Vor kurzem gab es fast gleichzeitig zwei unscheinbare Nachrichten, die sich nahtlos an die allgemeine Wahrnehmung des Versagens staatlicher Akteure angesichts der Krisen der jüngeren Vergangenheit anschließen. Sie zeigen auch auf, wie gering in Deutschland die Eigeninitiative und der Erfolg privater Akteure geschätzt wird, selbst wenn sich daraus positive Konsequenzen für andere ergeben.
Gastbeitrag
Subsidiarität, Solidarität und Souveränität
Wie geht es weiter mit der europäischen Integration?
„Auch der Grundsatz, die vier Freiheiten als ein zusammengehöriges Ganzes und nicht als Steinbruch je nach politischen Vorlieben zu betrachten, hat nichts von seiner Gültigkeit verloren.“ (Eric Gujer)
In der EU geht die Angst um, die Angst vor dem Populismus. Mit dem Ausgang der Wahlen in den Niederlanden erhielt die EU zwar eine Atempause, mehr aber auch nicht. Keines der drängenden ökonomischen, sozialen und politischen Probleme ist abgeräumt. Es ist ein Markenzeichen der EU, dass sie seit langem meist nur an Symptomen kuriert. Oft maskiert sie mit (deutschem) Geld temporär die Ursachen. Selbst wenn die französischen Präsidentschaftswahlen „gut“ ausgehen, sind die Probleme, mit denen die EU konfrontiert ist, noch lange nicht ausgestanden. Es führt kein Weg daran vorbei, die EU muss sich erneuern, an Haupt und Gliedern. Das hat auch die EU-Kommission erkannt. Mit dem Weißbuch (hier) hat sie eine reichlich diffuse Plattform für die überfällige Diskussion installiert. Es sind vor allem drei Herausforderungen, mit denen die EU fertig werden muss: Das wirtschaftliche Problem anämischen Wachstums und persistent hoher Arbeitslosigkeit, das soziale Problem unterschiedlicher nationaler Gesellschaftsmodelle und das politische Problem des Umgangs mit nationaler Souveränität.
Das Multi-Kulti-Dilemma
Entsolidarisieren Flüchtlinge?
“You can have open borders or you can have the welfare state, but you cannot have both.“ (Milton Friedman)
Flüchtlinge strömen weiter nach Europa. Die Chancen, schnell beschäftigt zu werden, sind für die meisten überschaubar. Den europäischen Sozialstaaten droht finanzielles Ungemach. Viele Hilfesuchende werden ihnen zur Last fallen. Mangelnde Qualifikation, inflexible Arbeitsmärkte und soziale Anreize sind die wichtigsten Treiber. Sie tragen dazu bei, dass Flüchtlinge weniger in Lohn und Brot, sondern vielmehr in die Sozialstaaten einwandern. Steigende finanzielle Soziallasten sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Das wird zu einem Lackmus-Test für die europäische „Solidarität“ zwischen (hier), vor allem aber in den Ländern der EU. Ein Verteilungskampf zwischen Einheimischen und Flüchtlingen liegt in der Luft. Jeder „soziale“ Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Der schwedische Ökonom Assar Lindbeck hat den europäischen Sozialstaat einst als einen „Triumph westlicher Zivilisation“ bezeichnet. Die spannende Frage ist, was wird nach dem Verteilungskampf davon noch übrig sein.
