Konvergenz von Bundesländern und Länderfinanzausgleich

Die sogenannte „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ (Art. 72 Absatz 2 GG), oder gar deren „Einheitlichkeit“ (Art. 106 Absatz 3 GG) wird seit jeher als Argument gegen einen verstärkten Wettbewerb zwischen den Bundesländern verwendet. Wichtigstes Instrument zur Gewährleistung zumindest annähernd gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ist dabei der bundesstaatliche Finanzausgleich. Dieser zielt darauf ab, allen Ländern unabhängig von ihrer originären Steuerkraft (die wiederum maßgeblich von der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder determiniert ist) ein ungefähr gleiches Aufkommen an öffentlichen Einnahmen zur Bereitstellung eines als angemessen angesehenen Angebots an öffentlichen Gütern zu gewährleisten. Dies geschieht über ein komplexes System vertikaler und horizontaler Steuerzuordnung und –verteilung, so dass im Ergebnis selbst die Länder mit der niedrigsten Steuerkraft (dies sind aktuell die ostdeutschen Länder mit einer Steuerkraft von rund zwei Dritteln des Durchschnitts) letztendlich Pro-Kopf-Steuereinnahmen in Höhe von rund 92% des Länderdurchschnitts erreichen. Noch höher ist der Nivellierungsgrad des Finanzausgleichs, wenn nicht die Steuerkraft, sondern die Finanzkraft (bei deren Ermittlung die Gemeindesteuern nur zu 64% berücksichtigt werden) betrachtet wird.

Auch wenn der bundesstaatliche Finanzausgleich primär als ein Verteilungsinstrument konzipiert ist, soll damit auch erreicht werden, dass die einzelnen Länder hinreichend Mittel zur Verfügung haben, Maßnahmen der Wirtschaftsförderung finanzieren zu können. Der Finanzausgleich soll auf diese Weise zur Konvergenz der Bundesländer beitragen. In die Sprache der Politik übersetzt, heißt dies, dass auch Nehmerländer im Finanzausgleich die Chance haben sollen, zum Geberland zu werden.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass eine solche „Erfolgsgeschichte“ nur im Falle Bayerns eingetreten ist, was aber vermutlich weniger auf eine „kluge“, finanzausgleichsfinanzierte Wirtschaftspolitik als vielmehr auf historische Zufälle (Ansiedlung leistungsfähiger Unternehmen nach dem Krieg) und auf Rüstungsaufträge des Bundes an bayrische Unternehmen zurückzuführen sein dürfte. Ansonsten ist der engere Kreis der Nehmerländer im Finanzausgleich seit 1950 unverändert geblieben (wobei Mitte der 1990er Jahre auch die ostdeutschen Bundesländer sowie Berlin in den Finanzausgleich einbezogen wurden). Dies kann auch nicht verwundern, denn auch die Konvergenz (gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen) ist auf Bundeslandebene in den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich vorangekommen – trotz Finanzausgleich, und trotz einer Vielzahl weiterer (gemeinschaftlich finanzierter) Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, die insbesondere strukturschwachen Regionen zugutekamen.

Zum Teil wird dies in Fachöffentlichkeit auf eben die Ausgestaltung des Finanzausgleichs zurückgeführt, denn gerade für die steuerschwachen Länder besteht aufgrund der starken Nivellierungswirkung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs kein Anreiz, die eigenen Steuereinnahmen zu erhöhen. Dies ist allgemein bekannt und gegenwärtig auch wieder Gegenstand einer Klage der Geberländer Bayern und Hessen gegen die Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs. Weniger bekannt sind hingegen weitere Implikationen des geltenden Finanzausgleichssystems, die in ihrer Wirkung auch die Konvergenz der Bundesländer hemmen können und die deswegen an dieser Stelle näher dargelegt werden sollen.

Anders als häufig angenommen, ist der Tarifverlauf des Finanzausgleichs als Gesamtsystem keineswegs symmetrisch angelegt. Betrachtet man die Verbleibsquoten beispielsweise bei der Einkommensteuer, so wird deutlich, dass „reiche“ Länder gegenüber „ärmeren“ Länder begünstigt sind; die Verbleibsquoten zusätzlicher Steuereinnahmen liegen bei Ersteren in einer Größenordnung von 20-25%, während bei Letzteren nur rund 10% der zusätzlich erzielten Steuereinnahmen tatsächlich auch im Lande verbleiben. Noch höher (bis zu 35%) sind die Verbleibsquoten bei Ländern, die in etwa eine durchschnittliche Steuerkraft aufweisen. Während die niedrigen Verbleibsquoten bei den ärmeren Länder dabei unvermeidbare Folge der vom Gesetzgeber gewollten starken Nivellierung des Finanzausgleichs ist, sind die hohen Verbleibsquoten bei den finanzstärkeren Ländern offenkundig ein Ergebnis günstiger Verhandlungsführung dieser Länder, denn angemessen wäre ein weitgehend symmetrischer Tarifverlauf gewesen. Näheres Hinsehen zeigt, dass zwar im Länderfinanzausgleich im engeren Sinne tatsächlich ein weitgehend symmetrischer Tarifverlauf vorhanden ist; beim vorgelagerten Umsatzsteuervorwegausgleich wie auch bei der Verteilung ergänzender Bundesmittel an finanzschwache Länder aber sind die steuerstarken Länder mit Blick auf die Verbleibsquoten begünstigt: Da sie weder Umsatzsteuerergänzungsanteile noch Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen erhalten, deren Höhe an die Steuer- bzw. Finanzkraft gekoppelt ist, ist auch die „Transferentzugsrate“ bei diesen Ländern annähernd Null. Betrachtet man alle drei Stufen des Finanzausgleichs gemeinsam, so ergeben sich daher die oben verbal dargestellten Tarifverläufe.

