Liberale – vor allem, wenn sie „Wirtschaftsliberale“ sind – gelten hierzulande (und andernorts) als kalt, materialistisch und unsozial: Effizienz geht ihnen vor Gleichheit und Wachstum vor Gerechtigkeit. Lieber prassen sie mit den Reichen als dass sie Mitleid hätten mit den Armen. Sie sind „Pro Business“ und „Gegen Gewerkschaften“; sie wählen lieber CDU als SPD. Sie singen das Lied der Globalisierungsgewinner und ignorieren den Schmerz der Globalisierungsverlierer. Liberale, in der öffentlichen Wahrnehmung, sind im Zweifel „rechts“. Das macht sie für bestimmte gesellschaftliche Milieus – insbesondere für die Zirkel der Intellektuellen – nur schwer tolerierbar.
Auf keinen Fall sind Liberale „links“. Denn wer links ist, ist für soziale Gerechtigkeit, hat ein Herz für die Armen und plädiert für (mehr) Umverteilung. Der Sozialstaat müsse gegen wachsende Ungleichheit angehen, sagen sie: Der Staat ist das Befriedungs- und Egalisierungsinstrument, das die vom Markt angerichteten Exzesse korrigieren muss.
Tatsächlich haben viele Liberale, knurrend und miesepetrig, sich diese intellektuelle Weltkarte selbst zu Eigen gemacht. Voller Resignation schenken sie das moralische Argument den Gegnern und geben sich mit der ihnen zugewiesenen Rolle als materialistische Anwälte von Wachstum und Wohlstand zufrieden. Die einen kümmern sich eben um Effizienz, die anderen um Egalität: So lautet die oktroyierte Arbeitsteilung. Soziale Marktwirtschaft lebt davon, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“ (Alfred Müller-Armack).
Es ist an der Zeit, diese politische Geographie zu bestreiten und das überkommene Rollenspiel zu demontieren. Haben die Linken wirklich die Gerechtigkeit auf ihrer Seite, wenn sie für „soziale Gerechtigkeit“ plädieren? Oder verbrämen sie nur die Besitzstände der Privilegierten? Angesichts ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit lasse sich mit dem Gerechtigkeitskriterium nahezu jedes wirtschaftspolitische Korrekturbegehren begründen und moralisierend mit dem Tabu ,sozial` belegen, schreibt Manfred Streit (F.A.Z. vom 28. Mai 2008): „Deshalb ist die soziale Gerechtigkeit besonders gut geeignet, um Gruppenprivilegien oder wirtschaftliche Sondervorteile einzuwerben.“
Das lässt sich im jüngsten Kieler Subventionsbericht nachlesen. Anders als die öffentliche Debatte (Koch/Steinbrück!) suggeriert, bleiben Steuervergünstigungen und Finanzhilfen aus öffentlichen Mitteln hierzulande nach wie vor auf hohem Niveau: Die Subventionen in Deutschland für das Jahr 2006 summieren sich auf 146 Milliarden Euro. Im Jahr 2007 wurden gerade einmal drei Milliarden Euro weniger an Vergünstigungen gezahlt. Derartige Subventionen verfallen sowohl rechtsstaatlicher wie ökonomischer Kritik: Dass die Bürger fiskalisch ungleich behandelt werden, verstößt gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Zugleich ist die Begünstigung von Sonderinteressen nichts anderes als ein ungerechtfertigter geldwerter Vorteil, der von den Politikern ohnehin nicht aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, sondern in der Hoffnung auf Wählerstimmen gewährt wird. Hätte das fiskalische Günstlingswesen ein Ende, könnten auf einen Schlag der Eingangssteuersatz von 15 auf 8,8 Prozent und der Spitzensteuersatz von 45 auf 26 Prozent gesenkt werden. Und zwar ohne dass dadurch vom Ziel der Haushaltskonsolidierung Abstriche gemacht werden müssten. Das wäre wirkliche Gleichbehandlung aller, die zugleich den Bürgern ihre Freiheit zurück gäbe, damit sie selbst über die Verwendung ihres Einkommens entscheiden können.
Ist Gleichheit denn nicht das linke Projekt par excellence? Kann man die Stabilisierung von Gruppeninteressen, die Zementierung von Privilegien (für Bauern, Nachtarbeiter, Erben, Berufspendler etc.) und den versperrten Marktzutritt für unterprivilegierte Gruppen wirklich links nennen? Die Linke durchschaut häufig nicht (noch häufiger will sie nicht durchschauen), dass die moralisch gute Absicht in Wirklichkeit der Aufrechterhaltung des Status quo dient. Die gute Moral entlarvt sich rasch als purer Protektionismus. Globalisierung ist eine demokratische Kraft, eine Kraft, die zu jenen nicht freundlich ist, die „auf unnatürliche Weise“ sich zu den Besserverdienern zählen“, sagt der indische Ökonom Surjit S. Bhalla. Globalisierungskritik, welche die Moral auf ihre Seite zieht, ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine Verteidigungsstrategie vom sozialen und ökonomischen Abstieg bedrohter leidlich begüterter Mittelschichten der reichen Welt, die im Wettbewerb mit den Entwicklungsländern in einer globalisierten Weltwirtschaft ihren Einkommensstatus nicht mehr halten können. Denn der Preis ihrer Arbeit, bezogen auf die Produktivität, fällt angesichts des wachsenden Arbeitsangebots der Entwicklungsländer auf offenen Märkten. Linke Gewerkschafter, Sozialisten und Globalisierungsgegner machen sich zu Fürsprechern der Privilegien dieser Mittelschichten. Sie verfolgen damit in Wirklichkeit eine Strategie zur Wahrung von Besitzständen der ersten Welt. Westliche Gewerkschaften und linke Parteien tun sich zusammen, um im moralischen Gewand der armen Welt Sozial- und Umweltstandards zu empfehlen. Doch dahinter verbirgt sich nichts anderes als der alte Protektionismus. Standards wirken wie Zölle. Sie sind Marktzutrittsbarrieren, welche kraft westlichem Diktat den Preis für Güter und Dienstleistungen der Entwicklungsländer verteuern, um sie von den westlichen Märkten fernzuhalten. Der amoralische Effekt des guten, moralischen Argumentes wirkt eindeutig: Solche Marktzugangsbeschränkungen werden die Dritte Welt in Armut halten. Dadurch, nicht durch den globalen Kapitalismus, würde die Welt ungleich bleiben.
„Why the Left should learn to love liberalism“, proklamiert Alberto Alesina in einem lesenswerten Standpunkt. Sein Argument: Unter dem Schutz des Status Quo stehen gewiss nicht die wirklich Armen, sondern jene Lobbyisten, die am besten vernetzt sind. Die wirtschaftlichen Privilegien dieser Insider zu demontieren, wäre den Schweiß nicht nur der Edlen, sondern auch der Linken wert. Wenn es stimmt, dass der Wettbewerb ein Entmachtungsinstrument ist (siehe Hartmut Kliemt), dann müssten sich gerade die Linken zu offenen Märkten bekennen: Dann müssten die Linken den Neoliberalismus lieben lernen. Denn der Wettbewerb stürzt die Mächtigen vom Thron und verteilt Chancen und Macht an jene, die keine Privilegien haben. Also sind die Liberalen die wirklichen Linken, während viele Linke in Wirklichkeit nichts als status quo orientiere Protektionisten sind – mithin nichts als Konservative.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
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Kannst Du mir ein paar Beispiel für solche Liberalen nennen, die tatsächlich an Liberalität mehr als an den eigenen Pfründen interessiert sind? Wo sind sie, die Liberalen?
Zu: „fiskalische[s] Günstlingswesen“ –
Das ist ein schöner Begriff… mir ist es kalt den Rücken hinuntergelaufen!
Er suggeriert, dass es denen, die die Hilfe des Staates beanspruchen (müssen), wesentlich besser geht und sie wesentlich weniger dafür leisten, als denjenigen, die unter den Spitzensteuersatz fallen.
Entschuldige… ich bin anscheinend ein Linker. Aber ich kann diese Argumentation nicht unterstützen.
Meines Wissens nach hat eine liberale Politik immer denen geholfen, die sich durchzusetzen wussten – ohne Rücksicht. Sie hat denen geholfen, die Glück hatten bzw. kein Pech.
Und ohne auf diese Punkte zu sehen: Eine liberale (Wirtschafts-)Politik hilft nur einer Handvoll Menschen. Der Rest gewinnt hier (meiner Meinung nach) gar nichts.
Tut mir Leid – ich halte von der Idee nichts.
