Rettungsschirm Griechenland Teil II: Solidarität mit wem eigentlich?

In diesen Tagen gibt es die Solidarischen und die Unsolidarischen. Die ersteren sind für den Griechenland-Rettungsschirm II, die letzteren dagegen. Weiter gilt: Wer dagegen ist, ist ein schlechter Europäer, und wer ein schlechter Europäer ist, der fischt, wie es im Berliner Wahlkampf hieß, im trüben Gewässer der Rechtspopulisten. Aber mit wem sind wir eigentlich genau solidarisch, wenn wir dem Griechenland-Rettungsschirm Teil II zustimmen? Mit Griechenland? Dieses Land wird im laufenden Jahr voraussichtlich eine Schrumpfung von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen müssen. Bei aller Kritik an den kriminellen Machenschaften derjenigen, die den griechischen Bürgern diese Suppe eingebrockt haben, und bei aller zweifellos richtigen Forderung an Griechenland, eine grundlegende Wende in der Finanzpolitik hinzulegen, mit allem, was dazu gehört: Dieses Land ist einfach zahlungsunfähig, und jeder weiß es. Es kann diese Schuld nicht bedienen, und es wird sie auch künftig nicht bedienen können. Es scheint merkwürdig: Die bisher geübte „Solidarität“ hat nicht dazu geführt, dass man uns in Griechenland als Retter willkommen heißt. Sie hat vielmehr dazu geführt, dass man uns zu hassen beginnt, dass man uns einen kalten Eroberungskrieg unterstellt, nachdem die heißen Kriege des 20. Jahrhunderts erfolglos geblieben sind. Hilft es uns jetzt, dass wir trotzig zurückbellen, ob der großen Undankbarkeit und der Tatsache, dass die Griechen partout unsere Solidarität nicht verstehen wollen?

Sehen wir uns noch einmal kurz die Fakten an. Griechenland hat rund 350 Mrd. € Schulden, das sind ziemlich genau 150 Prozent des BIP. Durch den ersten Rettungsschirm wurden davon 110 Mrd. € abgesichert. Dafür werden die beteiligten Staaten geradestehen müssen. Nun steht in diesen Tagen der zweite Rettungsschirm mit einem Volumen von weiteren 109 Mrd. € an. Wenn das besiegelt ist, dann sind knapp 63 Prozent der griechischen Staatsschuld durch Eurostaaten und den IWF abgesichert, und es verbleiben 131 Mrd. €, die (noch) nicht abgesichert sind.

Nehmen wir nun einmal gegen jede Erwartung an, die Politik würde sich gegen den zweiten Rettungsschirm entscheiden, stattdessen die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands eingestehen und sich darum bemühen, ein geordnetes Insolvenzverfahren in die Wege zu leiten. Würde dann die Welt untergehen? Ganz sicher nicht. Für die nicht über den ersten Rettungsschirm abgesicherte Schuld, das sind rund 240 Mrd. €, ist zunächst Folgendes festzuhalten: Der Kurswert der entsprechenden Anleihen schwankt zwischen 30 und 50 Prozent des Nominalwertes, das entspricht ca. 70 bis 120 Mrd. €. Daher könnte man so vorgehen: Der EFSF tauscht alle in den 240 Mrd. € enthaltenen griechischen Anleihen gegen erstklassige Wertpapiere des EFSF mit einem Nominalwert von 50 Prozent des Nominalwertes der Originalpapiere, also 120 Mrd. €. Die Eigner dieser Papiere – vornehmlich Banken und Versicherungen – würden dadurch einen Buchverlust von 120 Mrd. € hinnehmen müssen, gegenüber dem aktuellen Börsenwert im Durchschnitt aber sogar noch gut dastehen.
Der EFSF würde den Wert der hereingenommenen griechischen Anleihen vollständig abschreiben, damit ebenfalls einen Buchverlust von 120 Mrd. € hinnehmen, so dass Griechenland auf diese Weise um 240 Mrd. € entschuldet würde. Dann verbliebe dort noch eine Schuld in Höhe von 110 Mrd. € oder 51 Prozent des BIP. Das sind genau jene 110 Mrd. €, die durch den ersten Rettungsschirm abgesichert sind. Das sollte Griechenland für einen Neuanfang reichen.

