem in steigenden Kriminalitätsraten. Aber es hat auch andere, weniger offensichtliche Seiten. Der Zusammenhalt einer Gesellschaft kann beeinträchtigt werden, wenn diese zu heterogen wird, wenn es also zu viele Zuwanderer aus Ländern mit einer großen kulturellen Distanz gibt. Das gegenseitige Vertrauen, vor allem die gegenseitige Erwartung regelkonformen Verhaltens, kann dann beeinträchtigt werden, wodurch ein „reibungsloses“ Zusammenleben und Zusammenarbeiten innerhalb der Gesellschaft zunehmend schwieriger wird. Dies kann zu einer Abnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen, da die Transaktionskosten steigen. Außerdem leidet unter der steigenden Diversität die gesellschaftliche Solidarität. Die Bereitschaft, Umverteilung zu unterstützen und Sozialausgaben zu finanzieren, wird in dem Maße abnehmen, in dem Anzahl und kulturelle Distanz der Zuwanderer zunehmen und in dem die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, also in dem Maße, in dem deren Qualifikation abnimmt. Schließlich kann die Zunahme der Diversität auch das politische System eines Landes an sich gefährden und destabilisieren – dann nämlich, wenn die Wertvorstellungen und politischen Überzeugungen der Zuwanderer denen in ihrer neuen Heimat diametral entgegenstehen.
Probleme der Flüchtlingspolitik
Das Hauptproblem der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik liegt darin, dass nicht nur von Deutschland, sondern von der gesamten EU eine Asylpolitik betrieben wird, die Wirtschaftsflüchtlinge, und zwar vor allem geringqualifizierte Wirtschaftsflüchtlinge, geradezu anlockt. Hierfür lassen sich im Wesentlichen zwei Faktoren anführen: die hausgemachten Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge und der mangelhafte Schutz der europäischen bzw. deutschen Grenzen.
Große ökonomischen Anreize gehen allein schon von dem enormen Wohlfahrtsgefälle zwischen Deutschland bzw. Europa und den Hauptherkunftsländern aus. Dieser unvermeidbare, „natürliche“ Wanderungsanreiz wird allerdings noch durch „künstliche“ Anreize wesentlich verstärkt – die großzügigen Sozialleistungen und das „Deluxe-Asylrecht“.
Das in Deutschland geltende Asylrecht resultiert aus dem Ineinandergreifen von nationalem Recht, europäischem Recht und Völkerrecht. 1999 wurde das Gemeinsame Europäische Asylsystem mit dem Ziel der Harmonisierung der Schutz- und Aufnahmenormen innerhalb der EU etabliert und seitdem ständig weiterentwickelt. Heute bestimmt es wesentlich das Asylrecht in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten. Der vom Gemeinsamen Europäischen Asylsystem gewährte Schutz ist sehr großzügig. So müssen die Mitgliedstaaten anerkannten Schutzberechtigten denselben Zugang zu ihrem Bildungssystem, dieselben Sozialleistungen und dieselbe medizinische Versorgung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren. Aufgrund solcher und ähnlicher Regelungen ist die EU für Flüchtlinge ein sehr attraktives Ziel, wobei die Mitgliedstaaten umso attraktiver sind, je großzügiger die von ihnen gewährten Sozialleistungen ausfallen. Deshalb bemühen sich Flüchtlinge nicht nur einfach, nach Europa zu gelangen, sondern gezielt in den Ländern Asyl zu beantragen, deren Sozialsystem am besten ausgebaut und am großzügigsten ist; und das sind vor allem Deutschland und einige wenige andere Länder wie z.B. Schweden.
Es ist klar, dass solche Sozialleistungen nicht nur auf Asylberechtigte, sondern auch auf Asylnicht-berechtigte, also auf Wirtschaftsflüchtlinge, wie ein Magnet wirken und zu einem Missbrauch des Asylrechts geradezu einladen – vor allem, weil die meist schlecht oder gar nicht qualifizierten Wirtschaftsflüchtlinge nur auf diese Weise eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bzw. der EU erlangen können. Denn so haben sie zum einen die Chance, als Asylberechtigte anerkannt zu werden, auch wenn eigentlich keine Schutzbedürftigkeit vorliegt, und zum anderen, selbst wenn ihr Asylantrag letztlich abgelehnt werden würde, zumindest die Aussicht darauf, die Leistungen für Asylbewerber während der langwierigen Asylverfahren genießen zu können.
