Seit einigen Jahren lässt sich in den USA und auch im Vereinigten Königreich beobachten, dass im universitären Raum (und auch an anderen Stellen) sog. „safe spaces“ gefordert und auch eingerichtet werden. Bei einem „safe space“ handelt es sich um einen „Raum, der vor Konfrontation mit Äußerungen schützen soll, die als verletzend oder angreifend empfunden werden und ein Missbehagen zumindest bei bestimmten Gruppen von Personen auslösen können“ (Froese 2018, 480). Durch diese „safe spaces“ werden „Lehrende und Forschende zu einer ganzbestimmten Konformität gezwungen. Die Studierenden sollen vor unorthodoxen und als missliebig angesehenen Gedanken geschützt werden. In diesem Zusammenhang hört man oft die Begriffe ,safe spaces‘ und ,micro-aggression‘“ Frey (2020).
Wir wollen in diesem Post kurz untersuchen, ob derartige Einrichtungen a) mit dem Leitgedanken der Universität und b) mit einem liberalen Weltbild vereinbar sind.
Ad a) Betrachtet man die Universität als Ort der Wissensproduktion und insbesondere der Weiterentwicklung des Wissens, dann ist hier die Antwort schnell gefunden: Kontroverse Diskussionen und konstruktive Kritik an vorherrschenden Paradigmen sind elementare Voraussetzungen einer Weiterentwicklung der Wissenschaft (Kant, 1781). „Safe spaces“ verhindern dies.
Ad b) Der Liberalismus fußt auf drei wesentlichen Prämissen: Er basiert (1) auf einem Menschenbild, das sich durch Verschiedenartigkeit der Individuen hinsichtlich unterschiedlichster Sachverhalte (Präferenzen, Ressourcen etc.) (Hayek, 1969; 1976a; 1976b) sowie durch Willensfreiheit der Individuen auszeichnet (Popper, 1973, S. 242ff.; Hayek, 1983, S. 91f.). Er fordert (2) maximale individuelle Spielräume im Kontext der Einbindung in soziale Gruppierungen, was bedeutet, dass die Freiheit der Individuen nach Möglichkeit äquidistant auszugestalten ist (Stichwort: Gegenüberfreiheit) (Hayek, 1983, S. 37ff.). Liberalismus erfordert zudem (3) Toleranz und damit die „[…] Duldung auch offenbar unsinniger Lehren […] Er fordert Duldung für Lehren und Meinungen, die er als der Gesellschaft schädlich und verderblich erachtet, für Richtungen, die er zu bekämpfen nicht müde wird“ Mises (1927, 50).
Der „safe space“ erzeugt nun eine dem Sen-Paradoxon vergleichbare Situation (Sen 1970), was ein einfaches Beispiel aus der akademischen Welt verdeutlichen soll. Professor A hat unorthodoxe Ideen, die Student B persönlich kränken, und die A aber mit seinem Studenten B diskutieren möchte. B fordert deswegen die Einrichtung eines „safe space“, in dem er vor den Theorien As geschützt ist. Es lassen sich also nicht beide Zielsetzungen gleichzeitig realisieren, weshalb eine klassische Dilemmasituation vorliegt, die sich nur auflösen lässt, wenn einem der beiden, also A oder B, Vorrang gewährt wird. Dies impliziert jedoch eine normative Abwägung der Präferenzen, woraus wiederum eine Beschneidung der individuellen Freiheit eines der beiden Individuen resultiert. Wird etwa die Schutzwürdigkeit des Studenten B akzeptiert, schränkt dies die wissenschaftliche Freiheit des A ein.
Offenbar hilft also hier die Perspektive des Liberalismus nicht weiter, um den Konflikt aufzulösen. Freilich wäre aber folgendes zu überlegen:
1) Menschliches Handeln ist zweckbezogen und beruht auf Entscheidungen (Mises, 1998). Jede Entscheidung hat (unsichere) Konsequenzen, die man durch Treffen der Entscheidung in Kauf nimmt („Entscheiden heißt verzichten!“).
2) Universitäten sind Orte der Wissensproduktion, die elementar auf kontroverse Diskussionen angewiesen ist.
3) B hat – vereinfacht – folgenden Entscheidungsspielraum:
a) Er kann der Universität fernbleiben und auf höhere Bildung verzichten.
b): Er kann die Universität besuchen, dort in den Genuss höherer Bildung kommen.
Dabei muss er aber die daraus resultierenden Mikroaggressionen in Kauf nehmen.
Vor diesem Hintergrund muss die Forderung nach „safe spaces“ an der Universität eigentlich auch aus einer liberalen Perspektive zurückgewiesen werden. Zudem ist zu fragen, ob „safe spaces“ überhaupt existieren können. Denn das Eindringen eines zweiten Individuums kann allein durch dessen Kleidung, Aussehen, Verhalten etc. Mikroaggressionen auslösen. Selbst das alleinige Besetzen eines „safe space“ durch ein Individuum kann bei diesem Mikroaggressionen auslösen, da es evtl. die Gegenwart anderer erwartet, die aber nicht erfolgt. Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen unliebsamen Ansichten, die bis zu subjektiv empfundenen Geschmacklosigkeiten reichen können, und dem Überschreiten rechtlicher Grenzen. Statt der Institutionalisierung sog. „safe spaces“, sollte sich die akademische Welt i.S. einer universitas magistrorum et scolarium auf universelle Werte wie Respekt und Toleranz besinnen. Vor diesem Hintergrund kann wohl nur an folgendes appelliert werden: Tolerant und langmütig zu handeln und sich nicht selbst zu wichtig zu nehmen.
Literatur:
Frey, B. S. (2020). Die Universität als Wohlfühlanstalt. Kolumne: Frey heraus Ausgabe 1073, Februar 2020, in: Schweizermonat.
Froese, J. (2018). Der Universitätscampus als „Safe Space“: Verlangt die Rechtsordnung die Gewährleistung einer Wohlfühlatmosphäre?, in: JuristenZeitung, 73. Jg., S. 480-489.
Kant, I. (1781). Kritik der reinen Vernunft. Riga.
Popper, K. R. (1973), Über Wolken und Uhren, in: ders., Objektive Erkenntnis, Ein evolutionärer Entwurf, 2. Aufl., Hamburg, S. 230-282.
Sen, Amartya (1970). The Impossibility of Paretian Liberal, in: Journal of Political Economy, 78. Jg., S. 152-157.
von Hayek, F. A. (1969), Rechtsordnung und Handelnsordnung, in: ders., Freiburger Studien, Tübingen, S. 161-198.
von Hayek, F. A. (1976a), Die Verwertung von Wissen in der Gesellschaft, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 2. Aufl., Salzburg, S. 103-121.
von Hayek, F. A. (1976b), Wahrer und falscher Individualismus, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 2. Aufl., Salzburg, S. 9-48.
von Hayek, F. A. (1983), Die Verfassung der Freiheit, 2. Aufl., Tübingen.
von Mises, L. (1927). Liberalismus. Jena.
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Der wahre Safe-Space ist meiner Ansicht nach,
das der freie, öffentliche Gebrauch, den jemand von seiner Vernunft macht, nicht dazu führen darf, die Integrität der Person beim privaten Gebrauch seiner Vernunft in Zweifel zu ziehen („privater“ und „öffentlicher Vernunftgebrauch“ im Sinne von Kants „Was ist Aufklärung?“).