Gastbeitrag
Wirtschaftswachstum braucht eine Politik, die sich auf die großen Linien konzentriert

Deutschland droht ein drittes Rezessionsjahr. Das gesamtwirtschaftliche Umfeld ist weiterhin herausfordernd. Mit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht der Fahrplan, mit dem das Land die längste Schwächephase seit Bestehen der Bundesrepublik überwinden soll. Ausgehend von den aktuellen wirtschaftspolitischen Risiken blickt dieser Beitrag auf die Wachstumsrezepte der Politik. Anschließend werden die Effekte auf die kommunale Ebene beleuchtet und anhand aktueller Regulierungsvorhaben bei Wein, Tabakwaren und Strom Handlungsfelder aufgezeigt, wo wirtschaftspolitische Prioritäten angepasst werden sollten, um echten Aufbruch in der Breite zu erzeugen.

Gesamtwirtschaftliches Umfeld weiterhin herausfordernd

Geopolitische Spannungen wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine, politische Instabilitäten im Nahen Osten und andauernde Handelskonflikte insbesondere mit den USA treffen auf eine schwache Konjunktur. Die Arbeits- und Energiekosten sind hoch und die Nachwirkungen der Inflationswelle 2022/2023 halten an. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind für sechs von zehn Unternehmen ein Top-Risiko für die eigene Geschäftsentwicklung[1]. Weiterhin präsent sind der Vertrauensverlust wirtschaftlicher Akteure in die Politik sowie hohe bürokratische Lasten und bereits länger verschleppte Strukturreformen.

Unter diesen Umständen ist es für Unternehmen schwierig, verlässlich zu planen und Investitionsentscheidungen zu treffen. Verbraucher konsumieren unter Unsicherheit weniger. Dabei wären Investitionen und Konsum wichtige Impulsgeber für die Konjunktur. Die Inlandsnachfrage zeigt sich schwach und auch die insbesondere für die Industrie wichtige Auslandsnachfrage hat nachgelassen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft am Standort Deutschland hat sich sukzessive verschlechtert. Unternehmensinsolvenzen sind 2024 auf den höchsten Stand seit 2015 gestiegen[2], insbesondere Industrieunternehmen denken über Verlagerungen von Teilen ihres Geschäftes ins Ausland nach und reduzieren Investitionen in ihre deutschen Standorte.[3] 

Wirtschaftspolitische Prioritäten mit vielversprechenden Ansätzen

Um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und Wachstum zu erzeugen, erscheinen die Ansätze und angekündigten Initiativen von EU und neuer Bundesregierung vielversprechend. Dazu gehört der ernsthafte und spürbare Rückbau der Bürokratie auf EU- und Bundesebene. So plant die EU-Kommission mit „Omnibus-Paketen“ Vereinfachungsmaßnahmen, darunter etwa bei den Vorgaben für die Nachhaltigkeits-Berichterstattung. Der Verwaltungsaufwand soll bis 2029 für alle Unternehmen um 25 Prozent und für KMU um 35 Prozent sinken. Nach dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll ein Viertel der Bürokratiekosten wegfallen. Unter dem neu zugeschnittenen Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung soll staatliches Handeln in Deutschland effizienter und digitaler werden.

Für mehr private Investitionen in Deutschland und eine stärkere internationale steuerliche Wettbewerbsfähigkeit soll ein steuerliches Investitionssofortprogramm noch im Juli vom Bundesgesetzgeber verabschiedet werden. Die beschleunigte Abschreibungsmöglichkeit soll sofort wirken, während die schrittweise Absenkung der Körperschaftssteuer ab 2028 greifen soll

Der Bundesregierung stehen über die Schuldenfinanzierung enorme finanzielle Mittel für ihre Vorhaben zur Verfügung. Neu eingerichtet wird ein Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaschutz“. Verteidigungsausgaben werden teilweise von der Schuldenbremse ausgenommen. Dem stehen zukünftig hohe Zins- und Tilgungszahlungen gegenüber. Umso wichtiger ist es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für betriebliche Investitionen rasch zu verbessern und auch die Ausgabenseite in den Blick zu nehmen.

Beispielhaft sollen Initiativen der EU wie der „Clean Industrial Deal“ und der „Industrial Decarbonisation Accelerator Act“ die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie stärken und gleichzeitig die Dekarbonisierung vorantreiben.

All dies erscheint geeignet, damit Unternehmen und Verbraucher wieder Vertrauen fassen und optimistisch auf den Standort Deutschland blicken, investieren und konsumieren.

Vorhaben, die das Wachstumsziel nicht unterstützen

Andere Vorhaben erscheinen eher nicht geeignet, das Wachstumsziel zu unterstützen. Im Vordergrund stehen oft ehereinepolitische Motivation.

1. Entlastungspaket der Bundesregierung für Unternehmen: Kommunen erhöhen Steuern

Während die neue Bundesregierung zwar Entlastungen für Unternehmen vorgesehen hat, bangen im föderalen System Länder und Kommunen um Einnahmeausfälle. Sie sollen zwar vom Bund befristet kompensiert werden. Die kommunale Ebene steht in vielen Bundesländern bereits heute mit dem Rücken zur Wand, weil ihr insbesondere vom Bund immer mehr Pflichtaufgaben übertragen worden sind, ohne dafür ausreichend kompensiert zu werden. Bevor es wieder zu einer stärkeren Anwendung des Konnexitätsprinzips kommt, und die Finanzbeziehungen im föderalen System auf neue Füße gestellt werden – ein weiteres Vorhaben der Bundesregierung – sind die Kommunen gezwungen, über die Gewerbesteuer, die Grundsteuer und diverse Bagatellsteuern wir Tourismusabgaben oder Verpackungssteuern, ihre Einnahmen zu steigern. Damit wird die Entlastung von Unternehmen durch den Bund durch neue Belastungen und Verwaltungsaufwände auf kommunaler Ebene konterkariert. Dem Standort Deutschland ist damit nicht geholfen.

2. Null Alkohol-Empfehlung: Zusätzliche Herausforderung für heimische Winzer

Seit 2023 vertritt die Weltgesundheitsorganisation die Position, dass es keine risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum gibt.[4] Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat sich dieser Position angeschlossen und empfiehlt seit 2024, auf alkoholische Getränke zu verzichten.[5] Unter Medizinern und Ernährungswissenschaftlern sind diese Empfehlungen nicht unumstritten. Als Motivationsgrund werden weniger wissenschaftliche Evidenz als politischer Willen vermutet. Für die Alkoholbranche können diese Aussagen indes bedrohlich sein. Besonders bei den Winzern in der EU sorgt die Null-Alkohol-Empfehlung für eine zusätzliche Herausforderung. Dabei leiden sie bereits unter den Handelskonflikten, den Einflüssen des Klimawandels und dem sich veränderten Konsumverhalten der Bevölkerung und dem daraus folgenden Angebotsüberschuss. Das insbesondere Weintrinken mit Genuss und Kultur in einem engen Zusammenhang steht, wird in der einseitig auf den Alkoholgehalt gerichteten Sichtweise ausgeblendet. Die EU will derweil alkoholfreien Wein, der bislang nur geringe Marktanteile hat, durch einen Aktionsplan zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Weinsektors auf die Erfolgsspur verhelfen, indem sie die Vermarktung durch einheitliche Definitionen unterstützt. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Initiativen unter dem Strich positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum haben werden.

3. EU-Vorschlag zur Modernisierung der Tabaksteuer: Starke Steuererhöhungen führen zu Marktverwerfungen und belasten Verbraucher

Die EU-Tabaksteuerrichtlinie aus dem Jahr 2011 umfasst die konventionellen Tabakerzeugnisse Zigaretten, Feinschnitttabak und Zigarren/ Zigarillos. Die darin festgelegten absoluten Mindeststeuersätze haben sich zunehmend vom Inflationsgeschehen entkoppelt. Zudem sind in den letzten Jahren neuartige Tabakerzeugnisse wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Nikotinbeutel auf den Markt gekommen, die von der Richtlinie nicht erfasst sind. Die EU-Mitgliedsstaaten haben diese Entwicklungen in unterschiedlicher Weise in ihren nationalen Besteuerungsstrategien berücksichtigt.

Vor diesem Hintergrund will die EU-Kommission die Tabaksteuerrichtlinie modernisieren. Der aktuelle Vorschlag[6] fokussiert sich vor allem auf das gesundheitspolitische Lenkungsziel, den Tabakkonsum deutlicher zu reduzieren. Dazu ist vorgesehen, die Steuersätze stark anzuheben und für neuartige Tabakerzeugnisse neue, hohe Steuern einzuführen. Damit wird tief in den Gestaltungsraum der Mitgliedstaaten eingegriffen – die meisten Mitgliedstaaten müssten ihre Steuersätze deutlich anheben.

Beispielhaft soll der Mindeststeuersatz auf Zigaretten um 139 Prozent auf 215 Euro pro 1.000 Stück steigen. Für Deutschland bedeutet dies bei einer durchschnittlichen Steuerhöhe von 181 Euro im Jahr 2023 eine Steigerung um 19 Prozent. In den meisten anderen Ländern würde die Erhöhung noch deutlich höher ausfallen. Beim Feinschnitttabak ist ein Anstieg um 258 Prozent auf das Niveau von Zigaretten vorgesehen. Im EU-Durchschnitt würde dies eine Erhöhung um 41 Prozent bedeuten, für Deutschland sogar um 147 Prozent. Bei Zigarren und Zigarillos soll der Mindeststeuersatz verzwölffacht werden. E-Zigaretten sollen erstmals und zweistufig differenziert nach Nikotingehalt einer EU-Mindestbesteuerung unterworfen werden.

Diese deutlichen Steueranpassungen werden sich in Preisanpassungen niederschlagen. Sie treffen die privaten Haushalte in den EU-Staaten je nach dem bisherigen nationalen Besteuerungs- und damit Preisniveau unterschiedlich stark. Insbesondere ärmere Haushalte werden in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage besonders getroffen. Die Anpassungen werden nicht nur ihren Beitrag zur Inflationsdynamik leisten. Auch deutliche Marktverwerfungen sind absehbar: Durch die Anhebung der Feinschnittbesteuerung auf das Niveau von Zigaretten ist eine Substitution von Zigaretten durch Feinschnitttabak nicht länger attraktiv. Wenn die Erschwinglichkeit im legalen Markt für die breite Masse drastisch zurückgeht, verkleinert sich der legale Markt immer weiter. Konsumenten werden stärker auf nicht im Inland oder gar nicht versteuerte Tabakwaren ausweichen. Dabei wird etwa in Deutschland bereits heute rund ein Fünftel der Tabakwaren nicht im Inland versteuert[7] – weil sie legal in anderen Ländern erworben oder geschmuggelt werden. Mit dieser Entwicklung ist auch ein Rückgang der Tabaksteuereinnahmen in den EU-Mitgliedstaaten absehbar. Der Vorschlag der EU-Kommission ist vor diesem Hintergrund zu einseitig auf das Gesundheitsziel gerichtet und berücksichtigt nicht die Zielkonflikte bei der Tabakwarenbesteuerung. Er ist auch nicht geeignet, Wirtschaftswachstum zu unterstützen.

4. Stromsteuer: Keine Entlastung für Verbraucher und KMU

Hohe Energiepreise sind ein Kostenfaktor für Unternehmen. Sie bringen im internationalen Wettbewerb Nachteile mit sich. Für einen kleinen Teil der Wirtschaft, für Industriebetriebe und die Land- und Fortwirtschaft, soll die Stromsteuer ab 2026 auf das EU-Mindestmaß gesenkt werden. Die im Koalitionsvertrag versprochene Entlastung „für alle [Betriebe und Verbraucher] so schnell wie möglich“ kommt vorerst jedoch nicht. Das ist keine vertrauensbildende Maßnahme. Mit dem Entlastungsversprechen hatten alle gerechnet. Stattdessen wurden die Prioritäten begrenzter öffentlicher Mittel etwa auf die schnellere Ausweitung der Mütterrente gelegt – von der weit weniger Wachstumsimpulse zu erwarten sind.

Schlussfolgerungen

Im aktuell wirtschaftlich herausfordernden Umfeld muss sich Politik auf die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren. Alles, was signifikant zum Wirtschaftswachstum beiträgt, muss oberste Priorität haben. Wirtschaftspolitische Initiativen müssen dazu komplementär sein. Anders gesagt: Alles, was Unternehmen und Verbraucher schwächt, sollte unterlassen werden. Dazu gehört auch, Wirkzusammenhänge wirtschaftspolitischer Maßnahmen stärker zu beachten und in den übergeordneten Kontext zu stellen. Hierunter fallen überambitionierte Diskussionen und Vorhaben ohne echte Entlastungswirkung, beispielsweise in den Bereichen Wein, Tabak, Strom und Finanzierung der kommunalen Ebene. Sie sind nicht geeignet, investitionsförderndes Vertrauen zu bilden und den Wohlstand zu steigern.


[1] DIHK (2025). Konjunkturumfrage Frühsommer 2025.

[2] Statistisches Bundesamt (2025). Gewerbemeldungen nach Jahren, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Gewerbemeldungen-Insolvenzen/Tabellen/lrins01.html (Abruf 10.07.2025)

[3] DIHK (2025). Auslandsinvestitionen der Industrie 2025, Sonderauswertung DIHK Konjunkturumfrage Jahresbeginn 2025.

[4] Anderson, Benjamin O et al. (2023). „Health and cancer risks associated with low levels of alcohol consumption”, The Lancet Public Health, Volume 8, Issue 1, e6 – e7.

[5] Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) (2024). „Alkohol – Zufuhr in Deutschland, gesundheitliche sowie soziale Folgen und Ableitung von Handlungsempfehlungen“, Positionspapier.

[6] European Commission (2025). Commission Staff Working Document Impact Assessment Report accompanying the document Proposal for a Council Directive on the structure and rates of excise duties applied to tobacco and tobacco related products (recast), Entwurf, Juli.

[7] Deutscher Zigarettenverband (2025). Schätzung des Anteils nicht in Deutschland versteuerter Zigaretten,  https://www.zigarettenverband.de/themen/zahlen-und-fakten/nicht-versteuerter-zigarettenabsatz (Abruf 10.07.2025).

Florian Steidl

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