Die Weltfinanzkrise hat zu einer tiefgreifenden Verunsicherung über die Tragfähigkeit marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien geführt. Nicht von ungefähr fallen die Einwände liberaler Ökonomen gegen die massiven Verstöße der Wirtschaftspolitik an den marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien, wie wir sie gegenwärtig registrieren, vergleichsweise verhalten aus. In einem nachdenklichen Vortrag im Rahmen der Erfurter „Wilhelm-Röpke-Vorlesung“ drückte dies Gerhard Schwarz, stellvertretender Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, dieser Tage so aus: „Wir wissen um die Nebenwirkungen von Staatsintervention, aber würde ein Arzt einem schwerkranken Patienten ein Medikament mit bekannt schweren Nebenwirkungen vorenthalten, wenn sein Leben anders nicht zu retten ist?“
Offensichtlich kennzeichnet dies die Situation, in der sich wohl die meisten Ordnungsökonomen aktuell befinden: sie wissen um die negativen, langfristigen Folgen der Ausweitung von Staatskonsum und der Übernahme staatlicher Haftung für private Fehlentscheidungen. Aber angesichts der Schwere der Krise ist für das Insistieren auf Ordnungsprinzipien einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Es bleibt richtig, wie Hartmut Kliemt dies kürzlich hier erörtert hat, den Handlungsbias der Wirtschaftspolitik zu kritisiseren; es wäre ein Gebot der Klugheit, Handlungsoptionen kritisch zu erörtern, aber solch ein Appell dringt kaum durch, wenn Nachdenken als Untugend gilt, „während Frankreich handelt“ (Sarkozy). Es bleibt ebenso richtig, das aberwitzige „Finanzdoping“ zu kritisieren oder die absurde Abwrackprämie zur Förderung der Automobilindustrie, wie Norbert Berthold hier vor kurzem dargelegt hat. Eine ordnungspolitisch motivierte Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung kann aus dem Vollen schöpfen, angefangen von dem inzwischen schon verpassten günstigen Zeitpunkt für eine Senkung der Einkommenssteuer bis hin zu der Ausweitung der Mindestlöhne.
Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das marktwirtschaftliche Selbstregulativ des Wettbewerbs in einer Weise nicht funktioniert hat, wie dies niemand erwartet oder gar vorhergesagt hätte. Das Phänomen ist analytisch schwer zu fassen, weil es sich den gängigen Kategorien von Marktversagen oder Politikversagen widersetzt. Für die Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnungsprinzipien kommt es aber entscheidend darauf an, dem gegenwärtig außer Kraft gesetzten Selbstregulativ des Wettbewerbs wieder Geltung zu verschaffen.
Negative Rückkopplung als Prinzip der marktwirtschaftlichen Ordnung
Aus Sicht einer Theorie der marktwirtschaftlichen Ordnung liegen aus gesellschaftlicher Sicht günstige Bedingungen für privatwirtschaftliche Entscheidungsautonomie dann vor, wenn die Entscheider handlungsautonom (frei) sind, aufgrund der Nähe zum Markt einen Vorteil in der Informationsbeschaffung besitzen, Gewinne appropriieren können, aufgrund der Wiederholung von Entscheidungssituationen Handlungskompetenz gewinnen und im Falle von Entscheidungsirrtümern für Verluste haften, wenn der Wettbewerb ihr Entscheidungsverhalten kontrolliert. Sind diese Bedingungen erfüllt, bildet der Markt die vorzugswürdige gesellschaftliche Koordinationsform. Diese Erkenntnis ist für Ökonomen wenig spektakulär. Spektakulär ist, dass all diese Bedingungen auf dem Finanzmarktsektor vorlagen, aber zu einer vollkommen unerwarteten Krise der gesamten Branche und nunmehr auch der Weltwirtschaft geführt haben. Der marktendogene Mechanismus der Irrtumskorrektur hat in einer Weise versagt, welche nicht nur den Bankensektor, sondern die marktwirtschaftliche Ordnung insgesamt einem Vertrauensverlust ausgesetzt hat.
Entgegen der Meinung von Kritikern der Marktwirtschaft bilden unternehmerische Fehlentscheidungen – und damit auch Ineffizienzen – eine Begleiterscheinung jeder ökonomischen Ordnung, in der ökonomische Informationen nur begrenzt verfügbar und häufig auch mehrdeutig sind. Die gesellschaftlichen Folgen solcher Fehlentscheidungen bleiben aber begrenzt, wenn Wettbewerb herrscht und die übrigen Marktteilnehmer autonom handeln, wodurch sie ein wettbewerbliches Umfeld erzeugen. Bei verläßlichen Informationen, wie sie ein stabiles Marktumfeld kennzeichnen, sind gleichgerichtete Markthandlungen unproblematisch oder sogar vorteilhaft. Im Falle von Ungewißheit funktioniert das Ordnungsprinzip einer evolutiven Ordnung immer dann gut, wenn hinreichend „Varietät“ besteht: die Erfolge von Marktteilnehmern kompensieren die Irrtümer anderer und sorgen dafür, dass die Folgen nicht auf die Gesamtwirtschaft durchschlagen.
Orientieren sich die Marktteilnehmer bei Ungewißheit am Verhalten anderer und bestätigen sie sich für eine Zeit in ihren Irrtümern, ohne dass dies durch Wettbewerb korrigiert wird, kann man schwerlich von Marktversagen sprechen: es hat eine Gruppe fehlerhaft entschieden, aber dazu hat sie nicht die Koordinationsform „Markt“ genötigt oder gedrängt. Dies konnte man sehr schön während der Asienkrise in den späten 90er Jahren beobachten, als sich die Erwartungen vieler europäischer und amerikanischer Investoren in Südostasien nicht erfüllten. Kein Markt, auch keine Regierung, hat die Investoren dazu gezwungen, eine hohe Rendite zu wünschen und zu erwarten – das haben sie vielmehr selbst getan.
Klassische Überinvestitionskrisen („Blasen“) vermag der Marktmechanismus nicht auszuschließen. Er funktioniert aber noch insoweit, als er eine „negative Rückkopplung“ in Gang setzt: mit jedem Ausscheiden von Anbietern aus dem Markt verbessert sich aufgrund des reduzierten Angebots (bei gleicher Nachfrage) die Rendite der noch am Markt verbleibenden; denn diese konkurrieren mit den ausgeschiedenen Unternehmen, stehen mit ihnen aber in der Regel nicht in vertraglichen Beziehungen, so dass sie auf deren Marktverbleib angewiesen wären. Das Prinzip der Haftung für ökonomische Irrtümer bleibt intakt. Auch wenn es für die Anbieter bequem sein mag, sich an den Erwartungen der anderen zu orientieren und eine eigene Risikoprüfung zu unterlassen, bietet ihnen „Herdenverhalten“ als Verhaltensorientierung keine Sicherheit: im Falle von Fehlentscheidungen haften sie ebenso wie die Herde. Das mag kollektives Fehlverhalten kurzfristig nicht unterbinden, aber grundsätzlich befördert die marktwirtschaftliche Ordnung die Differenzierung von Einschätzungen, auf denen ökonomische Pläne aufbauen. Durch die auf Dauer gestellte Korrektur ökonomischer Pläne trägt die marktwirtschaftliche Ordnung auch zum kulturellen Fortschritt bei. Dieser besteht eben in der Beförderung von Varietät („Mannigfaltigkeit“ bei Humboldt) von Überzeugungen und Verhaltensorientierungen – ein Gedanke, den Mill von Humboldt und Hayek von Mill aufgenommen hat. Die Differenzierung und der Verlust an gemeinsamen Weltsichten stellt für eine marktwirtschaftliche Ordnung kein Problem dar, sondern wird vielmehr zu einer Ressource für den Wettbewerb als Motor und Stabilisator von Entwicklung. Es war Mill, der die produktive Wirkung differenzierter Meinungen und Verhaltensweisen für den Fortschritt von Gesellschaft erkannt hat.
Das Ordnungsproblem im Bankensektor
Die bislang übersehene Besonderheit des Bankensektors besteht offensichtlich darin, dass dieses systemische Prinzip der negativen Rückkopplung vielleicht nicht ausgeschaltet ist, aber von einer positiven Rückkopplung überlagert und dominiert wird. Dass die Firmen eines Sektors untereinander vielfältige Vertragsbeziehungen unterhalten, ist in der allgemeinen Theorie der Marktwirtschaft nicht systematisch berücksichtigt oder aber als systemwidriger Sonderfall behandelt worden, dem man mit einem Kartellverbot grundsätzlich begegnen könnte. Der Bankensektor jedoch ist durch wechselseitige Vertragsbeziehungen charakterisiert, deren Inhalt nicht in der Abschottung von Märkten oder der Benachteiligung von Kunden besteht, sondern in der Aufrechterhaltung der eigenen Geschäftstätigkeit. Marktteilnehmer besitzen unter diesen Umständen immer dann ein Interesse am Marktverbleib anderer, wenn diese nicht nur Konkurrenten, sondern auch Vertragspartner im Rahmen von Kreditbeziehungen sind. Das Ausscheiden solcher Anbieter entwertet eigene Vermögenspositionen und gefährdet damit auch den eigenen Marktverbleib und in der Folge den weiterer Konkurrenten, welche zugleich Schuldner sind. Wir lernen in der jetzigen Bankenkrise, in welch gravierender Weise das Prinzip „Haftung“ außer Kraft gesetzt wird: eigentlich müssten HRE in Deutschland oder AIG in den USA in Konkurs gehen, weil deren Geschäftsstrategien zu Verlusten in geradezu märchenhaften Größenordnungen geführt haben. Aber das Ausscheiden aus dem Markt bereinigt diesen nicht, sondern weitet die Krise im gesamten Finanzmarktsektor aus. Das Haftungsprinzip ist damit in fataler Weise außer Kraft gesetzt, und zwar nicht, weil Banker nicht für Verluste haften könnten, wie gegenwärtig häufig gefordert wird; sondern weil es niemand auf einen Konkurs systemrelevanter Banken ankommen lassen will. Das ist eine Folge sowohl der Größe der Unternehmen („too big to fail“) als auch ihrer Verflochtenheit mit anderen Finanzinstituten („too interconnected to fail“).
Lösungsvorschlag: Fusionskontrolle im Bankensektor
Überlegungen zu einer Neuordnung des Finanzsektors befinden sich noch in einer frühen Phase, weil wir die Dauer und Tiefe der Krise noch längst nicht absehen können. Die Vorschläge zielen zumenst auf eine strengere Regulierung des Bankensektors. Der Erfolg solcher Maßnahmen hängt aber entscheidend davon ab, dass nicht nur die bekannten Handlungsweisen der Banken mit kollektivem Schädigungspotential unterbunden werden, sondern auch Umgehungshandlungen. Regulierung erzeugt nicht nur einen Anreiz zur Arbitrage, sondern auch zur innovativen Suche nach Handlungen, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unerwünscht sein können. Hier stößt die Politikoption „Regulierung“ an die Grenze des Lenkungswissens der Regulierer. In einem hoch dynamischen Geschäftsfeld, wie es der Bankensektor darstellt, besteht die Gefahr, dass staatliche Regulierung dem Anpassungsverhalten der Regulierten beständig hinterherläuft. Falls dieser Weg einer Neuordnung des Finanzmarktsektors nicht gangbar oder unzureichend sein sollte, gelangt eine Theorie der marktwirtschaftlichen Ordnung zu einem anderen Lösungsvorschlag: die Reetablierung des Haftungsprinzips bedeutet, dass in einem künftigen Finanzmarktsektor ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Freiheit bestehen bleiben sollte. Die Fusionskontrolle sollte aber das externe Unternehmenswachstum von Banken beschränken. Wir brauchen einen Bankensektor, in dem Unternehmen ohne Schaden für die gesamte Branche und damit auch für die Volkswirtschaft in Konkurs gehen können, ohne dass die öffentliche Hand die Haftung für realisierte Geschäftsrisiken übernimmt. Eine nationale oder auch europäische Fusionskontrolle wäre hier unzureichend. Vielmehr hätte eine internationale Wettbewerbsordnung sicherzustellen, dass nicht einzelne Länder durch eine laxe Fusionskontrolle (vorübergehend) nationalen Banken Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten. Ein solcher Vorschlag stellt nicht die einzige Lösung dar und wird durch Regulierungen zu ergänzen sein. Aber je stärker man den Möglichkeiten einer Finanzmarktaufsicht mißtraut, desto eher muß der Blick auf eine Stärkung der gegenwärtig in Verruf gekommenen Selbstheilungskräfte des Marktes gerichtet sein. Das kann aus meiner Sicht nur eines bedeuten: In einer funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Ordnung darf es keine „systemrelevanten Banken“ mehr geben! Die Wirtschaftspolitik muß ein klares Signal aussenden, dass künftig auch Banken wieder Konkurs gehen können. Dieses Signal wird nur dann glaubwürdig sein, wenn der Konkurs einer Bank nicht den gesamten Finanzmarktsektor in Mitleidenschaft zu ziehen vermag. Als Lehre aus der jetzigen Krise sollten wir das Verbot von Bankenfusionen unterhalb eines Schwellwertes sowie die Entflechtung von Großbanken sehr ernsthaft erwägen.
- Ordnungspolitische Denker heute (5)
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Das vergessene Thema - 26. September 2009 - Marktversagen – ein Wort in der Krise - 18. Mai 2009
Sehr geehrter Herr Wegner,
vielen Dank für Ihren sehr interessanten Beitrag. Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen:
1. Zur Entstehung von „Blasen“ und warum der marktendogene Mechansimus zur Irrtumskorrektur versagt hat: Es wurde bereits verschiedentlich auf die Rolle der Entlohnungs- und Anreizstrukturen hingewiesen, die kurzfristige Performancegenerierung honorieren, deren langfristige Folge aber oft ignorieren. Diese Strukturen führen tatsächlich zur Verstärkung von Mitläufereffekten – das gilt/galt für den einzelnen Mitarbeiter, aber ggf. auch für ganze Institute. Was hat ein Marktakteur davon, wenn er eine Blasenbildung erkennt, sein Handeln darauf einstellt, die Blasenbildung aber länger dauert als der für ihn relevante Beurteilungs- bzw. Entlohnungszeitraum? Konkret: Ein Fondsmanager, der während einer Blasenbildung jahrelang gegen die Marktentwicklung handelt, wird das Platzen der Blase vermutlich nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion erleben. Also ist es für ihn rational, mit dem Markt zu laufen. Gleiches gilt übrigens für börsennotierte Institute. Selbst wenn sie in der Vergangenheit davon überzeugt gewesen sein sollten, dass die im internationalen Investment Banking erzielbaren Gewinne nicht nachhaltig sind, war es trotzdem rational, sich am Spiel zu beteiligen. Andernfalls hätte die reale Gefahr bestanden, wegen schwacher Aktienkursentwicklung zum Übernahmekandidaten zu werden und auf diese Weise das Heft aus der Hand zu geben. Fazit: Das Problem ist systemimmanent.
2. Ihre These des „too interconnected to fail“ und die dahinterstehende Logik, dass Unternehmen stärker als üblicherweise angenommen aufeinander angewiesen sind, erinnert mich an das aus der Sportökonomie bekannte „Lewis-Schmeling-Paradoxon“. Zwar sind die analytischen Hintergründe unterschiedlich, aber in beiden Fällen ist das Ergebnis, dass Unternehmen ein Interesse an möglichst starken Mitbewerbern haben müssen – ein offenkundiger Widerspruch zur traditionellen Monopoltheorie.
In der Tat ein lesenswerter Beitrag mit interessanten Reformvorschlägen.
Die Behauptung aber, daß die Weltfinanz- und wirtschaftskrise derart unvorhergesehen kam, wie das in dem Beitrag zum Ausdruck kommt, überzeugt hingegen kaum. Gab es nicht genug renommierte Mahner und glaubwürdige Warner vor dem drohenden Crash?
Ja, könnte die ausschließliche mikroökonomische Sichtweise auf die Marktökonomie zu der verhängnisvollen „Krisenblindheit“ etwa beigetragen haben? Wie soll der Frosch auch sehen, was der Adler schon längst weiß?
„Das marktwirtschaftliche Selbstregulativ des Wettbewerbs“ hat mitnichten „in einer Weise nicht funktioniert“ … „wie dies niemand erwartet oder gar vorhergesagt hätte.“ Es konnte nicht funktionieren, weil eine Grundvoraussetzung, nämlich das Vorhandensein von echtem, unverfälschtem Wettbewerb, wegen staatlicher Einflussnahme der Administration Clinton via Freddie Mac und Fanny Mae schlicht nicht gegeben war. Ob man das hat kommen sehen? Nun, ich kann dazu nur sagen: Seit 2003 ist mein Depot frei von Aktien und Optionen, weil in den einschlägigen Internetforen schon lange die platzende Blase diskutiert worden war. Etwas früh, dieser Ausstieg, ich weiss, aber dennoch rückblickend irgendwie befriedigender.
Sehe ich etwas anders als Martin Müller, gerade was jetzt passiert zeigt doch das der Markt irgendwann Blasen platzen lässt. Auch wenn es keinen wirklichen freien Markt gibt, sind die Marktkräfte offenbar stark genug sämtliche Billionen die gegen ihn gewettet werden „wegzustecken“. M.E. kann man nur sagen der Markt funktioniert auch wenn man ihn zu hindern versucht. Was ja kein „Wunder“ ist der Markt umfaßt „Alle“ während die Pakete nur für eine bestimmte Anzahl von Leuten und für die Politiker „taugen“. oder jedenfalls glauben die Politiker mit „genügend“ Geld alles ausbügeln zu können. Seit 2003 aus Aktien war wohl 4 Jahre zu früh ;-(
Das die Übertreibungen durch Ausschalten von Märkten aufgetreten sind, können alle außer Politker verstehen…..
Manche wollen aber einfach nicht, sie wollen nur mehr Verfügungsgewalt über das Geld Anderer.
Und genau diese werden im Augenblick von den Politikern gehegt. Es ist absurd….
Ich finde die Idee mit der Fusionskontrolle interessant und bedenkenswert. Bei der Erklärung der Marktmechanismen fehlt eine entscheidende Differenzierung vorhandener, nicht vorhandener und wünschenswerter Rückkoppelungseffekte, die ich in einem kurzen Blogeintrag unter obigem Link aufzeigen möchte.
Das Geldsystem kennt nur positive Rückkopplung. Da der Finanzmarkt jedoch eng mit dem Realmarkt verwoben ist muss dieser zum Zusammenbruch führende Regelkreis auch den Realmarkt in die Tiefe reißen. Die wahrhafte soziale Marktwirtschaft hat noch einen elementaren Fehler: das Geldsystem
Ist es denn überhaupt sicher, dass eine Pleite von der Größenordnung HRE oder AIG das Finanzsystem zerstört hätte? Oder wird das von den betroffenen Instituten behauptet um gerettet zu werden?
Die Deutsche Bundesbank, die über mehr Informationen verfügt als jeder von uns, war jedenfalls der Ansicht, dass ein Untergang der HRE den Zusammenbruch zumindest mehrerer deutscher Banken bedeutet hätte und geeignet gewesen wäre, eine Massenpanik auszulösen. Daher hatte die Bundesbank nach meinen Informationen in den Nachtsitzungen über die Rettung der HRE die Stilllegung des gesamten Zahlungsverkehrs in Deutschland angedroht.
Die AIG ist derart groß und international vernetzt, dass die Folgen eines Konkurses völlig unabsehbar waren. Alleine der Untergang von Lehman Brothers – sehr viel kleiner als AIG – hatte ja unerhörte Notmaßnahmen von Regierungen und Notenbanken zur Folge.
Der Beitrag von Herrn Wegner ist generell sehr interessant. Ich fürchte nur, er verlangt von den Wettbewerbsbehörden zu viel Wissen über die Frage, wann ein Finanzinstitut systemrelevant ist. Die absolute Größe besagt nicht viel, wenn als Folge einer Insolvenz ein auch von anderen Finanzinstituten angewandtes Geschäftsmodell in Zweifel gerät. Man mag im Nachhinein bezweifeln, dass die IKB trotz ihrer Schattenbank in Irland systemrelevant war. Bloß geriet nach den Schwierigkeiten der IKB das ganze Geschäftsmodell der Fristentransformation in die Krise. Das ist ja gerade das der Finanzbranche eigene: Aus dem individuellen Versagen kann schnell ein Systemversagen werden.