Die enorme Staatsverschuldung in vielen europäischen Staaten, aber auch in Japan oder den USA, erweist sich als zunehmend problematisch. In Deutschland gefährdet neben den finanziellen Folgen der europäischen Schuldenkrise insbesondere die demografische Entwicklung die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen und der sozialen Sicherungssysteme. Dabei ist in den nächsten zehn Jahren die demografische Entwicklung für die Haushaltskonsolidierung noch günstig: einem relativ hohen Anteil an Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung stehen bereits weniger Kinder und noch nicht so viele Rentner gegenüber. Diese Zeitspanne muss genutzt werden, um die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Auch sollte das deutsche Bildungssystem anders finanziert werden: Frühkindliche und schulische Bildung sollten weitgehend staatlich, universitäre Ausbildung hingegen mehr privat finanziert werden. So würden die Bildungschancen für Kinder aus bildungsferneren Haushalten verbessert. Dadurch verbessern sich auch ihre Beschäftigungschancen deutlich. Das trägt zu stabileren öffentlichen Finanzen bei.
Bis zum Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise galten viele Staatsanleihen als sichere Vermögensanlagen. Die vergangenen Jahre haben jedoch deutlich vor Augen geführt, dass dies ein Trugschluss war. Ohne die europäischen Rettungsschirme wären Länder wie Griechenland oder Portugal zahlungsunfähig. Bereits im Rahmen des Maastricht-Vertrags führten die Staaten der Eurozone mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt Regelungen ein, die dafür sorgen sollten, dass die Währungsunion nicht durch übermäßige öffentliche Verschuldung gefährdet wird: Die Schuldenquote dürfe nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die Neuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen. Die „No-bail-out-Klausel“ sieht zudem ein Verbot der Übernahme von Schulden anderer Eurozonenstaaten vor. Diese Regeln wurden vielfach gebrochen. Seitdem wurde der Pakt um Maßnahmen für eine bessere wirtschaftspolitische Koordinierung und den europäischen Fiskalpakt ergänzt, der die Einführung von nationalen Schuldenbremsen vorsieht. Ob diese Maßnahmen tatsächlich zu solider Finanzpolitik in den Mitgliedsstaaten führen werden, ist fraglich. Denn die Erfahrungen mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zeigen, wie schwierig es ist, glaubwürdige Schuldenregeln zu etablieren. Voraussetzungen dafür, dass Schuldenregeln tatsächlich wirken, wären automatische Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung und keine Schlupflöcher, die das Umgehen der Regelung erlauben. In der Praxis haben sich diese Voraussetzungen jedoch als wenig realistisch erwiesen. Daher sollte mittelfristig eine strikte „No-bail-out“-Regel und damit verbunden eine Insolvenzordnung für Staaten in der Eurozone etabliert werden (siehe ECONWATCH-Policy Brief 09/11). Eine Transferunion hingegen wäre überaus problematisch, weil sobald sich einige Länder stabilitätskonform verhalten, für die anderen Länder die Anreize für eigene Konsolidierungsbemühungen sinken. Das zeigt sich im deutschen Finanzausgleichssystem, gilt aber auch in der Eurozone.
Auch wenn in Deutschland die öffentlichen Haushalte nicht so schlecht dastehen wie in vielen anderen europäischen Staaten, dürfen die Konsolidierungsanstrengungen hierzulande nicht nachlassen. Daher sollte sich die Bundesregierung nicht auf dem niedrigen Zinsniveau und der guten wirtschaftlichen Entwicklung ausruhen. Die finanziellen Folgen der europäischen Staatsschuldenkrise und die demografische Entwicklung stellen erhebliche Haushaltsrisiken dar. Vor diesem Hintergrund sind die jüngst beschlossenen Maßnahmen zum Betreuungsgeld oder zur „Lebensleistungsrente“ sehr kritisch zu sehen. Insbesondere bei den Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme durch die demografische Entwicklung muss frühzeitig gegengesteuert werden. In den kommenden zehn Jahren sind die Bedingungen für Konsolidierungsmaßnahmen noch gut, da die Zahl der Rentner noch nicht so stark steigt und gleichzeitig schon weniger Kinder geboren werden – das bedingt kurzfristig einen relativ hohen Anteil von Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung. Dieses Zeitfenster muss konsequent genutzt werden. Die Konsolidierung sollte insbesondere über die Ausgabenseite erfolgen, indem z. B. Subventionen deutlich abgebaut werden. Auch sollte auf selektive Steuervergünstigungen verzichtet werden. Schließlich muss das Renteneintrittsalter auch weiterhin  an  die Lebenserwartung angepasst werden – die Rente mit 67 wird längerfristig nach oben korrigiert werden müssen.
Erhebliches Potenzial für langfristig stabile öffentliche Finanzen birgt das deutsche Bildungssystem. Im internationalen Vergleich zahlen Deutsche sehr viel für die Elementarbildung ihrer Kinder und recht wenig für die tertiäre Bildung. Gute frühkindliche Bildung ist jedoch entscheidend für Chancen am Arbeitsmarkt. Je höher das Bildungsniveau in der Bevölkerung, desto höher ist die Erwerbsbeteiligung. Das sichert Einkommen, sorgt für Wachstum und entlastet die öffentlichen Haushalte. Die Bildungsfinanzierung sollte daher grundlegend verändert werden: Frühkindliche und schulische Bildung sollten weitgehend staatlich, die universitäre Ausbildung mehr privat finanziert werden. Auch vor diesem Hintergrund ist das jüngst beschlossene Betreuungsgeld kritisch zu sehen, da es die Anreize für Eltern verringert, ihre Kinder von vorhandenen Bildungsangeboten profitieren zu lassen. Langfristig kann sich dies negativ auf Beschäftigung, Wachstum und öffentliche Haushalte auswirken.
Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Grenzen des Wachstums – Ist ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit möglich?“ mit Prof. Dr. Joachim Weimann (Universität Magdeburg) und Prof. Dr. Berthold U. Wigger (Karlsruher Institut für Technologie in Berlin.
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