Die Finanzmarktkrise hat erneut gezeugt, in welch verwirrender Weise der Marktversagensbegriff inzwischen benutzt wird. Die öffentliche Diskussion – aber zumeist auch die vieler Soziologen und Politikwissenschaftler – verwendet ihn „freischwebend“, nämlich als allgemeine Abkürzungsformel für eine Mißbilligung von Marktgeschehen: Marktkritiker finden, dass bessere Marktergebnisse vorstellbar gewesen wären und fordern eine politische Korrektur. Der Staat wird in der Pflicht gesehen, da vermeintlich keine andere Chance auf Verbesserung von Marktergebnissen besteht. Nach dieser Sichtweise – auf sie greifen auch Ulrich Beck und Jürgen Habermas zurück – versagen die Märkte latent immer. Die Mißbilligungsformel verzichtet nämlich darauf, den normativen Anspruch dessen, was Märkte leisten sollten, seinerseits kritisch zu prüfen. Es genügen plausible Beurteilungsgesichtspunkte, um Marktversagen zu konstatieren, ohne dass man einen näheren Begriff davon zu haben bräuchte, was es heißt zu sagen, dass Märkte versagen. Die Überzeugungskraft der Marktkritik wird dann nicht selten durch moralische Bewertungsstandpunkte zu steigern versucht („jeder muss von seiner Arbeit leben können“). Man lässt die Märkte gleichsam nur „auf Bewährung“ arbeiten und behält sich jederzeit ein Urteil vor, mit dem sich die Freiheit der Märkte außer Kraft setzen ließe. Die Öffentlichkeit und – nach meinem Eindruck – eine überwiegende Zahl von Soziologen und Politikwissenschaftlern geben sich damit zufrieden, den Marktversagensbegriff als eine freischwebende Mißbilligungsformel zu verwenden, die auf eine Theorie der Märkte verzichtet.
Die Ökonomie verwendet den Marktversagensbegriff zwar spezifischer, aber keineswegs einheitlich. Die Diskussion um die Finanzmarktkrise hat auf diesen Umstand (erneut) hingewiesen, aber zugleich einen neuen Aspekt hinzugefügt. Bei der Kontroverse um die Frage, in welcher Weise die Finanzmarktkrise auf staatliches Fehlverhalten zurückzuführen ist, schwingen folgende Verwendungsweisen des Marktversagensbegriffs mit:
Verwendungsweise 1: Märkte können zwar Funktionslücken aufweisen. Aber in solchen Fällen besteht ein Lenkungsauftrag an den Staat, um eine Korrektur herbeizuführen, wofür er im Falle der Finanzmarktkrise auch über die entsprechenden gesetzlichen und institutionellen Voraussetzungen verfügte. Von diesen hatte er allerdings nur ungenügend Gebrauch gemacht.
Verwendungsweise 2: Zu Funktionslücken von Märkten kommt es vor allem durch staatliche Interventionen, welche Marktergebnisse an Politikzielen ausrichtet, was in gelenkten Marktwirtschaften allgemeine Praxis ist.
In beiden Fällen liegt die eigentliche Ursache des „Marktversagens“ beim Staat, das eine Mal, weil er nicht eingegriffen hat, obwohl er es hätte tun sollen und auch können, das andere Mal, weil er eingegriffen hat, obwohl er es nicht hätte tun dürfen. Bei näherem Hinsehen hat sich das vermeintliche Marktversagen in ein Politikversagen transformiert. Falls Marktversagen überhaupt ein empirisch relevantes Phänomen darstellen kann, dann lediglich als ein Übergangsphänomen. Wenn etwa im Fall externer Effekte erkannt wurde, dass Unternehmen mit ihrer Produktion die natürliche Umwelt belasten und systematische Marktanreize einer Rückführung der Umweltbelastung entgegen stehen, versagen die Märkte so lange, bis eine Umweltgesetzgebung auf dem Weg gebracht ist, welche die externen Effekte internalisiert. Später ließe sich nur noch von einem Versagen staatlicher Bürokratie oder Gesetzgebung sprechen, wenn sie es versäumt, ihren Lenkungsauftrag zu erfüllen (zum Beispiel im Falle von Vollzugsdefiziten).
Ein neuer Marktversagensbegriff: Marktversagen ohne Wohlfahrtsverlust
In der Finanzmarktkrise kommt offenkundig ein weiterer Begriff von Marktversagen ins Spiel. Ich möchte ihn einen epistemischen Marktversagensbegriff nennen. Er unterstellt zunächst, dass die Ursachen der Finanzmarktkrise nicht allein auf staatliches Fehlverhalten zurückgeführt werden können – ohne dass die staatliche Mitwirkung bestritten würde – sondern dass das Verhalten der Marktteilnehmer im Finanzmarktsektor zur Krise beigetragen hat. Dieses Marktverhalten, so die Hypothese, resultierte aus Regulierungen, die an die neuen Transaktionsformen des Finanzmarktsektors unzureichend angepasst waren. Diese Hypothese ist zwar strittig und bildet gegenwärtig einen Gegenstand intensiver Forschung, gewinnt aber eine gewisse Plausibilität durch die hohe Dynamik des Finanzmarktsektors in der Generierung immer komplexerer Transaktionsformen. Auf der Basis forderungsbesicherter Wertpapiere erfolgte eine Kreditexpansion auf winziger Eigenkapitalbasis, ohne dass hierfür Erfahrungen vorlagen, aufgrund derer die Risiken der Kreditexpansion und insbesondere die Auslagerung der Risiken in unregulierte Zweckgesellschaften abschätzbar gewesen wären. Das gilt auch für das Zusammenwirken von Kreditexpansion und die Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt. Auch wenn gegenwärtig offen ist, wie eine bessere Form der Regulierung in Zukunft aussehen könnte, ohne eine erneute Regulierungsarbitrage auszulösen, so dürfte die Fehlangepasstheit der bisherigen Institutionen des Finanzmarktes als eine Krisenursache unstrittig sein.
