Ordnungspolitischer Kommentar
Arbeitslosengeld Q
Wie wirkt’s und wer profitiert?

Der SPD-Parteivorstand hat Anfang März ein arbeitsmarktpolitisches Konzept beschlossen. Unter anderem sind ein „Recht auf Weiterbildung“ und ein „Arbeitslosengeld Q“ (ALG-Q) geplant. Das ALG-Q soll die gleiche Höhe wie das Arbeitslosengeld (ALG) haben, das von der Arbeitslosenversicherung ausgezahlt wird. Es soll während der Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen gezahlt und nicht mit der maximalen Bezugsdauer des ALG verrechnet werden.

Die Bezugsdauer des ALG ist Gegenstand einer schon lange währenden Diskussion. Sie wurde im Rahmen des unter Rot-Grün verabschiedeten Reformpaketes „Agenda 2010“ zunächst deutlich gekürzt. Seit 2008 gilt wieder eine längere mögliche Bezugsdauer für ältere Arbeitslose. Nun könnte erneut an dieser arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Stellschraube gedreht werden. Damit soll laut dem Beschluss „Fachkräftemangel in bestimmten Berufen und Regionen auf der einen und qualifikationsbedingte Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite“ vermieden werden. Aber: Welche Anreize werden durch ein ALG-Q und ein Recht auf Weiterbildung tatsächlich gesetzt? Und: Ist eine längere Bezugsdauer unter bestimmten Umständen gerechter?

Das Konzept

Kernpunkt des nun beschlossenen Konzepts ist die Kopplung eines längeren Leistungsbezugs an die Bedingung, an einer Qualifizierungsmaßnahme teilzunehmen. Auch bislang wurde die Dauer einer Maßnahme zu 50 % auf die maximale Bezugsdauer des ALG aufgeschlagen. Nun soll sie zu 100 % aufgeschlagen werden. Es bestünde also die Möglichkeit, zusätzlich zur maximalen Bezugsdauer des ALG von bis zu 24 Monaten (je nach Alter des Arbeitslosen und vorherigen Versicherungsjahren) für den Zeitraum der Qualifizierung Leistungen in unveränderter Höhe zu erhalten. Ein 58-jähriger Arbeitsloser, der einen Anspruch auf eine Bezugsdauer von zwei Jahren hat und an einer zweijährigen Qualifizierungsmaßnahme teilnimmt, könnte derzeit 36 Monate ALG beziehen. Künftig wäre eine Bezugsdauer von 48 Monaten möglich.

Eine weitere Neuerung wäre ein Recht auf Weiterbildung. Bisher handelt es sich bei Qualifizierungsmaßnahmen um Ermessensleistungen der Bundesagentur für Arbeit. Laut dem Beschluss der SPD sollen alle Arbeitslosen, die innerhalb von drei Monaten keine neue Beschäftigung finden, ein Angebot für eine Qualifizierungsmaßnahme erhalten, „die die Vermittlungschancen nachhaltig erhöht“.

Wie die Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen aussehen soll, ist bislang nicht bekannt. Von Bedeutung wäre insbesondere, ob es sich bei den ALG-Q-Bezügen und den zusätzlichen Weiterbildungsmaßnahmen um Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handeln soll und wie dies die Beitragssätze beeinflussen würde.

Welche Arbeitsmarkteffekte wären zu erwarten?

Jedem einzelnen, der länger als drei Monate arbeitslos ist, eine passende Qualifizierungsmaßnahme anzubieten, die die Vermittlungschancen tatsächlich erhöht, erscheint unrealistisch. Wenn sie Erfolg versprechen, vermittelt und finanziert die Bundesagentur für Arbeit schon heute Qualifizierungsmaßnahmen. Ein Recht auf Qualifizierung, wie es nun vorgeschlagen wird, könnte dazu führen, dass zum Erfüllen der politischen Vorgaben auch Maßnahmen angeboten werden, die von vorneherein nur begrenzt überzeugen.

Es ist davon auszugehen, dass die meisten Arbeitslosen bemüht sind, so schnell wie möglich eine neue Arbeitsstelle zu finden und ohnehin gerne bereit sind, an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen, wenn diese größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erwarten lassen. Würde das Konzept wie vorgeschlagen umgesetzt, würde der Anreiz, schnell eine neue Arbeitsstelle zu finden, tendenziell sinken. Ergeben würde sich ein Anreiz, Qualifizierungsmaßnahmen auch dann wahrzunehmen, wenn sie nicht erfolgsversprechend sind, um einen längeren Anspruch – und sei es für den Fall der Fälle – zu sichern. Weder dem Fachkräftemangel noch qualifikationsbedingter Arbeitslosigkeit würde so sinnvoll begegnet.

Im besonderen Fall von älteren Arbeitslosen, deren kombinierte ALG- und ALG-Q-Ansprüche ausreichen würden, den Zeitraum bis zum Renteneintritt zu überbrücken, würde der Anreiz entstehen, an einer Qualifizierungsmaßnahme teilzunehmen, obwohl gar nicht die Absicht besteht, noch einmal eine Beschäftigung aufzunehmen. Das wäre nicht nur an sich ein massiver Fehlanreiz. In diesem Fall wäre es vielmehr sogar kostengünstiger, den längeren Leistungsbezug ohne zusätzliche Ausgaben für Qualifizierung zu gewähren.