Gegen eine Teil-Entschuldung Griechenlands wird immer wieder ins Feld geführt, dass die griechischen Geschäftsbanken sich danach nicht mehr refinanzieren könnten, weil sie dann über keine oder zu wenige zentralbankfähige Wertpapiere mehr verfügten, die sie bei der EZB hinterlegen können. Darauf, dass sie damit in den Strudel gerissen würden, baut eine ganze Reihe der üblichen Weltuntergangsszenarien auf. Aber das muss nicht so sein: In unserem Szenario halten sie nach dem Schuldenschnitt nämlich entweder solche Wertpapiere, die über den ersten Rettungsfonds abgesichert und damit fast so sicher wie deutsche Staatsanleihen sind, oder sie halten erstklassige Wertpapiere des EFSF, für die dasselbe gilt. (Es möge nach allem, was wir in den letzten beiden Jahren erlebt haben, bitte niemand erklären, dass die damit verbundenen Prozeduren aus rechtlichen Gründen unmöglich seien). Richtig ist hingegen, dass der Finanzsektor insgesamt 120 Mrd. € abschreiben müsste, und dazu gehört auch die EZB. Allerdings handelt es sich dabei um einen Buchverlust, der erstens längst eingepreist ist und von dem zweitens niemand ernsthaft behaupten kann, dass er von den Kapitalmärkten nicht zu verarbeiten sei.

Ein weiterer Einwand ist, dass sich Griechenland nach diesem Zahlungsausfall am Kapitalmarkt nicht mehr finanzieren könne, was aber unbestreitbar nötig ist. Denn schließlich verbleiben noch 110 Mrd. € griechischer Staatsschuld, von der laufend etwas fällig wird und über neue Wertpapiere prolongiert werden muss. Aber auch das Problem ist lösbar. So könnte man Griechenland weitere Anleihen über den EFSF zusagen, und zwar strikt in der Höhe, die nötig ist, um mit den restlichen Steuereinnahmen und Staatsausgaben einen Primärüberschuss zu erwirtschaften, der langfristig tragfähig ist. Eine Regel könnte beispielsweise sein, dass Griechenland für maximal fünf Jahre Anleihen von ein bis zwei Prozent des BIP über den EFSF oder auch den IWF aufnehmen darf; das sind anfänglich etwa 2,5 bis 4,5 Mrd. €. Ein solcher Prozentsatz ist bei einer noch verbleibenden Staatsschuld von 51 Prozent bereits überaus großzügig und wurde nur gewählt, um zu zeigen, dass erheblicher Spielraum für eine finanzpolitische Nachhaltigkeit entstehen wird, ohne dass dies Griechenland knebeln würde. Höchstwahrscheinlich könnte man deutlich darunter bleiben. Wollte Griechenland dann gegen jede Vernunft verstoßen und doch darüber hinaus gehende Staatsschuld aufnehmen, so müsste es dies über die Platzierung neuer Anlagen am freien Kapitalmarkt finanzieren. Dazu müsste es aber zunächst seine Bonität wiedererlangen, was fürs erste schlicht nicht möglich sein wird, und daher wäre gesichert, dass Griechenland nicht gleich wieder mit neuen Schulden durchstartet. Aber geknebelt wäre Griechenland dann ganz gewiss auch nicht mehr, sondern im Gegenteil befreit von einer Last, ohne die es dann eine Chance hätte, wirtschaftlich wieder aufzusteigen. Das wäre Solidarität, richtig verstanden.

Kommen wir schließlich zu einem wirklichen Problem: Wie machen wir deutlich, dass die Entschuldung Griechenlands eine einmalige Sondermaßnahme ist und bleibt? Hierzu ist zunächst festzuhalten: Griechenland ist nicht Irland und nicht Spanien. Diese Länder sind durch die Finanzmarktkrise und die spanische Immobilienblase in finanzielle Probleme geraten. Weder sind sie auf eine Entschuldung angewiesen, noch würde dies dort irgendjemand anstreben, auch nicht angesichts der Tatsache, dass der oben beschriebene Weg der Insolvenz für Griechenland nicht unattraktiv ist und Nachahmer auf den Plan rufen könnte. Aber für diese Länder überwiegen die Nachteile deutlich die Vorteile. Dann verbleiben Portugal und Italien. Aber auch diese Länder stehen anders da als Griechenland. Deshalb wird man ihnen und vor allem den Kapitalgebern klar machen können, dass die Entschuldung Griechenlands eine einmalige Sache ist und bleiben wird. Aber man wird dies auch deutlich machen müssen.

