Standortvorteile durch F&E-Kooperationen

Derzeit dominieren in wirtschaftspolitischen ebenso wie in unternehmenspolitischen Diskussionen eher kurzfristig orientierte Themen. Konjunktur und Kreditklemme stehen im Vordergrund. Doch mit der Aufhellung der wirtschaftlichen Perspektiven ist es an der Zeit, wieder langfristige und strukturelle Weichenstellungen in das Blickfeld zu nehmen, zum Beispiel den Innovationsstandort Deutschland und seine Bedeutung für in- und ausländische Unternehmen.

Innovationsfähigkeit

Wird der Gesamtindikator für die Innovationsfähigkeit von Volkswirtschaften herangezogen, den das DIW Berlin im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nun zum fünften Mal erstellt hat, liegt Deutschland nur im Mittelfeld. Das Ranking der siebzehn weltweit führenden Industrieländer wird von USA, der Schweiz und Schweden angeführt. Deutschland liegt auf dem neunten Platz. Der Innovationsindikator setzt sich aus mehreren Subindikatoren zusammen, die das Innovationssystem sowie das Innovationsklima abbilden sollen. Für unser Thema ist interessant, dass Deutschland trotz seines insgesamt durchschnittlichen Abschneidens spezifische Stärken aufzuweisen scheint: Es ist besonders erfolgreich bei der Vernetzung von Unternehmen, die Innovationen schaffen (Platz 3) sowie auf den internationalen Märkten der Hochtechnologiebranchen wie Maschinenbau, chemische Industrie, Automobilbau und Medizintechnik. Deutschland weist offensichtlich eine hohe Vernetzungskompetenz bei Unternehmensaktivitäten auf, die zu Innovationen führen. Dies deutet auf die Zusammenarbeit von Unternehmen bei ihren Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten hin: F&E-Kooperationen, Innovationsnetzwerke sowie Technologiecluster. Kooperative Strategien bei Forschung und Entwicklung haben tatsächlich deutlich zugenommen.

Open Innovation

Open Innovation (der Begriff wurde von Henry Chesbrough 2003 geprägt) kann als Fundament einer kooperativen Innovationspolitik von Unternehmen interpretiert werden. In die unternehmerischen F&E-Aktivitäten werden Zulieferer, Abnehmer, Wettbewerber, Kunden und externe Forschungsorganisationen einbezogen. Noch am Beginn des 20. Jahrhunderts fanden etwa 20% der F&E-Aktivitäten außerhalb einzelner Unternehmen statt, bevor sie dann zunehmend in die Unternehmen integriert wurden und beginnend mit den 1960er Jahren Kooperationen Bedeutung gewannen. Sie werden in manchen Industrien, etwa in der Pharma-Industrie derzeit als der wichtigste Trend überhaupt eingeschätzt. Befragungen der Unternehmen in OECD-Mitgliedsländern zeigen, dass zwischen 20 und 60% der großen Unternehmen und zwischen 3 und 20% der mittelständischen Unternehmen bei ihren F&E-Aktivitäten kooperieren, entweder auf Projektbasis oder dauerhaft. So weisen die skandinavischen Ökonomien hohe Kooperationsquoten aus, während Deutschland mit 35% (große Unternehmen) und 8% (mittelständische Unternehmen) im Mittelfeld liegt. F&E-Kooperationen sind am stärksten bei High-Tech-Innovationsprojekten angesiedelt. F&E-Kooperationen sind größenabhängig. So kooperieren in Deutschland 24% der Unternehmen mit 1-19 Beschäftigten, 34% der Unternehmen mit 20-99 Beschäftigten, 52% der Unternehmen mit 100-249 Beschäftigten, 51% der Unternehmen mit 250-499 Beschäftigten und 69% der Unternehmen mit über 500 Beschäftigten.

Partner und Institutionalisierung

Die wichtigsten Partner in F&E-Kooperationen deutscher mittelständischer Unternehmen sind ihre Zulieferer (knapp über 50%), gefolgt von Hochschulen und Forschungseinrichtungen (44%) sowie Kunden (43%). Über 30% der Partner sind Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe. Diese Werte stammen aus der BDI-Mittelstandsbefragung von 2005, in der nach den Partnern beim derzeit wichtigsten F&E-Kooperationsprojekt gefragt wurde. Aus einer internationalen Erhebung der OECD nach der Zusammenarbeit von Unternehmen mit Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen geht hervor, dass knapp 20% der grösseren und 5% der mittelständischen deutschen Unternehmen bei Innovationsaktivitäten mit Universitäten zusammenarbeiten. Deutsche Unternehmen liegen dabei im internationalen Vergleich im obersten Drittel. Die entsprechenden Werte für die Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Forschungseinrichtungen liegen bei 10% und 2%. F&E-Kooperationen reichen von formlosen Vereinbarungen bis zur Gründung gemeinsamer Unternehmen. So geht aus einer Untersuchung von F&E-Kooperationen von Biotechnologie- und Medizintechnik-Unternehmen (BioRegio STERN Management und Capgemini Deutschland) hervor, dass projektbezogene Verträge und langfristige Kooperationsverträge dominieren. Dann folgen formlose Vereinbarungen vor vollständigen Verschmelzungen und Akquisitionen.

