Obwohl Flüchtlings-, Terrorismus- und Bankenkrisen in der jüngeren Vergangenheit die Schlagzeilen bestimmen, hat Griechenland den langjährigen Krisenmodus nicht wirklich verloren. Allen anders lautenden Beschwörungsformeln zum Trotz wird der formale Staatsbankrott unverändert nur durch subventionierte Kredite verhindert, die dem Land auch einen – quantitativ freilich eng beschränkten – Zugang zum Kapitalmarkt ermöglichen. Eigentlich war der Insolvenzfall bereits 2012 eingetreten, nur wurde seine offizielle Feststellung durch eine brisante Mischung aus Verhandlungen und rückwirkenden Regeländerungen verhindert, was auch in diesem Blog seinen Niederschlag fand (hier):
„Damit aber nicht genug: Nachdem multilateral ein pseudofreiwilliger Vergleich vereinbart worden ist, wird schnell eine „Collective Action Clause“ nachträglich in Anleihebedingungen eingebaut, um diejenigen, die nicht „unter Zwang freiwillig“ auf einen erheblichen Teil ihrer rechtlich unbestreitbaren Ansprüche verzichten, ganz ohne Umschweife einer faktischen Teilenteignung zu unterwerfen. Als dann die für einen „freiwilligen“ Verzicht nötige Quote erreicht wird, denkt man gar nicht daran, es dabei zu belassen, sondern zeigt unverhohlen, dass der unbedingte Schnitt ins Vermögen aller Gläubiger die einzig intendierte Alternative war. Kronzeuge gefällig? Nun, dann betrachte man nur einmal den damaligen griechischen Finanzminister Venizelos, der sich von den Medien zitieren ließ, es sei „naiv“ zu glauben, sein gesamtes investiertes Geld bei den nach griechischem Recht begebenen Papieren zurückerhalten. Von da ist es nur noch ein Katzensprung bis zur von anderer Seite nachgeschobenen Begründung, dass dieses Vorgehen nötig sei, um unsolidarischem Verhalten nicht zum Erfolg zu verhelfen.“
Gerichtliche Überprüfungen dieses Vorgehen kamen praktisch zwangsläufig, führten aber de facto durchgehend zu keinem Erfolg. Mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (ECHR) am 21.7.2016 ist nun eine der letzten Klagewellen erfolglos ausgelaufen (allerdings beileibe nicht die letzte; beispielsweise sind laut einem Anwalt, der mit der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz zusammenarbeitet, in Deutschland noch Klagen von 280 Privatanlegern anhängig). 6.320 griechische Bürger hatten sich gegen den „Haircut“ gewehrt und machten dabei zwei wesentliche Gründe geltend (vgl. zum Folgenden ausführlich die Pressemitteilung (hier):
- Das Vorgehen verstoße gegen den Schutz des Eigentums gemäß Art. 1 des Protokolls Nr. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, weil ex post in ein Vertragsverhältnis zulasten bestimmter Parteien eingegriffen und damit der Wert ihrer vertraglichen Ansprüche entsprechend reduziert wurde.
- Es verstoße zudem gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 14 i.V.m. Art. 1 des Protokolls Nr. 1 der Menschenrechtskonvention, weil nicht alle Gläubiger an den Verhandlungen beteiligt waren bzw. die Ergebnisse der Verhandlungen auch auf diejenigen angewendet wurden, die nicht am Verhandlungstisch gesessen waren.
Der ECHR wies beide Argumente zurück:
Die Verhinderung des Staatsbankrotts rechtfertige das Vorgehen und habe vermutlich nicht zu einer Wertreduktion geführt, da die Kurse der Anleihen zum fraglichen Zeitpunkt ohnehin unterhalb ihres Nennwerts lagen und im Insolvenzfall eine noch geringere Quote als durch den Haircut eingetreten wäre. Eine Verhandlung mit allen Gläubigern wäre schon an sich und dann a fortiori unter dem damaligen Zeitdruck nicht möglich gewesen, weshalb eine Diskriminierung geboten war. Eine kompensierende Diskriminierung durch Herausnahme der nicht an den Verhandlungen beteiligten oder/und gegebenenfalls noch weiterer Gläubiger aus dem Schuldenschnitt hätte dazu geführt, dass der erforderliche Gesamterlass nicht oder nur durch eine zusätzliche Belastung der Gläubiger am Verhandlungstisch möglich gewesen wäre. Letzteres wäre indessen nicht durchsetzbar gewesen.
