60 Jahre Soziale Marktwirtschaft haben in der Bundesrepublik Deutschland für Wachstum und Wohlstand gesorgt. Absolute Armut gibt es in Deutschland heute nicht mehr. Dennoch mehren sich nicht erst seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise die Stimmen, dass die Soziale Marktwirtschaft das Versprechen auf „Wohlstand für alle“ immer weniger einlöst. In weiten Teilen der Bevölkerung herrscht das Gefühl vor, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Ist dies nur eine gefühlte Realität oder ein tatsächlich empirisch messbares Phänomen? Wie ist es um die soziale Ungleichheit und die soziale Mobilität in Deutschland wirklich bestellt – und welche Schlüsse lassen sich hieraus für die Politik ziehen?
Tatsächlich hat sich die Einkommensschere in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre kontinuierlich geöffnet: Der Gini-Koeffizient, ein gängiges Maß zur Messung der Ungleichheit der Einkommensverteilung, ist in diesem Zeitraum um gut 18 Prozent gestiegen. Der Anteil der Bezieher mittlerer Einkommen an der Gesamtbevölkerung ist von 2000 bis 2006 von über 60 auf rund 55 Prozent zurückgegangen. Entsprechend ist die so genannte Mittelschicht um etwa fünf Millionen Personen geschrumpft. Dabei war die Abwärtsmobilität größer als die Aufwärtsmobilität, d. h. ein relativ größerer Anteil von Personen ist in niedrigere Einkommensklassen abgerutscht und nur ein relativ kleinerer Teil in der Einkommenshierarchie aufgestiegen. Allerdings ging 2007 die Ungleichheit in der Einkommensverteilung erstmals wieder zurück – der konjunkturelle Aufschwung hatte sich positiv auf die Einkommensverteilung ausgewirkt. Insbesondere die Quote der Einkommensarmen war zuletzt vor allem aufgrund der verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt rückläufig. Inwieweit sich diese Entwicklung durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise und die mit ihr einhergehende steigende Arbeitslosigkeit wieder umkehrt, bleibt abzuwarten.
Die vor 2007 gewachsene Ungleichverteilung der Einkommen lässt sich großteils auf die zunehmend schlechtere Situation auf dem Arbeitsmarkt, aber auch auf die veränderten Lebensgewohnheiten der Bevölkerung zurückführen. Der wichtigste Grund für die gestiegene Einkommensarmut ist die wachsende Sockelarbeitslosig keit, also der Teil der Arbeitslosigkeit, der auch in konjunkturellen Aufschwungphasen kaum abgebaut wird. Als weitere arbeitsmarktrelevante Faktoren wirken sich die Zunahme neuer Formen von Beschäftigungsverhältnissen (Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, Mini-Jobs, etc.) oder die Einführung des Arbeitslosengeldes II auf die Einkommensverteilung aus. Zudem haben veränderte Lebensgewohnheiten der Bevölkerung, wie die Zunahme von Single- und Alleinerziehendenhaushalten, die zunehmende Anzahl von Trennungen sowie bildungshomogener Partnerschaften auch dazu geführt, dass die individuellen Armutsrisiken nicht mehr im gleichen Maße wie zuvor innerhalb der privaten Haushalte aufgefangen werden können.
Was die Langzeitarbeitslosigkeit angeht, scheint sich – nicht zuletzt aufgrund der umfassenden Arbeitsmarktreformen im Rahmen der Hartz-Gesetze – zuletzt eine Kehrtwende vollzogen zu haben. Die Rückführung staatlicher Transfers hatte zwar zur Folge, dass sich die Versorgungssituation einiger Haushalte verschlechterte, aber auch, dass die Motivation, wieder eine Arbeit aufzunehmen, verstärkt wurde. Mit dem letzten konjunkturellen Aufschwung ging die Zahl der Arbeitslosen seit 2005 um 1,5 Millionen deutlich zurück – davon 500.000 Langzeitarbeitslose.
Die Frage nach dem „richtigen“ Maß an Umverteilung lässt sich nur politisch beantworten. Hierbei ist zwischen den positiven Anreizen, die von der Aussicht auf ein höheres Einkommen durch bessere Leistung ausgehen, und möglichen sozialen Problemen aufgrund dauerhafter Einkommensarmut abzuwägen. Der wichtigste Ansatzpunkt, um Einkommensarmut zu verringern, ist neben der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Bei langfristiger Betrachtung sind vor allem bildungspolitische Maßnahmen wichtig, denn mit steigendem Bildungsniveau nimmt das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit deutlich ab. Ein Zurückschrauben der Arbeitsmarktreformen würde hingegen die Gefahren der Langzeitarbeitslosigkeit erhöhen.
Letztlich muss es darum gehen, den Anteil der Schulabbrecher und der Personen ohne beruflichen Abschluss zu reduzieren. Der kostenfreien und qualitativ hochwertigen frühkindlichen Erziehung kommt zentrale Bedeutung für den späteren Bildungsweg zu. Unterstützungsmaßnahmen sollten hier ansetzen. Zudem kann die Subventionierung der tertiären Bildung die Einkommenskonzentration verstärken. Daher sollte die Einführung von (nachgelagerten) Studiengebühren vorangetrieben werden. Gleichzeitig müssen die Möglichkeiten verbessert werden, Studienkredite und Stipendien zu erhalten, um Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung zu gewährleisten.
(Dieses Statement entstand auf Grundlage einer Veranstaltung des Hayek-Kreises – Gesellschaft für Politikberatung e.V„Einstiegs- und Aufstiegschancen? Zur sozialen (Im-) Mobilität in Deutschland“ am 4. Mai 2009 in Berlin.)
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