Den Anreiz zu setzen, länger in Arbeitslosigkeit zu verbleiben, ist auch deshalb fragwürdig, weil Zeiten der Arbeitslosigkeit zu einer Entwertung des Humankapitals führen. Der Tendenz nach gilt: je länger die Arbeitslosigkeit, desto eher können relevante Fähigkeiten verloren gehen. Eine mögliche Aufwertung von Humankapital durch eine Qualifizierungsmaßnahme müsste diese Abwertung überwiegen, um positiv auf die Beschäftigungschancen zu wirken. Zumal die Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme die Zeit verringert, die mit der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz verbracht werden kann. Im Zweifelsfall wird die Wahrscheinlichkeit, eine neue Beschäftigungsmöglichkeit zu finden, eher gesenkt als erhöht.

Wäre eine längere ALG-Bezugsdauer gerechter?

Man könnte Fehlanreize auf dem Arbeitsmarkt eventuell in Kauf nehmen, wenn damit einem Gerechtigkeitsproblem begegnet würde. Häufig wird gefordert, dass vor allem diejenigen, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, Anspruch auf eine lange Bezugsdauer haben sollten. So naheliegend diese Vorstellung vielleicht auf den ersten Blick scheint, so wenig entspricht sie dem Zweck der Arbeitslosenversicherung. Diese dient der Absicherung des Risikos, vorübergehend arbeitslos zu sein. Würde die Leistung mit zunehmender Dauer der Beitragszahlung steigen, würden auch die bereits erläuterten Fehlanreize über die Versicherungszeit immer weiter zunehmen. Nicht umsonst richtet sich auch in anderen Versicherungen die Leistung nicht nach der Versicherungszeit: Eine Hausratversicherung zahlt nicht mehr, wenn ein Wasserschaden erst viele Jahre nach Abschluss des Versicherungsvertrages auftritt.

Würde die Bezugsdauer kontinuierlich mit der Versicherungszeit ansteigen, wären damit aber nicht nur Effizienzprobleme verbunden. Beim näheren Hinsehen erscheint eine solche Gerechtigkeitsvorstellung auch an sich wenig zustimmungsfähig: Jemand, der das Glück hat, seinen Arbeitsplatz über lange Zeit nicht zu verlieren, erscheint nicht unterstützungswürdiger als jemand, der das Pech hat, früher bzw. häufiger in diese Lage zu geraten.

Mit Blick auf den vorliegenden Vorschlag ist unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten aber vor allem etwas anderes wichtig: Ein Erwerbsfähiger, der seinen Lebensunterhalt weder selbst noch mit Hilfe seiner Angehörigen aufbringen kann, bekommt entweder ausschließlich oder aufstockend Arbeitslosengeld II (ALG II). Auch das ALG aus der Arbeitslosenversicherung wird aufgestockt, wenn es niedriger ist als ein bestehender ALG II-Anspruch. Das bedeutet, dass diejenigen, die ein geringeres ALG beziehen, weil sie zuvor ein niedriges Arbeitseinkommen hatten, nicht von einer längeren Bezugsdauer profitieren würden – es sei denn, es bestehen beispielsweise aufgrund eines besser verdienenden Partners keine ALG II-Ansprüche. Auch diejenigen, die abhängige Familienmitglieder mitversorgen und deshalb mit dem ALG nicht auskommen, hätten nichts von einer Verlängerung der ALG-Bezugsdauer. Anders ausgedrückt: Von dem Vorschlag, den ALG-Anspruch zu verlängern, profitieren gerade diejenigen überhaupt nicht, die die Hilfe der Gesellschaft am ehesten benötigen. Würden alle Versicherten über ihre Beiträge an der Finanzierung der zusätzlichen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beteiligt, würden sie – solange sie einen Arbeitsplatz haben – stattdessen sogar schlechter gestellt.

Die aktuell hohen Überschüsse der Arbeitslosenversicherung könnten eine Verlängerung der Bezugsdauer attraktiv erscheinen lassen. Selbst bei großzügiger Leistungsgewährung müssten die Beiträge vielleicht erst mit Verzögerung steigen. Käme man mit ausreichender Sicherheit zu dem Schluss, dass die Überschüsse auch in konjunkturell schlechteren Phasen nicht benötigt werden, sollten sie jedoch viel eher Anlass zu Beitragssenkungen sein. Davon würden alle Versicherten profitieren.

Fazit

Die Kopplung der Bezugsdauer des ALG an die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen setzt Fehlanreize und erscheint gleichzeitig auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten schlecht begründbar.

Selbstverständlich sollten immer Wege gesucht werden, Arbeitslosen sinnvolle Qualifizierung zu ermöglichen und sie im Bedarfsfall bei der Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme zu beraten und zu unterstützen. Es ist schließlich durchaus davon auszugehen, dass Arbeitslose auch dann ein Interesse an sinnvollen Maßnahmen haben, wenn sie dadurch nicht die Dauer des ALG-Bezugs, sondern vielmehr ihre Arbeitsmarktchancen steigern können.

Noch wichtiger wäre es, den Fokus auf diejenigen zu legen, die tatsächlich seit langer Zeit arbeitslos sind und keinen Anspruch mehr auf das ALG haben oder jemals hatten, sondern ALG II beziehen. Diesen Menschen Perspektiven zu bieten, sollte über die momentan geführte Debatte nicht in Vergessenheit geraten.

Hinweis: Dieser Text ist auch als Ausgabe Nr. 4/2017 der Reihe „Der Ordnungspolitische Kommentar“ des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.

Blog-Beiträge zum Thema:

Dieter Bräuninger: Arbeitslosengeld Q. Die Krux mit der Gerechtigkeit

Alfred Boss: Arbeitslosengeld für einen verlängerten Zeitraum?

Oswald Metzger: Die „fake news“ des Martin Schulz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert