Lebensmittel in der Tonne sorgen schon seit längerem für Empörung bei (Nichtregierungs-) OrÂganisationen und Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung. Jetzt zieht die Politik nach. Obgleich der Großteil der LebensmittelÂabfälle in den privaten Haushalten entÂsteht, hat das franÂzösische Nationalparlament den Handel ins Visier geÂnommen. Das verabschiedete GeÂsetz verbietet SuperÂmärkten die Entsorgung von LeÂbensmitteln über den Mülleimer. Stattdessen müssen sie zukünftig die Waren entweder an WohltätigkeitsÂvereine spenden oder für deren Verwendung in der LandwirtÂschaft sorgen. Ein längst überfälliger Schritt gegen VerÂschwendung?
Warum glaubt die Politik, handeln zu müssen?
Viele Menschen beschleicht ein ungutes Gefühl, wenn nicht mehr ganz frische, aber durchaus noch genießÂbare Lebensmittel im Mülleimer landen. Eine mit LeÂbensmitÂteln gefüllte Tonne scheint angesichts der unÂgestillten Bedürfnisse anderer Menschen verschwenÂderisch und ignoÂrant: Viele Bürger in unserer Nähe würden die wegÂgeworfenen Lebensmittel dankbar entgegen nehmen und weltweit leiden zahlreiche Menschen großen Hunger.
Nun mag sich zwar das ungute Gefühl beim Anblick des vollen MülleiÂmers einstellen. Nicht immer aber gilt, dass eine sinnvolle Maßnahme auch dort ansetzen muss, wo sich das Bauchgefühl regt.
Abfall bedeutet nicht automatisch Verschwendung
Haben wir nicht jene Lebensmittel, die am Ende weggeÂworfen werden, umsonst produzieren lassen und somit verschwendet? Dieser EinÂdruck könnte täuschen: Wollen Verbraucher den ganzen Verkaufstag über und auch noch kurz vor Ladenschluss eine große Auswahl in den GeÂschäften vorfinden, ist Abfall vorprogramÂmiert. Weil die Händler nicht genau abschätzen könÂnen, wie viel sie von welchen Lebensmitteln verkaufen könÂnen, werden sie zur Sicherheit mehr im Regal anbieten, als insgesamt verkauft werden kann – und zugleich damit rechnen, einiges nach LadenÂschluss aus den Regalen entfernen zu müssen, was am Folgetag nicht mehr angeboten werden kann. Dies betrifft vor allem schnell verderbliche Ware.
Leichtfertig werden die Supermärkte diese ÜberÂschüsse allerdings keineswegs in Kauf nehmen. VerÂschwendung im Sinne von Angeboten, die von den Kunden nicht nachgefragt werden, kann sich der im harten KonkurrenzÂkampf stehende Handel gar nicht leisten. Wo es möglich ist, günstiger anzubieten als die Konkurrenz, wird ein Supermarkt diese Chance gewiss nutÂzen. Der abendliche Berg an nicht verkaufter Ware stellt offensichtlich den notwendigen Preis für die durch die Kundschaft gewünschte große und stetige Auswahl dar – und viele Kunden zahlen ihn bereitwilÂlig.
Auch Verschenken verursacht Kosten
Auch die am Abend unverkäuflichen Überschüsse an Wohltätigkeitsvereine wie z.B. „Die Tafeln“ zu spenden, ist mit Kosten verbunden. Erstens müssen die noch kurzÂfristig genießbaren Lebensmittel von verdorbeÂnen LeÂbensmitteln unterschieden, für eine AbÂholung vorbereitet und schließlich übergeben werden. ZweiÂtens müssen Supermärkte die Effekte einer regelmäÂßigen Spende unÂverkaufter Lebensmittel auf ihre erwarteten Umsätze berücksichtigen. In Erwartung kostenloser Lebensmittel könnten manche Kunden auf den Einkauf verzichten.
Andererseits legen manche Kunden womöglich Wert darauf, dass die Supermärkte die WohltäÂtigÂkeitsvereine mit der Abgabe kostenloser Lebensmittel unterstützen. Daher können sich die Supermärkte von dem VerschenÂken der Lebensmittel auch einen positiÂven Effekt auf ihren Umsatz verspreÂchen. Schon heute werben einige damit, Lebensmittel an WohltätigkeitsÂorganisatiÂonen zu spenden. Aber offensichtlich beÂsteht nicht für alle SuperÂmärkte ein Vorteil darin, sämtliche noch genießbaren Überschüsse kostenlos abzugeben.
Wenn die Supermärkte von Gesetzes wegen nun keine noch verzehrbaren Lebensmittel mehr wegwerfen dürfen, sie bisher aber wohlüberlegt gehandelt haben, dann entÂstehen mit dem Gesetz zwangsläufig höhere Kosten. Wenn die Händler kaum noch Margen besitÂzen, um solche höheren Kosten tragen zu können, dann müssen entweder die Lebensmittelhersteller und Bauern mit noch niedrigeren Erzeugerpreisen arbeiten oder die Kunden im Supermarkt höhere Preise bezahlen.
Das Wegwerfverbot muss nicht den bedürftigen PerÂsonen helfen
Dabei ist im Vorhinein nicht vorherzusagen, ob das Wegwerfverbot zu einem erhöhten SpendenaufÂkomÂmen genießbarer Lebensmittel an Organisationen wie „Die Tafeln“ führt. Sollten sich die Kunden bei höheren Preisen weniger LeÂbensmittel-(Auswahl) leisten wolÂlen, könnte die insgesamt angebotene Menge und daÂmit auch die am Abend übrig gebliebene Menge an frischen, schnell verÂderblichen Lebensmitteln zurückÂgehen.
Fragwürdige Umverteilungseffekte
Das Wegwerfverbot dient offensichtlich nicht den SuÂpermarktkunden. Es zielt vielmehr auf eine UmverÂteilung von den Supermarktnutzern zu den EmpfänÂgern gespenÂdeter Lebensmittel ab. Dies ist allerdings aus zwei GrünÂden problematisch: Erstens werden damit Personen beÂlastet, die keineswegs automatisch über ein hohes EinÂkommen verfügen. Schließlich sind es nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie reiÂche Bürger, die regelmäßig im Supermarkt einkauÂfen gehen. Von den höheren Preisen oder der geringeÂren Auswahl sind auch Kunden betroffen, die nicht oder nur geringfügig mehr Einkommen haben als dieÂjenigen, welche gespendete Waren erhalÂten. WomögÂlich nutzen sogar die gleichen Personen sowohl das Supermarkt- als auch das SpenÂdenangebot, decken also zusätzlich zum Einkauf einen Teil ihres Bedarfs über kostenlose LeÂbensmittel.
Zweitens ist fraglich, ob tatsächlich die bedürftigsten Haushalte auch zu den größten Nutznießern der LeÂbensÂmittelspenden zählen. Sollte es beispielsweise Bürger geben, die aufgrund ihres Selbstbildes und Stolzes lieber weiterhin darauf verzichten, ihren KühlÂschrank auch durch Lebensmittelspenden zu füllen, verfehlt die auf dem Umweg des Gesetzes angestoßene Umverteilung ihren Zweck.
Das Gesetz stillt den weltweiten Hunger nicht
Wenn aufgrund der durch gesetzliche Vorgaben verÂurÂsachten Kosten das Lebensmittelangebot in SuperÂmärkten sinken würde, ist es nicht sicher, dass die WohlfahrtseinÂrichtungen in der Summe mehr LeÂbensmittel gespendet bekommen. Aber weltweit leiÂden viele Menschen großen Hunger. Gerade das BeÂwusstsein für diese Not lässt die Lebensmittelreste so unmoralisch wirken. Könnten weniÂger weggeworfene Lebensmittel zu einer Linderung des Hungers beitraÂgen? Sollten die anderen europäischen Länder also aus diesem Grund mit ähnlichen Gesetzen nachÂziehen?
Möglich ist, dass die mit dem Gesetz steigenden KosÂten der Lebensmittelversorgung zu einem geringeren VerÂbrauch von Produkten oder RohÂstoffen wie bspw. GeÂtreide führen, welche alternativ auch die hungernÂden Menschen ernähren könnten.
