Auch sechs Jahre nach der Lehman-Pleite ist die Finanzkrise zumindest in Europa noch nicht überwunden. Politik, EZB und Regulierungsinstitutionen folgen unter medialer Ausleuchtung einem steten Diskurs, der im Zeitverlauf langsam, aber immerhin dem Weg vom Allgemeinen zum Konkreten folgt. Die Rolle der Banken und ihre Veränderung mit dem Ziel einer Verhinderung vergleichbarer Krisen in der Zukunft ist dabei der rote Faden, der freilich mit anderen Fäden wie dem der Staatsverschuldung oft nur schwer unterscheidbar verwoben ist.
Bei aller (auch der folgenden) Kritik muss man den Entcheidungsträgern in den genannten Bereichen zugutehalten, dass die Ausgangslage und die mit ihr verbundenen Zielsetzungen alles andere als einfach waren; einige Beispiele:
- Einerseits wollte man einen Bank Run durch die Pleite eines Kreditinstituts verhindern, andererseits die Möglichkeit einer Bankinsolvenz nicht ausschließen bzw. die bisher implizite Staatsgarantie nicht explizit machen – „Too Big to Fail“ wurde zur globalen Negativprogrammatik dieses Widerspruchs.
- Einerseits sollten die Banken zügig zu einer stärkeren Eigenkapitalunterlegung eingegangener Risiken gezwungen werden, andererseits geht das nur in einem weiten zeitlichen Rahmen, wenn man gravierende Friktionen verhindern will.
- Einerseits sollten schärfere Regeln für die Bestimmung von Risiken gelten, andererseits die Kreditversorgung insbesondere in den späteren Krisenländern, in denen Schuldner unter gravierendem Bonitätsverlust litten und oft bis heute leiden, nicht erheblich eingeschränkt werden.
Gerade der letzte Punkt zeigt eine weitere Problemverschärfung, welche die Erwartungshaltung hinsichtlich allfälliger Lösungsversuche reduziert: Der zunächst allgemeine Krisenmodus und die danach sehr unterschiedlich verlaufende Entwicklung insbesondere in der Euro-Zone machten und machen es bis heute praktisch unmöglich, dass Maßnahmen ohne unerwünschte Nebenwirkungen bleiben.
All dies entbindet die Entscheidungsträger indessen nicht davon, diese Nebenwirkungen mit den erwünschten Wirkungen abzuwägen, und an dieser Stelle muss sinnvolle Kritik ansetzen. Trotz vieler Veröffentlichungen, Berichte und Stellungnahmen fällt es bis heute schwer, selbst innerhalb einzelner Institutionen eine geordnete Abwägung dieser Art zu erkennen. Entsprechend merkwürdig sind die Befunde, wenn man die Wirkungen eingeleiteter Maßnahmen betrachtet: Gerade im Bankensektor insgesamt gibt es positive und negative Konsequenzen bisheriger und demnächst zu erwartender Änderungen. Differenziert man hier jedoch, ergibt sich deutlich eine Verlierergruppe, für die sicher keine Banken-Rettung, sondern vielleicht in absehbarer Zeit sogar eine Banken-Dämmerung diagnostiziert werden kann: Die regional tätigen Retailbanken in Deutschland, also Genossenschaftsbanken, Sparkassen und auf das Einlagen-/Kreditgeschäft fokussierte Privatbanken. Für diese Aussichten gibt es vor allem drei Gründe:
Manipulation des Kapitalmarktzinses
Bereits mehrfach wurde in diesem Blog darauf hingewiesen, dass das Absenken des Zinsniveaus durch die EZB nicht nur Licht, sondern auch Schatten verursacht (hier, hier, hier)
Regional aufgestellte Banken mit einer Konzentration auf Kundeneinlagen und -kredite sind in ihrem Erfolg ganz wesentlich von den Kapitalmarktzinsen abhängig. Die Differenz zwischen den Kunden- und den Marktsätzen ergibt als Passiv- und Aktivmarge den sog. „Konditionenbeitrag“. Selbst wenn man die Aktivmarge im Kreditgeschäft zunächst nicht näher betrachtet ist offensichtlich, dass im Einlagenbereich de facto keine Passivmarge mehr erwirtschaftet werden kann, wenn der Kapitalmarktzins nahe der Nulllinie liegt.
