Deutschlands ebenso große wie durch die Energiewende gebeutelte Energiekonzerne RWE, E.on und EnBW haben vorgeschlagen, die in ihrem Besitz befindlichen Atommeiler in eine öffentlich-rechtliche Stiftung einzubringen, deren Hauptaufgabe die teure Demontage der Meiler und die Endlagerung des radioaktiv strahlenden Nuklearmülls sein soll. Die Konzerne wollen hierzu ihre für den Atomausstieg gebildeten Rücklagen von über 30 Milliarden Euro auflösen und in die Stiftung einbringen sowie weitere Kosten anteilig übernehmen, sofern ihnen die Brennelementesteuer erlassen wird. Gleichzeitig sollen nach Ansicht der Konzerne der Bund und damit die Bürger die verbleibenden Kosten aus der Mehrwertsteuer, die auf die Ökostromumlage erhoben wird, bestreiten.
Eine solche Stiftungskonstruktion hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der RAG-Stiftung, mit der die Ewigkeitslasten des Kohlebergbaus in Deutschland auf Dauer abgesichert werden sollen. Auch beim Atomausstieg werden Ewigkeitslasten anfallen (dies ergibt sich alleine schon aus der langen Strahlungsdauer des Atommülls), deren langfristige Finanzierung durch die Energiewende und den damit verbundenen Atomausstieg zu einer kurz- bis mittelfristig zu beantwortenden Frage geworden ist. Ordnungspolitisch stellt sich die Frage, wie eine solche Stiftungslösung zu bewerten ist.
Öffentliche Kosten und öffentlicher Protest
Nachdem die Stiftungsidee publik wurde, ließ der Aufschrei zahlreicher Politiker aus Bund und Ländern, von Medien und Bürgern nicht lange auf sich warten. Vor allem Umweltpolitiker unterstellen den Konzernen, dass sie die hohen Kosten der Beseitigung des nuklearen Zeitalters in Deutschland nur allzu gerne auf den Bund abschieben würden. Die Bundeskanzlerin ließ dazu – etwas schwammig – verlauten, dass es dabei bleiben müsse, dass die Unternehmen die „Verantwortung“ für die Entsorgung des Atommülls tragen.
Unter Atomexperten geht man davon aus, dass die Rücklagen der Konzerne im günstigsten Falle ausreichen werden, um die Abbauarbeiten der Meiler zu finanzieren, nicht jedoch die Folgen von möglichen Unfällen und ebenfalls nicht die Kosten der Entsorgung in Form der Zwischen- und Endlagerung. All dies, so hatte man – wohl etwas zu naiv – geglaubt oder glauben wollen, hätte eigentlich durch die Rücklagen abgedeckt sein sollen. Verbleibt die Kostenübernahme bei den Konzernen, dann müssten diese im großen Stile weitere Rücklagen anhäufen, um für den langwierigen Abbau und die Lagerung gerüstet zu sein.
Altes Denken statt innovatives Handeln
Für die Konzernentwicklung, die ohnehin schleppend verläuft, weil den Unternehmen eine innovative Strategie als Antwort auf die Energiewende fehlt, wäre dies ein erheblicher Bremsklotz. Die Unsicherheit über die Kostenfrage lastet derzeit spürbar auf den Konzernen und führt dazu, dass ihre Aktienkurse seit Längerem auf historisch niedrigem Niveau vor sich hin dümpeln. Vor dem Hintergrund dieser Lage ist die Strategie der Konzerne durchaus nachvollziehbar, die Risiken durch den Atomausstieg in einen vorhersehbaren Rahmen zu überführen und nach Möglichkeit abzuwälzen. Aus Sicht der Finanzmärkte dürfte dabei selbst eine relativ kostspielige Beendigung der aktuellen Schwebesituation gegenüber einer andauernden Unsicherheit vorzuziehen sein.
Überraschen kann allenfalls die Chuzpe, mit der die Konzerne ihre Forderung vor kurzem aufgestellt haben. Vielleicht überrascht sie aber auch nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die schützende Hand des Staates jahrzehntelang wohlwollend über die mächtigen Energiekonzernen gehalten wurde. Das alte Verhaltensmuster, dass die Energiekonzerne fordern und die Politik springt, scheint noch immer in den Köpfen der Manager (und wohl auch bei manchem Politiker) verankert zu sein.