Ein Schuldenschnitt ist also weder ökonomischer Selbstmord, wie fortwährend behauptet wird, noch ist er ein antieuropäischer Akt fehlender Solidarität mit Griechenland oder gar ein Rückzug in den Nationalismus. Es wäre im Gegenteil ganz zweifellos eine Verbindung ökonomischer Vernunft mit einem – noch dazu recht großzügigen – Akt europäischer Solidarität. Tatsache ist nämlich, dass die europäischen Staaten auf dem Verlust derjenigen 120 Mrd. € sitzen bleiben würden, für die sie neue EFSF Wertpariere gegen griechische Anleihen tauscht. Andererseits gilt aber auch: Gegeben, dass wir bereits 110 Mrd. € Bürgschaften vergeben haben, dass wir außerdem gerade dabei sind, weitere 109 Mrd. € zu verbürgen, und dass kein Ökonom ernsthaft glaubt, dass wir unterhalb der dann insgesamt abgesicherten 229 Mrd. € davonkommen, wären die 120 Mrd. € höchstwahrscheinlich das kleinere Übel. Deutschland würde von diesen 120 Mrd. € nach der Logik des ersten Rettungsschirmes 20 Prozent oder 24 Mrd. € übernehmen müssen. Hinzu käme eventuell der deutsche Anteil an einem Kapitalnachschuss für die EZB, die bekanntlich ebenfalls griechische Papiere hält und einen Teil davon wird abschreiben müssen. Das beschränkt sich aber in jedem Falle auf fünf bis zehn Mrd. €, so dass wir insgesamt mit einer Hausnummer von 30 Mrd. € rechnen müssen. Der deutsche Staatsschuldenstand beträgt augenblicklich etwa 2080 Mrd. € und würde damit auf rund 2110 Mrd. € steigen. Das macht einen Zuwachs unserer Staatsschuld von 1,4 Prozent aus. So ärgerlich die ganze Sache auch ist, so sind doch zwei Dinge klar: Erstens sind diese Probleme ohnehin da und wir legen sie damit nur offen; wir werden damit also in jedem Falle belastet. Zweitens wird diese Zusatzbelastung unsere Finanzen gewiss nicht ruinieren.

Wie immer man zu den veränderten Spielregeln der Europäischen Währungsunion steht und wie beklagenswert und demokratietheoretisch höchst problematisch man die Abkehr vom Selbsthaftungsprinzip der Mitgliedsstaaten (die berühmte „No-bail-out-Klausel“ des Art. 125 AEUV) auch findet: Wir können die eingegangenen Bürgschaften nicht mehr rückgängig machen, ohne rechtsverbindliche vertragliche Verpflichtungen und damit geltendes Recht zu brechen. Aber worauf sich die Politiker mit diesem Spiel eingelassen haben, ist folgenschwer. Sie wissen, dass sie „den Finanzmärkten“ zwar kurzfristig weitere Zahlungsversprechungen geben können. Aber von dort wird mit jeder neuen Krisenwelle immer vehementer und fast verzweifelter gefordert, die Politik möge endlich über ihre kurzfristigen Zahlungsversprechungen hinaus eine „klare Ansage“ darüber machen, wie es weitergehen wird. Nur: Welche klare Ansage will man dort eigentlich hören? Es kann eigentlich nur eines gemeint sein: Dass die Politik nämlich ein langfristiges und möglichst unbegrenztes Zahlungsversprechen abgibt und den Finanzmarktakteuren damit alle jene Risiken abnimmt, die ihnen gerade über den Kopf wachsen. Natürlich wissen alle Finanzmarktakteure, dass auch die Politik selbst damit am Ende überfordert wäre und eine solche „klare Ansage“ gar nicht glaubwürdig machen kann. Mehr noch: Die Politiker selbst wissen dies auch, oder sie ahnen es zumindest, und dies erklärt den aggressiven Ton gegenüber allen, die die Alternativlosigkeit der laufend größer werdenden Rettungsschirme bezweifeln.

Jedem kundigen Finanzmarktbeobachter muss aber die Logik der laufend wachsenden Rettungsschirme bekannt vorkommen: Mit jeder Aufstockung ist zunächst einmal eine Ruhephase möglich, aber mit jeder Aufstockung wächst die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze am Ende auch durch die Politik nicht mehr finanzierbar sein wird. Deshalb werden die Ruhephasen immer kürzer, die Beruhigung nach weiteren Zusagen immer fragwürdiger. Irgendwann wird es dann zur Gewissheit oder doch zumindest hinreichend wahrscheinlich, dass die Sache nicht mehr finanzierbar sein wird, und wenn diese Gewissheit groß genug ist, dann wird keine Zusage mehr helfen können, weil ihr jede Glaubwürdigkeit fehlen wird. Daher sollte heute schon klar sein: Die Rettungsschirme haben den Charakter einer Finanzmarktblase. Platzt diese aber, dann sind unsere Finanzen ruiniert. Deshalb dürfen wir sie nicht weiter wachsen lassen, sondern wir müssen handeln, und zwar so: Das, was nicht mehr zu retten ist, muss abgeschrieben werden, und dabei handelt es sich um einen großen Teil der griechischen Staatsschuld. Von dort aus aber muss klar sein: Der Rest ist privat finanzierbar, und er wird privat finanziert werden müssen. Darin liegt die Chance zur Durchbrechung der fatalen Blasenlogik: Hat die Politik die geordnete Insolvenz Griechenlands nämlich erst einmal abgewickelt, dann kann sie wieder eine „klare Ansage“ an die Finanzmärkte machen, und das ist in der Tat dringend nötig. Nur wird es eine Ansage sein, die nicht jedem dort gleichermaßen gefallen wird. Dafür ist es aber eine marktwirtschaftliche Ansage, die da lautet, dass Handlung und Haftung ab dann wieder zusammen gehören, auch und gerade im Finanzsektor.

Leider wird man das alles nicht mehr machen können, wenn der zweite Rettungsschirm unter Dach und Fach ist. Denn dann sind „nur“ noch 131 Mrd. € der griechischen Staatsschuld ungesichert. Wollte man dann den Finanzsektor mit einem Buchverlust von 120 Mrd. € beteiligen, wie es jetzt noch möglich ist, so hätte das konfiskatorische Wirkung. Ein Schuldenschnitt, an dem der Finanzsektor irgendeinen relevanten Anteil tragen müsste, wäre dann unmöglich, und man müsste beim irgendwann ohnehin fälligen Zahlungsausfall Griechenlands im Wesentlichen allein über die dann verbürgten 219 Mrd. € der beiden griechische Rettungsschirme gehen – also über den Steuerzahler. Nun sollte so langsam klar werden, mit wem wir eigentlich solidarisch sind, wenn wir auf einen Schuldenschnitt Griechenlands verzichten und stattdessen den zweiten Schirm aufspannen. Und nun sollte auch klar werden, wer ein Interesse daran hat, alle jene in die braune Suppe zu schupsen, die gegen den zweiten Rettungsschirm aufbegehren und es nicht sonderlich sinnvoll finden, ein bankrottes Land weiterhin auszuquetschen wie eine ohnehin ausgetrocknete Zitrone. Dass sich allerdings auch linksliberale und damit traditionell finanzmarktkritische Politiker und Journalisten in einer solchen Weise vor den Karren der Finanzmarktinteressen spannen lassen, das verstehe, wer will. Die Menschen in Griechenland scheinen hingegen verstanden zu haben, mit wem wir hier solidarisch sind, und deshalb brauchen wir von dort auch keine Dankbarkeit zu erwarten.

Thomas Apolte
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6 Antworten auf „Rettungsschirm Griechenland Teil II: Solidarität mit wem eigentlich?“

  1. Ja, Revolution, Revoluton. Aber wo da anfangen. Es kann halt nicht jeder mit einem Jet durch die Welt surfen. Ich wiederhole das schon oftmals gesagte: wir sind alle doooooooomed. Die Politiker zerstören den Preismechanismus und schliessen immer mehr Zeitfenster zur Restrukturierung. Bis am Ende alles so dermaßen verbaut und unflexibel ist bis keiner mehr aus dem Haus geht. Wir deindustrialisieren uns und gehen Jahrhunderte zurück. Aber wahrscheinlich ist das auch nur eine Reaktion auf unseren allgemeinen Verfall und hat nichts mit Finanz- und Wirtschaftspoltik zu tun. Was soll man da noch machen.

  2. @Arne Krueger.
    Das mit dem Preis ist genau mit das Problem, und was man machen kann. Nun innerhalb der Euro Zone dürfte es problematisch werden. Aber noch gibt es keine Kapitalexportbeschränkungen. Wäre es da nicht logisch eben Kapital zu exportieren?

    Die Griechen sind ja einigen Meldungen nach Bulgarien ausgewichen….

  3. Pingback: buzz
  4. was bitte schön hat das noch mit Solidarität zu tun.
    Ich halte das ganze für einen Riesen Mist was unsere Politiker hier veranstalten.
    Es ist noch nie gut gegangen, Schulden mit Schulden zu begleichen. Das bekommt man sogar alls kleiner Bürger von Schuldenberatern zu hören. Soll Griechenland doch Pleite gehen und die alte Währung wieder einführen. Oft ist eine Pleite die beste Grundlage für einen Wiederanfang.
    Schließlich hat sich Griechenland ja nur durch Lug und Betrug in die Gemeinschaftswährung geschmugelt und wir sollen Sie jetzt dafür noch belohnen? Und dürfen uns zum Dank auch noch als Nazischweine usw betiteln lassen. Ich finde da sollte das Deutsche Volk mal mit den Worten „Wir sind das Volk“ aufstehn. In der Schule wurde und doch gelehrt, dass die Politiker die Interessen des Volkes vertreten Ich frage mich nur wo?????

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