Das Kasino ist wieder eröffnet! Getrieben von historisch niedrigen Zinsen in den großen Kapitalmärkten rollen die Carry Trades in alle Winkel der Welt. Die Preise ostasiatischer Immobilien, arabischen Öls, der Währungen von aufstrebenden Volkswirtschaften sowie die Kurse multinationaler Unternehmen schießen nach oben. Die Erwartungen sind selbsterfüllend: Wenn eine ausreichende Anzahl an Investoren an die Spekulationsgewinne glaubt, reicht bei flexiblen Wechselkursen schon die Aufwertung der Ziellandswährung aus, um fürstliche Renditen sicher zu stellen.
Obwohl seit der letzten Megakrise die Sensibilität hinsichtlich der Gefahren von Finanzmarktblasen gestiegen ist, bleiben die Zentralbanken der Ursprungsländer der Carry Trades gelassen. Denn Blasen jenseits des eigenen Währungsgebiets liegen immer noch außerhalb ihrer Zielfunktionen. So lange die inländische wirtschaftliche Genesung nicht an Triebkraft gewonnen hat, bleibt der Raum für geldpolitische Straffung beschränkt. Barry Eichengreen hat die Situation mit Blick auf historisch niedrige US-Zinsen und auflebende Spekulation in China wie folgt beschrieben: Wenn es im rechten Bein schmerze (Blasen in China), sei die Amputation des linken Beins (Zinserhöhungen in den USA) die falsche Therapie. In den USA und Japan werden deshalb mittel- bzw. langfristig die Zinsen nahe Null verbleiben.
Allein die Europäische Zentralbank (EZB) rüstet sich für den geordneten Rückzug. Unkonventionelle und unorthodoxe Maßnahmen werden zurückgefahren und die lang geschmähte monetäre Säule rückt zurück ins geldpolitische Rampenlicht. Es stabilisieren sich die Erwartungen, dass unter den großen Zentralbanken (EZB, Federal Reserve, Bank of Japan, Bank of England) die EZB als erste und entschlossenste diesen Schritt gehen wird. Der Grund liegt im institutionellen Rahmen, der der supranationalen Zentralbank einen hohen Grad an Unabhängigkeit gibt. Hingegen verschwimmen in den USA die institutionellen Grenzen zwischen Zentralbank, Regierung, Finanzmärkten und Wissenschaft. In Japan ist die Zentralbank seit langem de facto zur Außenstelle der Regierung degradiert.
Doch der europäische Rückzug aus der überlockeren Geldpolitik – auch Phasing Out genannt –Â ist gefährdet, wenn die großen Partner zurückbleiben. Hebt die EZB die Zinsen, während diese in den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich äußerst niedrig bleiben, öffnen sich die Tore für Spekulationsfluten. Der Exit würde aus zwei Gründen erschwert. Erstens würde die resultierende Aufwertung des Euro den Export treffen, und der politische Druck auf die Zentralbank aus einer steigenden Anzahl von Mitgliedsstaaten hinsichtlich einer Zinssenkung steigen. Zweitens würde neue Liquidität von außen einsickern und den Rückzug zur Sisyphos-Aufgabe machen. Dieser Prozess würde nochmals verstärkt, wenn sich – wie nicht selten an den Devisenmärkten – die Aufwertungserwartungen verstetigen und ein globaler Run in den Euro entstehen würden.
Deshalb gilt es über ein Instrumentarium nachzudenken, das den geldpolitischen Exit sicherstellt. Eine Steuer auf Kapitalzuflüsse als Schutzschirm gegen globale Überschussliquidität könnte aus vier Gründen eine verführerische Lösung sein. Erstens würde es eine Steuer auf Kapitalzuflüsse der EZB vereinfachen, die Erwartungen hinsichtlich eines Zinsanstiegs zu stabilisieren. Dem Finanz- und Unternehmenssektor würde frühzeitig signalisiert, dass die Investitionsentscheidungen anzupassen sind. Der Unternehmenssektor wäre gezwungen, Investitionsprojekte mit höherer Rendite anzustoßen. Der Finanzsektor würde nur Projekte mit höherer Grenzleistungsfähigkeit finanzieren (statt spekulativen). Die Wachstumsperspektiven würden sich trotz steigender Zinsen aufhellen.
