Letzte Woche war in Deutschland Party, rund um den großen Zaun von Heiligendamm. Gäbe es die Treffen der G8 nicht, man müsste sie erfinden. Nicht etwa, um der Globalisierung ein „menschliches Gesicht“ zu geben; das hat sie längst. Aber um den Mächtigen der Welt und ihren nicht minder mächtigen Gegnern, bei sekundentreuer Aufmerksamkeit in allen wichtigen Medien der Welt, eine Bühne zum großen Auftritt zu bieten. Es ist kein Zufall, dass exakt zu jener Zeit, in welcher die Weltwirtschaft den Bedeutungsverlust ihrer konsortialen Führung erlebt, das Bedürfnis nach symbolischer Repräsentation wächst. Heiligendamm dient der Reduktion von Komplexität.
Der Blick der Staats- und Regierungschefs richtet sich stets auf das eigene Land. Der Brite Tony Blair kann seinen Wählern durch den energischen Einsatz für Afrika kurz vor dem Abgang noch einmal beweisen, dass er nicht jener herzlose Premierminister ist, zu welchem die Gegner des Irakkrieges ihn stempelten. Die Deutsche Angela Merkel ergreift die Chance, sich als grüne Vorkämpferin gegen den Klimawandel zu zeigen. Dass der Amerikaner George W. Bush seine eigene Nummer fährt, kommt Merkel eher gelegen als ungelegen. Denn es schärft ihr moralisches Profil.
Die Mächtigen zelebrieren ihre Macht. Und die Gegner fallen gerne darauf rein. Erst stilisie-ren sie die G8 zur Weltregierung, um anschließend diesen Anspruch im Protest zu bestreiten. Sie brauchen einander wie Kinder die Eltern, deren Autorität sie infrage stellen. „Da vollzieht sich ein archaisches Ritual zwischen dem schwarzen Mob und der Staatsmacht“, sagt der Gewaltforscher Wolfgang Sofsky. Heiligendamm ist eine Festung. Die einen verteidigen sie, die anderen wollen sie schleifen. Man spielt Angreifer und Verteidiger. Das klingt wie Mittelalter. Karnevalesk werden die Rollen getauscht: Kreativ geschminkt und verkleidet verhöhnen die Kritiker die Macht, anstatt ihr zu huldigen, was die Mächtigen ihnen zumindest offiziell nicht gar zu sehr verübeln dürfen, denn sie brauchen später wieder ihre Stimme. Kein Wunder, dass hinter dem Zaun sogar Deals verabredet werden: 750 Millionen zusätzlicher Entwicklungshilfe lässt Angela Merkel es sich kosten, damit der Popsänger Bob Geldof auf seinen Kollegen Herbert Grönemeyer einwirkt, die Kritik am Gipfel zu mäßigen.
Solche Versprechen kosten die Regierenden wenig. Denn es ist das Geld der Steuerzahler, welches die Staatschefs verteilen. Sie brauchen sich an die Versprechen noch nicht einmal zu halten. Schon vor zwei Jahren beim G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles wurde eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2010 versprochen. Passiert ist wenig. Man suggeriert Kooperation, obwohl es noch nicht einmal zu Koordination reicht. Dass die Gipfel angesichts fehlender Sanktionsmöglichkeiten folgenlos bleiben, ist aus Sicht der Acht ein Vorteil und kein Nachteil. Es wirft freilich ein schlechtes Licht auf den hehren Anspruch einer globalen Regelsetzung („global governance“), welchen Politiker so gerne im Munde führen, um sich gegen den gefühlten Machtverlust in einer globalen Welt zur Wehr zu setzen. „Die funktionale Differenzierung durch supranationale Institutionen wird schleichend ausgehöhlt“, klagt der Politologe Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Denn UNO wie WTO sind, im Unterschied zu den G-8-Gipfeln, mit Strafmacht zur Durchsetzung ihrer Regeln versehen: Kriegerische Aggressionen ächtet der UN-Sicherheitsrat, Verstöße gegen die Regeln des freien Welthandels ahndet die WTO. Das ist der Grund, warum die Doha-Runde nur zäh und meist ohne große Öffentlichkeit sich bewegt, während alle Welt dem Schein von Heiligendamm verfällt.
