Uns bleiben nur noch fünf Jahre

Seitdem mit Chat GPT das erste massentaugliche LLM verfügbar ist, haben wir in Rekordzeit lernen müssen, dass neben allen anderen Veränderungen und Disruptionen (Kriege, Klima, Wirtschaftskrise, demographischer Wandel und vieles mehr) auch die lebensbestimmende Technologie einen massiven Umbruch erfahren hat. Wir sind sehr beschäftigt damit, alles das zu erfassen und zu verarbeiten. Wir stellen uns viele Fragen und bekommen selten Antworten. Die Unsicherheit wächst und es fällt schwer eine klare Vorstellung davon zu entwickeln, wohin die Reise geht. Und das alles scheint uns so sehr auszufüllen, dass wir den vielleicht entscheidenden Umbruch, die wichtigste Veränderung, die uns bevorsteht, nicht erkennen, obwohl sie sich sehr klar abzeichnet.

Die großen Anbieter wie IBM, Quantinuum oder PsiQuantum haben Roadmaps vorgelegt, nach denen mit den ersten allgemein nutzbaren Quantencomputern vielleicht schon 2027, sicher aber ab 2030 zu rechnen ist. Die Entwicklung wird wahrscheinlich eher schneller vorangehen, weil die KI bereits in ihrem jetzigen Stadium geeignet ist, die Forschung erheblich zu beschleunigen. In knapp fünf Jahren geht es also los. Dann treffen KI und Quantencomputer aufeinander und werden sehr schnell zueinander finden. Experten rechnen damit, das bis 2035 die Bereitstellung fehlerkorrigierter Quantenrechner auf breiter Front erfolgt sein wird. Spätestens ab dann werden vollkommen neue KI-Architekturen möglich sein. Der Übergang zum Quantencomputer ist etwas anderes als die Einführung einer neuen Prozessor Generation. Die Quantentechnologie ermöglicht Dinge, die auch mit den besten konventionellen Computern nicht einmal im Ansatz erledigt werden können. Der experimentelle Quantencomputer, den China entwickelt hat (Zuchongzhi 3.0) erreicht beispielsweise im Random Circuit Sampling (RCS), einem speziellen Benchmark für Quantencomputerleistungen, eine Rechengeschwindigkeit, die eine Billion Mal schneller ist als die des schnellsten verfügbaren Supercomputers. Und die Chinesen sind damit nicht allein. Googles Willow Computer leistet ähnliches. Das ist zwar nur ein sehr spezielles Testverfahren und noch keine KI Anwendung, aber man bekommt eine Ahnung, wie groß der Sprung sein wird, der mit dem Quantencomputer möglich ist. Die große Frage ist: Wenn wir diesen Sprung wagen, wo landen wir?

Nach Stand der Dinge muss man leider feststellen, dass wir es nicht wissen, weil das, was da auf uns zukommt, eine technologische Singularität ist. Allerdings enthebt uns das nicht von der Aufgabe, nach Antworten zu suchen. Es hat aber den Anschein, als suche niemand wirklich intensiv danach. Die Menschen, die das tun, halten sich bedeckt und treten öffentlich nicht in Erscheinung. Fragt man KI Experten, reagieren sie oft mit Schulterzucken und einer gewissen Ratlosigkeit. Niemand scheint zu wissen, was passiert, wenn KI Systeme existieren, die dem Menschen in jeder Beziehung haushoch überlegen sind – denn das wird das Ergebnis der Kombination von Quantencomputer und KI Technologie sein.

Tatsächlich dürfte es sehr schwer sein, zu prognostizieren, wie unsere Welt in fünf bis zehn Jahren aussieht. Die Veränderung, die eintreten wird, ist einfach zu umfassend und zu gewaltig, um ihre Auswirkungen wirklich zu durchschauen. Aber es ist möglich, Szenarien zu entwickeln und Spekulationen anzustellen, die Entwicklungen und Gefahren aufzeigen können und die uns helfen, darüber zu diskutieren, wie wir mit der zu erwartenden starken KI umgehen sollen. 

