Sag nicht nur, dass du einen Abschluss hast – sag woher du ihn hast
Der Zustand der akademischen (Weiter-) Bildung nach Bologna

Es gab einmal eine Zeit, in der war die akademische Ausbildung in Deutschland recht übersichtlich und klar strukturiert. Es gab Universitäten – für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses – und es gab Fachhochschulen, die Akademiker für die Praxis ausbildeten. Beide Arten von Hochschulen unterstanden staatlicher Aufsicht, die von den Kultusministerien der Länder auf der Grundlage von Landeshochschulgesetzen praktiziert wurde. Das hatte Vor- und Nachteile. Der größte Nachteil aus Sicht der Hochschulen war zweifellos, dass die Zusammenarbeit mit den Ministerien oft sehr bürokratisch, langsam und unflexibel war. Eine Prüfungsordnung zu ändern konnte schon Mal ein paar Jahre dauern. Negativ war außerdem, dass das System keinen Wettbewerb zwischen den Universitäten im Hinblick auf die Lehre entfachen konnte. Außerdem stand akademische Weiterbildung nicht auf der To Do Liste der Universitäten und nur weniger Fachhochschulen.

Auf der anderen Seite war ein Ergebnis der staatlichen Regulierung, dass es klare Standards gab, vor allem was die Qualität des Personals und der Lehre anging. Jede Berufung musste durch das Ministerium genehmigt werden, jede Studienordnung sowieso. Das hatte den Effekt, dass die Qualität der Ausbildung relativ homogen war. Natürlich gab es Universitäten, an denen einen Abschluss zu erreichen besonders erstrebenswert erschien, weil er mit einer etwas höheren Reputation versehen war. Beispielsweise waren die Ingenieur Studiengänge an der RWTH Aachen oder der TU Darmstadt besonders angesehen. Aber im Großen und Ganzen war es nicht ganz so wichtig, wo man sein Diplom erwarb. Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatte man mit jedem Abschluss.

Das kann man aus der Sicht der Studierenden durchaus als einen Vorteil des „alten“ Systems betrachten, denn es erleichterte die Orientierung und verlieh Sicherheit. Mit einem akademischen Abschluss wusste man, was man hatte. Das Gleiche galt für die Personaler in den Unternehmen. Man wusste, was man bekam, wenn man jemanden mit einem Universitäts- oder Fachhochschulabschluss einstellte. Der Staat fungierte als ein qualitätssichernder Monopolist für akademische Lehre und beseitigte damit mögliche Informationsasymmetrien. Das betraf nicht nur die rein fachliche Ausbildung, sondern auch die sogenannten Schlüsselqualifikationen. Wer ein akademisches Studium erfolgreich abgeschlossen hatte, erbrachte damit den Nachweis, dass er oder sie belastbar war, eine hohe Auffassungsgabe besaß, analytisch denken und strukturiert nach Problemlösungen suchen konnte. Alles Qualifikationen, die in Führungspositionen von sehr hohem Wert sind.

So weit, so gut. Aber dann trafen sich 29 europäische Bildungsminister 1999 in Bologna und alles änderte sich. Das Ziel der Bildungspolitiker war ambitioniert und passte in die damalige Zeit. Man wollte einen einheitlichen europäischen Hochschulraum schaffen, in dem sich Studierende und Lehrende problemlos über die Ländergrenzen hinweg zwischen den Hochschulen bewegen konnten. Es sollte keine Rolle mehr spielen, wo man studiert. Alle Prüfungsleistungen sollten vergleichbar und wechselseitig anrechenbar sein. Die Eckpfeiler des Bologna Prozesses, der das herstellen sollte, waren ein zweistufiges Ausbildungssystem mit den Abschlüssen Bachelor und Master, das ECTS System, in dem erfolgreich absolvierte Prüfungen mit Punkten belohnt werden, sowie eine fortlaufende Qualitätssicherung.