Die zweite Ertragssäule des klassischen deutschen Bankgeschäfts ist der „Strukturbeitrag“, der sich durch Fristentransformation ergibt. Durchschnittlich ist die Bindungsdauer der von der Bank getätigten Anlagen einschließlich der vergebenen Kredite länger als diejenige der Kundeneinlagen. Bei einer normalen Zinsstruktur, d.h. mit der Laufzeit steigenden Zinsen am Kapitalmarkt, lässt sich damit eine Renditedifferenz erzielen, die freilich nicht risikolos ist. Allerdings müssen Laufzeitunterschiede zwischen Kapitalangebot und –nachfrage in einer Volkswirtschaft generell ausgeglichen werden. An diesem Ausgleich mitzuwirken, ist eine der Funktionen des Bankensystems. Wenn dabei ökonomische und aufsichtsrechtliche Vorgaben eingehalten werden, ist die Verfolgung eines angemessenen Strukturbeitrags also entsprechend positiv zu würdigen. Nachdem es zeitweilig so aussah, dass die Maßnahmen der EZB und die daran anknüpfenden Kapitalmarktreaktionen einer hinreichenden Steilheit der Zinsstrukturkurve tendenziell nicht entgegenstehen, sind insbesondere im Umfeld der letzten Leitzinssenkung Anfang September auch die Renditen am langen Ende derart gefallen, dass eine solcher Strukturbeitrag nur durch das Eingehen wesentlich höherer Risiken erreicht werden kann.
Wenn die EZB schließlich die zur gleichen Zeit angekündigten Maßnahmen umsetzt, deren Kern in einer faktischen Übernahme von gewerblichen Krediten besteht, um die Banken die Vergabe neuer Kredite zu ermöglichen, werden die Wettbewerbswirkungen zumindest in Deutschland mehr die Aktivmarge schmälern als die Ausleihungen erhöhen – es sei denn, dass gleichzeitig die Risikoeinstufungen geändert werden, weil bislang die Kreditvergabe zumeist nicht an Liquiditätsproblemen der Geschäftsbanken, sondern an der Bonität potenzieller Schuldner scheitert.
Absolute und relative Regulierungswirkungen
Die nicht nur, aber auch nicht zuletzt durch Basel III stark gestiegene Regulierung stellt alle Kreditinstitute vor erhebliche Herausforderungen. Allein die beiden Basis-Regelwerke CRR und CRD IV umfassen zusammen mit arrondierenden Standards, Leitlinien und Empfehlungen eine stattliche vierstellige Seitenzahl. All dies muss nicht nur gelesen, sondern auch umgesetzt werden. Im Dezember 2013 brachte die KPMG in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands die Studie „Auswirkungen regulatorischer Anforderungen“ heraus, welche die direkten Kosten für die deutsche Kreditwirtschaft im Zeitraum 2010-2015 mit 8,6 Mrd. € bezifferte. Einschließlich der später noch anzusprechenden Bankenabgabe führt dies zu jährlichen Belastungen von rund 2 Mrd. € (vgl. zu beiden Zahlen ebd. S. 6 f.).
Beinahe noch schlimmer als diese allgemeine Belastung der Kreditwirtschaft wirkt die relative Betroffenheit unterschiedlicher Gruppen. Allen behaupteten oder tatsächlichen Bemühungen um Proportionalität zum Trotz werden nämlich kleinere Banken, zu denen die Retailbanken regelmäßig gehören, überproportional belastet, weil viele Regulierungsvorgaben zu Gemeinkosten führen, die über das gesamte Geschäftsvolumen abgebildet werden müssen. Auch die Möglichkeiten, die sich insbesondere im deutschen Genossenschafts- und Sparkassenbereich durch Verbundlösungen ergeben, können diese Generaltendenz nur abschwächen, aber nicht aufheben.
Noch schlimmer wird die Diskriminierung allerdings, wenn regulierungsbedingter Aufwand für kleine Institute so groß wird, dass ganze Geschäftsbereiche aufgeben müssen. Insbesondere im Provisionsgeschäft, also bei Vermittlertätigkeiten, führen die Auflagen in der Kundenberatung mittlerweile dazu, dass manche Banken die Anlageberatung hinsichtlich von börsengehandelten Wertpapieren, insbesondere Aktien und Derivaten, weitgehend einstellen, weil das erzielbare Geschäftsvolumen unter den neuen Regelungen wie MIFID II nicht mehr kostendeckend ist. Größere Institute können den entstehenden Aufwand demgegenüber auf einen größeren Kundenkreis umlegen, der sich gegebenenfalls sogar durch neue Interessenten erweitert, die aus dem beschriebenen Grund nicht mehr von ihrer Haubank bedient werden.
Bankenabgabe: Gebühr oder Steuer?
In Erweiterung dieser Befunde stößt man auf eine nochmalige Verschärfung, die eine besondere Betrachtung verdient. Ein weiterer Baustein zur Disziplinierung der Banken und dem Rückzug des Staates als implizitem Garantiegeber sollte der Aufbau eines vom Kreditgewerbe gespeisten Fonds sein, der bei einer Schieflage von Banken zur Verfügung stehen soll. Seit 2011 gibt es in Deutschland eine Bankenabgabe zur Speisung eines nationalen Krisenfonds, die durchschnittlich rund 600 Mio € p.a. erbrachte. Größe und Vernetzung der jeweiligen Bank sind die wesentlichen Aspekte für die Bemessungsgrundlage der Abgabe, wobei ein Freibetrag von 300 Mio € bei den beitragspflichtigen Passiva dafür sorgt, dass eine nicht vernachlässigbare Zahl sehr kleiner Banken praktisch nicht belastet wird.
Nun soll ab 2016 ein europäischer Rettungsfonds eingerichtet werden. Noch ist nicht ganz sicher, wie die Überführung der nationalen Mittel (nationale Bankenabgaben gibt es nicht nur in Deutschland) in den neuen Topf sowie seine zukünftige weitere Speisung auf das Zielniveau von 55 Mrd. € genau aussehen soll (europäische und/oder nationale Bankenabgabe mit entsprechender Weiterleitung), doch sollen bereits im ersten Jahr 40% und im Folgejahr weitere 20% für eine europäische Haftung einsetzbar sein.
Neben den Sparkassen wehren sich in Deutschland insbesondere die Genossenschaftsbanken gegen Zahlungen in diesen neuen Topf und die Übernahme der Kosten, die mit der neuen Aufsicht systemrelevanter Kreditinstitute durch die EZB anfallen. Als nicht systemrelevante Banken mit einem eigenen Institutsrettungssystem, das noch nie staatliche oder sonstige Hilfe von dritter Hand in Anspruch nehmen musste, würde ihnen jeweils Geld abverlangt, für das sie nie eine Leistung zu erwarten haben, wohl aber Unternehmen, die mit ihnen teilweise im Wettbewerb stehen. Bildlich lässt sich das mit einem kleinen nationalen Nutzfahrzeughersteller vergleichen, der in einen Rettungsfonds für Daimler, Renault, VW etc. einzahlen soll. Die deutliche Staffelung der jeweiligen Verpflichtungen lindert diese Absurdität, beseitigt sie aber nicht: Haben die Bankenabgabe und Zahlungen für die neue Aufsicht durch die EZB für die systemrelevanten Institute eher den Charakter einer Gebühr, stellt sie bspw. für die deutschen Genossenschaftsbanken de facto eine Steuer dar. Jedenfalls bleibt es spannend, welche finalen Regelungen hierzu demnächst von der EU bekanntgegeben werden.
Fazit
Bei genauerem Hinsehen haben die Nebenwirkungen der Maßnahmen, die nach der Lehman-Pleite von Politik, EZB und Aufsichtsbehörden ergriffen wurden, Nebenwirkungen, deren Inkaufnahme überaus fragwürdig erscheint. Diese mögen bei internationalen Großbanken mit starkem Investmentgeschäft in einer Zusammenschau hinzunehmen sein, denn ohne die ergangenen hoheitlichen Maßnahmen gäbe es manche von ihnen nicht mehr, ganz zu schweigen davon, dass zumindest einige mitverantwortlich für den Ausbruch der Finanzkrise waren. Dies gilt insbesondere auch, weil der europäische Rettungsfonds selbst mit seinem erst im nächsten Jahrzehnt erreichten Zielvolumen noch viel zu klein sein wird, um eine große Bank abwickeln zu können, und folglich stattdessen weiterhin die Rettungsalternative gemäß Too Big to Fail vorherrschen wird.
Das Umgekehrte gilt indessen bei regionalen Retailbanken in Deutschland. Diese haben die Krise ohne öffentliche Hilfen überstanden und werden nunmehr in ihrem bislang krisenfesten Geschäftsmodell existenziell bedroht – nicht heute und in der näheren Zukunft, aber bei Fortsetzung der beschriebenen Verhältnisse spätestens am Beginn des nächsten Jahrzehnts. Die Rettung nicht überlebensfähiger Finanzgiganten unter Inkaufnahme der Dämmerung ohne staatliche Eingriffe erfolgreicher und stabiler Unternehmen – ist das die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts?
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3 Antworten auf „Banken-Rettung oder Banken-Dämmerung?
Erodierende Geschäftsbedingungen für regionale Retailbanken in Deutschland“