In der laufenden Legislaturperiode wurde die Chance auf die im Koalitionsvertrag angekündigte Strukturreform für mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem ebenso verpasst, wie den Wettbewerb in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)Â über eine Beitragssatzsenkung zu stärken. Um das Gesundheitssystem langfristig leistungsfähig, finanzierbar und gerecht zu gestalten, sollte die künftige Bundesregierung eine Basisversicherungspflicht für alle Bürger einführen und für mehr Wettbewerb zwischen allen Kassen sorgen.
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist nach wie vor hervorragend. Mehr als 95 Prozent der Weltbevölkerung beneiden uns darum. Doch die Ausgaben steigen mit älter werdender und rückläufiger Bevölkerung, medizinisch-technischem Fortschritt, Zunahme chronischer Krankheiten und wachsender Nachfrage nach hochwertigen Leistungen – gerade im Pflegebereich. In der GKV war Wettbewerb lange Zeit ein Fremdwort. Bis vor fast 20 Jahren die freie Kassenwahl und der Risikostrukturausgleich eingeführt wurden. Um niemanden von Leistungen auszuschließen, wurden zudem Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot festgeschrieben. Zusammen mit dem einheitlichen Leistungskatalog sollte das dafür sorgen, dass gesetzliche Krankenkassen mit günstigen Preisen und gutem Service um Kunden werben. Es zeigte sich, dass Versicherte auf Preisunterschiede reagieren und Kassen darauf mit effizienterer Leistung antworten. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde 2007 der Wettbewerb in der GKV durch mehr Vertragsfreiheit zwischen den Krankenkassen und Leistungserbringern gestärkt. Doch 2009 wurde mit dem Gesundheitsfonds der Preiswettbewerb zwischen den Kassen erheblich eingeschränkt: Er sieht einen staatlich festgelegten einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent vor. Die Beitragszahlungen fließen mit Steuermitteln in den Fonds und werden den Kassen zugewiesen. Der Preiswettbewerb reduziert sich darauf, dass die Kassen Beiträge ausschütten können, wenn sie weniger Geld als zugewiesen benötigen, oder einen Zusatzbeitrag erheben müssen.
Eine Lösung der Finanzierungsprobleme der GKV leistet das GKV-WSG jedoch nicht. Nach wie vor besteht zu wenig Wettbewerb zwischen den Kassen. Damit dieser über Zusatzbeiträge funktioniert, müsste der allgemeine Beitragssatz so stark gesenkt werden, dass die Kassenzuweisungen nicht kostendeckend wären. Damit hätten Kassen den Anreiz, mit Effizienzsteigerungen und Innovationen um die Gunst der Versicherten zu konkurrieren. Diese Chance hat die Bundesregierung ebenso verpasst wie eine echte Strukturreform im Gesundheitssystem. Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag haben gesetzliche Krankenkassen keinen weiteren Spielraum für wettbewerbliches Handeln erhalten. Auch bei der stationären Versorgung gibt es kaum Wettbewerb, weil die Kassen gezwungen sind, mit allen Krankenhäusern im Bedarfsplan Verträge abzuschließen und das „gemeinsam und einheitlich“.
Bislang haben sämtliche Reformen darauf verzichtet, den  weitgehenden Ausschluss des Wettbewerbs zwischen der GKV und der PKV anzugehen. Nur Arbeitnehmer, die mehr als die Jahresarbeitsentgeltgrenze von derzeit 52.200 Euro pro Jahr verdienen, dürfen frei zwischen der GKV und der PKV wählen. Arbeitnehmer, die weniger verdienen, müssen sich in der GKV versichern – ihre Wahlmöglichkeiten sind damit erheblich eingeschränkt. Somit bleiben große Wettbewerbspotenziale ungenutzt.
Die künftige Bundesregierung sollte den Mut zu einer Reform aufbringen, die das Gesundheitssystem langfristig leistungsfähig, finanzierbar und gerecht macht. Dazu sollte sie eine Basisversicherungspflicht für alle Bürger einführen. Ihr Leistungsumfang kann nur über den politischen Willensbildungsprozess  festgelegt  werden. Versicherte sollten die freie Wahl bei Anbietern der Basisversicherung wie auch bei zusätzlichen Leistungen erhalten. Jeder Versicherer sollte die Basisversicherung nur zu einem Beitrag anbieten dürfen, der nicht zwischen den Versicherten unterscheidet. Die einkommensabhängigen Beiträge würden durch Beiträge ersetzt, die unabhängig von Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen und Einkommen sind. Unterschiedliche Versicherungsanbieter würden sich durch die Beiträge für die Basisversicherung unterscheiden. Für alle Versicherten sollte Wahlfreiheit zwischen allen Kassen bestehen. Für alle Anbieter der Basisversicherung sollte wiederum Kontrahierungszwang bestehen, so dass keine etwa chronisch kranken Patienten von den Versicherungen abgelehnt werden könnten. In einem solchen System würden Versicherte zu Kassen mit niedrigen Beiträgen und gutem Service wechseln und Kassen versuchen, Leistungen kostengünstig einzukaufen. Damit einkommensschwache Versicherte nicht über Gebühr belastet würden, sollten zudem Belastungsobergrenzen festgelegt werden. Der soziale Ausgleich sollte dann dort erfolgen, wo er am besten gelingen kann: im Steuer- und Transfersystem.
Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Mehr Freiheit für Krankenkassen und Krankenhäuser – wie Wettbewerb den Versicherten nutzen kann“ mit Prof. Dr. Friedrich Breyer und Dr. Boris Augurzky (dggö – Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie e.V.) in Berlin.
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Einkommensabhängige einheitliche Beiträge sichern noch keinen funktionsfähigen Wettbewerb. Was ist denn mit den Risikounterschieden zwischen den zu gleichem Beitrag Versicherten? Eine Kasse mit vielen älteren oder chronisch kranken Mitgliedern kann diesen Nachteil nicht durch Beitragsdifferenzen ausgleichen und fällt daher im Wettbewerb zurück. Also braucht man einen Risikostrukturausgleich. Sonst verlieren die Beiträge ihre Signalfunktion, denn der Kunde kann nicht wissen, ob ein niedriger Beitrag durch Effizienz oder günstige Versichertenstruktur zustande kommt.