Anfang September 2015 wurde an der Universität Münster die Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik, der Vereinigung der deutschsprachigen Volkswirte, durchgeführt. Neben der eigentlichen Vereinskonferenz wurde zeitgleich eine von den Medien durchaus beachtete „Konkurrenztagung“ des Netzwerks Plurale Ökonomik (im Folgenden: NPlÖ) organisiert. Ein Grund dafür sei, dass der Verein ihm keine Sessions zur eigenen Organisation bereitstellt, so das Netzwerk in einem Positionspapier.[1] Unabhängig davon, ob bzw. inwieweit der Verein für Socialpolitik anderen Organisationen bei der Verbreitung ihrer Ansätze helfen sollte, liegt der eigentliche Dissens jedoch eher in der Frage, wie man eine hochwertige Wissenschaft definiert. In diesem Punkt kritisiert das NPlÖ nicht ausschließlich die Vereinsführung, sondern die Mehrheit der Ökonomen, die vom Netzwerk dem sogenannten „Mainstream“ – verstanden als mehrheitlich akzeptierte Forschungsausrichtung – zurechnet werden. Deshalb wollen wir uns im Folgenden mit der Frage auseinandersetzen, wie berechtigt die Anliegen des NPlÖ sind und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Zu diesem Zweck soll zunächst geklärt werden, was man unter dem Begriff der Mainstream-Ökonomik inhaltlich verstehen kann. Anschließend wird die Grundsatzkritik des NPlÖ, wie sie im offenen Brief aus dem Jahr 2012 (http://brief.plurale-oekonomik.de/) zum Ausdruck kommt, zusammengefasst und einer kritischen Analyse unterzogen. Welche Konsequenzen aus Sicht des Autors dieses Blog-Beitrags hieraus zu ziehen sind, wird abschließend diskutiert.
1.    Was ist eigentlich der Mainstream?
Schon bei dieser trivial klingenden Frage ergeben sich große Probleme, da der volkswirtschaftliche Mainstream von unterschiedlichen Wissenschaftlern durchaus sehr unterschiedlich abgegrenzt wird. Meines Erachtens dürfte weitgehend unstrittig sein, dass der gesamte Literaturkomplex, der auf dem Modell des Allgemeinen Walrasianischen Gleichgewichts aufbaut, zum Mainstream gehört. Hierunter versteht man unter anderem eine Modellierungstechnik, die auf Annahmen der vollkommenen Rationalität, eines materiell ausgerichteten Eigennutzstrebens und des Fehlens jeglicher Marktmacht basiert. Ebenfalls zum Mainstream gehörig dürften die Anwendungen der Gleichgewichtskonzepte der traditionellen Spieltheorie (Nash-Gleichgewichte sowie deren Verfeinerungen) sein. Hierzu zählt auch der Großteil der modernen theoretischen Industrieökonomik, die Märkte mit unvollkommenem Wettbewerb untersucht. In der Makroökonomik dürfte die umfangreiche Modellwelt der dynamischen stochastischen Allgemeinen Gleichgewichtsmodelle (mit und ohne Preisstarrheiten) dazu gehören. Aus methodischer Sicht ist diesen Ansätzen gemein, dass sie primär aus mathematisch formulierten Gleichgewichtsmodellen bestehen. Darüber hinaus sollte der Fairness halber betont werden, dass diese theoretischen Bestandteile des Mainstreams in den vergangenen 20 Jahren durch eine immer stärkere Betonung der empirischen Überprüfung und – im Hinblick auf wirtschaftspolitische Maßnahmen – Evidenzbasierung ergänzt werden.
Wesentlich weniger deutlich ist, ob die Verhaltensökonomik und die experimentelle Wirtschaftsforschung ebenfalls zur Mainstreamtheorie zu zählen sind. Einerseits beschäftigt sich die Verhaltensökonomik mit wirtschaftlichen Verhaltensweisen, die oftmals vom theoretischen Rationalverhalten abweichen. Dabei bedient sie sich häufig der Methode ökonomischer Labor- und Feldexperimente. Da aus diesem Theoriekomplex durchaus deutliche Kritik an den oben erwähnten Gleichgewichtsansätzen (insb. der Spieltheorie) geübt und neue Konzepte wie die der sozialen Präferenzen eingeführt wurden, könnte man diesen Bereich der volkswirtschaftlichen Forschung durchaus als nicht zum Mainstream gehörend einordnen. Andererseits wurden viele der gewonnenen Einsichten in die Gleichgewichtsanalyse traditioneller Herkunft integriert, sodass eine Mainstream-Zuordnung ebenfalls möglich ist. Im Folgenden ordne ich diesen Themenkomplex dem Mainstream zu, da er meines Erachtens heute nicht mehr umstritten, sondern allgemein akzeptiert ist und in allen wesentlichen Zeitschriften berücksichtigt wird.