In diesem Sinne läge nicht nur im Sinne von Verwendungsweise 2, sondern auch von Verwendungsweise 1 Marktversagen vor. Doch ist eine Besonderheit zu berücksichtigen. Marktversagen äußert sich üblicherweise in einem Wohlfahrtverlust, den die Marktteilnehmer gegenwärtig erfahren, aber durch ihr eigenes Marktverhalten nicht korrigieren können. Insofern besitzen zumindest die vom Wohlfahrtsverlust betroffenen Individuen ein Handlungsinteresse, auf die Märkte wohlfahrtsverbessernd einzuwirken: die Nachfrager auf einem monopolistischen Markt möchten den Monopolpreis gesenkt sehen, Individuen möchten der Belastung ihrer Gesundheit durch Autolärm entgehen, Konsumenten wünschen eine Aufklärung über Produktqualitäten, bevor sie sich zum Kauf entscheiden. Es existieren also Interessenten an einer Korrektur des Marktversagens, weil sich Wohlfahrtsverluste manifestieren und von den Bürgern erfahren werden. Dies erlaubt eine marktexterene Bewertung der Marktergebnisse in Begriffen von individueller Wohlfahrt.
Genau hier aber liegt der Unterschied zur Finanzmarktkrise. Es ermangelte in der Phase des US-amerikanischen Immobilienbooms einer wesentlichen Bedingung, um auf die Wohfahrtsverluste infolge eines unzureichend regulierten Finanzmarktsektors politisch antworten zu können: Es existierten zunächst keine solchen Wohlfahrtsverluste. Die Hausse kannte nur Gewinner, angefangen von den Konsumenten, die sich in den USA (und auch in anderen Ländern wie Island oder Irland) ein hohes – weltweit gesehen: höchstes – Wohlstandsniveau durch kreditfinanzierten Konsum leisten konnten. Dieser entfaltete positive Effekte auch auf andere Volkswirtschaften, etwa auf Exportnationen wie Deutschland, die von dem spekulationsgetriebenen Boom in Form eines Beschäftigungs- und Einkommenswachstums profitierten. Selbst wenn ein Marktversagen vorgelegen haben sollte, so hat jedenfalls niemand darunter in Form von Wohlfahrtsverlusten „gelitten“, wie das im Fall eines Monopols oder im Fall des Zusammenbruchs von Kollektivgütern durch allgemeines Trittbrettfahren der Fall ist. Einzelwirtschaftliche und kollektive Rationalität stimmten vielmehr miteinander überein. Sämtliche Marktteilnehmer besaßen ein Interesse an der Fortsetzung einer wirtschaftspolitisch zugelassenen Marktentwicklung, weil jeder davon in unterschiedlicher Form profierte, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Bei dieser Feststellung soll nicht übersehen werden, dass die politische Öffentlichkeit auch im Boom der vergangenen Jahre (auf beiden Seiten des Atlantiks) einen Bedarf für Wohlstandsverbesserungen durch politisches Handeln gesehen hatte; insbesondere in Deutschland weitete sich dies zu einer allgemeinen Gerechtigkeitsdebatte aus. Aber die Kritik zielte in eine gänzlich andere Richtung: sie meldete keine Zweifel an der Tragfähigkeit des spekulations- und kreditfinanzierten Booms an, der gegenüber Anpassungsreaktionen der Märkte zunehmend anfällig wurde. Ein Bedarf für Wohlstandsverbesserung wurde vielmehr in Form einer „gerechten Teilhabe“ breiter Schichten an den Früchten des Aufschwunges gesehen. Sowohl in den USA als auch in Deutschland konzentrierte sich die öffentliche Kritik auf das Hinterhinken der Löhne und Gehälter (vorzugsweise im Bereich des Medianwählers) hinter den Gewinnen der Unternehmen, in den USA vor allem vor den Mid-Term-Elections im Jahre 2006, in Deutschland bis zum Sommer 2008. Abgesehen von dieser verteilungspolitischen Kontroverse lag eine Wirtschaftspolitik, welche eine Fortsetzung des Booms erlaubte, im Interesse aller. Dies begründet auch die strukturelle Schwäche der linken Kapitalismuskritik hierzulande, da die allfälligen Forderungen nach allgemeiner Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung eben diesen voraussetzen, je zügelloser, desto besser. Gerade die Ursachen der Finanzmarktkrise entgingen der linken Kritik, die sich auf gänzlich andere Punkte kaprizierte (Mindestlohndebatte, Hedge-Fonds, Lohnentwicklung, Sozialleistungen).
Krisenfreiheit als Wohlfahrtsideal
Als Marktversagen stellt sich diese Phase erst im nachhinein dar. Wir wechseln aber jetzt stillschweigend zu einem epistemischen Begriff von Marktversagen, der folgende Implikation enthält: der Zusammenbruch der Kreditbeziehungen auf dem Finanzmarkt mit seinen gravierenden Folgen für die Weltwirtschaft und den jetzt allgemein erfahrbaren Wohlfahrtsverlusten hätte sich mit einer geeigneten Theorie vorhersagen lassen. Von der Warte dieses epistemischen Marktversagensbegriffs, den sich zahlreiche Diskutanten implizit zu eigen machen, fällt darum das Versagen der Märkte mit dem Versagen der Ökonomie als theoretischer Disziplin zusammen (ein Punkt über den Jan Schnellenbach, Christian Schubert, Gerald Braunberger und andere hier bereits eine interessante Diskussion geführt haben.). Der Vorwurf an die Adresse der Ökonomie lautet im Wesentlichen, nicht gesehen zu haben, dass der Wohlstandsgewinn des aktuellen Booms fragil und mit gravierenden Wohlfahrtsverlusten nach Ausbruch der Krise zu bezahlen ist. Theorieversagen bildet aus Sicht dieser Kritiker das Korrelat zu Marktversagen, weil sich die Ökonomie als Wissenschaft dem Leitbild unregulierter Märkte verschrieben habe (ein Vorwurf, der fehl geht und die wissenschaftsinternen Anreize zur Kritik an etablierten Theorien übersieht).
