80 Industrie- und Handelskammern erfreuen sich derzeit noch der Zwangsmitgliedschaft, die sämtliche Unternehmen in Deutschland – mit Ausnahme reiner Handwerksunternehmen, Landwirtschaften und Freiberuflern – dazu verpflichtet, einen Jahresbeitrag zu zahlen, der je nach Höhe des Umsatzes variiert. Durchschnittlich zahlen die Unternehmen einen Beitrag von 320 Euro pro Jahr im Rahmen dieser Zwangsmitgliedschaft.
Mit dieser Zwangsmitgliedschaft befasst sich seit April nun das Bundesverfassungsgericht und stellt diese damit erstmals seit 1962 in Frage, als sich das Verfassungsgericht letztmalig für eine Zwangsmitgliedschaft aussprach. Gegner der Zwangsmitgliedschaft berufen sich in der Diskussion auf das Grundgesetz und sehen Industrie- und Handelskammern nicht als demokratisch gewähltes Organ und damit als nicht ausreichend legitimiert an.
Während das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten bleibt, stellt sich die Frage nach einer ordnungsökonomischen Beurteilung dieser Zwangsmitgliedschaft:
Begründet wird die Zwangsmitgliedschaft seitens der Industrie- und Handelskammer zum einen damit, „das Sprachrohr“ der Wirtschaft zu sein und wirtschaftspolitische Positionen der von ihr vertretenen Unternehmen, unabhängig von Einzelinteressen, aufgrund dieser Zwangsmitgliedschaft, abwägend und ausgleichend berücksichtigen zu können. Zum anderen wird das Argument der Berufsausbildung ins Feld geführt: So organisieren die Industrie- und Handelskammern unter anderem die Berufsausbildung von der Eintragung ins Ausbildungsverzeichnis bis zur Abschlussprüfung.
Aus ordnungsökonomischer Sicht wäre daher zu prüfen, ob die Vertretung der Gesamtinteressen der gewerblichen Wirtschaft und die Organisation der Berufsausbildung als öffentliches Gut anzusehen ist, dessen Bereitstellung ausschließlich durch die Zwangsmitgliedschaft und damit durch Zwangsbeiträge gesichert werden kann.
Da der Nutzen der Berufsausbildung eindeutig zuordenbar ist – so profitieren die ausbildenden Unternehmen und die Auszubildenden von dieser Organisation –, wäre es aus ordnungsökonomischer Sicht angemessen, diesen Personenkreisen auch die entsprechenden Organisationskosten aufzubürden. Geht man jedoch davon aus, dass die Berufsausbildung positive externe Effekte aufweist, von der andere Betriebe und auch die Wirtschaft insgesamt profitieren, so bietet sich eine Finanzierung des Ausbildungssystems durch Steuermittel an. Zudem ist es sowieso inkonsistent, daß die Organisation dieses Ausbildungssystems durch Zwangsbeiträge finanziert, die ausschließlich von Unternehmen aufgebracht werden, andere Ausbildungssysteme aber – etwa die Hochschulen – weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Die Organisationskosten des Ausbildungssystems rechtfertigen somit keine Zwangsmitgliedschaft.
Betrachten wir die Vertretung der Gesamtinteressen der gewerblichen Wirtschaft als Rechtfertigung einer Zwangsmitgliedschaft etwas näher. Tatsache ist, dass die Industrie- und Handelskammern Unternehmen in unterschiedlichsten Branchen, mit unterschiedlichsten Kosten- und Erlösstrukturen und mit unterschiedlichsten strategischen Ausrichtungen vertreten sollen. Die Interessen einer derartig ausdifferenzierten Unternehmenslandschaft lassen sich jedoch nicht widerspruchsfrei aggregieren. Beispielsweise sprach sich die IHK Stuttgart im Rahmen des Baus von Stuttgart21 für den Bau aus. Eine Gruppe von Unternehmen, die diese Meinung nicht vertreten, sah sich entsprechend von der IHK übergangen und ihre Interessen vernachlässigt. Zu vermuten ist also, dass sich das einzige gemeinsame Interesse dieser inhomogenen Gruppe von Unternehmen lediglich darauf vereinen lässt, möglichst geringe Steuern zu bezahlen. Allein die Vertretung dieses Interesses kann aber kaum als ausreichend zur Bereitstellung des öffentlichen Guts „florierende Wirtschaft“ angesehen werden. Eine gezielte Interessenvertretung findet demnach eher durch die entsprechenden Branchenverbände statt, die eher in der Lage sind, als Vertreter halbwegs homogener Interessen zu agieren und in den politischen Prozess zu intervenieren (Daumann 1999). Insofern ist also auch das Argument der Interessenvertretung nicht geeignet, die Zwangsmitgliedschaft in den Industrie-und Handelskammern zu begründen.