Eine ähnliche Einschätzung ergibt sich für die (Neue) Institutionenökonomik, die als Kritik am Mainstream begonnen hat und schließlich – zumindest in einigen wichtigen Bereichen – vom Mainstream aufgenommen wurde. Die Bedeutung von Institutionen – verstanden als Regeln (Gesetze, Verträge, …) und ihre Durchsetzungsmechanismen – wird heute kaum noch bestritten. Diskutiert wird noch, inwieweit die Unvollkommenheit der Rationalität sowie die damit verbundenen Such- und Lernprozesse explizit mit in die Analyse aufgenommen werden können bzw. müssen.
Die Mainstream-Ökonomik in der hier vorgenommenen Abgrenzung weist eine Vielzahl großer Erklärungserfolge auf. Die auf der mikroökonomischen Theorie basierende Allokationstheorie hat sich in jahrzehntelanger Anwendung überaus bewährt und dürfte für das heutige Wirtschaftsverständnis unverzichtbar sein. Experimentelle Untersuchungen zu wettbewerblichen Verbrauchsgütermärkten haben die Standardtheorie ebenfalls in bemerkenswertem Ausmaß bestätigt (dies gilt allerdings nicht für Vermögensmärkte). Darüber hinaus dient das Allgemeine Walrasianische Gleichgewicht auch als theoretischer Referenzpunkt für das Aufdecken von „Marktversagen“: Abweichungen vom Modellideal machen verständlich, warum die reale Welt durch soziale Dilemmata (etwa das Umweltproblem, verursacht durch externe Effekte) gekennzeichnet ist. Die Integration verhaltens- und institutionenökonomischer Ansätze hat darüber hinaus den Aussagebereich der Mainstreamökonomik erheblich erweitert. Trotz der völlig unbestrittenen Unvollkommenheit des Mainstream-Lehrgebäudes wird somit deutlich, dass dieses viel zu bieten hat. Was also stört nun die pluralen Ökonomen?
2.    Die Kritik der pluralen Ökonomen
Die Besprechung der Kritik orientiert sich am bereits erwähnten offenen Brief des NPlÖ und diskutiert zunächst drei Aspekte, die meines Erachtens weitgehend verfehlt sind, und endet mit einem wichtigen Punkt, in dem die Kritiker vermutlich recht haben.
2.1.   Kritik 1: Verfehlte Marktgläubigkeit
„Jahrzehntelanger Glaube an die selbstregulierenden Kräfte des Marktes […] haben nicht nur unser Fach in eine Sackgasse geführt […]“ (Offener Brief 2012, S. 1). Eine solche Kritik vermittelt den Eindruck, dass eine positive Einschätzung freier Marktprozesse Ausgangspunkt, „Glaube“, und nicht das Ergebnis der Analyse seien. Dies ist jedoch falsch. Die grundsätzlich positive Einschätzung der Marktprozesse durch die Klassiker, Neoklassiker und heutige Ökonomen basiert keineswegs auf einem Glaubensbekenntnis, sondern ist das Ergebnis langer Erfahrung und theoretischer Überlegungen.
Die pluralen Ökonomen kritisieren somit das Ergebnis (eines Teils) der Mainstream-Forschung, jedoch nicht die Analyse selbst. Dies ist aus mehreren Gründen fragwürdig: Erstens haben Marktprozesse in erheblichem Umfang dazu beigetragen, Wohlstand in die Welt zu bringen. In den letzten zwanzig Jahren lässt sich zum Beispiel ein großer Anteil der Verringerung der bittersten Armut damit erklären, dass sich China zumindest partiell den Marktmechanismen zugewandt hat!
Zweitens ist es wenig überzeugend das Ergebnis einer Theorie anzugreifen, nur weil es dem eigenen Vorurteil widerspricht. Drittens existieren auch Forschungsprogramme innerhalb der Heterodoxie – die international gängige Bezeichnung für Ansätze, die vom Mainstream abweichen –, die weitaus mehr Vertrauen in Marktprozesse haben als große Teile des Mainstreams. Zu nennen wären hier die Österreichische Schule und der Ordoliberalismus. Erstere wird auf den Webseiten des NPlÖ sogar explizit genannt, Letztere wäre eigentlich hinzuzufügen, da zumindest der moderne Ordoliberalismus inhaltlich und methodisch signifikant vom Mainstream abweicht. Viertens kann nicht davon die Rede sein, dass die Beiträge, die in den wichtigsten Mainstream-Zeitschriften publiziert wurden, einseitig auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes vertrauen. Ganz im Gegenteil: Die Anzahl der Mainstream-Anhänger einer permanent aktiven Geld- und Fiskalpolitik dürfte ähnlich groß sein wie die der Skeptiker.
Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass der Vorwurf einer verfehlten Marktgläubigkeit des Mainstreams schlicht und einfach falsch ist und wohl nur eine ideologische Grundhaltung der Verfasser des offenen Briefes offenbart.
2.2.   Kritik 2: Der Mainstream als geistige Monokultur
Auf Seite 1 des offenen Briefs findet sich die folgende Einschätzung: „Der Schwerpunkt der derzeitigen Lehre und Forschung liegt auf Varianten neoklassischer Grundmodelle. Für Forschung und Lehre jenseits dieser Spielarten ist an deutschen Universitäten zu wenig Platz. Diese „geistige Monokultur“ schränkt die ökonomische Analyse ein und macht sie fehleranfällig.“ Dass der Schwerpunkt der Forschung und Lehre auf der Vermittlung der Inhalte der Mainstream-Ökonomik liegt, dürfte doch schon fast definitionsgemäß sinnvoll sein. Welcher Hochschullehrer könnte es verantworten, die Studierenden in einen Studiengang zu locken, der die Studierenden nicht dazu in die Lage versetzt, die Standard-Inhalte der eigenen Disziplin zu beherrschen?
Dem Mainstream darüber hinaus eine geistige Monokultur vorzuwerfen, ist einigermaßen befremdlich. Wie schon oben erwähnt, sind die Positionen innerhalb der Makroökonomik überaus kontrovers und umstritten. Doch auch im Bereich der Mikroökonomik finden sich methodisch und inhaltlich überaus verschiedene Ansätze zur Erklärung volkswirtschaftlicher Fragestellungen, wie durch die Lektüre der Fachzeitschriften zweifelfrei festgestellt werden kann.
2.3.   Kritik 3: Fehlende Selbstreflexion
„Zu oft werden die grundlegenden Annahmen der Volkswirtschaftslehre weder explizit dargelegt noch hinterfragt. Dabei sind diese Annahmen oft nicht nur deskriptiver, sondern auch normativer Natur. […] Ihre Reflexion ist ein notwendiger Teil wissenschaftlichen Arbeitens“ (S. 2 des offenen Briefs).
Mir ist nicht klar, wie die Verfasser des Briefs zu dieser Aussage (insb. dem ersten Satz) kommen. Die grundlegenden Annahmen werden mit den Studierenden bereits im Grundstudium intensiv diskutiert, Stärken und Schwächen der Standardmethoden (insbesondere der Neoklassik) werden so gut wie nur möglich dargelegt. Dass nun in der Forschung solche Fragen nicht permanent auf dieselbe Weise abgearbeitet werden, erscheint mir nur als das Vermeiden überflüssiger und langweiliger Wiederholungen.
Ebenfalls nicht zustimmen kann ich der folgenden Aussage (S. 2 des Briefs): „Besonders die Mathematisierung der Ökonomik führt zu einer Verschleierung der Werturteile.“ Im Gegenteil: Die Formulierung eines Maßstabs dient der vollständigen Offenlegung der Bewertungskriterien. Nimmt man etwa die ungewichtete Summe aus Produzenten- und Konsumentenrente als Bewertungskriterium, so ist offensichtlich, dass Verteilungsaspekte (zwischen Produzenten und Konsumenten oder auch innerhalb der Konsumentengruppe) ausgeblendet werden. Klarer kann man eine solche Position nicht darlegen!
Des Weiteren wird ein Defizit bei der Berücksichtigung historischer und kultureller Rahmenbedingungen konstatiert. Dies dürfte für eine Vielzahl von Modellen sicher zutreffen, insbesondere wenn sie eher kurz- oder mittelfristige Entwicklungen auf konkreten Märkten zum Gegenstand haben. In vielen Fällen würden diese kurzfristig wenig reagiblen Größen hier nur einen moderaten Einfluss aufweisen. Bei Fragen der langfristigen Entwicklung hat nicht zuletzt die Neue Institutionenökonomik dazu beigetragen, dass die geforderten Variablen stärker ins Zentrum der Forschung gerückt wurden.