Zwar kann man den Wissensstand der ökonomischen Theorie, wie jeder anderen Wissenschaft auch, ebenso kritisieren wie ihre mangelnde Prognoseleistung. Die Kritik an die Adresse der Ökonomie bringt aber eine Prämisse ins Spiel, welche den Marktversagensbegriff überdehnt und von einem allgemeinen Verhaltensirrtum ununterscheidbar macht. Nach dieser Prämisse hätte eine wirtschaftspolitische Empfehlung, die auf eine Beendigung des Booms hinausgelaufen wäre, auch dem Interesse der Bürger entsprochen. Dies ist eine starke Annahme; denn eine wirtschaftspolitische Empfehlung wäre in jedem Fall darauf hinausgelaufen, die Kreditexpansion zurückzuführen, damit der Strukturwandel in der Volkswirtschaft früher hätte vonstatten gehen können. Die Folge wären niedrigere Wachstumsraten der Volkswirtschaft mit entsprechenden Wohlfahrtsseinbußen der Bürger gewesen. Für einen amerikanischen Hausbesitzer, dessen Perspektive Congleton zur Zeit der Boomphase beschreibt, hätte dies sinkende Immobilienpreise und einen persönlichen Vermögensverlust bedeutet. Dieser Wohlstandsverlust hätte ihm aber als nachrangig gelten müssen, wenn er ein grundsätzliches Interesse an einer Finanzmarktregulierung hätte ausbilden sollen, womit die systematische Unterbewertung von Kreditrisiken des Immobilienbooms beendet gewesen wäre; dieser aber hat ihn selbst begünstigt. Angenommen, die Ökonomie hätte die Finanzmarktkrise klar vorhergesehen und politische Maßnahmen empfohlen, die eine Anpassung der Märkte zu einem früheren Zeitpunkt erlaubt hätten. Die Ökonomie hätte sich in diesem Fall an Bürger richten müssen, die von ihren Handlungsinteressen abstrahieren und einen externen Beurteilungsstandpunkt einnehmen, von dem aus sie ihre eigenen Wohlfahrtsgewinne kritisch bewerten, nämlich im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit. Das ist stets eine komfortable Situation für Ökonomen, weil sie sich an die Bürger als Verfassungsinteressenten wenden können, um einen Begriff der Constitutional Economics zu verwenden. Aber diese Rolle nehmen die Bürger in der Phase eines ökonomischen Booms gerade nicht ein. Sie wünschen keine Hinweise auf die zweifelhafte Dauerhaftigkeit eines Booms, sondern besitzen ein genuines Interesse an dessen Fortsetzung, weil sich daran individuell teilhaben lässt. Die Marktteilnehmer verfügen im allgemeinen über keine Außenperspektive, von der aus sie das Marktgeschehen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bewerten können. Eine solche Perspektive und damit eine Wandlung des Eigeninteresses setzt entweder ideale (weitsichtige) Individuen voraus, oder aber Krisenerfahrungen und entsprechende Lernprozesse. Erst dann kann sich eine Wirtschaftspolitik, welche spekulative Übertreibungen frühzeitig unterbindet, auf die Interessen von Bürgern stützen. Zuvor stiftete der Markt keine Wohlfahrtseinbuße, sondern bildete nur das Medium für die kollektive Entfaltung von Verhaltensirrtümern und individuellen Fehleinschätzungen. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Finanzmarktkrise aus Märkten und den Eigeninteressen der Marktteilnehmer entstanden war, ohne dass Marktversagen vorgelegen hatte.
Literatur:
Congleton, R. (2009) On the Political Economy of the Financial Crisis and Bailout of 2008 erscheint in: Public Choice.
- Ordnungspolitische Denker heute (5)
Hayek und die Konstruktivismusfalle
Die geplante Energiewende - 8. April 2014 - Wehrpflicht und Freiheit
Das vergessene Thema - 26. September 2009 - Marktversagen – ein Wort in der Krise - 18. Mai 2009
Haben Sie nicht übersehen, daß mit den derzeitigen Eingriffen ein nicht tragfähiges System fortgeschrieben werden soll?
Und
„Aber diese Rolle nehmen die Bürger in der Phase eines ökonomischen Booms gerade nicht ein. Sie wünschen keine Hinweise auf die zweifelhafte Dauerhaftigkeit eines Booms, sondern besitzen ein genuines Interesse an dessen Fortsetzung, weil sich daran individuell teilhaben lässt.“
finde ich eine arg zweifelhafter „Unterstellung“. Und es hiesse auch jeder hätte mitmachen müssen. Das hat aber nicht jeder, eben weil es für sie offensichtlich war. „Das kann nicht ‚gut‘ gehen“. Nur was derzeit unternommen wird, ist es diese „vorsichtigen“ Leute für die weniger Weitsichtigen in die Pflicht zu nehmen, und zwar auf zweifelhafteste (ich würde es sogar drastischer ausdrücken, mit organisiertem Diebstahl) Weise diese Vorsichtigeren „zu enteignen“ Und das speziell durch diejenigen die den ganzen Schlamassel mit zu verantworten haben.
Hervorragend!
Sehr geehrter Herr Wegner,
Vielend Dank für ihren interessanten Beitrag. Ihre Differenzierung des Marktversagensbegriffs ist überzeugend. Gegen Ende Ihres Beitrags stellen Sie es allerdings so dar, als ob ein Verfassungsökonom in der Boomphase die wirtschaftspolitische Maßnahme des Anhalten der Kreditexpansion nicht vor den Bürgern als in ihrem Interesse liegend rechtfertigen könnte. Sie sagen, dass „Bürger in der Phase eines ökonomischen Booms […] keine Hinweise auf die zweifelhafte Dauerhaftigkeit eines Booms [wünschen], sondern […] ein genuines Interesse an dessen Fortsetzung [besitzen], weil sich daran individuell teilhaben lässt. Die Marktteilnehmer verfügen im allgemeinen über keine Außenperspektive, von der aus sie das Marktgeschehen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bewerten können.“ Ein Verfassungsökonom könne mit seiner Empfehlung zugunsten einer Beschränkung der Kreditexpansion bei den Bürgern nur auf Zustimmung stoßen, wenn diese „ideale (weitsichtige) Individuen“ wären, oder aber „Krisenerfahrungen“ besäßen.
Es gehört aber auch gerade zur Beratungsaufgabe eines Verfassungsökonomen, die Individuen über ihre langfristigen Interessen im Gegensatz zu ihren kurzfristigen Interessen als Marktakteure zu beraten. Die österreichischen Konjukturtheorie liefert gute Gründe, weswegen die Empfehlung zur Begrenzung der schädlichen Kreditexpansion bei solcherart beratenen Bürgern wahrscheinlich durchaus auf Zustimmung stoßen würde.
Sie schreiben zwar, dass die Bürger in einer Boomphase gerade nicht die Rolle als langfristig orientierten „Verfassungsinteressenten“ einnehmen, an die der Verfassungsökonom seine Beratung ausrichtet, sondern die Rolle von kurzfristig orientierten Marktteilnehmern. Aber was folgt hieraus? Diese Feststellung taugt ja nur zur Erklärung der psychologischen Tatsache, weshalb uninformierte Individuen den Boom nicht als Wohlfahrtsverlust wahrnehmen solange der Wettbewerb die durch Kreditexpansion induzierte Fehlkoordination individueller Pläne offenbar werden lässt, sagt aber nichts über die Frage aus, ob korrekt beratene Individuen hier einen zu korrigierenden Geldordnungsmangel sehen würden.
Es läge durchaus auch im langfristigen Interesse der Bürger als Marktteilnehmer über die Nicht-Nachhaltigkeit des Booms aufgeklärt zu werden, damit sie ihre eigenen Konsumausgaben nicht auf der Basis der Illusion eines Anstiegs ihres Wohlstandes planen müssen, sondern auf der Basis korrekter Erwartungen über ihre tatsächliche langfristige Versorgung mit Gütern und Leistungen.
Für den Verfassungsökonomen bleibt auch nach ihrer Untersuchung eine vierte Definition von „Marktversagen“ relevant: Marktversagen als Ordnungsmangel, durch dessen Behebung die Bürger gemeinsame Vorteile realisieren können.
In diesem Sinne könnte man dann sehr wohl wieder sagen, dass die Finanzmarktkrise vermutlich durch Marktversagen entstanden ist. Die Frage, ob solch ein Marktversagen tatsächlich vorliegt, wird allerdings nicht anhand der informierten Zustimmung der Bürger zu solch einer Empfehlung zu einer Bindung an Regeln überprüft werden können, ohne die Individuen vorher über ihre kurz- und langfristigen Interessen aufzuklären.
Lieber Gerhard,
sehr guter Beitrag. Drei Fragen dazu von mir:
– setzt ordnungspolitische Bürgerberatung nicht immer voraus, daß der Adressat von seinen kurzsichtigen und kurzfristigen Handlungsinteressen für einen Moment abstrahiert und die eigenen „Regelinteressen“ erkennt bzw. überhaupt erstmal bildet? Eine solche „Außenperspektive“ setzt keinen fiktiven perfekt informierten Standpunkt voraus, sondern kann (zumindest partiell) bereits auf Basis von „Krisenerfahrungen und Lernpozessen“ eingenommen werden. Wäre insofern nicht eine vorsichtige rechtzeitige Anpassung der Spielregeln des Finanzmarkts spätestens 2006 als „konsensfähig“ rekonstruierbar gewesen?
– zum Marktversagensbegriff I: Kann der „Markt“ überhaupt versagen, wenn wir seine Spielregeln als konstitutiv für den „Markt“ ansehen? Haben wir dann nicht ohnehin immer „Regelversagen“? Das muß ja keineswegs implizieren, jede formal regelkonforme Verhaltensweise von Finanzmarktteilnehmern aus individualethischer Sicht für völlig unbedenklich zu halten, aber für die Diskussion um die Krisenursachen wäre jedenfalls viel gewonnen. Und die suboptimale Leistung der Ökonomik vor und in der Krise wäre dann darauf zurückzuführen, daß Ökonomen sich nicht hinreichend intensiv mit den Spielregeln des Wirtschaftens beschäftigen (vgl. H.-W. Sinn: Wir sollten Eucken nach Amerika exportieren)
– zum Marktversagensbegriff II: wenn alle individuellen Rationalitäten während der Boomphase übereinstimmen, läßt das dann automatisch den Schluß zu, daß sie auch mit der „kollektiven Rationalität“ übereinstimmen? Vielleicht sollte man darüber nachdenken, den Begriff der kollektiven Rationalität nicht mehr auf Grundlage eines statischen, noch dazu auf „offenbarten Präferenzen“ basierenden Wohlfahrtskalküls (wie in der orthodoxen MV-Lehre) zu definieren, sondern sich der Sache evolutionsökonomisch nähern. Dazu bedürfte es eines evolutorischen Begriffs von „Wohlfahrt“, den wir Ökonomen leider noch nicht entwickelt haben (für die Leser: Gerhard Wegner, 1991, Wohlfahrtsaspekte evolutorischen Marktgeschehens, wäre ein Einstieg dazu).
Lieber Christian,
danke für Deine ausführliche Reaktion (gilt auch für die anderen). Ich glaube, dass die übliche Argumentationsweise der Verfassungsökonomik hier auf eine gewisse Grenze stößt. Wenn Individuen Regeln vereinbaren, haben sie zunächst von unterschiedlichen Interessen auszugehen. Hier kann (wie Buchanan zeigt) die Einnahme einer langfristigen Perspektive nützlich sein, um Interessengegensätze zu überbrücken (jeder kann von Regeln in unterschiedlichen Lebensumständen betroffen sein und würde dies einbeziehen, so die Überlegung). Zu einer Ausdehnung des Beurteilungshorizonts gibt es aber wenig Anlass, wenn alle Individuen gleichermaßen eine längerfristige Boomphase erleben. Auch wenn bei manchen Individuen der Zweifel nagen mag, ob der Boom dauerhaft ist und andere Regeln erforderlich wären (wie „bbb“ zu Recht bemerkt), stellt sich die Frage, ob daraus bereits ein hinreichend starkes Regelinteresse erwächst. Erst wenn eine Krisenerfahrung gemacht wurde, ändert sich die Interessenlage und damit auch die Nachfrage nach ökonomischer Beratung.
Deswegen sollten Ökonomen durchaus die Adäquanz von Regeln überprüfen und sich mit Vorschlägen für bessere Regeln des Finanzmarktsektors an die Öffentlichkeit wenden. Meine Überlegung bezieht sich darauf, dass sich die Adressaten gegenüber solchen Vorschlägen typischerweise ambivalent verhalten werden. Einerseits liegt es in ihrem Interesse, eine Krise zu vermeiden, aber solange sie nicht einschätzen können, ob es dazu kommen wird, bleibt ihr Interesse an einer Beendigung des Booms unterentwickelt. Allerdings besteht die Lehre der jetzigen Krise durchaus darin, den Betrachtungshorizont für die Regelbeurteilung auszudehnen. Ebenso wäre zu begrüßen, wenn die gegenwärtige Erfahrung möglichst lang im „kollektiven Gedächtnis“ gespeichert würde (man denke an die Hyperinflation, die für die deutsche Geldpolitik der Nachkriegszeit eine fortwährende Mahnung geblieben war).
Lieber Herr Wegner,
ich finde Ihren Artikel sehr interessant. Es ist wahr, dass der Begriff des Marktversagens in der Öffentlichkeit immer unschärfer wird – und ich fürchte, dass auch wir Journalisten dazu hin und wieder beigetragen haben.
Aber ich finde, was dieses Thema betrifft, viel interessanter, was während der Krise passiert ist als das, was sich vorher abspielte.
Es seien zwei Beispiele angeführt, von denen mich interessiert, ob Berufsökonomen hier von Marktversagen sprechen würden. Ich habe damals den Begriff für beide Phänomene benutzt, lasse mich aber gerne mit guten Argumenten vom Gegenteil überzeugen:
1. Wir haben mehrfach schwere Krisen am Geldmarkt erlebt. Normalerweise ist es so, dass Banken, die dort einen kurzfristigen Überschuss haben, diese Überschüsse kurzfristig zinstragend an Banken verleihen, die gerade ein Defizit haben. Die von der Zentralbank bereitgestellten Guthaben für das Bankensystem sind überlicherweise so dimensioniert, dass ein Marktausgleich stattfinden kann. Dieser Marktausgleich kam mehrfach nicht mehr als Folge einer tiefen Vertrauenskrise zustande: Die Überschussbanken haben den Defizitbanken kein Geld mehr ausgeliehen, weil sie deren Solidität nicht mehr einschätzen konnten. Unabhängig davon, ob hier Marktversagen in irgendeiner Definition vorliegt, handelt es sich wohl um eine „Fallacy of composition“, um ein Auseinanderfallen von individueller und kollektiver Rationalität. Jede Überschussbank handelte für sich völlig rational, indem sie anderen Banken kein Geld mehr lieh, deren Bonität sie in der Krise nicht mehr beurteilen konnten. Aber gerade dadurch, dass sie das nicht taten, gefährdeten sie den Zusammenbruch des gesamten Systems. Denn die Defizitbanken wären rasch zahlungsunfähig geworden, und zahlungsunfähige Banken sind tote Banken. Hier drohte das Systemrisiko. Daher haben die Zentralbanken eingegriffen und den Geldmarkt mit zussätzlichen Mitteln geflutet. Als das die Lage nicht dauerhaft entspannte, haben Regierungen de-facto-Garantien für systemrelevante Banken abgegeben. Seitdem hat sich die Lage etwas entspant, aber es hat Monate gedauert.
Das Prinzip ließ sich auch auf internationaler Ebene beobachten. Als amerikanische Banken, die wegen der Krise ihr Geld zusammenhalten wollten, nicht mehr wie üblich ausländischen Banken Dollarguthaben anboten, wurden zwischen den Zentralbanken Swapgeschäfte vereinbart. Die Fed lieh der EZB vorübergehend Dollar, die von der EZB dann an europäische Banken weitergegeben wurden, die amerikanische Währung brauchten.
Frage: War das ein Marktversagen am Geldmarkt, das die Zentralbanken und Regierungen zum Eingreifen veranlasste?
2. In der Krise sind mehrere Kapitalmärkte regelrecht zusammengebrochen; vor allem Märkte für forderungsbesicherte Wertpapiere, deren Bonität niemand mehr einschätzen konnte, aber auch der Pfandbriefmarkt hat zeitweise gelitten. Diese Märkte sind völlig privat organisiert dergestalt, dass dort große Banken als Marktmacher fungieren, die normalerweise immer marktnahe An- und Verkaufspreise stellen, um an der Marge zu verdienen. Während dieser Krise sind diese Marktmacher völlig abgetaucht, weil sie die Papiere nicht mehr bewerten konnten und, nicht zuletzt, weil sie Liquiditätsrisiken und Preisrisiken fürchteten. Sie hatten Angst, Papiere kaufen zu müssen, sie aber nicht mehr (zu einem halbwegs annehmbaren Preis) loszuwerden. Weil sich die Marktmacher zurückzogen, denen man ein besonders hohes Wissen unterstellt, traute sich keine andere Bank, mit ihrem geringeren Wissen als Marktmacher einzusteigen. Diese Märkte kommen langsam wieder in Gang, aber dies nicht zuletzt, weil die Aufsicht neue Bewertungsregeln gestattet hat, die den Banken eine Preisfindung erleichtert.
Frage: Marktversagen?
Zur Beratung durch den (Verfassungs-)Ökonomen im Boom eines: Da kann man nur (ausgerechnet ich, der ich kein Hayekianer bin) Hayek zitieren: Das ist eine Anmaßung von Wissen. Historisch hat nicht jeder Boom eine schwere Krise zur Folge gehabt, es gibt da keinerlei Gesetzmäßigkeiten, und es gilt immer noch der Satz: Eine Blase erkennt man erst dann, wenn sie platzt. Preisveränderungen lassen sich in einer unsicheren Welt nicht vorhersagen; dass findet man auch nicht nur bei Hayek, sondern auch bei Keynes und anderen.
Und man trickst diesen Zusammenhang auch nicht mit Blick auf Geldmengen- oder Kreditvoluminaveränderungen aus. Das ist eine Illusion der verbliebenen Österreicher und Monetaristen. Geldmengenpolitik war ein Konzept solange, wie es nur wenige Finanzaktiva gab und Finanzmärkte reguliert waren. An modernen deregulierten Finanzmärkten gibt es zu viele geldähnliche Substitute, so dass die Definition der relevanten Geldmenge allenfalls ex post möglich ist. Wir haben heute die Situation, dass die Zentralbankgeldmengen sehr stark gestiegen sind (man schaue sich nur die Bilanzentwicklung der Fed an), während M3 oder verwandte Konzepte nur langsam steigen. Was ist die relevante Geldmenge?