Entsprechend groß ist auch die Kritik von Seiten der Unternehmen an der besagten Sonderabgabe. Der Widerstand in Reihen der vertretenen Unternehmen ist hoch und das, obwohl ein Drittel der Unternehmen von der Sonderabgabe aufgrund zu geringer Umsätze befreit sind. Von den verbleibenden rund fünf Millionen deutschen Unternehmen erhalten die Industrie- und Handelskammern allerdings immer noch 1,3 Milliarden Euro im Rahmen der Zwangsabgabe.
Dabei erlangen die IHKs durch die Zwangsmitgliedschaft eine uneingeschränkte Marktmacht gegenüber den Mitgliedern, da die Option Abwanderung entfällt: Verhält sich die IHK im Widerspruch zu den Interessen einzelner Unternehmen, haben diese nicht die Möglichkeit dieses Verhalten durch Austritt zu sanktionieren. Da zudem die Organisationsmacht der Mitglieder gering und die Kontrollmechanismen der IHKs offenbar nur zurückhaltend ausgebaut sind, kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Vorwürfen bezüglich des Missbrauchs von Geldern. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht Koblenz 2013 festgestellt, dass die örtliche IHK eine „unzureichende Vermögensbildung“ in Millionenhöhe betrieben habe. Kritisiert werden dabei auch Prunkbauten und Spitzengehälter der IHK-Mitarbeiter.
Unter ordnungsökonomischen Gesichtspunkt lässt sich damit klar festhalten, dass die Zwangsmitgliedschaft in der IHK kaum zu rechtfertigen ist. Das Ziel, die gemeinsamen Interessen im Sinne des Gemeinwohls zu vertreten, lässt sich ob der Unterschiede der verschiedenen vertretenen Gruppen kaum bewerkstelligen. Und die Organisation der Berufsausbildung lässt sich – wie aufgezeigt wurde – auf ordnungsökonomisch unproblematischem Wege finanzieren. Zudem ist eine Zwangsmitgliedschaft in einer Organisation ein den konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft widersprechendes Element, da diese eine klare Einschränkung der Freiheitsspielräume der Unternehmer darstellt: Den Unternehmen bleibt keine Wahl, den Obolus an die IHK zu entrichten, auch wenn viele Mittelstandsunternehmen dies nicht aus freien Stücken tun. So bleibt aus ordnungsökonomischer Sicht nur zu hoffen, dass das BVerfG die Zwangsabgabe nach 52 Jahren erstmaliger Neuverhandlung nun endlich kippt und sich damit der Mehrheit der europäischen Nachbarn anschließt.
Literatur:
Daumann, F. (1999), Interessenverbände im politischen Prozeß, Tübingen.
o.V. (o.J.): IHK- Kompetenter Partner der Wirtschaft. Abrufbar unter: http://www.stuttgart.ihk24.de/Ueber_uns/IHK_Arbeit/980048/KompetenterPartner_index.html (letzter Aufruf vom 13.08.2014)
Öchsner, T. (2014): Karlsruhe befasst sich mit Zwangsmitgliedschaft in Handelskammern. In Süddeutsche (online). Abrufbar unter:http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/heikler-fall-fuer-bundesverfassungsgericht-karlsruhe-befasst-sich-mit-zwangsmitgliedschaft-in-handelskammern-1.1924713 (letzter Aufruf vom 13.08.2014)
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Bedenkt man, dass die KMU 99.7% der Unternehmen ausmachen und 80% der Ausbildungsplätze stellen, ist verständlich warum keine Regierung warten kann, was sich freiwillig als „Lobby“ Vertretung bildet.
Als unglückliches Zwangsmitglied einer Handwerkskammer muss ich einräumen, dass die Beiträge niemals zur Finanzierung der Aufgaben ausreichen. Sei es durch den europäischen Sozialfond oder durch direkte Subvention, der Steuerzahler ist im Boot. Die zu zahlenden Gebühren für Aus-Weiterbildung sind im Vergleich zum -Markt- subventioniert günstig.
Die Blitzableiterfunktion der Kammern darf nicht unterschätzt werden.
Die Zwangsbeiträge haben nur den Sinn, die Lust an der Finanzierung von Konkurrenten der Kammern zu verhindern. Ganz klar, dass Parteien die Selbstverwaltungen (Arbeitgeber + Nehmer) längst geentert haben und Einfluss nehmen. Die Grenzen verwischen und die Verteilung der (Steuer)Gelder läuft reibungslos. Angesichts der Bedeutung für das -Gemeinwohl- glaube ich nicht an ein entflechtendes Urteil durch ein von Parteien paritätisch besetztes BVerfG.