Die Folgen für das deutsche Hochschulwesen waren massiv. Die staatliche Aufsicht und Qualitätssicherung auf Länderebene waren mit den Vorgaben aus Bologna nicht mehr zu vereinbaren. An ihre Stelle trat die Akkreditierung von Universitäten und Studiengängen durch unabhängige Akkreditierungsräte, deren Aufgabe darin besteht, die Qualität der akademischen Lehre sicher zu stellen. Durchgeführt werden die entsprechenden Begutachtungen von Agenturen, die sich im Wettbewerb befinden. Es zeigte sich schnell, dass Akkreditierungsverfahren für die Hochschulen ein aufwendiges Geschäft sind, das erhebliche Ressourcen bindet. Das ließ die sogenannte Systemakkreditierung sehr attraktiv erscheinen. Dabei werden nicht die Studiengänge akkreditiert, sondern das Qualitätssicherungssystem der Hochschule. Nach erfolgreicher Systemakkreditierung kann die Universität oder Fachhochschule die Studiengänge in eigener Regie akkreditieren. Allerdings müssen auch dafür Personalressourcen in erheblichem Umfang dauerhaft vorgehalten werden. Da die Finanzierung der Hochschulen nach wie vor durch die Länder erfolgt und diese keine Veranlassung sahen, den Hochschulen zusätzliche Mittel für die nun zusätzlich zu leistende Arbeit bereitzustellen, reduziert die Qualitätssicherung die Ressourcen die für Lehre und Forschung zur Verfügung stehen, was mit einer Verschlechterung der Lehrqualität einhergeht. Im Ergebnis verschlechtert die Qualitätssicherung die Qualität.

Die wichtigsten Veränderungen in der akademischen Bildungslandschaft fanden jedoch nicht innerhalb der Hochschulen statt. Sie besteht einerseits in der Öffnung des akademischen Ausbildungssystems und andererseits in der Inflationierung der Bachelor- und Masterabschlüsse. Seit Bologna ist es nicht mehr den staatlichen Universitäten und Hochschulen vorbehalten die akademische Ausbildung zu betreiben. Im Prinzip kann jedes Unternehmen, das sich dem Akkreditierungsprozess unterzieht, Studiengänge kreieren und Abschlüsse anbieten, die den gleichen Namen tragen, wie die, die an den staatlichen Hochschulen und Universitäten erworben werden. Ein Unterschied ist an dem verliehenen Titel nicht zu erkennen. Diese Öffnung hat zu der Inflationierung der „akademischen“ Abschlüsse geführt. Das geht so weit, dass selbst die Absolventen der guten alten IHK Ausbildung inzwischen einen „Master Professional“ oder einen „Bachelor Professional“ verliehen bekommen. Der unbedarfte Betrachter muss den Eindruck gewinnen, dass die Bachelor und Master, die an Universitäten verliehen werden, dann ja wohl „Amateur Abschlüsse“ sein müssen, denn die Profis kommen offensichtlich von der IHK.

Gegen die Öffnung der akademischen Ausbildung auch für private Anbieter ist im Prinzip nichts zu sagen. In den USA sind es die privaten Unis, die die beste Ausbildung und die oft genug mit Nobelpreisen belohnte Forschung leisten. Aber diese Art von Eliteuniversitäten hat sich in Deutschland nicht herausgebildet. Bei uns müssen die Eliteunis durch einen staatlich initiierten Wettbewerb unter den staatlichen Universitäten geschaffen werden. Im Ergebnis führt dieser Wettbewerb zu einer Konzentration der knappen staatlichen Mittel bei den großen Universitäten, die die kritische Masse an hochqualifizierten Männern und Frauen aufbringen, die notwendig ist, um Spitzenforschung zu betreiben. Diese Konzentration muss nicht schlecht sein, vielleicht ist sie sogar notwendig um international noch mithalten zu können. Die positiven Effekte für die akademische Lehre halten sich aber in engen Grenzen. Die wird in immer stärkerem Maße von privaten Institutionen betreiben, in denen Forschung per se nicht stattfindet.

Mit 130.000 Studierenden ist die „International University“ (IU) inzwischen die größte Hochschule Deutschlands. Sie ist aus einer privaten Fachhochschule hervorgegangen und gehört einem Hedgefonds. Die IU verfolgt ausschließlich ein Gewinninteresse und Gewinne erzielt man nicht mit Grundlagenforschung, sondern nur mit zahlenden Studierenden. Die IU ist damit nicht alleine. Es gibt weitere Anbieter, die zwar nicht so groß sind wie die IU, aber oft mehr Studierende vorweisen können, als einige der größten staatlichen Universitäten. Wie ist diese Entwicklung zu beurteilen?