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Subsidiarität bricht Solidarität
1. Der Kernbestand der Theorie optimaler Größe von Staaten, von Integrationsräumen, von Jurisdiktionen besteht aus dem trade-off zwischen den positiven Wohlstandseffekten großer Staaten aufgrund zunehmender Skalenerträge bei der Produktion öffentlicher Güter einerseits und den Kosten der Heterogenität, die bei unterschiedlichen Präferenzen der Bewohner bezüglich dieser Güter entstehen, andererseits. Skalenerträge durch Staatengröße mit entsprechend großer Population entstehen unter der Annahme, dass die Kosten der Produktion öffentlicher Güter pro Kopf der Bevölkerung niedriger sind als die Pro-Kopf-Kosten in kleineren Staaten. Und was die Heterogenitätskosten angeht, so entstehen diese, weil ein gegebenes Bündel an öffentlichen Gütern bei (zunehmend) unterschiedlichen Bürgerpräferenzen (zunehmend) nicht von allen Bewohnern als nutzenstiftend akzeptiert wird, bei ihnen also ein Befriedigungsdefizit erzeugt. Daraus folgt, dass ein solcher trade-off nicht existiert, wenn die Präferenzen der Bewohner eines Landes vollständig homogen sind. Das ist natürlich völlig unrealistisch. Aber man kann wohl sagen, dass im Allgemeinen die Bürgerpräferenzen in einem Land umso unterschiedlicher sind, je größer das Land ist, und entsprechend umso homogener, je kleiner das Land ist. Daraus folgt, dass für große Länder die Heterogenitätskosten gesenkt werden können, wenn das Bündel an öffentlichen Gütern differenzierter ausfällt als für kleine Länder. Die Senkung der Heterogenitätskosten impliziert mithin den Ruf nach mehr Subsidiarität in der Politikgestaltung, weil sich Subsidiarität näher an den unterschiedlichen Bürgerpräferenzen orientiert. Hätten alle Menschen auf der Welt dieselben Präferenzen in Bezug auf staatlicherseits bereitgestellte öffentliche Güter, dann wäre die Welt als Ganzes der optimale Integrationsraum. Die Erweiterung eines Integrationsraumes ist also hinsichtlich der öffentlichen Güter immer dann von Vorteil, wenn die hinzukommenden Bewohner dieselben Präferenzen haben wie die Bewohner des aufnehmenden Integrationsraumes, wenn also der Homogenitätsgrad der Bürgerpräferenzen erweiterungsbedingt nicht abnimmt. Das ist aber zumeist nicht der Fall.
Maastricht, Dublin und Schengen
Es gilt das gebrochene Wort
„Nimm das Recht weg – was ist dann der Staat noch anderes als eine große Räuberbande.“ (Augustinus)
Für Europa war 2015 ein annus horribiles. Es steckt tief in der Krise, ökonomisch und politisch. In der ersten Hälfte des Jahres beherrschte die Euro-Krise die Szene. Alexis Tsipras und Konsorten wollten Europa aufmischen und auf einen neuen Kurs bringen. Es kam anders. Sie kamen, sahen und verloren. Trotz hektischer flickschusternder Aktivitäten der Politik ist die EWU aber noch lange nicht über den Berg. Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahres hat die Flüchtlingskrise die ganze EU fest im Griff. Die Politik reagiert hilflos. „Schengen“ ist gescheitert. Ein überzeugender Plan, die Krise einzudämmen, existiert bisher nicht. Von der Vision eines geeinten Europas in Frieden, Freiheit, Vielfalt und Wohlstand ist wenig geblieben. Die wirtschaftliche Integration ist in der Sackgasse. Europa ist ökonomisch tief gespalten. Offene Märkte stehen zur Disposition. Der Binnenmarkt, das Herzstück der europäischen Integration, zerfällt. Auch von einer Politischen Union ist kaum noch die Rede. Allenfalls fünf der Realität entrückte Präsidenten europäischer Institutionen fabulieren darüber. Die meisten Mitgliedsländer präferieren einen anderen Weg. Sie wollen, wie etwa Großbritannien, mehr nationale Eigenständigkeit in einem offenen Europa.
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Die Werte der Wirtschaft (5)
Mitverantwortung – Warum verhalten wir uns solidarisch im öffentlichen Raum?
Unsere freiheitliche marktwirtschaftliche Ordnung lebt davon, dass Menschen verantwortlich für sich selbst handeln (siehe auch: Die Werte der Wirtschaft (4)), aber auch Mitverantwortung für andere Menschen und für die Gesellschaft übernehmen. Gerade in einer freien Marktwirtschaft ist es ein zentrales Gebot, auch im öffentlichen Raum anderen zu helfen, Solidarität zu zeigen mit jenen, die sich nicht selbst helfen können. Personen, die in einer Marktwirtschaft selbst ihre Existenzgrundlage nicht sicherstellen können, benötigen diese Hilfe. Zwar kann ein funktionierendes Gemeinwesen diese Hilfeleistungen teilweise übernehmen, doch ist dafür erst ein willentlicher Akt der Solidarität erforderlich, um solche Hilfeleistungen in ausreichender Weise und Höhe auf der Ebene des Gemeinwesens zu verankern. Versagt das Gemeinwesen bei der Hilfestellung, ist wiederum der Einzelne gefordert, Mitverantwortung zu übernehmen.