Zunächst eine schlechte Nachricht für Politiker und Bürokraten. Die bisherigen Erfahrungen mit der konventionellen (langsamen) KI haben gezeigt, dass man den Einsatz der KI nicht mit klassischen Methoden regulieren kann. Die EU versucht es mit dem EU AI Act, der jetzt ein knappes Jahr in Kraft ist. Es steht allerdings zu befürchten, dass sie damit vor allem erreicht, dass die großen KI Modelle nicht in Europa entwickelt werden, sondern eher in den weniger regulierten Wirtschaftsräumen. Ansonsten ist die Regulierung der KI genauso aussichtslos wie die des Internets, denn die großen KI Modelle werden außerhalb des Einflussbereichs der EU entwickelt und ausgerollt. GPT 5 hat das einmal mehr gezeigt. Noch viel weniger als eine Regulierung ist es möglich, den Einsatz oder die Entwicklung der KI zu begrenzen. Beispielsweise könnte man auf die Idee kommen, Modelle zu verbieten, die dem Menschen umfassend überlegen sind. KI ist so international wie das Internet. Nationale oder EU-Regulierungen sind deshalb per se enge Grenzen gesetzt.

Mitunter wird das Aufkommen der KI mit historischen Beispielen umwälzender Erfindungen und industrieller Revolutionen verglichen. Nach dem Motto: „Es hat sich noch immer gezeigt, dass mehr Arbeitsplätze entstanden sind, als durch die Technik verloren gingen.“ Das ist richtig. Aber bei den bisherigen technischen Revolutionen hat die neue Technik dafür gesorgt, dass Menschen von Arbeiten entlastet wurden, die mit schwerer körperlicher Anstrengung verbunden waren oder routiniert ausgeführt werden konnten. Das hat menschliche Arbeitskraft freigesetzt, die an anderen Stellen gewinnbringend eingesetzt werden konnte. Das waren Stellen, an denen Menschen ihre Intelligenz, Kreativität und Urteilsfähigkeit einbrachten. Im Ergebnis ging die Kombination von Mensch und Technik stets einher mit hoher Beschäftigung und steigendem Wohlstand.

Eine von Quantencomputern gesteuerte KI lässt dem Menschen aber wenig Raum, in dem er „besser“ funktioniert als die Maschine. Der Mensch wird vielmehr umfassend durch eine Technologie ersetzt, die in jedem Fall überlegen ist. Es gibt in relativ naher Zukunft kaum noch Gründe dafür, Menschen anstatt einer KI mit Aufgaben zu betreuen. Was bedeutet das? Auf jeden Fall grundlegende Änderung in der Art wie wir wirtschaften, wie wir arbeiten und in unserem gesellschaftlichen Miteinander.

Bis vor kurzem wäre es Science-Fiction gewesen, aber inzwischen ist die Vorstellung, dass Computer und Roboter alles tun können, was auch ein Mensch kann, nur schneller und besser, eine realistische Prognose für eine nicht mehr allzu ferne Zukunft. Welche Rolle hat der Mensch dann noch? Die eines Kontrolleurs, der auf das Alignement der KI achtet, also darauf, dass die Codes, die das KI Verhalten in Einklang mit menschlichen Zielen und Werten bringen sollen, auch funktionieren? Und ansonsten? Nicht ersetzbar sind die biologischen Eigenschaften von Menschen, denn Emotionen kann eine Maschine zwar imitieren, aber eine echte Emotion hat biologische Grundlagen. Die Erziehung von Kindern, die Pflege von Kranken, die Begleitung älterer Menschen könnten Beispiele sein, bei denen menschliche, echte Emotion der künstlichen überlegen sein könnte. Aber das wird nicht ausreichen, um uns alle zu beschäftigen. Ist Beschäftigung dann überhaupt noch etwas, was wir brauchen? KI und Roboter werden Güter produzieren, die für Menschen nützlich sind. Aber wie sollen diese Güter alloziert werden, wenn keine Arbeitseinkommen mehr entstehen, weil es humane Arbeit kaum noch gibt? Wie lösen wir die Frage der Besteuerung? Haben wir wirklich die Option, uns auf die Rolle des absoluten Herrschers zurückzuziehen und das Arbeiten den Maschinen zu überlassen, die uns nebenbei den perfekten Mix aus Sport und Mentaltraining ausrechnen, der uns vor Degeneration schützt?

