Deutschland hat bis Ende Juni die Ratspräsidentschaft in der EU übernommen. Bundeskanzlerin Merkel will einen neuen Anlauf nehmen, um den von den Franzosen und Holländern abgelehnten Verfassungsentwurf wieder zu beleben. Man sollte ihr davon abraten, denn dieser Verfassungsentwurf ist zu bürgerfern, zu intransparent und zu zentralistisch. Die EU braucht eine Verfassung vor allem, um die Rechte der Bürger vor einem allzu mächtigen Zentralstaat zu schützen. Aber dieser Verfassungsentwurf erfüllt diesen Zweck nicht, denn er schreibt eine Entwicklungslinie der EU fort, vor der man warnen muß: die Kompetenzübertragung immer neuer Politikfelder von den Mitgliedstaaten auf die EU. In Brüssel werden schon über 80 % aller Gesetzesregelungen gemacht, die die Länder dann umzusetzen haben. Immer mehr Gemeinschaftszuständigkeiten sind in der Sozial-, Struktur-, Umwelt-, Beschäftigungs-, Gesundheits-, Industrie-, Technologie-, Ve rkehrs-, Forschungs- und Bildungspolitik auf die EU übergegangen, obwohl es sich hier gar nicht um öffentliche Güter für die gesamte EU handelt, sondern nur für einzelne Länder oder auch Regionen. Diese Zentralisierungstendenz hat ihren Weg vor allem durch die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza gefunden und soll nun auch in der neuen Verfassung weitergegangen werden. Die EU-Politiker sprechen von „Vertiefung“ der EU und meinen Zentralisierung der EU.
Gleichzeitig wird die EU um immer neue Mitglieder erweitert, wobei nicht erkennbar ist, welche ökonomischen, politischen, juristischen, kulturellen oder geographischen Grenzen für das zukünftige Europa gezogen werden sollen. Erweiterung bei gleichzeitiger Vertiefung der EU? Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Warum nicht? „Soll die EU erweitert und gleichzeitig vertieft werden?“ weiterlesen