Der Staat hat es so gewollt…
Der Vorschlag der Energiekonzern konnte, auch weil er eine solche, aus der Zeit gefallene Grundhaltung erkennen lässt, daher kaum auf Gegenliebe in Politik und Öffentlichkeit stoßen. Allen drei Konzernen war stets klar, dass sie Rücklagen für die Abwicklung ihrer Kraftwerke bilden mussten und dass die erwarteten tatsächlichen Kosten deutlich oberhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen liegen würden. Die Strategie der Konzerne, die Rücklagen möglichst gering zu halten und damit eine Unterdeckung in Kauf zu nehmen, musste daher zum Zeitpunkt des tatsächlichen Ausstiegs zwangsläufig zu den nun sichtbaren Protesten führen.
Dieses Szenario dürfte allerdings von den meisten Beteiligten erst in einer fernen Zukunft vermutet worden sein. Eine Vorausplanung für den Fall des Atomausstiegs ist nie in einem ausreichenden Umfang geschehen und wurde offenbar auch nie ernsthaft von privaten oder staatlichen Anteilseignern eingefordert. Vor allem für die staatlichen Anteilseigner ist dies wenig schmeichelhaft. Hierdurch zeigt sich wieder einmal sehr deutlich die Widersinnigkeit staatlicher Interventionen im Wirtschaftskreislauf. Anstatt – wie man es von einem „wohlmeinenden sozialen Planer“ (so er denn überhaupt existiert) erwarten würde – alle sozialen Kosten und Nutzen über die Lebensdauer der Kernenergie und ihrer Entsorgung zu internalisieren, haben die staatlichen Anteilseigner eher auf die kurzfristige Dividende geschielt, um Haushaltslöcher zu stopfen. Dies gilt insbesondere bei der RWE, die viele kommunale Anteilseigner aus dem notorisch klammen Ruhrgebiet hat, die aktuell heftig unter der RWE-Geschäftsstrategie leiden, zugleich aber wenig dafür tun, dass die verantwortlichen Manager des Konzerns aus dem Klagemodus (was durchaus wörtlich zu verstehen ist) in einen Innovationsmodus wechseln, um die geänderten politischen Rahmenbedingungen als Folge der Energiewende zu meistern.
Dass die Unternehmen eine systematisch zu niedrige Rücklagenbildung für einen späteren Atomausstieg betrieben haben, lag auch an grundsätzlich falschen staatlichen Rahmensetzungen. Wäre den Anbietern von Atomenergie frühzeitig eine vollständige Internalisierung aller Kosten und eine entsprechende Vorsorge für den Atomausstieg auferlegt worden (z.B. durch den Zwang zu einer entsprechend hohen Rücklagenbildung), dann wäre in der Konsequenz entweder das heutige Rücklagenvolumen signifikant höher (und idealerweise ausreichend für die anstehenden Aufgaben) oder es gäbe heutzutage keine Atomenergie in Deutschland, weil die Unternehmen das Risiko gescheut hätten, Atomkraftwerke zu bauen.
Wenn RWE-Chef Peter Terium nun darauf verweist, dass die Energiekonzerne seinerzeit von der Politik – mit reichlich fließenden Subventionen – in die Atomenergie hineingetrieben oder -gelockt worden wären (sie haben sich allerdings gegen diese Verlockung auch nicht allzu sehr gesträubt), dann belegt dies nur eines: ein gewaltiges Ordnungsversagen des Staates, der die Preissignale in einer Weise verzerrt hat, dass es seit den 1960er Jahren zu einem marktwirtschaftlich nicht gebotenen Ausbau der Kernenergie kam, weil die Nutzen künstlich erhöht und die Kosten nicht vollständig internalisiert wurden. Den Konzernen entstand dadurch möglicherweise der Eindruck, ähnlich wie die Banken „too big to fail“ zu sein, weil sie erwarten konnten, dass die Politik mit ihrem erkennbar starken Interesse an der Kernenergie den Konzernen keine ernsthaften Steine, sprich: Kosten, auf ihrem Weg durch das atomare Zeitalter in den Weg legen würde.
Zweimal “falsch“ macht noch lange kein „Richtig“
Im Nachklang der unerwarteten Geschehnisse von Fukushima legte die deutsche Politik einen bemerkenswert geschmeidigen, dem politischen Kalkül geschuldeten Richtungswechsel hin, der die Energiekonzerne überraschte und ihr Weltbild erschütterte. Man mag die Energiewende als solche verwerfen oder begrüßen, eines muss jedoch in aller Klarheit festgestellt werden: Zwischen der heutigen Energiewende mit ihrem Plan, aus der Atom auszusteigen, und dem Atomeinstieg vor über 50 Jahren kann und darf keine Verbindungslinie gezogen werden. Was auch immer an – ordnungspolitisch zumeist falschen – Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen wurde, kann nicht als Maßstab für heutige politische und unternehmerische Entscheidungen herangezogen werden. Die Gewinne, Subventionen oder auch vermeintliche Gewohnheitsrechte der Vergangenheit sind heute „versunken“. Sie spielen für eine in die Zukunft gerichtete Unternehmens- und Energiepolitik keine Rolle.
Der Staat hat sich mit der Energiewende entschlossen, einen neuen Ordnungsrahmen zu setzen, innerhalb dessen sich ab sofort marktliche Aktivität entfalten sollte. Für die Großunternehmen der Energiebranche bedeutet dies ganz konkret, dass sie sich verstärkt kleineren, ökologischeren und innovativeren Konkurrenten im Wettbewerb stellen müssen. Dies ist für die ehemaligen Energiegiganten gegenüber der früheren oligopolartigen Marktsituation wesentlich unbequemer. Die Forderung der Konzerne nach staatlicher Unterstützung zielt letztlich auf eine Rückkehr zu alten Marktstrukturen ab, durch die die neue, gesamtgesellschaftlich vorteilhafte Wettbewerbssituation unterminiert würde. Der Innovationsdruck auf die Großkonzerne würde abnehmen und unrentable Strukturen nicht ausreichend restrukturiert. Würde der Staat auf den Unterstützungswunsch in der einen oder anderen Weise eingehen (möglicherweise weil er auf einen künstlichen Erhalt von Arbeitsplätzen abzielt), würde sich ein neuer ordnungspolitischer Sündenfall ergeben. Dass aus zwei ordnungspolitischen Fehlern in Form verletzter Marktordnungen eine funktionierende Marktordnung entstehen würde, wird dabei – hoffentlich – niemand behaupten.
Eine Klage in Ehren kann niemand verwehren…
Unbenommen der vorherigen ordnungspolitischen Überlegungen zum staatlichen Verhalten und der Wirkung auf die Unternehmen, steht außer Frage, dass die Energiekonzerne das Recht haben, mögliche (Schadensersatz-)Ansprüche gegenüber dem Staat überprüfen zu lassen. Der politisch verordnete Atomausstieg könnte Eigentumsrechte verletzt haben, die die hiesige marktwirtschaftliche und rechtstaatliche Ordnung mit ihrer Privateigentumsnorm den Unternehmen garantiert. Entsprechende Klagen sind daher eigereicht und werden gerichtlich überprüft. Die Chancen, dass den Unternehmen zumindest teilweiser Schadensersatz zugesprochen wird, dürften nicht schlecht stehen.
Ob diese Klagen politisch klug sind, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt Papier. Ein Teil des Stiftungsvorschlags der Energiekonzerne beinhaltet nämlich, bei der Einrichtung der Stiftung die besagten Klagen zurückziehen und damit die Prozessrisiken des Staates zu verringern. In der Bevölkerung und der Politik ist dieser Teil des Vorschlags als ein Erpressungsversuch interpretiert worden und hat eine entsprechend starke Ablehnung hervorgerufen. Die Klagen in die erhofften Verhandlungen mit dem Bund einzubeziehen, würde den Drohpunkt der Konzerne stärken. Dies dürfte dazu führen, dass das Gemeinwesen in noch größerem Maße in Anspruch genommen werden kann (lediglich die Alteigentümer, darunter einige Kommunen, könnten hiervon profitieren).