Paul Samuelson hatte seinem Freund Milton Friedman schon in den sechziger Jahren gesagt, dass dessen Konzeption nicht funktionieren werde, weil man gerade damals angefangen hatte, Finanzmärkte zu liberalisieren. Friedman hat das damals für Unsinn gehalten, viel später hat er eingeräumt, dass er schiefgelegen hatte. Das müssen wir doch nicht mehr wiederholen, oder?
Zum Abschluss eine Frage an all diejenigen, die als Folge von Vermögenspreisänderungen geldpolitisch aktiv werden wollen, wenn, wie wir es in den letzten Jahren hatten, das Güterpreisniveau kaum gestiegen ist. Ein früheres Führungsmitglied der EZB hat mir einmal gesagt: „Nehmen wir eine Situation an, in der die Inflationsrate niedrig ist, die Aktienkurse aber übertrieben stark gestiegen sind. Nun beschließen wir deswegen eine Leitzinserhöhung. Nehmen wir an, dass darufhin die Aktienkurse einbrechen, was nicht unmöglich ist. Danach bekomme ich mindestens 100.000 Briefe empörter Aktionäre, die mich fragen, welche Autorität ich besitze, sie um ihr Vermögen zu bringen. Und ich bekomme mindestens 1.000 Briefe von Unternehmen, die mich fragen, warum ich ihre Finanzierungsbedingungen verschlechtere, obwohl die Inflationsraten völlig in Ordnung sind.“
Praktische Frage: Wer verfasst Musterbriefe für die Aktionäre und Unternehmen?
Theoretiker haben es einfach…
Drei Anmerkungen:
– zum Marktversagen: asymmetrische Information verhindert die Realisierung von Tauschgewinnen, bis im Extremfall der Markt kollabiert. Aus lehrbuchökonomischer Sicht liegt hier in beiden geschilderten Fällen Marktversagen vor. Gibt’s u.U. auch bei Gebrauchtwagen. Interessant wäre nun zu fragen, inwiefern die „systemischen“ Effekte speziell auf Finanzmärkten die Analyse verkomplizieren.
– zum „anmaßenden“ Verfassungs- (oder „Berufs-„)Ökonomen: Mit Hayeks „pretence of knowledge“ sollte man vorsichtig umgehen. Was er meinte (nachzulesen etwa in der Nobelpreisrede), ist der Anspruch, nach wohlfahrtsökonomischer Manier „exakte“ Allokationsergebnisse, Preisveränderungen u.ä. vorherzusagen oder perfekte „Gesamtordnungen“ am Reißbrett zu entwerfen. Um beides geht es ja hier nicht. Natürlich liegt keine Anmaßung vor, wenn der Verfassungsökonom zu einem negativen Urteil kommt in der Frage, ob z.B. die Spielregeln der Finanzaufsicht noch Schritt halten mit den Neuerungsaktivitäten der Marktteilnehmer. Bereits im Boom ist ja einigen Praktikern aufgefallen, daß in dieser Hinsicht ein Problem vorlag. Ich muß keine Blase erkennen können, um die Tragfähigkeit solcher Regeln beurteilen zu können.
– zum jammernden Zentralbanker: Warum ist die Unabhängigkeit der Zentralbank in der Eurozone institutionell abgesichert, und warum kann man sagen, daß das „konsensfähig“ ist?
Lieber Herr Schubert,
1. Danke für die Information zum Marktversagen. Ich sehe mich einmal bestätigt (keine Selbstverständlichkeit für einen Journalisten in der Krise..)
2. In der Beurteilung Hayeks sind wir einig.
3. Zu den Zentralbanken: Institutionelle Unabhängigkeit heißt nicht, dass man komplett in einer eigenen Welt lebt, Zentralbanker leben in der realen Welt. Nach meiner Bebachtung ist von den großen Zentralbanken heute nur noch die EZB unabhängig, und das sicher auch (aber nicht nur), weil es keine europäische Regierung gibt. Die Fed und die Bank of England sind längst Symbiosen mit ihren Regierungen eingegangen, vermutlich, weil sie ein gemeinsames nationales Interesse sehen und nicht als „Vaterlandsverräter“ da stehen wollen, wenn sie sich in einer tiefen Krise gegen die Regierungen stellen. Menschen interagieren und keine Zentralbank guckt vom Olymp oder dem Mont Pèlerin auf die Menschheit herab.
Zur Krise und den Regulierungen nur eine Anmerkung: Die Komplexität des Finanzsystems ist allen Beteiligten und Beobachtern über den Kopf gewachsen. Zum Schluss hat niemand mehr verstanden, was da alles los war. Meines Erachtens wird in der Krisenerklärung völlig unterschätzt, dass das Wachstum und der Komplexitätsgrad des Finanzsystems nicht zuletzt Folge eines Technologieschocks waren: Ohne moderne IT hätte sich die Branche niemals so entwickeln können, wie sie es tat. Nicht zuletzt damit konnten die Regulierer nicht mithalten.
Ein Beispiel: Eine große Investmentbank musste einmal ihre Großrechner ein ganzes Wochenende lang laufen lassen, um die Ertrags-/Risikostruktur eines komplizierten Finanzprodukts zu checken, das ein mathematisch begabter „wizard“ an seinem PC entwickelt hatte. Hier sind Produkte entstanden, die keine Aufsichtsbehörde und kein Ökonom mehr genau verstanden hatte.
Dann hat natürlich auch der liberale Geist der Epoche zusammen mit dem extremen Lobbying der Wall Street und der Londoner City verhindert, dass man genau hinschaute. Deutschland und Frankreich wollten schon vor der Krise einen Blick auf Hedge-Fonds werfen, Großbritannien und die USA nicht. Begründung: Die Banken wissen schon, wem sie Kredite geben. Das wussten die Banken allerdings in vielen Fällen nicht, aber das mussten wir auch erst lernen. Alan Greenspan hatte 2003 die Credit Default Swaps als Marktinnovation gefeiert, die man nicht regulieren dürfe. 2008 klang er ganz anders. Vieles lernt man erst in der Krise und nicht vorher.