Fragen dieser Art werden auf uns zukommen. Wie einfach es ist, sich die Tiefe der Veränderungen vorzustellen, wenn man sich denn darauf einlässt, zeigt das folgende Gedankenspiel:  Die Verfügbarkeit eines allgemeinen generativen KI Modells auf der Grundlage von Quantencomputern (nennen wir es Alpha) ermöglicht es, alle gesellschaftlich relevanten Fragen und Probleme umfassend und bestmöglich analysieren zu lassen. Nehmen wir an, ein politischer Unternehmer gründet daraufhin eine Partei, deren Programm darin besteht bei allen Fragen Alpha zu Rate zu ziehen und nur Positionen zu vertreten, die durch Alpha gestützt werden. Das würde den politischen Wettbewerb vollständig verändern. Gegenwärtig ist die politische Auseinandersetzung durch Informationsdefizite auf allen Seiten gekennzeichnet – die Alpha nicht hätte. Wäre Alpha in einer Talkshow geladen, könnte es auf alle Fragen und Argumente antworten und die Zuschauer wüssten, dass die Antwort auf der Grundlage des verfügbaren Weltwissens gegeben würde und dass Ideologie, Voreingenommenheit und persönliche Ziele des Politikers keine Rolle spielen. Jeder humane Politiker wäre Alpha argumentativ hoffnungslos unterlegen. Natürlich bleiben die Stellen, an denen Werturteile gefällt werden müssen, an denen Wertesysteme, Einstellungen oder Moral eine Rolle spielen. Hier, so könnte man meinen, wäre noch immer eine originäre Aufgabe des Menschen. Allerdings sind selbst dort Zweifel angebracht. Eine überlegene KI wäre spielend in der Lage die Konsequenzen eines Werturteils zweifelsfrei aufzuzeigen, was die Konsequenz hätte, dass nur noch sehr wenige grundlegende Entscheidungen zu treffen blieben (beispielsweise, dass Menschenrechte unbedingt zu beachten sind). Sind diese getroffen, verschwindet die Rolle des Menschen. Wie funktioniert in einem solchen Szenario noch „Demokratie“? Verglichen damit sind die Probleme, die dadurch entstehen werden, dass starke Quantencomputer aktuelle Verschlüsselungstechniken mühelos ausschalten könnten und Bitcoins in einem Bruchteil der Zeit schürfen, die heute dazu notwendig ist, relativ einfach zu lösen.

Das Beispiel ist insofern idealtypisch gewählt, als Alpha darin die Rolle eines zwar unglaublich mächtigen, aber gutmütigen Instrumentes spielt, dessen sich die Menschen bedienen können – oder eben auch nicht. Ist die Gutmütigkeit sicher? Man kann sehr große Zweifel daran haben, dass es möglich sein wird, die Hierarchie zwischen Mensch und KI aufrechtzuerhalten. Welche Regeln sich innerhalb eines so gewaltigen neuronalen Netzwerkes bilden, wie es ein Quantencomputer schaffen kann, kann niemand heute verlässlich voraussagen. Natürlich kann man versuchen, die grundlegenden Codes so zu gestalten, dass die KI immer aligned bleibt, sich also als unbedingter Diener des Menschen versteht. Aber es ist eben ungewiss, ob das gelingt, und wie sich ein solcher bedingungslos ergebener Diener verhält. 

Alle hier angestellten Überlegungen sind im Prinzip einfach und berühren noch nicht die wirklich komplexen Fragen. Beispielsweise die, wie eine KI Konflikte zwischen Menschen lösen wird, wie sie reagiert, wenn menschliche Entscheidungen Menschen schaden. Oder die Frage, wie sich der globale Wettbewerb zwischen den Mächten auf die Entwicklung der KI auswirkt. Wird es ein noch stärkeres Wettrüsten geben? Werden unterschiedliche KI Modell miteinander in Konflikt geraten? Wie werden autonome KI Modelle Konflikte miteinander lösen?

Aber gerade weil die hier angestellten Überlegungen so einfach sind, machen sie deutlich, dass uns Quantencomputer plus KI vor erhebliche Probleme stellen können, auf die wir nicht vorbereitet sind. Das ist der Punkt, auf den hier aufmerksam gemacht werden soll. Wir müssen uns trauen, die Dinge zu Ende zu denken, um eine Idee davon zu bekommen, was auf uns zukommt. Wir müssen dabei zulassen, dass ein mögliches Ergebnis unseres Nachdenkens sein kann, dass wir nicht zulassen können, von einer KI beherrscht zu werden. Das würde bedeuten, dass wir herausfinden müssten, wie wir die Entwicklung stoppen können. So oder so sind umfangreiche Diskussionen und tiefes Nachdenken angezeigt. Damit haben wir noch nicht einmal angefangen. Und wir haben nur noch fünf Jahre, dann geht es los.

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