Der Preis der Gleichheit

Gleichheit wird von den meisten Menschen für etwas Gutes gehalten. Gesellschaften mit größerer Gleichheit scheinen tatsächlich im Schnitt attraktive Eigenschaften zu haben. Aber auch die Gleichheit hat ihren Preis.

1. Versicherungen

Versicherungen wird heutzutage verboten, zwischen Männern und Frauen zu „diskriminieren“. Im Falle des Unterschiedes zwischen Frauen und Männern ist es den Versicherten unmöglich, den eigenen Typ zu verschleiern. Sofern Frauen zu gleichen Preisen wie Männer versichert werden müssen und die Versicherungen Möglichkeiten haben, von Vertragsschlüssen abzuschrecken, werden sie alles tun, um die für sie jeweils ungünstigere Gruppe vom Vertrag abzuschrecken, wenn die Prämie nicht kostendeckend ist.  Die Verlierer in diesem Spiel sind am Ende nicht die Versicherer, sondern bestimmte Gruppen von Verbrauchern.

Wenn man Versicherungen und Arbeitgebern im Namen der Gleichheit verbietet, bestimmte Informationen abzufragen, dann wird das nur zu einem strategischen Gebrauch der privaten Information führen. Wer etwa weiß, dass er ein erhöhtes Risiko hat, bestimmte Krankheiten zu erleiden, der wird nach Versicherungen suchen, die dieses Risiko besonders gut abdecken. Damit werden entweder die Prämien für die betreffenden Versicherungen steigen oder aber die betreffenden Verträgen nicht mehr angeboten werden. Klar dürfte auch sein, dass der Träger bestimmter Krankheitsrisiken gut daran tut, die Aufnahme in das Beamtenverhältnis anzustreben. Gleichbehandlung kann Selbstselektion gerade nicht verhindern.

2. Wettbewerbsgleichheit

In vielen Sportarten beklagen Nachwuchssportler heute, dass sie kaum über die unteren Leistungsklassen hinaus vorankommen können, wenn sie nicht bereit sind, an Dopingpraktiken teilzunehmen. Viele verzichten daher auf eine Karriere als Leistungssportler. Der Schluss, dass die heutigen Leistungssportler jedenfalls in vielen Bereichen des Sports Personen sein müssen, die zur Dehnung von Dopingregeln bereit sind, wird seltener gezogen. Aber es spricht viel dafür, dass Leistungssportarten, die man nur mit relativ harten Dopingpraktiken erfolgreich betreiben kann, sich ihre eigenen Wettbewerber „suchen“. Es müssen bestimmte Personen mit bestimmten Charakteristika von diesen Sportarten besonders angezogen werden. Waren zuvor eher die athletischen, so sind nun vermutlich eher charakterliche Eigenschaften ausschlaggebend dafür, wer in einer solchen Sportart reüssiert.

Letztlich hat man es mit einem Selbstselektionsprozess zu tun, bei dem sich bestimmte Personen bestimmten persönlichen Risiken aussetzen wollen und andere nicht. Da Doping zunächst einmal nur diejenigen direkt schädigt, die die Mittel einnehmen, die anderen jedoch nur indirekt, könnte man die Angelegenheit einfach den betroffenen Personen überlassen wollen. Niemand ist schließlich gezwungen, Leistungssport zu betreiben. Solange sie nicht zur Bewältigung dessen, was sie als Wettbewerbsverzerrung ansehen, selber zum Doping greifen, sind die Sportler vielleicht chancenlos, aber gewiss nicht gefährdet.

Es trifft natürlich zu, dass in einer Welt, in der sich alle auf die Zehen stellen, am Ende keiner besser sehen kann. Deshalb haben alle möglicherweise ein gleichgerichtetes Interesse daran, dass sich keiner auf die Zehen stellen darf. Wenn alle tatsächlich ein solches gleichgerichtetes Interesse haben, dann ist es plausibel so, dass alle auch ein gleichgerichtetes Interesse daran haben, dass verboten wird, sich auf die Zehen zu stellen.

Fraglich ist aber, wie häufig solche Fälle strikt gleichgerichteten Interesses wirklich vorkommen. Diejenigen partikularen Interessen, die von entsprechenden Verboten profitieren, werden behaupten, dass es sich um ein allgemeines Interesse handelt. Aber das ist  in der Regel nicht zwingend plausibel. Wenn man so sehr für Gleichheit ist, dann könnte man vielmehr argumentieren wollen, dass Doping erlaubt sein muss, damit diejenigen, die sonst weniger konkurrenzfähig wären, ihre Konkurrenzfähigkeit durch Dopingmittel aufbessern können. Warum sollen sie nicht ihre Bereitschaft, größere Risiken einzugehen, in’s Spiel bringen dürfen?

Konkret im Zehenspitzenbeispiel: Größere Personen, die gute Sicht haben, wenn sich keiner auf die Zehen stellt, werden ein Verbot der betreffenden Anstrengungen begrüßen. Wenn es nun kleinere gibt, die entweder bereit sind, stärkere Schmerzen in den Waden zu ertragen als die großen Personen oder aber besser darin sind, sich auf die Zehen zu stellen, warum soll man ihnen dann verbieten, das zu tun?

Weniger metaphorisch gesprochen, wenn einige Personen beispielsweise in schlechten ökonomischen Verhältnissen leben und Präferenzen besitzen, die ihnen bestimmte Gesundheitsgefährdungen als weniger wichtig erscheinen lassen als anderen, warum sollten wir sie nicht sich selbst den betreffenden Sportarten zuordnen lassen, während die anderen diesen fernbleiben. Dürfen wir jene, die eine besonders tolerante Leber besitzen, die ihnen eine gefahrlose Einnahme bestimmter Mittel erlaubt, daran hindern, von diesem komparativen Vorteil Gebrauch zu machen? Diskriminieren wir dann nicht gegen die Besitzer von Toleranzlebern?

Selbstverständlich sind wir nicht der Meinung, dass die vorangehend aufgeworfenen Fragen bereits zeigen, dass Regulierungen niemals legitim sein könnten. Wir möchten nur Zweifel gegenüber der Selbstverständlichkeit anmelden, mit der in solchen Fällen von der Legitimität eines Staatseingriffes ausgegangen wird. Umgekehrt muss es natürlich auch erlaubt sein, beliebig komplexe Verträge anzubieten, die unter anderem auch hohe Konventionalstrafen für den Bruch von Dopingregeln vorsehen. Wenn im übrigen die Zuschauer bereit sind, Veranstaltungen mit Dopingsündern beizuwohnen und dafür hohe Eintrittspreise zu zahlen, ist auch das ein Selektionseffekt, der hinzunehmen ist. Warum sollte der Staat bemüht werden, die Interessen der Zuschauer zu schützen? Es steht ihnen schließlich frei, nicht zu der Sportveranstaltung zu gehen oder aber einen Anbieter von Sportereignissen zu wählen, der bessere Regeln anbietet.

3. Ausstattungsgleichheit

Wenn der Sport die vorgeblich schönste Nebensache der Welt ist, so gibt es natürlich auch Hauptsachen, die wir nicht mit der gleichen Gelassenheit betrachten können. Die Rechtsgleichheit in bestimmten fundamentalen Belangen scheint zu einem modernen Rechtsstaat hinzu zu gehören. Wir würden jedenfalls zögern, die Ausstattung mit bestimmten Basisgarantien freien Vereinbarungen zu überlassen. Diejenigen beispielsweise, die es vorziehen würden, keine garantierte Gesundheitsgrundversorgung zu haben und dafür lieber mehr unmittelbares Einkommen, lassen wir nicht zum Zuge kommen.

Ob wir durch den ihnen zwangsweise gewährten Schutz sie oder primär uns schützen wollen, ist schwer zu klären. Dadurch, dass wir es nicht ertragen können, dass Menschen auf der Straße sterben, sorgen wir jedenfalls dafür, dass sie gerettet werden, ob sie nun Versicherungsprämien gezahlt haben oder nicht. Eine Selbstselektion jener, die es vorziehen würden, das Risiko einzugehen, im Notfall unversorgt zu bleiben, lassen wir nicht zu.

Für diejenigen, die dem Ideal einer Gesellschaft anhängen, in der die Individuen frei sind, beliebige Verträge in wechselseitiger Übereinkunft zu schließen, sofern sie die Folgen ihres Handelns hinterher auch verantworten müssen, stellt sich die Frage, warum man in einige Formen der Vertragsfreiheit eingreifen darf und in anderen nicht. Das eine Mal ist die Vertragsfreiheit wichtiger und das andere Mal anscheinend anderes, insbesondere die Gleichheit.

Da wir alle dazu neigen, Vertragsschlüsse, die unter vorgehaltener Waffe erfolgen, für unfrei zuhalten, werden wir auch einen Vertragsschluss, bei dem sich beispielsweise jemand in die Sklaverei verkauft, um unmittelbarer Todesgefahr zu entgehen, für unfrei halten. Solche Verträge sind weitgehend ausgeschlossen, wenn unveräußerliche Garantien bestehen und somit bestimmte frei vertragliche Selektionsprozesse eliminiert werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir die Selektion in anderen Belangen zulassen können. Damit wir die Menschen guten Gewissens für Ihre Verträge verantwortlich machen können, greifen wir auf basal gleiche Garantien zurück.

4. Grobe Orientierungen im Dickicht der Ungleichheiten

Mit den vorangehenden Überlegungen erheben wir nicht den Anspruch, den argumentativen Beweis gegen Dopingregeln oder für Mindestgarantien von Gesundheitsversorgung abschließend geführt zu haben. Wir glauben allerdings, dass die Beweislast in der öffentlichen Diskussion endlich wieder da verortet werden soll, wo sie hingehört: Auf die Seite derer, die die Vertragsfreiheit einschränken und kollektive Regelungen durchsetzen wollen. Wenn man das beachtet, dann kann man sogar – wie wir selbst das an anderer Stelle versucht haben – für Mindestlöhne argumentieren. Wenn man das tut, dann muss man allerdings auch bereit sein, offen den Preis für diese Art der Gleichheit zu benennen, die Verletzung des Prinzips individueller Eigenverantwortung.

Wie alle guten Dinge auf der Welt, gibt es auch die Gleichheit nicht zum Nulltarif. Häufig ist der Preis Gleichheit versteckter und höher als die meisten von uns anzunehmen bereit sind. Gleiche Freiheit ist gut, Freiheit der Gleichheit zu opfern, hingegen nicht. Dabei geht es weniger um eher unstrittige gleiche Grundrechte als um die gleiche Vertragsfreiheit. Diese gerät gegenwärtig unter schweren Beschuss. Man will nicht zulassen, dass die Menschen sich in freien Übereinkünften in einem stetigen Prozess der Selbstselektion befinden und schreibt Ergebnis, die man nicht schätzt, einfach der Gier oder anderen vorgeblich von der Freiheit geförderten Lastern schlecht.

 

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