Repräsentieren weibliche oder männliche Politiker Fraueninteressen besser?

Im politischen und medialen Diskurs wird häufig angenommen, dass weibliche Parlamentsabgeordnete die Präferenzen von Bürgerinnen besser vertreten würden als ihre männlichen Kollegen. Aus dieser Annahme leitet sich oft die Forderung ab, die zahlenmäßige Vertretung der Geschlechter im Parlament solle annähernd gleich sein, damit die potenziell unterschiedlichen Präferenzen der Bürgerinnen und Bürgern angemessen repräsentiert werden. Geht es dabei lediglich um die Anzahl weiblicher und männlicher Politiker, spricht man fachlich von deskriptiver Repräsentation. Bezieht man sich hingegen auf die tatsächliche Vertretung der Interessen bzw. Präferenzen, spricht man von substanzieller Repräsentation.

Ob weibliche Parlamentsabgeordnete die Präferenzen von Bürgerinnen tatsächlich besser vertreten als ihre männlichen Kollegen, untersuchen wir in einem großen Forschungsprojekt zur politischen Repräsentation (vgl. Kläy et al. 2024a, 2024b). Zur spezifischen Frage der Geschlechtervertretung vergleichen wir für das Schweizer Parlament die Übereinstimmung der parlamentarischen Entscheidungen männlicher und weiblicher Politiker mit den in Volksabstimmungen geäußerten Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger.

Die Ergebnisse stellen gängige Annahmen infrage und werfen ein neues Licht auf die Frage der politischen Repräsentation: Die Unterschiede in der substanziellen politischen Repräsentation sind gering und auf wenige spezifische Themenbereiche beschränkt. Zudem reagieren weibliche Parlamentsabgeordnete nur leicht stärker auf die Präferenzen der Bürgerinnen als ihre männlichen Kollegen.

Institutioneller Rahmen und Methodik

Die Schweiz bietet mit ihrem System der direkten Demokratie und regelmäßigen Volksabstimmungen eine einzigartige Möglichkeit, die politischen Präferenzen der Bürger direkt zu erfassen. Bevor Volksabstimmungen stattfinden, entscheidet das Parlament über die exakt gleichen Gesetzes- und Verfassungsänderungen. Dies ermöglicht es uns, die Entscheidungen von fast 800 Parlamentsabgeordneten im Zeitraum von 1996 bis 2022 systematisch auf ihre Übereinstimmung (Kongruenz) mit den Präferenzen der Wähler, differenziert nach Geschlecht, zu untersuchen. Darüber hinaus kann auch untersucht werden, ob weibliche Parlamentsabgeordnete stärker auf die Präferenzen der Bürgerinnen reagieren als ihre männlichen Kollegen. Die Datengrundlage stellte der Parlameter des Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) dar.

Die Datenbasis besteht aus über 47.500 Vergleichen zwischen Entscheidungen von Parlamentsabgeordneten und den Abstimmungsergebnissen der Wählerinnen und Wähler. Volksabstimmungsnachbefragungen (sogenannte VOX-Analysen) mit repräsentativen Stichproben von 1.000 bis 3.000 Teilnehmern lieferten die notwendigen demographischen Daten, um die Präferenzen der Geschlechter zu ermitteln. Wir kennen also die Entscheidungen von weiblichen und männlichen Politikern sowie die geäußerten Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger zur exakt gleichen Politikfrage. Somit können die Entscheidungen von Politikerinnen im Parlament mit den Abstimmungsergebnissen von Frauen und Männern verglichen werden; Gleiches gilt für die Entscheidungen männlicher Politiker im Parlament. Darüber hinaus verfügen wir über eine große Zahl anderer Variablen, die wir in den Analysen systematisch berücksichtigen und einsetzen.

Ergebnis: Geringe Unterschiede in der Repräsentation der Geschlechter

Die Rohdaten zeigen, dass weibliche Parlamentsabgeordnete statistisch nicht signifikant häufiger mit den geäußerten Präferenzen der Bürgerinnen übereinstimmen als männliche Parlamentsabgeordnete (vgl. Abbildung). Konkret stimmten 65,4% der Entscheidungen der weiblichen Parlamentsabgeordneten mit den Präferenzen der Frauen überein. Ihre Übereinstimmung mit den Präferenzen von Männern war dabei nur geringfügig niedriger bei 64,4%. Männliche Parlamentsabgeordnete zeigten eine identische Übereinstimmung (65,4%) wie weibliche Parlamentsabgeordnete mit den Präferenzen von Frauen und eine etwas höhere Übereinstimmung mit den Präferenzen von Männern (68,6 %). Sehr ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch mit anderen und deutlich detaillierteren, ökonometrischen Analyseansätzen, welche die Reaktion von weiblichen Politikern auf Änderungen der Präferenzen der Bürgerinnen analysieren.