Außerdem wies das Gericht auf die spekulativen Motive vieler Investoren und den Umstand hin, dass auch die Anlage in Staatsanleihen offenkundig nicht risikolos ist – ein Umstand, dessen Beachtung selbst Privatanlegern beim Eingehen entsprechender Engagements zuzumuten ist. Ein zutreffendes, aber bemerkenswertes Statement, wenn man bedenkt, dass EU-Banken den Kauf von Staatsanleihen bislang regelmäßig nicht mit Eigenkapital unterlegen müssen.
Bei alledem und noch weiteren Anmerkungen des Gerichts sucht man vergeblich nach der Beachtung eines offenkundig elementaren Aspekts: Es ging um den Grundsatz pacta sunt servanda und die Verlässlichkeit bestehender rechtlicher Normen, die zur Verhinderung des Staatsbankrotts aufgegeben wurden (wohlgemerkt nicht nur gegenüber griechischen Gläubigern). Der Verstoß gegen beides funktionierte nur durch eine rückwirkende Rechtsänderung zulasten Dritter, die wiederum nur Staaten auf ihrem eigenen Gebiet möglich ist. Auch bei noch so heftigem Schwingen der Arbeitsplatzkeule kann kein insolvenzbedrohtes Unternehmen nachträglich seine Kreditbedingungen einseitig ändern und schließlich wurden auch die nach britischem Recht begebenen Griechenlandanleihen ohne Haircut zurückgezahlt:“If you don’t like the game, change the rules“ funktionierte nur bei nach griechischem Recht begebenen Anleihen.
Man mag nun einwenden, dass gemessen an der Forderungssumme immerhin die deutliche Mehrheit der Gläubiger dem Schuldenschnitt zugestimmt hatte, doch ändert dies nichts am Prinzip und die eingangs zitierte Haltung des damaligen griechischen Finanzministers zeigt deutlich, dass man bei Bedarf auch andere Klauseln oder Quoten beschlossen hätte. Mit seiner Entscheidung gibt der ECHR ein völlig falsches Signal, das indessen nur naive Anleger irritieren kann: Wenn schwache Schuldnerländer Anleihen nach eigenem Recht emittieren wollen, werden sie dies am Kapitalmarkt nur zu einer entsprechend höheren Verzinsung tun können. Anders formuliert: Die Akzeptanz des “If you don’t like the game, change the rules“ macht Staatsanleihen c.p. gefährlicher als Anleihen von Schuldnern ohne solche Regelsetzungskompetenz und das Fehlen eines „free lunch“ wird die geforderten Renditen hochtreiben.
Dies war dem ECHR auch sicher bewusst, aber er dachte wohl, dass sich die Brisanz für die Zukunft deutlich abgeschwächt hat – die Pressemitteilung verweist darauf, dass sich „collective action clauses“ heute schon von vornherein in den meisten Emissionsbedingungen mittel- und langfristiger Anleihen finden. Insofern ging es den Richtern vermutlich nur um eine multipel brisante Vergangenheitsbewältigung, bei der sie den einstmals unter großen Schmerzen erzielten Kompromiss nicht ex post brandmarken und damit einen Rattenschwanz von rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen heraufbeschwören wollten. Ob sich dies dauerhaft die beste Lösung erweisen wird, muss die Zukunft zeigen. Die Retrospektive der Griechenlandkrise (vgl. nochmals) wurde jedenfalls um ein weiteres problematisches Detail bereichert.
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