Am aktuellen Rand
Erbschaftsteuerdiskussion, die Wievielte?

Aktuell ist – wieder einmal – eine Diskussion um die Erbschaftssteuer entbrannt. Anstatt die bekannten Parolen in diesem Bereich zu wiederholen, sollte man an ein anderes Medium denken, wenn eine stärkere Beteiligung der „Reichen“ an den abzusehenden Reformlasten beabsichtigt ist.

Sie ist wieder da, die Diskussion um die Erbschaftssteuer – sofern sie denn je weg war! Es ist eher ein unregelmäßiges Aufflammen des Themas, wenn Politiker und in ihrem Fahrwasser Journalisten mehr oder weniger lautstark nach einem höheren Abschöpfungsvolumen für den Fiskus rufen oder dagegen protestieren. Auch die Wissenschaft wird dabei einbezogen bzw. meldet sich selbst zu Wort. Wer dies nicht glaubt, möge einfach „Erbschaftsteuer“ in das Suchfeld dieses Blogs eingeben! Insgesamt ist die nicht nur dort ablesbare Entwicklung praktisch immer anlassgetrieben, denn die Argumente sind bekannt und werden verwendet oder unterdrückt, je nachdem, wie sie sich in die eigene Position fügen. Je nach Medium und Verfasser ist dabei eine enorme Streuung zwischen argumentativer Logik und zeitgeistkonformer Sprechblasenakrobatik auszumachen und leider dominieren in der Politik zumeist die Sprechblasen die Argumente.

So ist es natürlich auch diesmal. In der großen Koalition will die SPD einen Beitrag der „Reichen“ sehen, bevor sie auch nur zu einer homöopathischen Reform der Sozialversicherungssysteme bereit ist. Die Union will nicht noch ein Wahlversprechen brechen und sieht sich angesichts der Haltung ihres Koalitionspartners zwischen Skylla und Charybdis: Keine Steuererhöhungen oder kein Herbst der Reformen? Zwischen Beschwörungen von Verteilungsgerechtigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit gehen die eigentlichen Probleme der Erbschaftsteuer völlig unter:

Nun ja, wird jetzt mancher Leser sagen, so laufen halt Steuerdebatten in Poltik und Medien. Mag sein, aber können wir  uns hier ein „Business as usual“ weiterhin leisten? Ein solches Business sieht üblicherweise so aus, dass über viele Parameter des Gebens und Nehmens ein Kompromiss erzielt wird. Wie geht das aber hier, wenn beide Seiten vollständig antagonistische Positionen vertreten und niemand bereit ist, sich der beschriebenen inhaltlichen Probleme anzunehmen?

Vielleicht hilft ja ein Blick auf eine andere nicht abgeschlossene Diskussion. Seit Jahren wird um den Solidaritätszuschlag gerungen. Die zwischenzeitlich gefundene Teilauflösung wirkt für den gesundem Menschenverstand schwer nachvollziehbar. Ist der Anlass des Zuschlags, also die Folgen der Wiedervereinigung, nach dreieinhallb Jahrzehnten weggefallen, muss der Soli verschwinden. Demgegenüber ist die aktuelle Festlegung nur eine implizite Korrektur der Tariffunktion. Wenn man diese will, sollte man die Tariffunktion direkt reformieren. Eine solche Reform ist ja ebenfalls schon lange angedacht, aber nie verwirklicht worden, obwohl man damit auch andere Ziele wie etwa eine Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen über das für diesen Zweck zentrale Instrument angehen könnte. Natürlich weiß niemand, was im Falle eines solchen Projekts passieren würde, welche Verirrungen auftreten und welche dann Gesetz werden würden. Sofern man die Änderungen aber strikt auf die Tariffunktion begrenzen und keine weiteren Manövriermassen für die Veränderung des Status quo zulassen würde, könnte man aber vielleicht sogar zwei Ziele auf einmal erreichen: Die Bereinigung der Altlast Solidaritätszuschlag und ein Beitrag zum geforderten sozialen Ausgleich für die mit dem Herbst der Reformen nötigen Einschränkungen.

Betrachtet man die Vergangenheit, erscheint dies beinahe wie eine Utopie. Immerhin spräche für einen solchen Ansatz, dass die Änderung der Tariffunktion keine tiefschürfenden steuertheoretischen Kenntnisse erfordert und das Problem der kalten Progression bei der Einkommentseuer wie beschrieben zumindest besser adressiert ist als in vielen anderen Bereichen. Ob das ausreicht, wird sich zeigen. Viel Hoffnung besteht nicht, denn Empfehlungen von Wirtschaftswissenschaftlern genießen in steuerpolitischen Diskussionen nur eine erschreckend niedrige Priorität. . Die (wievielte?) Erbschaftsteuerdiskussion wird also vermutlich weitergehen und allenfalls zu vorläufigen Ergebnissen führen, bis nach einem neuen Anlass die nächste Diskussionsrunde beginnt.

Blog-Beiträge zum Thema:

Ekkehard Wenger (JMU, 2024): Erbschaftsteuer. Die Schweiz auf deutscher Linie?

Wolfgang Scherf (Uni Gießen, 2023): Die kalte Progression der Erbschaftsteuer

Alfred Boss (IfW, 2015): Erbschaftsteuerreform: Ein radikaler Vorschlag

Jan Schnellenbach (BTU, 2015): Erbschaftsteuer und Betriebsvermögen. Die Schonzeit ist noch nicht vorbei

Leonhard Knoll (JMU, 2015): Verfassungsbruch 4.0? Die Eile des Bundesfinanzministers bei der Reform der Erbschaftsteuer

Oliver Arentz (IWP, 2015): Erbschaftsteuer – Grundlegende Reform statt Stückwerk

Leonhard Knoll (JMU, 2014): Was bleibt? Die Erbschaftsteuer, das Bundesverfassungsgericht und die chronisch unterdrückte Synopse steuerlicher Belastungen

Jan Schnellenbach (BTU, 2009): Weiß der Gesetzgeber, was unternehmerisches Handeln ist? Das Beispiel der neuen Erbschaftsteuer

Wolf Schäfer (HSU, 2007): Die Vermögensteuer ist abgeschafft. Dasselbe sollte mit der Erbschaftsteuer geschehen

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