Interessant ist, dass bestehende kleine Unterschiede weitgehend verschwinden, wenn die Parteizugehörigkeit der Parlamentsabgeordneten berücksichtigt wird, d.h. wenn Parlamentarierinnen und Parlamentarier der gleichen Partei miteinander verglichen werden. Die Parteizugehörigkeit erweist sich insofern als entscheidenderer Faktor für die Übereinstimmung als das Geschlecht der Parlamentsabgeordneten. Dies deutet darauf hin, dass politische Ideologie und Parteidisziplin eine deutliche größere Rolle spielen als das Geschlecht, wenn es darum geht, die Präferenzen der Wähler zu repräsentieren. Kontrolliert man für die Parteizugehörigkeit der Abgeordneten, so zeigen sich in den meisten Analysen keine statistisch signifikanten Unterschiede in der politischen Repräsentation von männlichen und weiblichen Wählern durch männliche und weibliche Politiker. Geschlechterunterschiede scheinen dementsprechend keine besonders relevante Rolle zu spielen. Geringere Unterschiede in der Reaktion von weiblichen Politikern auf die Präferenzen der Bürgerinnen zeigen sich bestenfalls dann, wenn nur Vorlagen im Sozialbereich analysiert werden. Dort repräsentieren weibliche Politiker die Bürgerinnen tendenziell besser als männliche Politiker.

Implikationen und Schlussfolgerungen

Diese Ergebnisse haben relevante Implikationen für die Diskussion über die Bedeutung der Geschlechterrepräsentation in der Politik. Unsere Analyse kann nicht bestätigen, dass weibliche Parlamentsabgeordnete die Interessen von Frauen besser vertreten – zumindest dann nicht, wenn für die Parteizugehörigkeit und damit für Ideologie und Parteidisziplin kontrolliert wird.

Mit unserer Studie und dem Vergleich von Volksabstimmungen mit Parlamentsentscheiden leisten wir einen Beitrag zur Debatte über die Qualität der politischen Repräsentation. Wir weisen darauf hin, dass eine deutlich differenziertere Betrachtung der Rolle des Geschlechts erforderlich ist, als dies derzeit im medialen und politischen Diskurs der Fall ist. Denn politische Repräsentation ist komplexer, als oft angenommen wird. Die Vorstellung, dass weibliche Abgeordnete per se besser die Interessen von Frauen vertreten, wird durch die empirischen Daten nicht gestützt. Diese Erkenntnisse spielen eine Rolle in der politischen Diskussion und bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit.

Neben der medialen Diskussion betonen auch manche Parteiführungen die Bedeutung einer zahlenmäßig ähnlichen Repräsentation von Frauen und Männern im Parlament. Dabei sollte der Fokus wohl eher stärker auf der substanziellen Repräsentation und damit guter Politik liegen. Gleichzeitig fordern diese Parteiführungen auch Parteiloyalität und in der Regel Fraktionsdisziplin, die in der Schweiz noch deutlich weniger stark ausgeprägt ist als beispielsweise in Deutschland. Zukünftig wäre es daher interessant, die Hypothese zu überprüfen, ob insbesondere die Parteiführungen von einer Erhöhung des Frauenanteils in ihren Parteien profitieren, da sie dadurch an Macht und Einfluss zu gewinnen hoffen.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang war mitunter die Forderung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die von den EU-Ländern verlangte, jeweils eine Frau und einen Mann als potenzielle Kandidaten für Kommissionsposten zu nominieren. Von den Medien wurde dies als Maßnahme zur Förderung der Geschlechtergleichheit interpretiert und entsprechend gelobt. Gleichzeitig hätte eine Nominierung von zwei Kandidaten – wären alle Länder der Forderung gefolgt – die Entscheidungsmacht der Kommissionspräsidentin erheblich gesteigert, da sie plötzlich zwischen jeweils zwei Kandidaten statt nur einem hätte wählen können. Es erscheint naheliegend, dass es also nicht nur um Geschlechtergleichheit gegangen ist, sondern wohl auch um Entscheidungsmacht. Insofern erachten wir es als besonders sinnvoll, in der weiteren Forschung zur politischen Repräsentation die Eigeninteressen der Entscheidungsträger in Parteien oder anderen Machtpositionen genauer zu analysieren. Gegeben andere Forschungsergebnisse unseres Teams (vgl. Debski et al. 2018; Stadelmann et al. 2014) wäre es erstaunlich, wenn die Eigeninteressen der Entscheidungsträger keinen relevanten Einfluss auf deren Verhalten hätten.

Quellen

Debski, Julia, Michael Jetter, Saskia Mösle und David Stadelmann. 2018. „Gender and corruption: The neglected role of culture.“ European Journal of Political Economy 55:526–37.

Kläy, Yves, Reiner Eichenberger, Marco Portmann und David Stadelmann. 2024a. „Congruence of female and male legislators with the preferences of women and men.“ Economics Letters 242:111854.

Kläy, Yves, Reiner Eichenberger, Marco Portmann und David Stadelmann. 2024b. „Substantive Representation of Women: Empirical Evidence.“ British Journal of Political Science, forthcoming.

Stadelmann, David, Marco Portmann und Reiner Eichenberger. 2014. „Politicians and Preferences of the Voter Majority: Does Gender Matter?“. Economics & Politics 26 (3): 355–379.

David Stadelmann, Yves Kläy und Marco Portmann
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