Verantwortlich für die lange Dauer der Asylverfahren sind die umfangreichen Rechte, die den Asylantragstellern im Asylverfahren gewährt werden. So haben sie, wenn die Behörde ihrem Antrag nicht stattgibt, das Recht auf eine gerichtliche Überprüfung der behördlichen Entscheidung. Dies ist kaum mit einem Kostenrisiko verbunden, da in Asylverfahren (und zwar in allen Instanzen!) keinerlei Gerichtskosten erhoben werden (§ 83b Asylgesetz) und die Anwaltskosten in vielen Fällen von der Prozesskostenhilfe übernommen werden. So überrascht es nicht, dass zwischen 2017 und 2021 70,9% aller ablehnenden Asylbescheide angefochten wurden.
Zudem kann, selbst wenn der Rechtsweg schließlich erschöpft ist, der Aufenthalt in Deutschland noch weiter verlängert werden: Erstens kann man sich auf die Europäische Menschenrechtskon-vention und das Abschiebungsverbot gemäß § 60 Aufenthaltsgesetz berufen. Zweitens gibt es die Möglichkeit der „Duldung“ (§§ 60a, 60b, 60c, 60d Aufenthaltsgesetz), der zufolge eine Abschiebung auszusetzen ist, weil sie z.B. wegen fehlender Reisedokumente nicht möglich ist oder weil „dringende humanitäre oder persönliche Gründe“ dagegensprechen. Drittens kann man auf dem Umweg über eine Duldung auch dadurch eine Aufenthaltserlaubnis erlangen, dass man nach einer gewissen Zeit als „gut integriert“ gilt (§§ 25a, 25b Aufenthaltsgesetz). Es überrascht deshalb nicht, dass zum 31. Dezember 2022 ca. 254.000 abgelehnte Asylbewerber in Deutschland lebten – und Sozialleistungen bezogen. Auf diese Weise werden Flüchtlinge im Lauf der Zeit de facto zu Einwanderern. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt wird, dass die Politik alles dafür tut, Flüchtlinge so gut und so schnell wie möglich zu integrieren – und zwar weitgehend unabhängig von deren Qualifikationsniveau. Damit findet eine Vermischung von Flüchtlings- und Einwanderungspolitik statt.
Das „Deluxe-Asylrecht“ und unser Sozialsystem können natürlich nur in Anspruch genommen werden, wenn man es schafft, seinen Fuß auf deutschen Boden zu setzen und einen Asylantrag zu stellen. Und damit wären wir beim Versagen von Deutschland und von Europa bei der Sicherung der Grenzen. Ein wirksamer Schutz der Seegrenze und eine Bekämpfung des Schlepperunwesens ist seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2012 praktisch unmöglich. Gemäß dieses Urteils dürfen gerettete oder abgefangene Migranten, die auf dem Seeweg illegal nach Europa einreisen wollen, nicht an den Ausgangspunkt ihrer Flucht, also in den meisten Fällen die nordafrikanische Küste, zurückgebracht werden, sondern müssen die Gelegenheit erhalten, in einem EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag zu stellen. Die deutsche Binnengrenze wurde auch ohne ein solches Gerichtsurteil aufgegeben – und zwar gegen geltendes Recht: Denn gemäß § 18 Absätze 2 und 3 Asylgesetz sind Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen oder, nach erfolgter Einreise, zurückzuschieben, wenn sie „aus einem sicheren Drittstaat“ einreisen. Da Deutschland nur von sicheren Drittstaaten umgeben ist, stellt die Tolerierung der Einreise von Flüchtlingen auf dem Landweg einen klaren Rechtsbruch dar – einen Rechtsbruch, der bis heute anhält.
