Statistiken gelten dann als unbestechlich, wenn sie seriösen Quellen entstammen. Gegen die Staatsanwaltschaft eines mitteleuropäischen Staates als Quellengeber wird man dabei vermutlich keine Vorbehalte haben. Wie ist somit der Sachverhalt zu bewerten, dass ein Land – auch nach eigenen Aussagen – die höchste Kriminalitätsrate der Welt aufweist? Und liegt vielleicht ein spezieller Fall vor, wenn es sich bei dem Staat um den Vatikan handelt?
Entscheidend ist für die Bewertung dieser Aussage, dass die Kriminalitätsrate als Anzahl der registrierten Straftaten je Staatsbürger gemessen wird. Da von den knapp 1000 im Vatikan lebenden Einwohnern nur gut 500 die vatikanische Staatsbürgerschaft aufweisen, gleichzeitig aber die Anzahl der Straftaten pro Jahr bei etwa 800 liegt, ist die Kriminalitätsrate entsprechend hoch. Dass etwa 20 Millionen Pilger pro Jahr den Vatikan besuchen und ein großer Teil der Straftaten Taschendiebstähle sind, erklärt die immens hohe Kriminalitätsrate im Vatikan vermutlich weitestgehend. Wenn man diese Hintergründe kennt, mag man vielleicht über die Statistik schmunzeln. Dabei sind die Daten vermutlich valide ermittelt worden und somit ist die Statistik an sich nicht falsch. Entscheidend ist aber bei jeder Statistik, die Datengrundlage genau zu kennen und zu bewerten. Und da statistische Kennzahlen häufig als Relationen gemessen werden, gilt es sowohl Zähler (die Größe, die gezählt wird) als auch den Nenner (die Zahl, die den Zähler „auf einen Nenner bringt“, also vergleichbar macht) genauer unter die Lupe zu nehmen, da beide Größen Aspekte beinhalten können, die man erst auf den zweiten Blick sieht.
So könnte sich die fiktive Meldung „Bürger verhalten sich umweltbewusster – die Anzahl der gefahrenen Kilometer je Pkw ist gesunken“ vielleicht dadurch erklären, dass immer mehr Haushalte Zweitwagen besitzen und sich somit die gleiche (oder sogar gestiegene?) Anzahl gefahrener Kilometer auf mehrPkw verteilt. Anders herum könnte es sich mit der fiktiven Aussage „Trunkenheit am Steuer sinkt im hohen Alter“ verhalten, da sich im hohen Alter immer weniger Menschen hinter das Steuer setzen und somit auch Trunkenheitsfahrten automatisch in Relation zur Bevölkerung im hohen Alter abnehmen. Es lässt sich also festhalten, dass häufig nicht die Statistik an sich falsch ist, sondern nur einer korrekten Interpretation bedarf.
Hinweis:
Diese Kolumne erschien am 7. Mai 2012 im „Schleswig-Holstein Journal“, der Wochenendbeilage der Tageszeitungen im sh:z
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