Der Wohlstand und die Wohlfahrt der Bürger sind die Prüfsteine für die wirtschaftlichen Aktivitäten der privaten Haushalte, der Unternehmen und des Staates. Was unter Wohlstand und Wohlfahrt zu verstehen ist, ist gar nicht so leicht zu ergründen. Der Deutsche Bundestag hat dazu sogar eine Enquete-Kommission eingesetzt. Weitgehend geteilt wird die Ansicht, dass es beim Wohlstand vor allem um den materiellen Lebensstandard geht, also um die Verfügbarkeit über Waren und Dienstleistungen. Die Wohlfahrt umfasst neben dem Wohlstand auch immaterielle Gegebenheiten wie Zufriedenheit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Unstrittig ist, dass Arbeitsplätze, die damit verbundenen Einkommen und schließlich der Konsum der privaten Haushalte zu den wichtigsten Komponenten von Wohlstand und Wohlfahrt gehören.
Beim Blick auf die vergangenen, wirtschaftlich sehr bewegungsfreudigen Jahre stellt sich somit auch die Frage, wie sich eigentlich die Beschäftigungsmöglichkeiten und der Konsum in Deutschland entwickelt haben. Waren die Arbeitnehmer und die Konsumenten hierzulande die Verlierer der Krise? Eine kurze Bestandsaufnahme zur makroökonomischen Entwicklung soll dies Stück für Stück durchleuchten (Tabelle).
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Ein Blick auf das Bruttoinlandsprodukt veranschaulicht das konjunkturelle Auf und Ab. Mit dem Ausbruch der ersten Finanzmarktkrise im Sommer 2007 fing alles an. Verwerfungen am US-Immobilienmarkt sorgten für Probleme im Bankensektor. Das konnte zwar die deutsche Wirtschaft noch nicht sofort aus der Bahn werfen – im dritten Quartal 2008 lag das preisbereinigte BIP noch um einen halben Prozentpunkt über dem entsprechenden Vorjahreswert. Dann ging es aber im Winterhalbjahr 2008/2009 im Gefolge der wachsenden Finanzmarktprobleme und deren Durchwirken auf die internationale Geschäftstätigkeit rasant bergab. Das deutsche BIP brach um rund 5 Prozent ein. Die Jahre 2010 und 2011 waren dann von einer stetigen Erholung geprägt. Im dritten Quartal 2011 lag das reale BIP wieder über den entsprechenden Werten von 2007 und 2008. Die Krise war ausgebügelt – und zwar früher, als es die meisten Wirtschaftsforscher im Krisenjahr 2009 erwarteten. Noch deutlicher als beim BIP – der gesamtwirtschaftlichen Produktionsleistung – war das Auf und Ab bei den realen Exporten und Investitionen zu beobachten. Die realen Exporte brachen in der hier gewählten Zeitabgrenzung im Jahr 2009 um 13,7 Prozent, die preisbereinigten Ausrüstungsinvestitionen sogar um über 24 Prozent ein. Während die Exporte zuletzt wieder deutlich über dem Vorkrisenniveau lagen, waren die Krisenschäden beim Blick auf die Investitionstätigkeit im dritten Quartal 2011 noch immer nicht ausgeräumt.
Gemessen an diesen heftigen Bewegungen von BIP, Exporten und Investitionen blieb die Beschäftigung davon hierzulande unbeeindruckt. Im dritten Quartal des Krisenjahres 2009 wurde lediglich ein Minus in Höhe von 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemessen. Nimmt man das Gesamtjahr 2009 in den Blick, dann stieg die Anzahl der Arbeitnehmer sogar ganz leicht um 0,1 Prozent oder um 28.000 Personen gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2008 an. Der Rückgriff auf die zuvor in den Boomjahren aufgebauten Arbeitszeitkonten sowie die Anwendung von Kurzarbeit haben dieses deutsche „Beschäftigungswunder“ in der Krise ermöglicht. Die Krise ging nicht zulasten von Arbeitsplätzen. Darüber hinaus kam der Beschäftigungsmotor hierzulande nach dieser Krise wieder kräftig in Fahrt. Nimmt man das dritte Quartal 2008 als Referenzpunkt, dann hat sich seitdem die Beschäftigung sogar besser entwickelt als die gesamtwirtschaftliche Produktion.
Damit kamen auch die Arbeitnehmerentgelte mehr oder weniger ungeschoren durch die Krisenzeit. Im dritten Quartal 2009 lagen sie zwar leicht um 0,3 Prozent unter dem Wert des entsprechenden Vorjahres, aber immerhin noch um 3,4 Prozent über dem Wert des dritten Quartals 2007. Freilich muss dabei berücksichtigt werden, dass es sich hierbei um nominale Einkommensgrößen handelt. Aber selbst wenn man den Anstieg der Konsumpreise berücksichtigt, kam es nicht zu einem Rückgang. Auch bei den Arbeitnehmerentgelten setzte nach dem Abklingen der 2009er-Krise eine markante Aufwärtsbewegung ein. Auf nominaler Ebene konnte im Zeitraum drittes Quartal 2008 bis drittes Quartal 2011 ein Plus in Höhe von 6,8 Prozent, in preisbereinigter Rechnung von immerhin 3 Prozent verzeichnet werden. Dagegen kamen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen zum einen während der Krise erheblich stärker unter Druck. Sie lagen im dritten Quartal 2009 um über 10 Prozent unter dem Vorjahreswert. Zum anderen konnte bis zum dritten Quartal 2011 noch immer nicht das Niveau des dritten Quartals 2008, geschweige denn das vom dritten Quartal 2007 erreicht werden. Letzteres wurde im dritten Quartal 2011 noch um 4,8 Prozent verfehlt. Bei den Arbeitnehmerentgelten schlug dagegen gleichzeitig ein Plus von fast 11 Prozent zu Buche.
Vor dem Hintergrund der Entwicklung am Arbeitsmarkt und bei den Arbeitseinkommen ergibt sich auch bei den insgesamt Verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Deutschland ein positiver Befund. Aufgrund der rückläufigen Vermögenseinkommen lagen diese zwar im dritten Quartal 2009 um 1,4 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreswert. Seitdem zeigt sich aber auch hier eine stramme Aufwärtstendenz. Auf Basis nominaler Werte ergibt sich für den Zeitraum drittes Quartal 2008 bis drittes Quartal 2011 ein Plus in Höhe von fast 5 Prozent, in realer Rechnung ein Plus in Höhe von 1,2 Prozent.
Und nicht zuletzt fällt die Konsumbilanz in Deutschland – angesichts der starken weltwirtschaftlichen Verwerfungen im Gefolge der globalen Finanzmarktkrise – freundlich aus. Auch hier zeigte sich anhand der nominalen Konsumausgaben keine Belastung der Konsumenten – selbst im Krisenjahr 2009. Nimmt man die Preissteigerungen mit ins Kalkül, dann ergab sich beim Vergleich drittes Quartal 2009 mit dem gleichen Vorjahresquartal ein bescheidenes Minus von 0,5 Prozent. Seit dem Krisenjahr 2009 kam der Konsum hierzulande jedenfalls kräftig in Fahrt. Lässt man die Konsumausgaben der privaten Haushalte als Maß für den materiellen Wohlstand gelten, dann stieg dieser seitdem um fast 7 Prozent an – unter Abzug der teilweise kräftigen Teuerung ergibt sich immer noch ein Plus von 1,7 Prozent. Ein Blick in die Preisstatistik zeigt dazu, dass sich der Kaufkraftverlust in erster Linie aus den weit überdurchschnittlich angestiegenen Energiekosten ergab.
Die Wohlstands- und Wohlfahrtsbilanz in Deutschland wurde natürlich auch in Deutschland durch die globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise getrübt. Es kann dazu nur spekuliert werden, was sich denn ohne die Krise an Beschäftigungs-, Einkommens- und Konsumzuwächsen ergeben hätte. Gleichwohl steht aber fest, dass die Arbeitnehmer und die Konsumenten insgesamt nicht die Verlierer dieser Krise waren. Das sind wichtige Leitlinien der nun anstehenden Tarifverhandlungen.
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