Dabei ist der Drohpunkt der Unternehmen ohnehin schon stark, würde doch eine übermäßige Belastung der Unternehmen deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit so weit mindern, dass sie kaum in der Lage sein würden, den Atomausstieg zu schultern. Der Staat muss daher ein Interesse an wirtschaftlich hinreichend starken Energiekonzernen haben, wenn er den Rückbau der Atomwirtschaft von ihnen (mit)finanzieren lassen will. Ökonomisch betrachtet gibt es also eine „innere Lösung“ des Optimierungskalküls der Politik, nach der den Energiekonzernen nur ein Teil der Lasten aufgebürdet werden wird. Besonnenere Politiker haben diese Ausgangslage längst erkannt und drängen auf eine einvernehmliche Lösung mit den Konzernen. In der aktuell aufgeheizten Debatte ist eine solche Lösung schwieriger geworden. So gesehen dürfte das – gewollte oder ungewollte – Bekanntwerden der Stiftungspläne den Konzernen einen Bärendienst geleistet haben, weil er das schlechte Image der Konzerne weiter beschädigt hat.
Warum die Stiftungslösung am Ende kommen wird und dies nicht ganz falsch ist…
Trotz allem Ärger über das Verhalten der Energiekonzerne sollten Deutschlands Bürger und Politik die Stiftungslösung nüchtern betrachten und bewerten. Es gibt durchaus gute Gründe, den Vorschlag der Energiekonzerne in Betracht zu ziehen. Hierzu müsste allerdings der Blick in die Zukunft anstatt in die Vergangenheit gerichtet werden. Geht man pragmatisch davon aus, dass Deutschlands Atomkraftwerke irgendwann ohnehin hätten entsorgt werden müssen und dass die Politik niemals die Kraft aufgebracht hätte, den Atomkonzerne bis zu diesem Zeitpunkt eine ausreichende Vorsorge abzuverlangen, dann handelt es sich bei der Energiewende nur um ein Vorziehen eines Tages X, an dem die gleichen Probleme und Konflikte ausgebrochen wären, die heute zu beobachten sind. Geht man weiterhin davon aus, dass alle vergangene wirtschaftliche und staatliche Aktivität im Zusammenhang mit der Atomenergie in einem ökonomischen Sinne versunken sind und dass zudem die vorhandenen Rücklagen der Unternehmen für die vollständige Beseitigung des Atomzeitalters ausreichen, dann bleibt nur die Gesellschaft als Ganzes als Träger der bestehenden ungedeckten finanziellen Lasten. Sie muss eine Lösung finden, um die Atomenergie restlos zu beseitigen, weil die Konzerne dies nicht werden leisten können.
Akzeptiert man diese Betrachtungsweise, dann kann man sich ganz im Sinne der traditionellen wirtschaftspolitischen Konzeption mit der Frage beschäftigen, mit welchem Instrumentarium man die Beseitigung des Atomzeitalters möglichst effizient erreichen kann. Eine Stiftungslösung, die die Finanzierung der Ewigkeitslasten aus dem tagespolitischen Kalkül herauszieht und der Haushaltsnöte nicht allzu viel anhaben können, mag dabei eine sehr bedenkenswerte Lösung sein. Es ist kein Zufall, dass die Ewigkeitslasten des Kohlebergbaus über eine Stiftung finanziert werden sollen.
Ist die Frage nach dem effizienten Instrumentarium geklärt, darf auch die distributive Frage gestellt werden. Es ist offensichtlich, dass die Atomenergie ein intergenerationales Gerechtigkeitsproblem heraufbeschworen hat. Während des – etwa zwei Generationen langen – Atomzeitalters haben viele Menschen in unterschiedlichster Weise von der Atomenergie profitiert. Ihre Kinder und Kindeskinder werden Generationen lang die Nachwehen dieser Zeit bezahlen müssen. Die Gesellschaft wird die Frage klären müssen, wie sie mit dieser Ungleichverteilung umgehen will. Sie kann dabei zu dem Schluss kommen, dass die Profiteure – wie etwa die Alteigentümer – unbehelligt bleiben sollen. Möglicherweise beantwortet sie diese Frage aber auch anders, dann könnte es passieren, dass nicht nur die Rücklagen, sondern auch das Eigenkapital von Deutschlands einstigen Energiegiganten bald Teil einer Stiftung sein wird. Dann wäre die jetzige Initiative der Energiekonzerne gewaltig nach hinten losgegangen…
- Bundesfinanzkriminalamt ante portas
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Eine Antwort auf „Sollen – und werden – die Energiekonzerne den Atomausstieg bezahlen?“