Verrutschte Maßstäbe und beschädigte Anker
Langzeitschäden der Rettungspakete
I.
Bei der Finanz- und Staatsschuldenkrise im Euro-Raum geht es um mehr als die in Fässern ohne Boden verschwindenden Rettungsgelder– wobei diese Fässer für sich genommen schon problematisch genug sind. Die Finanz- und Staatsschuldenkrise verursacht darüber hinaus gesellschaftliche Langzeitschäden, die mit aus den Fugen geratenen Wertmaßstäben zu tun haben. Ursächlich dafür sind die Rettungsprogramme, die selbst aus den Fugen geratenen sind. Und ursächlich ist nicht zuletzt die Art und Weise, wie die Politiker der Bevölkerung gegenüber die „Alternativlosigkeit“ dieser Programme kommunizieren.
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Fiskalpolitik zwischen Solidität und Hoffnungslosigkeit
Die zentralen Fragen, die der jüngste Fiskalpakt beantworten müsste, lauten:
- Wie kann man Politiker daran hindern, ihr Land in so große Schulden zu stürzen, dass der Schuldendienst nicht mehr tragbar sein wird?
- Wie kann man die Gläubiger davon überzeugen, dass die Politiker wirksam daran gehindert sind, ihr Land in so große Schulden zu stürzen, dass der Schuldendienst nicht mehr tragbar sein wird?
Diese beiden Fragen gehören zusammen, denn wenn die Gläubiger erst einmal davon überzeugt sind, dass der Schuldendienst nicht mehr tragbar ist, dann wird ihr Verhalten dazu führen, dass er tatsächlich nicht mehr tragbar sein wird. Denn dann werden sie ihr Geld zurückziehen, und sie werden die Wertpapiere der Schuldnerstaaten verkaufen, was deren Kurse abstürzen und damit die Wertpapierrenditen in die Höhe schießen lässt. Bei der nächsten fälligen Refinanzierung der Staatsschuld wird der Finanzminister dann Zinsen bieten müssen, die den in die Höhe geschossenen Wertpapierrenditen entsprechen. Ist der Staat damit überfordert, dann ist die Tragbarkeitsgrenze überschritten, der Staat ist pleite.
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Rettungsschirm Griechenland Teil II: Solidarität mit wem eigentlich?
In diesen Tagen gibt es die Solidarischen und die Unsolidarischen. Die ersteren sind für den Griechenland-Rettungsschirm II, die letzteren dagegen. Weiter gilt: Wer dagegen ist, ist ein schlechter Europäer, und wer ein schlechter Europäer ist, der fischt, wie es im Berliner Wahlkampf hieß, im trüben Gewässer der Rechtspopulisten. Aber mit wem sind wir eigentlich genau solidarisch, wenn wir dem Griechenland-Rettungsschirm Teil II zustimmen? Mit Griechenland? Dieses Land wird im laufenden Jahr voraussichtlich eine Schrumpfung von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen müssen. Bei aller Kritik an den kriminellen Machenschaften derjenigen, die den griechischen Bürgern diese Suppe eingebrockt haben, und bei aller zweifellos richtigen Forderung an Griechenland, eine grundlegende Wende in der Finanzpolitik hinzulegen, mit allem, was dazu gehört: Dieses Land ist einfach zahlungsunfähig, und jeder weiß es. Es kann diese Schuld nicht bedienen, und es wird sie auch künftig nicht bedienen können. Es scheint merkwürdig: Die bisher geübte „Solidarität“ hat nicht dazu geführt, dass man uns in Griechenland als Retter willkommen heißt. Sie hat vielmehr dazu geführt, dass man uns zu hassen beginnt, dass man uns einen kalten Eroberungskrieg unterstellt, nachdem die heißen Kriege des 20. Jahrhunderts erfolglos geblieben sind. Hilft es uns jetzt, dass wir trotzig zurückbellen, ob der großen Undankbarkeit und der Tatsache, dass die Griechen partout unsere Solidarität nicht verstehen wollen?
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