Das Problem der Liberalen ist leider immer noch das Unverständnis ihrer Thesen. Menschen feiern die Gleichheit, fordern das Fördern aber Verschmähen die Prinzipien der Freiheit. Leider ist die Zeit in welcher echte große Liberale an der Macht waren schon etwas her. Aber ein freier und auf Regeln basierender Markt funktioniert. Die Summe hundertausender Einzelentscheidungen ist wie durch unsichtbare Hand immer besser als die einzelnen Regulierungsentscheidungen von Politikern. Das Problem an erfolgreicher liberaler Politik ist meist das wenn sich der Erfolg eingestellt hat die Sozial- und Verteilungspolitiker schon wieder nach Macht, Verteilung und regulierung schreien. Jeder sollte eigentlich einmal in seinem Leben „Wohlstand für alle“ gelesen haben. Ludwig Erhardt erläutert dort sein Handeln und seine Beweggründe des selbigen. Wo wären wir den heute hätten sich damals Linke und gewekschaften durchgesetzt.
Linke meinen es ja immer gut! Aber mit einer Gutmenscheinstellung kann man leider auch einen falschen Weg beschreiten. Linkle meinen es gut! Wählen aber leider immer wieder den falschen Weg!!
Wahre seltene Worte.
Tausend Dank! Da erinnert sich doch einer der Tatsache, daß der „entschiedene Liberalismus“ im Geiste Eugen Richter immer „links“ war. Und laut Murray Rothbard der Sozialismus eine konfuse und davon rechts stehende Ideologie ist!
Hm, eigentlich ist mir nicht ganz klar, wieso Liberale eigentlich gute Linke sein WOLLEN. Ist links eine Ehrenbezeichnung für Liberale? Reicht Liberalen nicht (mehr), wenn Liberale gute Liberale sind? Und welche Linke meint Herr Hank? Kommunisten und Sozialisten sicherlich nicht, denn – was auch immer man davon hält – eine Beibehaltung des Status quo wäre dies sicherlich nicht. Also wohl marktwirtschaftlich orientierte Linke.
Nun sind Linke (zumindest in der Regel) für mehr Staat. Höhere Subventionen bedeuten mehr Staat. Sind dann die Linken auch für mehr Subventionen?
Wahrscheinlich ja. Aber sind all diese Subventionen im Kieler Subventionsbericht den Linken anzulasten? Subventionen für Bauern werden i.d.R. von der CDU verteidigt. Einführung der Pendlerpauschale fordert zur Zeit v.a. die CSU, die SPD lehnt dies (mehrheitlich) ab. Kindergeld wird von allen Parteien verteidigt. Unternehmenssubventionen fordern v.a. CDU und FDP (Grüne und Linke v.a. wenn es Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien u.ä. sind). Für eine Beendigung der Subventionierung der Erben (Steuerbefreiung des Erbes) sind übrigens – wenigstens ab einer bestimmten Höhe – gerade die Linken.
Fazit: Die Höhe der Subventionen geben keinerlei Auskunft darüber, ob Linke oder Rechte dominieren. Beide Seiten haben ihre Gruppen, die sie bedienen wollen. Und erst wenn man sich die Subventionen genauer anschaut, kann man erkennen, welche politische Seite gerade dominiert, d.h. ihre Klientel höher bedient. Denn es ist ja nicht so, dass die Subventionen ausschließlich dem ärmeren Teil der Bevölkerung zu Gute kommen.
Ergänzung zu Links und Protektionismus.
Richtig ist, dass die Linke oft für Massnahmen streitet, die man (auch) als protektionistisch bezeichnen kann.
Richtig ist aber auch, dass die letzte WTO-Freihandesrunde daran scheiterte, dass USA und Europa ihre Agrarsubventionen nicht (ausreichend für die Entwicklungsländer) senken wollten. Wie schon geschrieben, stehen hinter den Bauern aber weniger die Linken als die Konservativen.
Also ist auch der Vorwurf Linke=Protektionismus zu kurz gegriffen. Manchmal stimmt auch Rechte=Protektionismus.
Ich weiß nicht, was die SPD hier für ein Spielchen spielt. Eins weiß ich aber sicher, das Spiel wird die SPD verlieren.
Vorschlag zur Güte: Der Linksflügel wechselt zur Linken und der Rechtsflügel zur CDU. Dann hätte die Linkspartei die Kompetenz, die sie brauch um Politik zu machen.