Motive und Ziele

Somit stellt sich nun die Frage nach den Motiven und Zielen von Unternehmen, die sich in F&E-Kooperationen engagieren. Grundsätzlich muss es möglich sein, eine Kooperationsrente zu erwirtschaften, die die Kosten der Koordination und von Abhängigkeit übersteigt. Konkret sind es die folgenden Motive, die den meisten Kooperationen zugrunde liegen: Das Internalisierungsmotiv wird in den Vordergrund treten, wenn Patente nicht ausreichen, die F&E-Ergebnisse zu schützen. Eine Kooperation der potenziellen Nutznießer kann dann die F&E-Spillovers internalisieren. Zugang zu den Ressourcen, dem Wissen und der Kompetenzen der Kooperationspartner zu erlangen ist ein weiteres wichtiges Motiv. Das Kostenteilungsmotiv trägt gestiegenen F&E-Kosten Rechnung und soll eine Kostenduplizierung, Parallelforschung und „Neuentdeckungen“ vermeiden helfen. Die F&E-Kosten haben auch im Zusammenhang mit einer Verkürzung der Produktlebenszyklen zunehmendes Gewicht erhalten. Dies gilt auch für die F&E-Risken nicht erfolgreicher Projekte. Das Risikoreduktionsmotiv korrespondiert mit der Aufteilung des Risikos auf die einzelnen Partner und kann es so für die einzelnen Unternehmen tragbarer machen. Auch das Wettbewerbsmotiv scheint eine Rolle zu spielen. In einer Kooperation sind Informationen über die F&E-Aktivitäten und –Ausgaben von Konkurrenten und Geschäftspartner zu erlangen, freilich unter der Preisgabe der eigenen Informationen. Schließlich ist das Standardsetzungsmotiv zu berücksichtigen. Gemeinsame F&E-Aktivitäten können schneller und kostengünstiger grundlegende Standards entwickeln, für die eine bestimmte Mindestmarktgröße schnell erreicht werden muss. Auf der Basis eines gemeinsamen Standards können dann wieder kompetitive Strategien umgesetzt werden. Zusammengefasst geht es im Wesentlichen darum, durch F&E-Kooperationen die Geschwindigkeit und die Anzahl von Innovationen zu erhöhen und die dafür anzusetzenden Kosten für die einzelnen Partner zu senken. Aus Befragungen von Unternehmen bezüglich ihrer Kooperationsziele geht branchenunabhängig hervor, dass die Erlangung von Technologie-Know-how, die Verbreiterung des Marktzugangs, die Risikoteilung sowie die Kostenteilung die Rangfolgen dominieren. Selbstverständlich bergen F&E-Kooperationen auch Gefahren. So können sie unklare Patentsituationen mit sich bringen, falls im Vorfeld keine klaren Regelungen getroffen wurden. Häufig wird der Verlust der Kontrolle über den Innovationsprozess sowie der Verlust eines Wissens- oder Technologievorsprungs beklagt.

Wirtschaftspolitische Dimensionen

Doch nicht nur die Kalküle der einzelnen Unternehmen gilt es zu hinterfragen, sondern auch die wirtschaftspolitischen Dimensionen dieser Entwicklung sollten berücksichtigt werden, was bisher weitgehend vernachlässigt wurde. Unternehmen nutzen offensichtlich unter Berücksichtigung der wettbewerbsrechtlichen Restriktionen ihre wirtschaftliche Freiheit zur Zusammenarbeit im Rahmen ihrer Innovationspolitik. Eine gestiegene unternehmerische Innovationsfähigkeit beeinflusst jedoch auch die Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten von Standorten, Regionen und Volkswirtschaften. Dies wird in einem Prozess wichtig, in dem manch global tätige Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsketten weltweit organisieren, ihre F&E-Aktivitäten in Europa zusammenlegen. F&E-Kooperationen weisen also unmittelbare Bezüge zur Standort-, zur Regional und zur Integrationspolitik und nicht zuletzt zur Ordnungspolitik auf. Es geht dann darum, in einem nächsten Schritt die Determinanten der Vernetzungskompetenz von Standorten auszuloten. Wird in diese von den Unternehmen investiert oder von der Politik?

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