Zweitens würde die anstehende finanzpolitische Konsolidierung erleichtert. Die Mittel für die dringende Reduzierung der Staatsverschuldung müssten nicht aus der Besteuerung von Konsum oder Arbeit gesammelt werden, sondern könnten aus den spekulativen Kapitalzuflüssen generiert werden. Die Kapitalverkehrssteuererträge würden nach einem vorbestimmten Schlüssel auf alle Mitgliedsstaaten verteilt. Bei sinkender Staatsverschuldung in Europa würde auch die Glaubwürdigkeit der EZB gestärkt.
Drittens, eine Flucht des Kapitals aus der Stabilitätssicherheitszone wäre nicht zu erwarten, da Länder mit niedriger Inflation und hoher Finanzmarktstabilität als sicherer Hafen gelten. Euroländer mit Finanzierungsbedarf für Leistungsbilanzdefizite könnten diese innerhalb der Eurozone decken, da die Leistungs- und Kapitalbilanz der gesamten Eurozone weiterhin im Wesentlichen ausgeglichen ist. Kapitalzuflüsse, die der Finanzierung des Außenhandels dienen, könnten von der Besteuerung ausgenommen werden.
Viertens, je größer die Stabilitätssicherheitszone, desto geringer wäre der Schmerz der Euroaufwertung und desto geringer die Gefahr, die von spekulativen Kapitalzuflüssen ausgeht. Deshalb könnte die Zone nach dem Vorbild des Schengen-Abkommens durch bilaterale Verträge erweitert werden. Die beitretenden Staaten müssten zwei Bedingungen erfüllen: Zum einem müssten an der nach außen verschobenen Kapitalverkehrsgrenze entsprechende Steuern erhoben werden. Zum anderen müssten die Beitrittsstaaten dem geldpolitischen Kurs der Europäischen Zentralbank folgen, um erneute Carry Trades innerhalb der Zone einzudämmen. Die sukzessive Erweiterung der Zone käme dem Export makroökonomischer Stabilität durch die Eurozone gleich.
Steigender Druck zur globalen makroökonomischen Stabilisierung, der von der Stabilitätssicherheitszone ausgehen könnte, wäre wünschenswert. Dennoch ist eine Stabilitätssicherheitszone Euroland aus mindestens drei Gründen keine Lösung aus ordnungspolitischer Sicht. Erstens stößt sie an praktische und institutionelle Grenzen. Die Besteuerung der Kapitalzuflüsse wird, auch wenn Sie zunächst wirksam ist, mit der Zeit umgangen werden, was Kontrollen und neue Schranken nötig macht. Interventionsspiralen wären die Folge. Institutionell wären Kapitalverkehrsbeschränkungen innerhalb der Europäischen Union – zum Beispiel zwischen dem Vereinigten Königreich und der Eurozone – nicht mit dem europäischen Vertragswerk vereinbar.
Zweitens würde in die internationale und innereuropäische Faktorallokation eingegriffen. Dem Versagen der internationalen Geld- und Finanzpolitik bei der langfristigen Stabilisierung von Güter- und Finanzmärkten würde die Fragmentierung der internationalen Kapitalmärkte folgen. Drittens käme die Lösung einem Free Riding des Staates gleich, der die notwendige Konsolidierung nicht durch eine Straffung der Staatsausgaben, sondern durch neue Steuern und Interventionen erreichen könnte.
Der Königsweg zu stabilen Preisen und stabilen Kapitalmärkten liegt deshalb in einem baldigen geordneten und international koordinierten Rückzug aller großen Länder aus der übermäßig lockeren Geldpolitik. Ob dieser realistisch ist, ist aber derzeit fraglich.
Hallo,
Carsten Hefeker hat in der von der ZBW herausgegeben Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ ein Kommentar zu „Europas Dilemma“ in Bezug auf Griechenlands drohende Staatsinsolvenz geschrieben. Zum gleichen Thema gibt es auch eine kurze Litertaturliste unter http://wiwi-werkbank.de/2010/01/griechenland-konnen-staaten-insolvent-werden/