Sehr geehrter Herr Braunberger, sie schrieben
„Zur Krise und den Regulierungen nur eine Anmerkung: Die Komplexität des Finanzsystems ist allen Beteiligten und Beobachtern über den Kopf gewachsen. Zum Schluss hat niemand mehr verstanden, was da alles los war. Meines Erachtens wird in der Krisenerklärung völlig unterschätzt, dass das Wachstum und der Komplexitätsgrad des Finanzsystems nicht zuletzt Folge eines Technologieschocks waren: Ohne moderne IT hätte sich die Branche niemals so entwickeln können, wie sie es tat. Nicht zuletzt damit konnten die Regulierer nicht mithalten.“
Das ist nicht korrekt. Wenn alle mitgemacht hätten, hätten Sie recht, aber genügend Leute haben eben nicht mitgemacht und eben die müssen/sollen für die Fehler der anderen einstehen. Und ob mit oder ohne IT spielt keine Rolle, es gilt wie immer „garbage-in, garbage-out“. Ob man das in 1 Hunderstel Sekunder oder einen Tag herausfindet ist egal. Wenn man aber den Zahlen unbesehen glaubt, dann kann ich nur sagen. „Pech gehabt“ oder korrekter „selber schuld“
Ihr Schuldzuweisung an die IT weist auf einen interessanten Bereich den ich während meiner Studienzeit erleben musste. Es ging dabei um die Bewertung von Optionen mitels B&S und alles was man dor macht war Mathematik. Mir war damals völlig unklar wie man dich da so drauf versteifen kann. Es war offensichtlich diese Leute hatten niemals selber in diesem Markt gehandelt und so war es vielleich auch in anderen Bereichen. Theorie wurde höher bewertet als Praxis und jetzt suchen die Theoretiker nicht die Schuld bei Ihren Annahmen sondern den Werkzeugen. Das ist eine ziemlich „armselige Einstellung“
Was Sie überhaupt nicht beleuchten ist, wie die Katastrophe durch billige Kredite erst richtig aufgeblasen wurde. Und auch da spielt es die IT keine Rolle. Alleine das Geldwachstum hätte alle Alarmglocken schrillen lassen müssen. Aber das wurde ja einfach als „unwichtig“ abgetan. Ich denke das Grundübel ist einfach zu „billiges“ Geld. Und das haben die Österreicher schon vor 70 Jahren korrekt erkannt….
Solange wir Bürokraten und/oder Politikern die „Verfügungsgewalt“ über unser Wertaufbewahrungs/Tauschmittel lassen, müssen solche Dinge passieren.
Ich glaube mit der Unabhängigkeit der Zentralbank haben wir eine bessere Entscheidung getroffen als die Amerikaner mit Ihrer Fed und die Briten mit Ihrer Zentralbank. Wir müssen den Einfluß der Politker weiter minimiren und wir müssen von der Zentralbank fordern Geld knapp zu halten. Und das geht nur mit geeigneten Sanktionen gegen Haushaltsvergehen wie sie derzeit speziell auch in Deutschland begangen werden.
Das der Staat überhaupt nicht mit Geld umgehen kann, zeigt nur eine Zahl 1,6 Billionen Schulden, auch hier müssen wir den Politikern klare Grenzen setzen, was wir derzeit in unserem Grundgesetz haben ist an wachsweichheit nicht zu übertreffen….
Ich schrieb schon am Anfang des Jahres wo werden denn die zu erwartenden Steuerausfälle abgefangen. Die Antwort ist wie immer überhaupt nicht, es wird getan als ob es ein Zufall wäre. Wie entschuldigung „blöd“ muß man denn dazu sein?
http://fdominicus.blogspot.com/2009/01/empfehlungen-fr-finanzen.htm
Im Endeffekt läuft es genau auf das heraus was die Österreicher und auch die Ordoliberalen immer schrieben, nicht tragfähige Kreditexpansion.
Solange das Kind nicht beim Namen genannt wird, werden alle anderen die „Schuld tragen müssen“. Derzeit sind es die Manager in GB die Manager und Unterhausabgeordneten, morgen werden es die Aliens sein und dann haben wir ja noch die üblichen Verdächtigen wie Kapitalisten
Über die Fässer ohne Boden wie TARP und FmStg etc habe ich mich seit mehr als einem Jahr ebenfalls ausgelassen. Es ist alles so offensichtlich, daß es einen beißt, aber offenbar ist es völlig undurchsichtig für unsere derzeit Gewählten.
Der Markt versagt definitv nicht, es sind all diejenigen die Ihm im Weg stehen…..
Speziell während der Korrektur einer mindestens 10 jährigen Fehlallokation.
Sehr geehrter Herrr Braunberger, ich habe offensichtlich einen Ihrer Kommentare überlesen. Dort schreiben Sie über die Schuld der Zentralbanken. Ihren Argumenten kann ich überhaupt nicht folgen. Und wo man daraus eine „versagen der Österreicher“ erkennen kann, ist mir völlig schleierhaft. Wenn die Banken nicht mehr verleihen könnten als Ihre Einlagen und eventuelle Kundengelder, kann eine solche Blase einfach nicht entstehen. Wir haben hier ein fundamentales Problem mit dem Möglichkeit weitaus mehr zu verleihen als man hat. Es ist so offensichtlich, daß ich nicht vestehen kann wie man da zu einem anderen Schluß kommen kann.
Mit freundlichen Grüssen
Lieber Herr Braunberger,
die Zurückhaltung der Banken, sich gegenseitig Geld zu leihen und damit das gesamte System zum Kollabieren zu bringen, beschreibt in der Tat einen Grenzfall. Wenn man sich an die Theorie hält, liegt kein Marktversagen vor, obwohl das Gesamtergebnis kollektiv unerwünscht ist. Hier liegt ein Fall (übertrieben) negativer Erwartungen vor, wie ihn bereits Keynes beschrieben hatte. Wenn sich die Konsumenten – individuell rational – zurückhalten und damit eine Einkommenskontraktion auslösen, ist dies sicherlich eine nicht intendierte und unerwünschte Nebenfolge. Eine kollektive Handlung ist aber nicht zwingend erforderlich, um diesen Zustand zu überwinden, wie das im Fall der Übernutzung knapper Umweltgüter der Fall ist. Hier bedarf es zwingend einer kollektiven Handlung. Keynes hat übrigens – wie häufig übersehen wird – die Rolle des Staates weniger darin gesehen, die Staatsquote dauerhaft in Höhe zu treiben, sondern vielmehr darin, eine negative Erwartungsbildung zu durchbrechen. Wenn dies mit einem Nachfrageimpuls gelungen ist, sollte er sich aus dem Marktgeschehen wieder zurück ziehen (polit-ökonomische Argumente sprechen dagegen, dass eine solche Politik durchgehalten werden kann, wie auch zu keynesianischen Politik noch vieles andere zu sagen wäre). Der von Ihnen beschriebene Fall ist strukturell übrigens ähnlich jenen Beispielen, die Thomas Schelling in „Micromotives and Macrobehavior“ beschrieben hat.