Da Steuermehreinnahmen in den reicheren Ländern deren verbleibendes Steueraufkommen somit stärker erhöhen, folgt zunächst, dass hier der Anreiz zur „Pflege der eigenen Steuerquellen“ höher ist als bei den finanzschwächeren Ländern. Gleichzeitig hat dies aber auch zur Folge, dass zusätzliche Steuereinnahmen in stärkerem Maße dafür genutzt werden können, weitere wachstumsfördernde Maßnahmen zu finanzieren. Prinzipiell ist damit ein Mechanismus installiert, der zu einer stärkeren Divergenz der Bundesländer beitragen kann: Reichere Länder haben zumindest das Potential, auch künftig höhere Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (und damit höhere Steuereinnahmen) zu erzielen als ärmere Länder.

Zweiter Punkt ist, dass der Finanzausgleich von der Vorstellung eines in allen Ländern identischen Pro-Kopf-Bedarfs an öffentlichen Mitteln ausgeht. Dies mag bei einer Vielzahl öffentlich bereitgestellter Güter auch ein angemessener Verteilungsmaßstab sein. Allerdings müssen die Länder (bzw. ihre Kommunen) zu einem erheblichen Teil auch Aufgaben finanzieren, die negativ mit der jeweiligen Wirtschaftskraft korreliert sind: Dies gilt zumindest in der Tendenz für Ausgaben der Arbeitsmarktpolitik, eine Reihe von sozialpolitischen Ausgaben (Sozialleistungen nach SGB II und SGB XII; Wohngeld; BaFÖG u.a.) sowie für Ausgaben der regionalen Wirtschaftsförderung. Hier erfolgt zwar gemeinhin eine Finanzierungsbeteiligung des Bundes; dennoch kann davon ausgegangen werden, dass gerade die wirtschaftsschwächeren Länder (bzw. deren Gemeinden) in stärkerem Maße mit diesen Ausgaben belastet sind. Die Bedarfe sind insoweit nicht unbedingt gleich über die Länder verteilt, sondern in den wirtschaftsschwächeren Ländern u.U. höher als in den wirtschaftsstärkeren Ländern. Folge ist, dass für sonstige Aufgaben – und dazu zählen dann wiederum insbesondere auch Ausgaben für wachstumspolitische Zielsetzungen – dann weniger Mittel zur Verfügung stehen, was für sich genommen ebenfalls konvergenzhemmend wirken kann.

Bei den anstehenden Verhandlungen zur Neugestaltung der föderalen Finanzbeziehungen sollte versucht werden, für die genannten Probleme eine Lösung zu finden: Denkbar sind zum einen eine stärkere Übernahme bundesgesetzlich veranlasster Sozialausgaben durch den Bund (was zu einer Entlastung insbesondere der wirtschaftsschwächeren Bundesländer und ihrer Kommunen führen dürfte, allerdings vermutlich zu einer Neubestimmung auch der vertikalen Steuerverteilung Anlass geben wird) sowie eine Überprüfung des Finanzbedarfs der Bundesländer (beispielsweise durch Einbeziehung weiterer Indikatoren statt lediglich der Einwohnerzahl). Zum anderen ist aber auch zu überlegen, wie der Tarifverlauf des Finanzausgleichs anreizkompatibler und vor allem symmetrischer ausgestaltet werden kann; dies erfordert zumindest eine Einbeziehung auch des Umsatzsteuervorwegausgleichs (der derzeit als Instrument der Steuer“zuteilung“ und nicht der Steuer“verteilung“ angesehen wird) in die anstehenden Reformüberlegungen. Hierzu gibt es inzwischen in der Wissenschaft ja schon eine ganze Reihe von Vorschlägen. Auch wenn diese nur teilweise die hier genannten Probleme aufgreifen, wäre die Politik von Bund und Ländern gut beraten, die Reform der föderalen Finanzbeziehungen nicht allein unter Verteilungsaspekten zu sehen, sondern zu versuchen, ein in sich konsistentes und Effizienzüberlegungen eher genügendes System an die Stelle der bisherigen Regelungen zu setzen.

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