Es ist die Ironie der Weltgeschichte, dass die Folgenlosigkeit der G-8-Treffen in Wirklichkeit ihr Segen und nicht ihr Fluch ist. Keine Entwicklungshilfe für Afrika ist besser als noch mehr Geld in den Kontinent zu pumpen. Keine Regulierung der Hedgefonds ist besser als ihnen Vorschriften zu machen. Denn das Geld geht von alleine dorthin, wo sich gute Renditen erwirtschaften lassen. Dass die Globalisierung der Welt in den vergangenen 25 Jahren einen ungeahnten Wohlstand beschert hat, ist jenseits allen Gipfeltheaters passiert. Das Geheimnis der Wohlfahrtsgewinne ist relativ simpel. Es heißt: open trade, open borders und open minds. Dort, wo Staaten begonnen haben, diese Türen auch nur einen Spalt weit zu öffnen – viel mehr ist in Indien und in China bis heute nicht passiert – lässt sich der Erfolg besichtigen. Allein in China ist seit 1980 die Zahl der Armen (jener, die von weniger als zwei Dollar täglich leben müssen) von 260 auf 42 Millionen geschrumpft. Die globale Weltwirtschaft ist heute so robust, dass ihr weder Finanzkrisen und noch nicht einmal die Angst vor Terror etwas anhaben können. Und schon gar nicht Heiligendamm.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht. - 26. Januar 2014 - Über den Umgang mit Unsicherheit und Offenheit
Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten nach fünf Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise - 29. Oktober 2013 - Ungleichheit heute (15)
Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun? - 2. August 2013
Helmut Schmidt, der diese Treffen ja mit initiiert hat, sagte, dass diese Gipfeltreffen eigentlich dazu gedacht waren, dass sich die führenden Politiker der beteiligten Länder einfach einmal persönlich(er) kennenlernen sollten. Das scheint ja auch weiterhin zu geschehen. Ist im Prinzip auch nicht schlecht.
Nur ist die Sache zu einem Medienspektakel verkommen, bei dem Platitüden zu Sensationen aufgebauscht werden. Und sich angesichts des gewaltigen Aufkommens an Medienvertretern zu einer Bühne von Selbstdarstellern entwickelt hat. Beispiel: Greenpeace versucht den Strand von Heiligendamm mit Schlauchbooten zu erobern. Absolut hirn- und sinnlos, noch nicht mal von Symbolcharakter. Aber medienwirksam. Natürlich will auch jeder Politiker seinen Glanz abbekommen.
Dass konkrete Politik gemacht wird , ist anzuzweifeln. Dafür gibt es andere Institutionen und Instrumente.
Die Veranstalter sollten sich übrigens noch bei den kriminellen, gewalttätigen „Demonstranten“ bedanken. Die haben prima von den Sachfragen abgelenkt.
„Keine Entwicklungshilfe für Afrika ist besser als noch mehr Geld in den Kontinent zu pumpen.“
Mit einem Satz mal eben die gesamte Entwicklungshilfe vom Tisch gefegt. Das ist einfach, dann brauch man sich zumindest nicht damit zu beschäftigen, ob es erfolgreiche Entwicklungshilfe nicht doch geben könnte.
Weder Aids-Hilfe (auf Massnahmen, die zur Verbilligung der Medikamente führen, konnten sich die G8 ja nicht durchringen), noch Schuldenabbau (v.a. von Schulden, die eh nicht mehr zurückbezahlt werden können und schon längst abgeschrieben sind), noch finanzielle Hilfe bei „Wohlverhalten“ (z.B. Öffnung der Grenzen), noch „Schulden gegen Natur“ (Schuldenabbau bei Natur- und Ressourcenschutzmassnahmen), noch…
Es gibt viele Instrumente, mit denen versucht wird, den afrikanischen Entwicklungsstaaten möglichst effizient zu helfen. Aber was soll man sich darüber den Kopf zerbrechen. Wenn es nach Ihnen geht, ist nichtstun immer noch das Beste.
Sehr simpel.