Gastbeitrag:
Sind die Medien in der Krise, weil der Markt versagt?

Er ist 78 Jahre alt und sieht in die Zukunft: „Die Zeiten des freien Internets werden bald vorbei sein“, hatte Rupert Murdoch im Frühjahr prognostiziert. Der mächtigste Verleger der Welt (Murdoch gehören über 100 Zeitungen) möchte selbst zur Erfüllung der Prognose beitragen: Die ersten Zeitungen seiner News Corporation kündigten vor wenigen Tagen Bezahlinhalte ab kommenden Frühjahr an. Dann sollen diese Inhalte auch nicht mehr über Google erreichbar sein, wie Murdoch  betonte.

In Deutschland ist Springer der erste. Der Verlag plant, iPhone-Nutzern ab Ende des Jahres die Webseiten von „Welt“ und „Bild“ zu sperren. Die Inhalte sollen auf dem Apple-Handy nur noch für den zu lesen sein, der eine Software aufspielt, für die entweder einmalig bezahlt werden muss oder eine Abo-Gebühr fällig wird.

Die Verlage sind auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen für ihr Wirtschaftsgut „Information“. Schon in der Printwelt war dieses Gut ein besonderes. Denn normalerweise bewertet der Kunde vor einem möglichen Kauf das Produkt. Er will prüfen, ob sich der Erwerb lohnt. Dafür aber muss er es begutachten. Bei der Betrachtung des Produkts „Information“ allerdings eignet man es sich bereits an. Der Kauf ist dann gar nicht mehr nötig.

Informationsanbieter versuchen dieses Dilemma (man nennt es auch das „Bewertungsparadox von Arrow“) mit zwei Strategien zu umgehen: Sie präsentieren zum einen kostenlose Informationshappen, die zum Kauf des Produkts anregen sollen, und versuchen zum anderen Reputation aufzubauen. Bei wem dies gelingt, der greift am Kiosk zu seiner Lieblingszeitung, ohne einen Blick auf die Titelseite zu werfen, weil die Erfahrung lehrt, dass sich der Kauf lohnt.

In der Printwelt ließ sich das flüchtige Gut „Information“ halbwegs einfangen. Vor allem tagesaktuelle Publikationen hatten sozusagen eine stoffliche Exklusivitätstechnik fest eingebaut: Wer die ganze Story lesen wollte, musste in den Besitz der Zeitung kommen.

Das Internet verändert den Charakter des Gutes „Information“: Der Zugriff auf Informationen ist einfacher und umfangreicher geworden; die Trennung zwischen Anbietern von Information und Nachfragern wird unscharf; Information lässt sich leicht verändern; der Aufwand der Vervielfältigung tendiert gegen Null; Informationen lassen sich fast ohne Kosten über beliebige Entfernungen transportieren; und im Unterschied zu Papier nutzt sich digitale Information nicht ab.

Die Folgen dieser Veränderungen sind vielfältig. Weil zum Beispiel alle Informationen für alle verfügbar sind, kommt es zum Informationsüberfluss. Anpassungsprozesse sind die Folge. Manche Angebote verschwinden, neue Ideen setzen sich durch. Schon immer war das Bessere der Feind des Guten.

Die aktuelle Medien-Krise aber wirft die Frage auf, ob das Medium Internet dazu beiträgt, dass das Informationsangebot stärker als gewollt reduziert wird, wobei „stärker als gewollt“ in einer Marktwirtschaft bedeutet, dass Umfang und Qualität des Angebots niedriger ist als die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager. Es entstünde dann ein Wohlfahrtsverlust: Obwohl ein besseres Angebot gewünscht und auch bezahlt würde, wird es nicht geliefert.

Ein solches potenzielles Marktversagen kann zwei Ursachen haben: Entweder wenn es sich bei dem Produkt „Information“ um ein so genanntes öffentliches Gut handelt oder der Markt zum natürlichen Monopol tendiert. Ist Marktversagen der Grund für die aktuelle Medienkrise?

Ein natürliches Monopol kann sich dann bilden, wenn hohe Fixkosten anfallen und die Kosten zusätzlicher Produktion (Grenzkosten) gering sind. Da sich Fixkosten auf die gesamte Produktion verteilen, sinken die Stück-Kosten je mehr produziert wird. Am billigsten kann dann derjenige anbieten, der am meisten verkauft. Die Folge: Wer groß ist, wird noch größer.

Diese Entwicklung ist bei Informationsangeboten im Internet zu beobachten. Den Fixkosten der Informationserstellung (Personal für Redaktion, Computertechnik, Gebäude, Marketing) stehen Grenzkosten gegenüber, die gegen Null tendieren. Denn ein zusätzlicher User auf der Webseite des Informationsanbieters verursacht minimale Zusatzkosten (Serverkosten).

Allerdings: Gibt es kaum Hürden, um in einen Markt einzusteigen, geht es Monopolisten meist schnell an den Kragen. Die Konkurrenz macht dann mit frischen Ideen die Kostennachteile wett.

So scheint es auch gegenwärtig zu sein: Das umfangreiche Informationsangebot im Internet ist ein Indiz dafür, dass der Nachteil der Monopoltendenz durch die gefallenen Publikationshürden kompensiert wird.

Ist die Information im Internet aber vielleicht ein öffentliches Gut? Öffentliche Güter zeigen beim Konsum zwei Besonderheiten: Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit.

Nicht-Rivalität meint, dass ein Gut zur gleichen Zeit von vielen Personen verwendet werden kann, ohne dass die Nutzung des einen die Nutzung des anderen beeinträchtigt. Während ein Auto zur gleichen Zeit nur von einem Fahrer gefahren werden kann (Rivalität), ist die Nutzung einer Webseite für viele gleichzeitig möglich (Nicht-Rivalität).

Nicht-Ausschließbarkeit heißt, dass es nicht möglich ist, Personen vom Konsum eines Gutes auszuschließen. „Saubere Luft“ zum Beispiel ist ein solches öffentliches Gut, Informationen im Internet aber eben nicht.

Es ist technisch kein großes Problem, Informationen nur jenen zukommen zu lassen, die dafür bezahlen. Bei speziellen Fachinformationen wird das heute auch schon gemacht. Bei Nachrichten, die potenziell viele interessieren (Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur), aber schreckten die Medienunternehmen vor Bezahlinhalten zurück. Denn das Geschäftsmodell basiert bisher auf dem Verkauf von Werbeplätzen in der Nähe zu journalistischen Inhalten.

Den potenziellen Zusatzeinnahmen durch Bezahlinhalte stünden folglich Verluste durch Werbeeinnahmen gegenüber, weil durch die Zugangsbarriere weniger Nutzer auf die Seiten gelangen würden. Die beiden Einnahmequellen „Werbung“ und „Paid Content“ korrelieren also negativ. Die Medienunternehmen müssen abwägen, welche Strategie am gewinnträchtigsten für sie ist. Das aber ist lediglich ein Problem des Unternehmens, nicht des Marktes.

Der Umbruch des Medienmarktes ist folglich ein natürlicher, ein Marktversagen für das Gut „Information“ liegt nicht vor. Das allerdings bewahrt die Medienbranche nicht vor gravierenden Einschnitten. Wie in anderen Branchen auch, zerstört der technische Fortschritt alte Geschäftsmodelle. In der Medienbranche löst aktuell das Internet die mehr als 150 Jahre währende Dreiecksbeziehung von Verlegern, Werbetreibenden und Journalisten auf.

Weil es für das Publizieren im Internet keine teuren Druckmaschinen braucht, wird die Rolle des Verlegers als Geldgeber obsolet. Und wer etwas verkaufen will, der ist nicht mehr auf die Platzierung seiner Angebote neben journalistischen Inhalten angewiesen. Über Ebay lässt sich günstig ein Millionen-Publikum ansprechen und kleine Textanzeigen neben und über Google-Suchtreffer-Listen erreichen zielgenau Interessenten.

Die Medienbranche befindet sich also im Prozess der schöpferischen Zerstörung, wie es Joseph Schumpeter formuliert hatte. Allerdings zeigt die aktuelle Medienkrise, dass das Ende eines Geschäftsmodells nicht automatisch ein neues hervorbringt. Nicht immer wird das Gute durch das Bessere abgelöst. Oft muss das Bessere erst gesucht und gefunden werden.

Der Medienexperte Clay Shirky zieht in seinem lesenswerten Aufsatz „Thinking the unthinkable“ einen Vergleich zur Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert, welche die  Gesellschaft in heftige Turbulenzen stürzte.

„How did we get from the world before the printing press to the world after it? …Chaotic, as it turns out. The Bible was translated into local languages; was this an educational boon or the work of the devil? Erotic novels appeared, prompting the same set of questions. Copies of Aristotle and Galen circulated widely, but direct encounter with the relevant texts revealed that the two sources clashed, tarnishing faith in the Ancients. As novelty spread, old institutions seemed exhausted while new ones seemed untrustworthy; as a result, people almost literally didn’t know what to think.“

Das Alte, so Shirky“˜s Fazit, geht häufig schneller kaputt wie Neues an seine Stelle treten kann. So sei es bei der Erfindung des Buchdrucks gewesen, so geschehe es heute nach der Erfindung des Internets.

Aber was wird das Neue, das Bessere? Wir werden es erst im Rückblick wissen. Das Entdeckungsverfahren des Marktes war schon immer schlauer als alle Prognosen gut bezahlter Berater zusammen. Auch Shirky hält sich wohltuend zurück:

“If the old model is broken, what will work in its place? The answer is: Nothing will work, but everything might.“

Es klingt nach Plattitüde, stimmt aber dennoch: Wie jede Krise, ist auch die Medienkrise die Zeit für Experimente. Und einer von vielen Vorteilen des Internets ist: Jeder kann selbst experimentieren. Vielleicht bastelt ja gerade ein 14-jähriger Computerfreak an einer großen Idee.

3 Antworten auf „Gastbeitrag:
Sind die Medien in der Krise, weil der Markt versagt?“

  1. Persönlich möchte ich den Bezahltinformationen im Internet keine große Chance einräumen. Vor die Wahl gestellt, wofür ich bezahlen möchte, wird es immer das Printprodukt sein. Ich spare mir den Erwerb desselben nur dann, wenn mir die Alternative als Kostenlosinformation im Netz geboten wird.
    Printprodukte sind universell einsetzbar – von Zeit, Raum, Technik und Energiequellen unabhängig. Das ist ihr unschätzbarer Vorteil. Deshalb sehe ich für den Printmedienmarkt zwar die Gefahr des Gesundschrumpfens durch das derzeit noch bestehende Überangebot, aber keinen Untergang. Sehr wahrscheinlich werden Internet und Printmedien ein auskömmliches Nebeneinander finden.

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