Die entscheidende Frage ist, wie eigentlich die Qualität einer akademischen Ausbildung hergestellt und gesichert werden kann. An den Universitäten und Hochschulen geschieht dies letztlich durch die Einheit von Lehre und Forschung. Forschung ist eine internationale Veranstaltung und an den Universitäten können nur Menschen Karriere machen, die sich im Forschungswettbewerb bewährt haben. Um einen Lehrstuhl zu besetzen, muss man erfolgreiche, international sichtbare Forschungsarbeit nachweisen und man befindet sich dabei in einem intensiven und harten Wettbewerb. Sowohl um den knappen Platz in den internationalen Forschungsjournalen, als auch später um die kleine Zahl verfügbarer Lehrstühle. Dieser Wettbewerb, der ausschließlich in der Forschung ausgetragen wird, sichert letztlich die akademische Qualität auch der Lehre. Dahinter steht die Überzeugung, dass gute akademische Lehre nur möglich ist, wenn sich die Lehrenden auch an der Forschungsfront auskennen. Deshalb beinhaltet die akademische Ausbildung auch Fächer, in denen wissenschaftliche Instrumente und Methoden unterrichtet werden. Vor allem dabei kommt es ganz nebenbei zur Herausbildung der so wichtigen Schlüsselqualifikationen. Man lernt abstrakt zu denken, systematisch und zielgerichtet an Problemlösungen heranzugehen und Situationen zu strukturieren um sie besser zu verstehen. Es ist die Anbindung an die Forschung, die die Essenz einer akademischen Ausbildung ausmacht und ihre Qualität sichert. Genau diese Anbindung besteht auch an den Hochschulen, die für die Praxis ausbilden. Auch sie sind der Forschung, der angewandten Forschung verpflichtet.

Es ist die Akademia selbst, die akademische Welt, in der geforscht und gelehrt wird, die die Qualität der Ausbildung sichert. Nicht die Akkreditierung und auch nicht die internen Qualitätssicherungsmaßnahmen. Wenn eine Fakultät es nicht schafft, bei der Besetzung von Lehrstühlen erfolgreich forschende Menschen zu gewinnen, hilft der Lehre auch kein noch so ausgeklügelter Qualitätssicherungszirkel.

Damit stellt sich die Frage, wie an Instituten, die explizit nicht forschen, gute akademische Lehre zustande kommen soll. Reicht dafür die Akkreditierung? Kann sie die regulierende Kraft des Wettbewerbs in der Akademia ersetzen? Nach allen Erfahrungen, die man bisher mit Akkreditierungsverfahren gesammelt hat, dürfte das ausgeschlossen sein. Solche Verfahren können absolute Mindeststandards sicher – mehr nicht. Die Ansprüche, die mit diesen Mindeststandards verbunden sein können, müssen sehr niedrig sein, sonst könnten sie von Instituten, die auf eine Anbindung an die Akademia verzichten, niemals erfüllt werden.

Was bedeutet das für den Zustand der akademischen (Weiter-) Bildung in Deutschland? Wir finden eine sehr diverse Landschaft vor, in der sehr unterschiedliche Institutionen vom Namen her gleiche Abschlüssen offerieren. Was hinter einem konkreten Bachelor oder Master steckt, ist jedoch immer schwerer zu erkennen. Welche Qualität eine Ausbildung tatsächlich hat, ist eigentlich nur noch dann relativ sicher, wenn sie von einer staatlichen Universität oder Hochschule geleistet wird. Denn für diese Institutionen gilt nach wie vor, dass sie den Regularien der Landeshochschulgesetze unterliegen, dass sie sich innerhalb der Akademia bewegen und dort einem scharfen Wettbewerb ausgesetzt sind. Das gibt denen, die dort studieren, die Sicherheit, dass sie gut ausgebildet werden und denen, die solche Absolventen einstellen, die Gewissheit, wirklich akademisch ausgebildete Mitarbeiter zu gewinnen, die die Schlüsselqualifikationen mitbringen, die heute so wichtig sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert