Der MBA-Eid
Modewelle oder ernsthafte Initiative?

Am  3. Juni diesen Jahres leisteten mehr als 400 Studenten der Harvard Business School einen so genannten MBA-Eid. Bei der Veranstaltung handelte sich um eine Initiative der Absolventen, der sich mehr als die Hälfte der Harvard Absolventen des Jahrgangs anschloss. Die Absolventen beeideten u.a. feierlich, dass sie sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen und mit größter Integrität handeln würden. Sie würden nicht ihre eigenen eng definierten Ambitionen auf Kosten des Unternehmens und der Gesellschaft, der dieses Unternehmen dient, verfolgen.

Angesichts der Wirtschaftskrise und des schlechten Rufes, den die MBA Absolventen gegenwärtig in weiten Kreisen genießen, könnte man – wie auch der „Economist“ in seinem Bericht über die „Feierlichkeiten“ bemerkte – in der Eidesleistung einer Art Marketing Trick ehrgeiziger MBA-Absolventen sehen. Doch es ist höchst plausibel, dass es sich bei dem Eid aus Sicht der Eidesleistenden nicht nur um eine Form von „cheap talk“, sondern um eine ernste Angelegenheit handelte. War das bloß naiv?

Wie ein MBA-Eid Wirkungen entfalten könnte

Ein eng gefasstes Modell eines Homo oeconomicus hat zwar für eher weiche Faktoren wie eine Eidesleistung keinen Raum. Die Psychologie des Verhaltens in Wirtschaftsorganisationen, sagt uns jedoch, dass „weiche“ Faktoren wie öffentliche Zeremonien, insbesondere dann, wenn sie zu einem gemeinsamen Wissen unter den Beteiligten führen, durchaus eine verhaltensleitende Rolle spielen können. Eidesleistungen, wie die an der Harvard Business School vollzogenen, müssen nicht von vornherein wirkungslos bleiben. Sie können motivationale Wirkungen entfalten. Allerdings ist das weit plausibler, wenn die Beteiligten nach der Eidesleistung etwa in einem Unternehmen dauerhaft zusammen bleiben und nicht wie im Falle der Harvard-Zeremonie danach auseinandergehen. Wenn von allen unterstellt wird, der Eidesinhalt sei allgemein akzeptiert, dann wirkt sich die Tatsache, dass der Vollzug des Eides gemeinsames Wissen ist, wie ein wechselseitiger Kontroll- und Reputationsmechanismus aus. Die Frage nach dem guten Sinn des Eides und der darin unterstellten Werte bleibt jedoch zu stellen.

Die Parallele zur ärztlichen Ethik

Es war eines der bei der Gründung der Harvard Business School verfolgten Ziele, sich am Modell der Law und insbesondere auch der Medical School zu orientieren. Diese beiden Einrichtungen standen nicht nur für die Vermittlung von Sachkompetenz, sondern darüber hinaus einer die Professionalität der Absolventen tragenden Wertorientierung. Insbesondere die Mediziner sahen sich nicht als reine Techniker, sondern unterstellten sich der sogenannten ärztlichen Ethik. Diese ist ein Wert-und Normensystem, das es erlaubt, dass Ärzte einander aufgrund etablierter Konventionen und Praxisnormen im gemeinsamen Wissen um die Standards wirksam kontrollieren und kritisieren können.

Das Verhalten der Ärzteschaft ließe sich nicht verstehen, ohne die Praktiken, die wir gewöhnlich als ärztliche Ethik bezeichnen, mit einzubeziehen. Das heißt keineswegs, dass Mediziner ausschließlich von ethischen Erwägungen motiviert werden. Selbstverständlich reagieren Ärzte ebenso wie andere Berufsgruppen auf Anreize. Sie sind an Einkommen interessiert und nicht nur intrinsisch motivierte Normbefolger. Sie sind dennoch auch als Berufsgruppe geteilten Werten und Normen verpflichtet, die sie nicht nur direkt zum Handeln anleiten, sondern auch dazu, andere Ärzte für deren Praktiken zu loben beziehungsweise zu kritisieren. Dabei geht es nicht nur im engeren Sinne um ethische Normen, sondern um Standards der Professionalität. Der Arzt wird nur zum Arzt, weil und insoweit er diese Standards internalisiert hat.

Eine neue Professionalität von Managern?

Der MBA-Eid ist Ausdruck von Bestrebungen, den Manager von der als einseitig empfundenen Parteilichkeit für die Interessen der Anteilseigner partiell zu ent- und an andere Werte zu binden. In diesem Zusammenhang wendet man sich gewöhnlich gegen die vor allem von Milton Friedman betonte (moralische) Verpflichtung des angestellten Managers auf die Maximierung des so genannten „shareholder values“. Diese Orientierung wird geradezu als Wurzel allen Übels, Legitimation der „Gier“ und der Gemeinwohlfeindlichkeit verteufelt. Sie müsse daher — und der MBA-Eid versteht sich als Ausdruck solcher Bestrebungen — durch eine Orientierung an den Interessen aller Stakeholder und letztlich am Allgemeinwohl ersetzt werden.

Nun ist es keine Frage, dass man den Interessen der Anteilseigner dauerhaft kaum wirkungsvoll dienen kann, wenn man sich etwa in einem Aktienunternehmen ausschließlich an der kurzfristigen Kursentwicklung ausrichtet. Dieser Irrtum ist wesentlich durch eine Über- und Fehlinterpretation der These von den „efficient markets“ entstanden. An dieser These ist wohl richtig, dass niemand mehr weiß als die Märkte, doch ist es keineswegs zutreffend, dass die Märkte niemals irren. So wie jeder einzelne immer wieder Fehleinschätzungen unterliegt (und im günstigen Falle aus ihnen lernt) so unterliegen auch Märkte Fehleinschätzungen. Es gibt Übertreibungen vielfältiger Art, die sich aufschaukeln können.

Derjenige, der sich an den Interessen der Anteilseigner orientieren und der moralischen Pflicht ihnen gegenüber als Manager gerecht werden will, sollte sich daher auf langfristige Ziele hin ausrichten und nicht jeder Kursbewegung nachhecheln bzw. sich in vorauseilendem Gehorsam jeder Analystenmode unterwerfen. Das gilt selbst dann, wenn die Anteile — wie das ja auf liquiden Märkten tatsächlich der Fall ist — jederzeit veräußert werden können. Der normale Anteilseigner hält – vernünftigerweise — seine Anteile über längere Zeiträume und ist daher durchaus nicht nur am jeweiligen Augenblicks-, sondern vor allem am langfristigen Wert interessiert. Diesen Zielen seiner Anteilseigner wird der Manager am besten gerecht, wenn er das Unternehmen als ein soziales Gebilde begreift, in dem vielfältige Interessen zusammenkommen. Und er muss gerade dann nach wirksamen Kompromissen unter diesen Interessen suchen, wenn er sich moralisch der Wahrung der langfristigen Interessen der Anteilseigener verpflichtet sieht.

Hippokrates für Manager?

Ein „Hippokratischer Eid für Manager“, der die Pflicht zur langfristigen Wahrung des Interesses der Anteilseigner zum Gegenstand hätte, wäre nach dem vorangehenden durchaus eine erwägenswerte symbolische Handlung. Die Initiatoren und Befürworter eines MBA-Eides sehen diesen auch tatsächlich gern in der hippokratischen Tradition. Aber sie reden zur gleichen Zeit einer Stakeholder-Konzeption das Wort, die gerade nicht die Verpflichtung auf die langfristigen Shareholderinteressen, sondern auf die anderer Stakeholder und der Gesellschaft als ganzer zum Ziel hat.

Darin zeigt sich ein fundamentales Missverständnis. Denn der Arzt ist gerade auf strikte Parteilichkeit für die Interessen des von ihm behandelten Patienten festgelegt. Die ärztliche Ethik verlangt Parteinahme für die Interessen des je eigenen Patienten. Der Patient geht zum Arzt nicht in der Erwartung vom unparteiischen Moralbeurteiler behandelt zu werden, sondern vom Anwalt seiner langfristigen Interessen. Das muss so sein, denn angesichts der Informationsasymmetrien zwischen Arzt und Patient kann der Patient den Arzt nicht auf spezifische Handlungen festlegen. Er muss darauf vertrauen, dass der Arzt sein wohlverstandenes Patienteninteresse im eigenständigen Gebrauch der ärztlichen Urteilskraft im Sinne der Patienteninteressen zu wahren sucht.

Ganz analog könnte man den Anteilseigner als einen Vertrauensgeber sehen, der auf die Parteilichkeit der angestellten Manager für die wohlverstandenen langfristigen Interessen der Anteilseigner setzen muss. Auch er kann nicht vorgeben, was die Manager zu tun haben, weil er nicht wissen kann, was die Manager einmal wissen werden. Wenn man also einen MBA-Eid in Analogie zum hippokratischen Eid etablieren möchte, dann müsste die Eidesleistung auf eine feierliche Verpflichtung auf die Shareholderinteressen hinauslaufen. Das würde – und das ist durchaus nicht ohne Ironie – die Position Milton Friedmans und nicht die auf das Gemeinwohl und alle Stakeholder bezogenen Gegenposition R. Edward Freemans bestätigen.

Eine Warnung zum Schluss

Es ist aufschlussreich, dass die heutigen Bestrebungen, die Ärzteschaft auf Ziele allgemeiner Sparsamkeit im Umgang mit öffentlichen Versicherungsmitteln festzulegen und so das Gemeinwohl zu wahren, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient latent gefährden. Wenn der Arzt den Patienten als Rationierungsagent der Gesellschaft entgegentritt und sie in moralischer Abwägung der Interessen verschiedener Patienten und der Geldgeber (als Stakeholdern) behandelt, dann muss sich das subversiv für das Vertrauen der Patienten gegenüber den Ärzten auswirken. Die Patienten haben keine Garantie mehr, dass der Arzt „ihr“ Arzt ist, der zuverlässig als Anwalt ihrer eigenen Gesundheitsinteressen auf ihrer Seite steht. Die parteiische Unterordnung der ärztlichen Wertungen unter die speziellen Interessen des jeweiligen eigenen Patienten und nicht die Unterordnung der ärztlichen Wertungen unter die Verfolgung des allgemeinen Interesses bildet den Schlüssel für den vertrauensvollen Umgang. Von dieser Warte kann ein auf die Stakeholder und das allgemeine Interesse ausgerichteter MBA-Eid nur bedenklich sein. Ein MBA-Eid im recht verstandenen Sinne Friedmans wäre hingegen vermutlich sinnvoll.

Zentrale Links:
Die Eidesformeln des MBA– und des Hippokratischen Eides

Der Bericht des Economist

2 Antworten auf „Der MBA-Eid
Modewelle oder ernsthafte Initiative?

  1. Lieber Herr Kliemt,
    stimme Ihnen zu – aber kann es nicht sein, daß die MBA-Studenten mit ihrem Eid nicht nur die Stakeholder-Interessen im Sinne Freemans im Sinn hatten, sondern auch ein quasi ordnungsethisches Motiv? Dann ginge es darum, wechselseitig und gegenüber der Öffentlichkeit ein commitment einzugehen, die zustimmungsfähigen Marktspielregeln zu respektieren, d.h. insbesondere sich nicht an Lobbyaktivitäten zu beteiligen, die darauf hinauslaufen, derlei Regeln im eigenen Partikularinteresse zu verbiegen? Es ist ja nicht unplausibel anzunehmen, daß rentensuchendes Verhalten und „regulatory capture“ vor und während der gegenwärtigen Finanzkrise eine Rolle gespielt haben und noch spielen, welche dem „Gemeinwohl“, von dem die MBA-Studenten sprechen, abträglich ist. Friedmans „The business of business is business“ müßte dann um „(not politics)“ ergänzt werden. Und auch die Analogie zum Hippokratischen Eid wäre gewahrt.

  2. „Dieser Irrtum ist wesentlich durch eine Über- und Fehlinterpretation der These von den „efficient markets“ entstanden. An dieser These ist wohl richtig, dass niemand mehr weiß als die Märkte, doch ist es keineswegs zutreffend, dass die Märkte niemals irren. “

    Das mag ja sehr zutreffend sein, nur müssen wir erst einmal definieren unter welchen Bedingungen sich dieser „Markt“ etabliert.

    Nehmen wir nur als Beispiel den Verbriefungsmarkt ( sei es für Häuser oder Kreditkarten o.ä. ) in den Staaten. Ja, dies ist ein Markt, aber mit vom Staat manipulierten Werten. Der kluge Investor benötigt um sich durch die Verstrickungen der einzelnen Rechtsebenen zu finden schon mehr Zeit als das Investment überhaupt Wert ist ( und sollte dann zum Ergebnis kommen, dass der US Kapitalmarkt kein Kapitalmarkt ist sondern ein Schleudermarkt ).

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    „Ein „Hippokratischer Eid für Manager“, der die Pflicht zur langfristigen Wahrung des Interesses der Anteilseigner zum Gegenstand hätte, wäre nach dem vorangehenden durchaus eine erwägenswerte symbolische Handlung.“

    Wie soll ein Manager langfristig „planen“ können, wenn die Volatilität in den Märkten vom Staat selber ausgeht ( vom Finanzministerium und der Zentralbank ) ? Das kann keiner vorhersehen. Jetzt allerdings schon: die westliche Welt wird hyperinflationieren.

    Die Führung geht vom Staat aus, die MBA Absolventen sind doch nur die untergeordnete Matrix davon. Und wenn der Staat versagt, dann muss der MBA Absolvent Maßnahmen ergreifen und den Rotstift ansetzen. Leider sind Sie dann immer die Buhmänner.

    Im übrigen stehen Namen, die in der Vergangenheit im positiven angeeignet worden sind, nicht wirklich für Qualität. Ich verweise nur auf die „Keynes´schen“ Superhelden aus der LSE oder Princeton. Es geht immer nur um Köpfe und nicht um Namen.

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