Allerdings werden die geringeren Mengen an verwenÂdeten Rohstoffen in der europäischen NahrungsmitÂtelherÂstellung an den Märkten über reduzierte Preise kommuniÂziert. Nur im ersten Schritt erscheint es plausibel, dass dies den Hunger leidenden Armen helÂfen wird: Reduziert sich der Getreidepreis, könnten sich auch ärmere PersoÂnen mehr Getreide leisten. TatÂsächlich aber wären die Folgen reduzierter Preise in mehrerlei Hinsicht sehr unsiÂcher und keineswegs auÂtomatisch im InteÂresse der hungernden Menschen: Erstens könnten verstärkt andere Nachfrager zum Zug kommen. Im Falle des Getreides erhöht sich womögÂlich die Menge der im chinesischen Supermarkt angeÂbotenen und weggeworfenen LebensÂmittel, nicht die Menge der Nahrungsmittel, die mittelloÂsen Familien in Äthiopien zur Verfügung steht. Auch könnten von den niedrigeren Preisen jene Nachfrager in IndustrienatiÂonen profitieren, welche das Getreide für die ErzeuÂgung von Treibstoff oder Futtermittel benötigen. ZweiÂtens sinkt mit dem Getreidepreis auch das EinkomÂmen der (oftmals ebenfalls armen) BauÂern in EntwickÂlungsländern. Für diese können sich daraus gravieÂrende Probleme ergeben, die Ernährung der eigenen Familie sicherzustellen. Drittens ist ökonomisch auch nicht zu erwarten, dass das gesamte Angebot an GeÂtreide aufÂrechterhalten bleibt, wenn der Preis fällt. Mittel- und langfristig wäre mit einem geringeren AnÂgebot zu rechÂnen.
Geld spenden statt im Supermarkt verzichten
Mag das Wegwerfverbot für Supermärkte also auch dem unguten Gefühl angesichts großer AbÂfallberge von LeÂbensmitteln gerecht werden – es scheint risÂkant, das komplexe Hungerproblem auf diesem Wege lösen zu wollen.
Nun muss es allerdings nicht beim schlechten GewisÂsen angesichts des Wegwerfens von LeÂbensmittel bleiben. Entscheidend für die Verbesserung der VerÂsorgung bedürftiger Menschen ist nicht der Verzicht wohlhabenÂder Bürger auf Auswahl und das damit verÂknüpfte WegÂwerfen von Lebensmitteln, sondern dass die in großem Wohlstand lebenden Menschen etwas abgeben, um weniÂger glücklichen Menschen zu helfen. Niemandem ist damit gedient, wenn reiche Bürger auf reichhaltiges LeÂbensmittelangebot verzichten und das ersparte Geld bspw. in häufigere Besuche von WellÂness-Zentren investieren. Es genügt nicht, auf irgendÂetwas zu verzichten, was uns verzichtbar erscheint. Der Verzicht muss tatsächlich zuÂgunsten derjenigen erfolgen, denen wir helfen wollen. Bei einer GeldÂspende könnte dies deutlich sicherer und einÂdeutiger gewährleistet sein. Worauf wir mit unserer Spende verzichten, wird den Empfängern egal sein – soÂfern sie mit ihrem durch die Spenden erhöhten EinkomÂmen verstärkt oder erstmals den Lebensmittelmarkt nutÂzen können.
Hinweis: Dieser Text ist zugleich als Ausgabe Nr. 08/2015 der Reihe Ordnungspolitischer Kommentar des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln und des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsordnung erschienen.
Toller Beitrag!
Auch wir von Think Ordo! finden, dass das Gesetz der französischen Regierung aus ordnungspolitischer Sicht nicht sehr durchdacht ist:
http://www.think-ordo.de/2015/08/wegwerf-verbot-fuer-franzoesische-supermaerkte-ein-gesetz-fuer-die-tonne/
Wir denken, dass an den falschen Stellen auf inkonsequente Weise angesetzt wird. Das Gesetz ist damit mehr Aktionismus und folgt leider weniger der ökonomischen Vernunft.