„Wenn wir versuchen wollten, Europa zentralistisch zu organisieren und gleichzeitig zu einem mehr oder weniger geschlossenen Block zu schmieden, so ist das nicht weniger als ein Verrat an Europa.“ (Wilhelm Röpke)
Der europäische Stern scheint zu verblassen, wirtschaftlich und politisch. Von der Euphorie der Nachkriegsgenerationen ist nur noch wenig zu spüren. Der von vielen erhoffte Aufbruch in die Vereinigten Staaten von Europa ist abgeblasen, zumindest vorerst. Stattdessen herrscht immer wieder die blanke Angst vor einem Lehman 2.0. Es gelten die ungemütlichen Gesetze von Krisen: Irrationalität und Panik. Die rasch steigende Arbeitslosigkeit außerhalb Deutschlands zeigt das erschreckende Ausmaß der ökonomischen Misere. Vor allem die (mediterrane) Jugend verliert ihr Vertrauen in die europäische Zukunft. Mit der ökonomisch unsinnigen „Retterei“ wird viel politisches Porzellan zerschlagen. Schon wieder prägen offene Feindseligkeiten, oft auch Hass das Bild in Europa. Wirtschaftliches Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht.
Die europäische Idee
Dabei ist der europäische Traum von „Frieden, Freiheit und Wohlstand (für alle)“ nach wie vor grandios. Die wirtschaftliche Integration sollte diesem Traum zum Durchbruch verhelfen. Das war nicht immer einfach. Natürlich gab es lange Streit über den richtigen Weg: Markt oder Staat? Es schien aber, als habe das „Binnenmarktprojekt 92“ die Fronten geklärt. „Markt, Wettbewerb und Subsidiarität“ waren die wichtigsten Elemente der wirtschaftlichen Integration. Und es lief auch lange Zeit ganz gut. Mit den „vier Grundfreiheiten“ wurde das Tempo forciert, Güter- und Faktormärkte zu öffnen. Trotz vieler Fortschritte bleibt vor allem auf Arbeits- und Dienstleistungsmärkte noch immer viel zu tun. Die Marktöffnung ist das Herz der wirtschaftlichen Integration in Europa.
Nachdem das „Binnenmarktprojekt 92“ erfolgreich aufs Gleis gesetzt war, wurde die Politik allerdings übermütig. Sie wollte politisch mehr als ökonomisch vernünftig war. Die alte Idee einer Europäischen Währungsunion sollte unverzüglich in die Tat umgesetzt werden. Eine gemeinsame Währung funktioniert aber nur, wenn die Mitglieder wirtschaftlich nicht zu verschieden sind. Für eine konvergente Entwicklung sind offene Güter- und Faktormärkte, mobile Arbeit und glaubwürdige Subsidiarität absolute Pflicht. Sonst erzeugt eine Währungsunion einen hohen Transferbedarf. In Europa war und ist – von den Gütermärkten abgesehen – keine dieser Bedingungen erfüllt. Arbeits- und Dienstleistungsmärkte sind zu wenig offen, Arbeitnehmer national und europaweit zu wenig mobil und das Prinzip der Subsidiarität ist nur ein leeres Wort.
Zerstörerische Währungsunion
Und so kam es, wie es kommen musste. Die Währungsunion beschädigte den Mechanismus der wirtschaftlichen Integration. An die Stelle von „Markt, Wettbewerb und Subsidiarität“ traten „Staat, Kartelle und Zentralisierung“. Die fiskalischen Leitplanken von Maastricht sind unglaubwürdig. „Multiples moral hazard“ ist die Folge. In der Staatsschulden-, Banken- und Zahlungsbilanzkrise haben viele die Hände in den Taschen der Anderen. Gegenwärtige Generationen leben auf Kosten künftiger, Banken nehmen Staaten als Geiseln und hochverschuldete Staaten beuten weniger verschuldete aus. Der riesige Transferbedarf wird über Rettungsschirme und die Notenpresse finanziert. Überall finden wir Fingerabdrücke monetärer Staatsfinanzierung. In Europa entwickelt der zentrale Etat eine fatale Anziehungskraft.
Eine Transferunion setzt einen Teufelskreis in Gang. Mit fiskalischen und monetären Rettungsschirmen werden notwendige Reformen angekündigt aber selten konsequent umgesetzt. Da sich die Pleitekandidaten nicht mehr über nominelle Wechselkurse anpassen können, müssen sie intern abwerten. Das ist politisch ein Himmelfahrtskommando. Rettungsmaßnahmen schaffen Anreize, die Anpassung über sinkende Lohnstückkosten und beruflich und räumlich mobilere Arbeitnehmer zu verzögern. Die jüngsten Erfahrungen lehren, die zu „Rettenden“ kaufen nicht Zeit, sie verschenken sie. Ihre Länder werden finanziell zu einem Fass ohne Boden. Die historische Erfahrung zeigt, dass sich auch das politische Klima in solchen Zeiten drastisch verschlechtert. In den Schuldnerländern wächst der Gläubigerhass.
Wettbewerblicher Föderalismus
Die Strategie der fiskalischen und monetären „Retterei“ ist gescheitert. Ein „Weiter-so“ bedeutet herbe Lasten für Geberländer und Sparer. Europa läuft aber auch Gefahr, den europäischen Binnenmarkt zu zerstören, das Herz der europäischen Integration. Das muss auf alle Fälle vermieden werden. Der Weg zu einer Politischen Union ist ein Irrweg. Das Problem des „multiplen moral hazards“ würde größer. Das deutsche Modell der Fiskalunion auf Europa zu übertragen, ist eine Schnapsidee. Es reicht nicht, überall eine Schuldenbremse nach deutschem Muster einzuführen. Ohne den soliden Unterbau eines wettbewerblichen Föderalismus, der glaubwürdig sicherstellt, dass auch Staaten insolvent werden können, wird diese Strategie scheitern. In Europa sollte mehr schwyzerdütsch gesprochen werden.
Es spricht gegenwärtig nichts dafür, dass die Mitglieder der EWU bereit sind, diesen wettbewerblichen Weg zu gehen. Handlung und Haftung sind weiter entkoppelt, Trittbrettfahrerverhalten bleibt an der Tagesordnung. Das Virus der organisierten Verantwortungslosigkeit hat sich in Europa tief eingenistet. Kooperativer Föderalismus ist nach wie vor en vogue. Es wundert deshalb auch nicht, dass eine ordnungspolitisch adäquate wettbewerbliche Wirtschaftsverfassung nirgendwo mehr vorne auf der politischen Agenda in Europa steht. Auf der Wunschliste der Politik stehen stärker koordinierte und harmonisierte Wirtschaftspolitiken, ein weiter ausgebauter europäischer Wohlfahrtsstaat und eine gemeinsame Wirtschaftsregierung. Damit bleibt „multiples moral hazard“ weiter die eigentliche Herausforderung.
Fazit
Der europäische Traum von „Frieden, Freiheit und Wohlstand“ ist ausgeträumt, zumindest vorerst. Mit dem Euro sind „Markt, Wettbewerb und Subsidiarität“ auf der Verliererstraße. Der Vormarsch des Staates scheint nicht mehr aufzuhalten. Wettbewerb wird durch staatliche Lenkung ersetzt. Die latente Tendenz, zu harmonisieren und zu koordinieren, wird verstärkt. Der Euro forciert den Ausbau der EWU zu einer Transferunion. Er zerstört den Wettbewerb und fördert Umverteilung. Der Flurschaden ließe sich nur in Grenzen halten, wenn die EWU gesundschrumpfen würde. Damit ist aber nicht zu rechnen. Die Pleitiers haben wenig Grund, die EWU zu verlassen. Das halsbrecherische währungspolitische Experiment ist erst zu Ende, wenn Deutschland den Stecker zieht. Dazu sind aber die existierenden politischen Parteien (noch) nicht bereit.
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Sehr geehrter Herr Prof. Berthold,
als schweizerisch-deutscher Doppelbürger kann ich Ihr Lob des wettbewerblichen Föderalismus aus eigener Anschauung nur bestätigen. Leider sehe ich in Deutschland derzeit fast keinen Politiker, der sich dafür einsetzt.
Mit freundlichen Grüßen, Harro Haberbeck
NASSIM NICHOLAS TALEB, der Autor von „Der schwarze Schwan“, plädiert für Non-Zentralisation zur Rettung marktwirtschaftlicher Ordnungen.