Probleme der Einwanderungspolitik
Zwar ist die „Hauptbaustelle“ der Migrationspolitik zweifelsohne das Asylrecht, doch gibt es auch in der Einwanderungspolitik große Probleme. Als Hauptprobleme sind zu nennen: die mangelnde Trennung von Flüchtlings- und Einwanderungspolitik und das Fehlen eines „richtigen“ Einwanderungsgesetzes. Das erste Problem äußert sich darin, dass man in sehr vielen Fällen geduldeten Flüchtlingen ein Aufenthaltsrecht und nicht geduldeten Flüchtlingen eine Duldung gewährt. Ein solches Vorgehen ist sowohl aus flüchtlings- als auch aus einwanderungspolitischer Sicht höchst bedenklich: Einerseits werden dadurch Anreize geschaffen, in Deutschland um Asyl nachzusuchen, da man auch bei einer Ablehnung des Asylantrags noch durch verschiedene „Hintertürchen“ zu einem längerfristigen oder dauerhaften Aufenthalt in Deutschland gelangen kann. Andererseits können sich auf diese Weise Personen in Deutschland niederlassen, deren Qualifikationen nicht den Ansprüchen einer rationalen Einwanderungspolitik genügen. Dies gilt vor allem für die Aufenthaltsrechtsgewährung bei guter Integration und die verschiedenen Formen der Duldung, da hier überhaupt keine Anforderungen an die Qualifikation existieren. Die Vermischung von Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik hat deshalb zur Folge, dass in beiden Politikfeldern die eigentlichen Ziele verfehlt werden.
Zweitens haben wir kein Einwanderungsgesetz. Das sogenannte „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ ist als Artikelgesetz nämlich kein „richtiges“ Einwanderungsgesetz. Ein solches wird aus mehreren Gründen schmerzlich vermisst: Erstens würde die Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes Anlass dazu geben, sich endlich einmal über die genauen Ziele der Einwanderungspolitik – sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht – Klarheit zu verschaffen und diese explizit zu formulieren. Zweitens würde Deutschland so attraktiver für hochqualifizierte potentielle Einwanderer werden. Denn es ist natürlich in deren Interesse, dass sie möglichst rasch eine dauerhafte Bleibeperspektive durch den rechtlichen Status „Einwanderer“ erhalten können und nicht wie bisher eine Zeitlang mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen Vorlieb nehmen müssen. Dann könnte man drittens auch eine potentialorientierte Einwanderungspolitik, vorzugsweise mittels eines Punktesystems, betreiben. Viertens und letztens könnte man dadurch endlich die leidige Vermischung von Flüchtlings- und Einwanderungspolitik beenden.
Was muss geändert werden?
In der Flüchtlingspolitik muss es zu allererst darum gehen, die Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge deutlich zu senken. Das ist nicht zuletzt auch im Interesse der „echten“ Flüchtlinge, denen natürlich besser geholfen werden kann, wenn die entsprechenden Kapazitäten nicht durch Wirtschaftsflüchtlinge blockiert werden – ein Problem, das sich deutlich im Fall der ukrainischen Kriegsflüchtlinge gezeigt hat.
Offensichtlich muss darauf abgezielt werden, dass sich möglichst nur „echte“ Flüchtlinge und möglichst keine Wirtschaftsflüchtlinge auf den Weg machen. Es müssen also solche Anreize geschaffen werden, dass einerseits Wirtschaftsflüchtlinge abgehalten und andererseits Menschen mit einem legitimen Fluchtgrund nicht ferngehalten werden.
Zu diesem Zweck sollten erstens die Sozialleistungen für Flüchtlinge deutlich gesenkt werden – auf das zur Sicherung des Existenzminimums notwendige Niveau – und außerdem dadurch unattraktiver gemacht werden, dass sie überwiegend als Sachleistungen gewährt werden. Zweitens müsste alles unternommen werden, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Denn bei gegebener Höhe der Sozialleistungen sind diese umso attraktiver, je länger sie voraussichtlich in Anspruch genommen werden können. Drittens müssten Flüchtlinge, wenn das Asylverfahren mit der Nichtanerkennung endet, so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Eine „Duldung“ abgelehnter Asylbewerber dürfte es nicht geben.
Und wenn das Asylverfahren mit der Anerkennung endet? Dann müsste dafür gesorgt werden, dass Flüchtlinge nach Wegfall des Fluchtgrundes unverzüglich heimkehren. Aus diesem Grund müssen Flüchtlinge auch nicht integriert werden – ja mehr noch: Sie dürfen nicht integriert werden. Sie zu integrieren wäre vollkommen widersinnig und würde dem Sinn und Zweck der Flüchtlingspolitik diametral zuwiderlaufen. Es würde bedeuten, Einwanderungspolitik mittels des Asylrechts zu betreiben. Das soll nicht heißen, dass ein „Spurwechsel“ vom Asyl zur Einwanderung grundsätzlich ausgeschlossen werden muss. Aber die Voraussetzungen, um als Einwanderer akzeptiert zu werden, müssen stets dieselben sein – gleichgültig, ob der „Umweg“ über einen Asylantrag eingeschlagen wurde oder eben nicht. Selbstverständlich darf auch der Schutz der Grenzen nicht vernachlässigt werden. Nur so kann man die Einreise von Flüchtlingen wirksam kontrollieren und nur so kann man verhindern, dass offensichtliche Wirtschaftsflüchtlinge überhaupt erst ins Land gelangen.
Mit einer solchen Flüchtlingspolitik würde man gleichzeitig das oben genannte erste Hauptproblem der Einwanderungspolitik lösen – das Problem der Vermischung von Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Dem zweiten Hauptproblem könnte man dadurch abhelfen, dass wir endlich ein Einwanderungsgesetz bekommen, das diesen Namen auch verdient. Darin wären, erstens, das Ziel der Einwanderungspolitik zu bestimmen und, zweitens, die Mechanismen und Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels festzulegen. Als Mittel zur Auswahl der Einwanderer bietet sich ein Punktesystem an, welches z.B. Art und Niveau des Berufs- bzw. Studienabschlusses, Alter, Sprachkenntnisse oder – falls dies gewollt ist – kulturelle Distanz berücksichtigen würde.
Reformmöglichkeiten
Die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes ist problemlos möglich. Allerdings würde dadurch nur das zweite der beiden Hauptprobleme der Einwanderungspolitik gelöst werden. Die Lösung des zweiten Hauptproblems setzt eine grundlegende Reform der Flüchtlingspolitik voraus. Und diese ist leider auf nationaler Ebene kaum möglich.
Denn einer solchen Reform stehen rechtliche Hindernisse im Wege – Hindernisse, die einerseits der „Vergemeinschaftung“ der Flüchtlingspolitik in der EU, andererseits gewissen völkerrechtlichen Verpflichtungen geschuldet sind und viele ökonomisch sinnvolle und notwendige Maßnahmen verhindern. Beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sind etwa die Vorschriften zu nennen, die Flüchtlingen unter anderem denselben Zugang zu Sozialleistungen wie Einheimischen und das Recht auf unentgeltliche Rechtsberatung und Rechtsvertretung zumindest in erstinstanzlichen Asylverfahren gewähren.
Das zweite große Reformhindernis stellen die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Was die Genfer Flüchtlingskonvention betrifft, sind es vor allem drei Artikel, die man als problematisch ansehen wird. In Artikel 16 II verpflichten sich die Vertragsstaaten, Flüchtlingen „hinsichtlich des Zugangs zu den Gerichten“ wie die eigenen Staatsangehörigen zukommen zu behandeln. Artikel 23 gewährt Flüchtlingen den gleichen Zugang zu den sozialen Leistungen wie den Staatsangehörigen des jeweiligen Aufnahmelandes. Und Artikel 34 verpflichtet die Vertragsstaaten, sich für die Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge einzusetzen. Wie sieht es mit der Europäischen Menschenrechtskonvention aus? Es gibt auch hier einige Normen, die für die Flüchtlingspolitik und ihre Reform relevant sind: Zu nennen wäre zuallererst das sehr weitgefasste Diskriminierungsverbot von Artikel 14, mit dem z.B. eine Ungleichbehandlung von Flüchtlingen und einheimischer Bevölkerung in Bezug auf Sozialleistungen und Prozesskostenhilfe offensichtlich nicht vereinbar ist. Daneben finden sich ebenfalls sehr allgemeine Formulierungen in Artikel 3 (Verbot „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“) und Artikel 5 („Recht auf Freiheit und Sicherheit“), die so weit ausgelegt und so großzügig interpretiert werden können, dass selbst die Abschiebung von Flüchtlingen aus der Schweiz nach Italien schon als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gewertet wurde. Ein besonderes Problem stellt schließlich die Ausdehnung des Geltungs- und Anwendungsbereichs der Konvention vom Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten auf internationale Gewässer dar: Damit wird ausgeschlossen, dass auf dem Mittelmeer gerettete Bootsflüchtlinge wieder an den Ausgangspunkt ihrer Fahrt, also in den meisten Fällen an die nordafrikanische Küste, zurückgebracht werden. Denn dies würde vor allem gegen den erwähnten Artikel 3 sowie das „Verbot der Kollektivausweisung“ verstoßen.
Ohne eine grundlegende Umgestaltung sowohl des Europäischen Asylsystems als auch der beiden internationalen Konventionen bleiben Deutschland auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik im Wesentlichen nur zwei Maßnahmen: eine konsequente Rückführung aller abgelehnten Asylbewerber und ein konsequenter Schutz der deutschen Grenze. Aber wenigstens diese beiden Maßnahmen sollten unverzüglich ergriffen werden.
Fehlender Reformwille
Die aktuelle Bundesregierung ist allerdings weit davon entfernt, diese Maßnahmen tatsächlich zu ergreifen – ganz zu schweigen davon, sich für eine umfassende Reform des Asylrechts auf europäischer und internationaler Ebene einzusetzen.
Stattdessen wurde zum 1. Januar 2023 das Aufenthaltsgesetz dahingehend geändert, dass, erstens, die Gewährung eines Aufenthaltsrechts für geduldete Jugendliche und nachhaltig integrierte Ausländer erleichtert wird (§§ 25a, 25b), zweitens, ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ (§104c) eingeführt wird (demzufolge abgelehnte Asylbewerber, die es geschafft haben, fünf Jahre geduldet zu werden, ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht bekommen, um die Erfüllung der Bedingungen von §§25a, 25b nachzuweisen) und, drittens, Sprach- und Integrationskurse allen Asylbewerbern von Anfang an zugänglich gemacht werden (§§44 – 45a). Daneben wurde zum selben Datum die Fachkräftezuwanderung dadurch erleichtert, dass gewisse Regelungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes entfristet wurden und Fachkräften ein leichterer Familiennachzug ermöglicht wurde. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass es weiterhin kein „richtiges“ Einwanderungsgesetz gibt.
Die Regierung hat eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts auf den Weg gebracht: Die Einbürgerung soll schon nach fünf statt nach acht Jahren eines „rechtmäßigen“ Aufenthalts, unter bestimmten Bedingungen sogar schon nach drei Jahren möglich sein. Dabei ist die Inanspruchnahme von „Bürgergeld“, Sozialgeld oder Sozialhilfe in einem gewissen Rahmen unschädlich. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch eine Duldung als „rechtmäßiger“ Aufenthalt gilt.
Diese Maßnahmen laufen darauf hinaus, dass es leichter und attraktiver wird, in Deutschland auf Dauer zu bleiben und dass die Staatsbürgerschaft einfacher erlangt werden kann. Damit findet eine noch stärkere Vermischung von Einwanderungs- und Asylrecht statt. Solange dies nicht geändert wird, ist auch ein Einwanderungsgesetz eigentlich überflüssig: Ein solches ist nämlich nutzlos, wenn ohnehin jeder, der das möchte, auf dem Weg über das Asylrecht und unabhängig von seinen Qualifikationen auf Dauer in Deutschland bleiben darf. Etwas überspitzt könnte man es auch so ausdrücken: Das Asylrecht ist unser Einwanderungsrecht.
Auch die vor Kurzem vom Europäischen Rat verabschiedete Reform des Asylverfahrens ist weit davon entfernt, die wirklichen Probleme anzugehen. Das Grenzverfahren, welches eingeführt werden soll, stellt zwar einen Schritt in die richtige Richtung dar – aber einen Schritt, der viel zu spät kommt und viel zu klein ist. Denn das eigentliche Hauptproblem der europäischen und deutschen Flüchtlingspolitik wird dadurch natürlich nicht gelöst – das Problem der hohen Anreize für Wirtschaftsflüchtlinge.
Literatur:
Söllner, F., System und Chaos. Ein Plädoyer für eine rationale Migrationspolitik, Wiesbaden 2019: Springer