Gastbeitrag
Mehr Regionalisierung der Regionalpolitik zulassen

30 Jahre nach dem Mauerfall ist der Strukturwandel in den ostdeutschen Bundesländern noch nicht abgeschlossen, und es besteht nach wie vor eine Diskrepanz in den Lebensverhältnissen zwischen Ost und West. Gleichzeitig steht mit dem vorgesehenen Ausstieg aus der Förderung und Verstromung von Braunkohle ein weiterer struktureller Wandel in Teilen Ostdeutschlands, aber auch in Nordrhein-Westfalen bevor. In diesem Zusammenhang werden vielfältige Forderungen nach finanziellen Mitteln erhoben, mit denen der Strukturwandel verlangsamt bzw. seine Auswirkungen abgefedert oder auch neue Strukturen gestaltet werden sollen. Die Politik sollte jedoch keine falschen Erwartungen wecken. Die kurzfristigen Einflussmöglichkeiten von Landes- und Regionalpolitik sind sehr begrenzt und die Erfahrungen mit der Ansiedlungs- und Investitionsförderung gemischt. Daher sollte sich der Staat in der Regionalpolitik darauf beschränken, durch Investitionen in Bildungs-, Forschungs-, Verkehrs- und Digitalinfrastruktur für gute Rahmenbedingungen zu sorgen und stärker regional differenzierte Lösungen zulassen.

Im Zuge des Transformationsprozesses der letzten 30 Jahre haben die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland insgesamt abgenommen. Dennoch beträgt der Einkommensunterschied zwischen West und Ost aktuell pro Kopf noch mehr als 20 Prozent. Und innerhalb Ostdeutschlands nehmen die Disparitäten aktuell zu. Das Auseinanderklaffen regionaler wirtschaftlicher Bedingungen widerspricht jedoch dem im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Folglich wird eine Vielzahl politischer Maßnahmen ergriffen, die helfen sollen, die regionalen Unterschiede zu verringern. Dabei sind primär die Bundesländer und  Kommunen angesprochen, denen das Grundgesetz die Zuständigkeit für die regionale Wirtschaftspolitik zuschreibt. Der Bund wirkt neben dem Finanzausgleich über die Gemeinschaftsaufgaben  zur Verbesserung  der regionalen Wirtschaftsstruktur und zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes an der Regionalpolitik der Länder mit. Darüber hinaus entfalten auch Maßnahmen des Bundes eine regionalpolitische Wirkung, z.B. bei der Verkehrsinfrastruktur und der Forschungspolitik.

Empirische Analysen zeigen, dass strukturschwache Regionen in Deutschland gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen. So erklären insbesondere die demographische Entwicklung, die Siedlungsstruktur und Erreichbarkeit sowie die Branchen- und Größenstruktur der Unternehmen, warum manche Regionen eine weniger dynamische Einkommensentwicklung und eine vergleichsweise hohe Unterbeschäftigung verzeichnen. Insbesondere die ersten beiden Faktoren sind jedoch durch politische Maßnahmen kaum zu beeinflussen. Insgesamt zeigen die Erfahrungen mit Regional- und Strukturpolitik, dass deren Einflussmöglichkeiten – zumindest kurzfristig – sehr begrenzt sind.

Am erfolgversprechendsten ist es, gute Rahmenbedingungen für private Investoren zu schaffen. Dies gelingt  insbesondere durch den Ausbau von Infrastruktur, wie Verkehrsanbindungen und digitale Netze. Um Innovationen und damit Wachstum zu fördern, ist insbesondere eine erstklassige Bildungs- und Forschungsinfrastruktur zentral. Allerdings muss bei Infrastrukturinvestitionen die Auslastung berücksichtigt werden. Vielfach wird vorgeschlagen, Behörden in strukturschwache Regionen umzusiedeln, um positive Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte zu erzielen. Auch hier gilt es, keine zu hohen Erwartungen zu wecken. So können Synergieeffekte verloren gehen, wenn eine Behörde „auf die grüne Wiese“ verlagert wird. Auch kann es schwierig sein, in diesem Fall geeignete Fachkräfte zu gewinnen.

Erfolgreiche regionale Entwicklung und erfolgreicher Strukturwandel hängen nicht zuletzt davon ab, dass die betroffenen Regionen ihre Stärken und Potenziale erkennen und gezielt entwickeln. Die Menschen vor Ort haben die beste Kenntnis der regionalen Gegebenheiten, Talente und Präferenzen. Daher sollte viel stärker auf regional differenzierte Lösungen gesetzt und diese ermöglicht werden. Damit könnten die Verantwortlichkeiten vor Ort gestärkt, regionale Akteure aktiviert und im Wettbewerb die besten Lösungen gefunden werden. Voraussetzung dafür ist jedoch u.a., dass die Gemeinden eine stärkere Einnahmen- und Ausgabenautonomie erhalten und ggf. auch mehr Möglichkeiten bekommen, für sie relevante rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen zu gestalten. Ein solcher Ansatz könnte eine Chance für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen sein. Allerdings vermitteln die in dem Gutachten der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ enthaltenen Vorschläge der Länder den Eindruck einer „Wünsch-dir-was-Liste“. Somit ist die Gefahr groß, dass die vorgesehenen Mittel für die Regionen in Prestigeprojekten oder Maßnahmen mit geringen Effekten für die wirtschaftliche Entwicklung verpuffen.

Die Möglichkeiten des Staates, mit Regionalpolitik die Lebensverhältnisse anzugleichen, sind sehr begrenzt. Die geringsten Erfolgsaussichten haben staatlich geförderte Investitionen in bestimmte Unternehmen oder Branchen. Denn dem Staat fehlt das Wissen darüber, welches erfolgversprechende Unternehmen oder Branchen sind – die Liste der teuren Fehlschläge ist lang. Daher sollte nicht die Erwartung geweckt werden, dass der Staat neue Wirtschaftsstrukturen in einer Region schaffen kann. Bestenfalls kann er für gute Rahmenbedingungen für private Investitionen sorgen, indem er in Bildung, Forschung und Infrastruktur investiert. Welche konkreten Investitionen dann vor Ort getätigt werden, sollte sich nach den lokalen Gegebenheiten und Präferenzen richten.

Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Möglichkeiten und Grenzen regionaler Wirtschaftspolitik“ mit Prof. Dr. Joachim Ragnitz (ifo Dresden) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin.

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