Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sehnsucht der Politiker nach höheren Steuern schlicht unstillbar ist. Nachdem sich im Zuge der Koalititonsverhandlungen letztlich eine Art Steuermoratorium ergeben hatte, drängen in den letzten Monaten immer wieder neue Vorschläge in die Öffentlichkeit, die durchaus Veränderungen thematisieren. Dass dabei auch die Reduzierung der kalten Progression – ein Dauerbrenner der steuerpolitischen Diskussion – wieder angeführt wird, sollte nicht den Blick für die unveränderte Tendenz einer Erhöhung des Steuersubstrats trüben.
Die jüngste Initiative stammt aus den Reihen von DGB und SPD: Schafft die Abgeltungsteuer ab und besteuert Kapitaleinkünfte (wieder) wie Arbeitseinkommen. Proklamierte Ursache dieses Schwenks ist nach offizieller Lesart die verbesserte internationale Transparenz hinsichtlich flüchtigem Kapital – Uli Hoeneß lässt grüßen. SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider sagte dem „Spiegel“: „Wenn die Schlupflöcher wegfallen, muss auch die Gerechtigkeitslücke geschlossen werden.“
Das Kondensat dieser Vorstöße lautet also: Besteht keine Abwanderungsgefahr, dann bedeutet die Abschaffung der Abgeltungsteuer mehr und gerechtere Steuern. Nicht zum ersten Mal ist eine solche einfache Botschaft indessen multipel falsch:
- Eine Abwanderungsgefahr besteht immer, wenn andere Länder eine günstigere Besteuerung bieten – sei es, dass man über legale Konstruktionen eine Besteuerung im Inland vermeidet (was sich insbesondere für besonders Reiche auszahlen wird), sei es, dass der Steuerpflichtige selbst seinen Wohnsitz in diese Länder verlegt.
- Auch wenn Peer Steinbrück bei der Einführung der Abgeltungsteuer erklärt hatte, 25 Prozent von x seien besser als 45 Prozent von nix, ist die Einführung einer von der „normalen“ Einkommensteuer unterschiedlichen Besteuerung natürlich nicht nur der beschworenen Abwanderung von Steuersubstrat geschuldet. Man betrachte dazu einfach einmal andere Länder, in denen eine unterschiedliche Besteuerung von Kapital- und Arbeitseinkommen schon länger gilt.
- Vielmehr ist die unterschiedliche Ermittlung der Bemessungsgrundlage bei Kapital- und Arbeitseinkommen ein ebenso wichtiger wie gern übersehener Aspekt, was bereits Gegenstand eines weiteren Beitrags in diesem Blog war, vgl. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=10900. Wenn nun Kapitaleinkommen bei der Bemessungsgrundlage systematisch benachteiligt werden, ist es gerade aus Gerechtigkeitsgründen geboten, über den Steuersatz einen gegenläufigen Effekt zu bewirken.
- Letztlich ist nicht einmal sicher, ob die Reintegration der Kapitaleinkünfte in die Einkommensteuer zu mehr Steueraufkommen führen würde.
- Bei Nutzung der Abgeltungsteuer ist der Abzug von Werbungskosten nicht möglich. Depotentgelte, Fremdkapitalzinsen, Fachliteratur etc. bleiben außen vor, was bei einer normalen Einkommensbesteuerung kaum vorstellbar ist.
- Die steuerliche Vorbelastung auf Unternehmensebene muss im Rahmen einer Neuregelung berücksichtigt werden. Sowohl das Anrechnungs- als auch das Halbeinkünfteverfahren als Vorgänger der Abgeltungsteuer bei Eigenkapitalerträgen haben diesem Aspekt auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen. Private Aktionäre würden eine Rückkehr zu den damaligen Regeln regelmäßig begrüßen, während die Inhaber von Fremdkapitaltiteln tendenziell schlechter abschnitten. Steigt der Kapitalmarktzins nicht deutlich von seinem aktuellen Niveau, ist bei Letzeren indessen ohnehin nicht viel zu holen. Außerdem ist der Staat selbst der größte Schuldner und würde eine stärkere Besteuerung zumindest teilweise in Form dann noch stärker steigender Zinsen wieder kompensieren müssen.
Auch wenn man die etwaigen Änderungen der Kapitaleinkomensbesteuerung natürlich noch nicht kennt, sind also weder mehr noch gerechtere Steuern zu erwarten. Allenfalls bei Eigenkapitalerträgen könnte die unbillige Erhöhung der Steuerlast, die über die Gesamtheit der mit der Abgeltungsteuer eingeführten Regelungen einherging, abgebaut werden. Bei so megakompetenten Äußerungen wie bisher ist indessen nicht einmal dies zu erwarten. Im Zweifel wird es auch hier zu einer weiteren Verschlechterung kommen, wenn tatsächlich der dritte steuerliche Systemwechsel innerhalb vergleichsweise weniger Jahre stattfinden sollte.
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Eine Rückkehr zu den damaligen Regeln würde ich auch begrüßen, nicht nur als Aktionär.
Aber an die Wiedereinführung einer Spekulationsfrist wird dabei ja wohl nicht im Geringsten gedacht.
Eine neugestaltete Kapitalertragssteuer sollte insbesondere den Wertverlust durch die Inflation nicht mehr besteuern. Dann kann der Steuersatz auch höher sein als jetzt.
Das hätte auch den sozialen Aspekt, daß höhere Erträge stärker besteuert werden.
In der Tat muss man befürchten, dass bei einer Neuregelung aus allen Bereichen die jeweils schlechtesten Komponenten zusammengefügt werden – Humor ist, wenn man trotzdem lacht!