Christian, dass sich mit geeigneten Regeländerungen unerwünschte Handlungen beschränken lassen, ist ja richtig. Meine Frage lautet: wer ist der (kollektive) Autor solcher Regeländerungen, und welche Interessen verfolgt er. Aus diesen Interessen heraus bestimmt sich erst die Nachfrage nach ordnungspolitischem Wissen, das die Ökonomen bereitstellen können. Demokratische (Ordnungs-) politik bedarf in irgendeiner Weise der Stützung durch individuelle Interessen. Individuen aber befinden sich in einer Doppelrolle als Marktteilnehmer und als politisch Handelnde (Stimmbürger, Teilnehmer öffentlicher Willensbildungsprozesse). Hier stellt sich die Frage, wie die Bürger überhaupt ein ordnungspolitisches Interesse an Regeländerungen entwickeln können, solange sie von Marktlagen individuell profitieren. Ohne kollektive Lernprozesse, die das Handlungsinteresse zu einem Verfassungsinteresse transformieren, fehlt es der Ordnungspolitik an einem Akteur – solange bleibt sie zahnlos.
Lieber Gerhard,
Was Keynes betrifft, stimme ich Dir zu (zu den übertrieben negativen Erwartungen hat übrigens Pigou in seinen „Industrial Fluctuations“ noch etwas tiefer geschürft). Beim „Marktversagen“ hingegen sehe ich ein Problem asymmetrischer Information. Die Banken mißtrauen wechselseitig ihrer Qualität, und zwar weil die Systembedingungen sich geändert haben. Warum liegt hier, wie Du schreibst, „kein Marktversagen“ vor?
Was schließlich die Nachfrage nach ordnungspolitischen Ratschlägen betrifft: Im Grunde verengt sich durch die von Dir beschriebene Problematik das Zeitfenster, die Spielregeln zu verbessern. Diese Aufgabe sollte man mithin *jetzt* angehen, solange der Bedarf an einer Regeländerung allgemein anerkannt wird und bevor sich eine neue Blase vergleichbarer Art entwickeln kann. Blasen grundsätzlich verhindern kann man natürlich nicht.
Lieber Christian,
ich bezog mich auf den von Gerald Braunberger beschriebenen Fall, der ja von negativen Erwartungen ausgeht. Asymmetrische Information rubriziert sicherlich unter Marktversagen (wobei man näher fragen muß, ob man Banken eine Risikoenschätzung zutrauen darf, weil dies ihr Kerngeschäft ist; der Fall liegt sicherlich etwas anders als bei dem eines Konsumenten, der sich eine Waschmaschine kauft und keine Informationen zur technischen Sicherheit besitzt).
In Deinem letzen Punkt stimme ich Dir voll zu.
Lieber Herr Wegner, lieber Herr Schubert,
normalerweise darf man Banken zutrauen, andere Banken halbwegs einschätzen zu können. Zum einen treibt man Konkurrenzbeobachtung und dann gibt es ja noch die Ratingagenturen, denen man lange blind vertraut hatte.
Das Problem in der Krise begann schon damit, dass viele Banken erhebliche Schwierigkeiten besaßen, überhaupt ihre eigenen Risiken einzuschätzen, weil viele Risikosteuerungsmodelle nicht mehr funktioniert hatten. Dokumentiert ist der Fall, dass der damalige Finanzvorstand der Citigroup überhaupt nicht wusste, was die Bank alles für Papiere besaß. Hinzu kam auch – man glaubt es im Nachhinein nicht – dass im Ausland auch sehr große Banken gar keinen Risikovorstand hatten; sondern der Verantwortliche für das Risikomanagement saß auf einer nachgeordneten Ebene, was garantierte, dass ihn der Vorstand nicht ernst nahm.
Und dann wusste man wirklich nicht, wieviele „toxische Assets“ andere Banken in ihren Büchern hatten, für die es zumindest zum Teil keine Märkte und keine vernünftigen Bewertungsansätze mehr gab. Hinzu kam die Unsicherheit über das Verhalten der Ratingagenturen, die daran gingen, ohne Vorwarnung die Bonität mancher Papiere deutlich herabzusetzen. Aufgrund der Eigenkapitalregeln, die wir haben, konnte das dazu führen, dass eine Bank vielleicht nicht mehr genug Eigenkapital besaß, wenn die Agenturen Papiere deutlich herabstuften.
Für mich als Journalist mit gut 20 Jahren im Geschäft war es jedenfalls eine völlig neue Erfahrung, nervöse und verunsicherte Banker zu treffen. Normalerweise treten Banker ganz anders auf.
Stimme Ihnen zu, das Risikomanagement hat offenbar häufig versagt. Wenn wir über „Marktversagen“ auf den Finanzmärkten reden, kommen wir um die diversen „Lemons“-Probleme nicht herum. Das betrifft ja nicht nur die Vertrauenskrise zwischen den Banken am Geldmarkt, sondern auch den Handel von komplexen hypothekengesicherten Wertpapieren, nachdem man weder der eigenen Kompetenz zur Risikoeinschätzung noch den Rating-Agenturen (und deren marktendogen bereitgestellter Bewältigung des Lemons-Problems) mehr trauen konnte.
Das allgemeinere Problem negativer Erwartungen sollte man m.E. davon analytisch trennen. Erst in Verbindung mit den zunehmend komplexen Produktinnovationen an den Finanzmärkten führten sie zu den o.g. Lemons-Problemen. „Animal Spirits“-induzierte Wellen von Pessimismus und Optimismus können tatsächlich zu einer Art „Marktversagen“ führen, die komplexerer Natur ist. Darauf haben zuletzt z.B. Akerlof/Shiller in ihrem gleichnamigen Buch hingewiesen, mit recht interventionsfreudigen Schlußfolgerungen, die man natürlich nicht teilen muß.