2.4.   Fehlende Offenheit
Der abschließend zu diskutierende Kritikpunkt lässt sich zwar nicht wörtlich aus dem Brief des NPlÖ ablesen, doch scheint er mir implizit enthalten zu sein. Oben wurde versucht zu zeigen, dass der Vorwurf der geistigen Monokultur im Hinblick auf die vielfältigen Entwicklungen innerhalb der Volkswirtschaftslehre unzutreffend ist. Eine andere Frage ist jedoch, wie offen die Scientific Community für alternative Methoden des Erkenntnisgewinns ist. Dies gilt vor allem für Fragen der mathematischen Formalisierung von Theorien.
M.E. kann man den Pluralisten zustimmen, dass die Akzeptanz nicht-mathematischer Beiträge derzeit sehr gering ist und vermutlich eine Selektionsverzerrung zu Ungunsten nicht-formaler Theorien vorliegt. Ohne jeden Zweifel hilft die Mathematik, bestimmte Gedanken klarer und eindeutiger zu formulieren. Es gibt jedoch keinen guten Grund dafür, warum man nicht auch auf andere Art und Weise neue und wichtige Erkenntnisse gewinnen können sollte.
Offenheit für andere Muster des wissenschaftlichen Vorgehens bedeutet natürlich auch einen größeren Aufwand, insbesondere bei der Lektüre der entsprechenden Beiträge, die nicht selten in Buchform publiziert werden. Um hier Zugangsbarrieren abzubauen, wäre es sinnvoll, die Ausbildung der Ökonomen um wenigstens drei Aspekte zu ergänzen. Vorlesungen zur Wissenschafts- bzw. Erkenntnistheorie, zur Dogmengeschichte und zur Wirtschaftsgeschichte sollten wieder einen festen Platz in den Curricula finden.
Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der Mainstreamökonomik möglicherweise überrepräsentiert ist, ist die Gleichgewichtsanalyse. Erneut ist es mir wichtig zu betonen, dass die Gleichgewichtsanalyse für viele Fragestellungen der Allokationstheorie unverzichtbar ist. Andererseits ist es m.E. unmöglich die Funktionsweise von Märkten zu verstehen, wenn man sich auf komparativ-statische Analysen beschränkt. Wie Hayek (1945) und Mises (1940) eindrücklich dargelegt haben, ist der Preis- und Marktmechanismus gerade außerhalb des Gleichgewichtszustands von größter Bedeutung. Würde einmal ein Gleichgewicht erreicht – und bliebe es dauerhaft bestehen – könnte man Märkte vielleicht sogar durch Planungsbehörden ersetzen. Da die Welt jedoch permanenten Änderungen und Neuerungen ausgesetzt ist, bedarf es des Marktprozesses als Such- und Entdeckungsverfahren gerade deshalb, weil sich die Welt ständig außerhalb von Gleichgewichtszuständen befindet.
Unterstellt man– wie ein Großteil der Literatur –, dass sich die Welt permanent in (temporären) Gleichgewichten befindet, erliegt man schnell der Illusion, Marktergebnisse durch staatliche Intervention noch verbessern zu können. Dabei übersieht man regelmäßig, dass dadurch der das Gleichgewicht suchende Marktprozess in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt wird. In der illusionären Hoffnung, durch Interventionen einen vollkommenen Idealzustand (First-best-Optimum) zu realisieren, bewirkt man letztlich Verschwendung von Ressourcen und erzeugt langfristig Krisen und verfehlt sogar ein Third-best-Optimum.
Ähnliches ließe sich auch für die Analyse von Wirtschaftskrisen formulieren. Es ist mir bis heute schleierhaft, wie man die Periode der vergangenen Finanz- und Wirtschaftskrise als (stochastisch dynamisches Allgemeines) Gleichgewicht (mit oder ohne Preisstarrheiten) rekonstruieren will. Nichts war zu jener Zeit im Gleichgewicht, Erwartungen wurden regelmäßig enttäuscht (auch die der erfolgreichsten wissenschaftlichen Ökonomen!) und wirtschaftliches Handeln glich mehr einem Stochern im Nebel als einer (verzögert) optimalen Anpassung an exogene Schocks. Orientierung gaben dabei vor allem Preisänderungen, die durch den Markt als Lern- und Anpassungsprozess erzeugt wurden.
3.    Konsequenzen
Nimmt man den offenen Brief des NPlÖ als Grundlage für dessen Position, so muss man feststellen, dass die meisten Kritikpunkte überzogen formuliert wurden oder gar falsch sind. Das bedeutet aber nicht, dass das Aufbegehren dieser deutschen Heterodoxen völlig unbegründet ist. Insbesondere im Hinblick auf die Offenheit gegenüber Methoden, die sich nicht einer formalen Gleichgewichtstheorie bedienen, lassen sich Defizite erkennen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass sich das Problem zukünftig noch verschärft: Eine Kombination aus verringerter Anzahl von volkswirtschaftlichen Lehrstühlen und der Neubesetzung der verbliebenen Lehrstühle mit zunehmend spezialisierten Mainstream-Wissenschaftlern hat das Interesse an und die Offenheit für alternative Methoden beeinträchtigt.
Hinzu kommt die Wirkung der Anreizentlohnung für Hochschullehrer. Es dürfte stimmen, dass diese zu einem stärkeren Streben nach Publikationen in referierten Fachzeitschriften führt; und das ist sicher nicht schlecht. Doch muss verstanden werden, dass solche Publikationen deutlich leichter fallen, wenn man sich auf ein sehr kleines Feld des Mainstreams spezialisiert und dort kontinuierlich winzige Neuerungen einstreut. Jede Publikation zählt! Grundlegende Betrachtungen oder Diskussionen bleiben dann den Granden der Disziplin in Festvorträgen vorbehalten. Auf diese Weise errichtet man High-Tech-Gebäude, die möglicherweise auf einem wackligen Fundament stehen.
Wenn man die unzureichende methodische Offenheit der Mainstream-Ökonomik als Problem akzeptiert, dann bieten sich insbesondere zwei Maßnahmen zur Verbesserung der Lage an:
- Die regelmäßige Verankerung von Lehrveranstaltungen zu Wissenschaftstheorie, Dogmengeschichte und Wirtschaftsgeschichte in den Curricula der volkswirtschaftlichen Studiengänge könnte dazu beitragen, das Bewusstsein für alternative Forschungswege zu schärfen. Gleichzeitig würde dies auch die Absolventen unserer Studiengänge zu reiferen und kritischeren Experten werden lassen, selbst wenn dies auf Kosten anderer wertvoller Lehrveranstaltungen geht. Der Grenzertrag dieser Erkenntnisse dürfte größer sein als der so mancher hochspezialisierter Vorlesung.
- Wir benötigen größere Fakultäten mit mehr Hochschullehrern. Je kleiner eine Fakultät ist, desto größer fällt der Anteil der Mainstreamaktivitäten aus. Schließlich sollten die Studierenden vor allem die wesentlichen Bestandteile der „geltenden“ Lehre erlernen, um mit ihren späteren Kollegen mithalten zu können. Die Universität Mannheim, eine der erfolgreichsten volkswirtschaftlichen Fakultäten des deutschsprachigen Raums, weist derzeit 21 Professuren für VWL auf. Die VWL-Fakultät der Harvard University listet 43 Professoren auf. Hinzu kommt dann noch eine nicht geringe Zahl von Volkswirten an der Business School. Bei einer solchen Fakultätsgröße bleibt auch deutlich mehr Platz für Vertreter der heterodoxen Ökonomik.
Literatur
Hayek, F.A. von (1945), „The Use of Knowledge in Society“, American Economic Review, Bd. 35, S. 519-530.
Mises, Ludwig von (1940): Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens. Editions Union: Genf.
[1] https://www.plurale-oekonomik.de/fileadmin/user_upload/Plurale_Erg%C3%A4nzung_M%C3%BCnster_2015_-_Hintergrund_und_Problemkontext.pdf.
Blog-Beiträge zum Thema:
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Danke für den vorzüglichen Überblick. Ein wertvolles Stück ökonomischer Selbstreflexion.
Lieber Herr Erlei,
Guter Artikel! Eine Ergänzung: Sie diskutieren (in Abschnitt 2.3) die Behauptung im NPÖ-Papier, „Besonders die Mathematisierung der Ökonomik führt zu einer Verschleierung der Werturteile.“ In dieser pauschalen Form ist die Kritik tatsächlich falsch – In den USA hat kürzlich aber Paul Romer darauf hingewiesen, dass Ökonomen mit der vermeintlich so unbestechlichen Mathematik zuweilen auch Schindluder treiben können („mathiness“, AER P&P 2015). Was immer man von Romers Argument halten mag – die Debatte ist notwendig, doch selbst qualitativ hochwertige Beiträge zu derlei methologischen Fragen sind bei VfS-Tagungen (derzeit jedenfalls) nicht willkommen. Das ist in der Tat ein Problem.
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Super gut!