Letztes Wochenende wurde entschieden, wer neuer Basketball Europameister wird. Die deutsche Nationalmannschaft hatte keine Chance auf den Titel und verpasste somit zumindest vorerst die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Trotz zum Teil guter Leistungen gegen starke Gegner, wie Serbien, Italien oder Spanien, hat sich die deutsche Nationalmannschaft bereits in der Vorrunde im eigenen Land von der Europameisterschaft verabschiedet. Dabei sollte diese ursprünglich in der Ukraine stattfinden. Aber aufgrund der aktuellen militärischen Unruhen wurde kurzfristig nach alternativen Austragungsorten gesucht. Deutschland, Kroatien, Lettland und Frankreich, die alle über die notwendigen organisatorischen und infrastrukturellen Kapazitäten verfügen, haben sich als gemeinsame Ausrichter zur Verfügung gestellt.
Zumeist herrscht ein reger Wettbewerb bei der Vergabe von solchen Sportgroßveranstaltung, denn Sportevents sind heute ein Massenmarkt mit Milliardenumsätzen. Aktuell konkurriert beispielsweise Hamburg mit den Städten Paris, Los Angeles, Rom und Budapest um die Austragung der Olympischen Spiele 2024. Bei der Vergabe der FIFA WM ist der Druck der Konkurrenz noch größer. Inzwischen wird immer wahrscheinlicher, dass gerade bei den letzten WM-Vergaben der FIFA neben der Bewerbung zusätzlich Bestechungsgelder in Millionenhöhe geflossen sind, um die Entscheidungsträger vom jeweiligen Austragungsland zu überzeugen.
Dabei stellt sich die Frage, ob so eine Sportgroßveranstaltung für eine Volkswirtschaft ökonomisch betrachtet überhaupt vorteilhaft ist. Oftmals müssen zum Beispiel eigens für solche Events eine geeignete Infrastruktur geschaffen sowie Stadien gebaut oder aufwendig modernisiert werden. Zusätzlich zu den hohen Investitionskosten verschlingen diese Bauten langfristig hohe Betriebs- und Instandhaltungskosten. Dies gilt im besonderen Maße für Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele, die FIFA Weltmeisterschaft oder die UEFA Europameisterschaft. Insbesondere die Fifa Weltmeisterschaften in Südafrika 2010 und zuletzt 2014 in Brasilien sowie die Vergabe der FIFA Weltmeisterschaft 2022 nach Katar, werfen diesbezüglich Fragen auf und sorgten bereits für zahlreiche hitzige Debatten. Denn nach der Veranstaltung sinkt die Kapazitätsauslastung der Arenen beträchtlich, da meist einfach kein Bedarf für so moderne und große Sportstätten vorhanden ist. Der zum Teil durch die Veranstaltung erhoffte wirtschaftliche Aufschwung bleibt dabei zumeist aus, auch wenn kurzfristige Effekte zu erkennen sind (Preuß, Kurscheidt & Schütte 2009). Aber wie kann die Vorteilhaftigkeit eines Sportgroßevents ex ante ermittelt werden? In der wissenschaftlichen Praxis wird derzeit als häufigste Methode die Kosten-Nutzen-Analyse verwendet. Durch diese sollen alle positiven und negativen Effekte der Veranstaltung in einem monetären Netto-Gegenwartswert dargestellt werden.
Ein großer Teil der Kosten – die direkten tangiblen Kosten – lässt sich berechnen oder zumindest plausibel monetär abschätzen. Dazu zählen beispielsweise die Betriebskosten der Stadien während der Wettbewerbe, die gesamten Personalkosten, Marketingkosten, Kosten für die Infrastruktur und Modernisierungen etc. Ebenso können Nutzengewinne, beispielsweise aus den Einnahmen durch Werbung, Sponsoring, Ticketverkäufen etc. recht genau prognostiziert werden. Schwieriger wird es, die indirekten Effekte zu bewerten, wie zum Beispiel die Steigerung der Einnahmen durch den Eventtourismus oder die Konsumausgaben der Besucher außerhalb des Veranstaltungsrahmens etc. Diese kurbeln die Volkswirtschaft an, wodurch gleichzeitig die Kaufkraft im Land wieder erhöht wird.
Ebenso müssen auch nicht monetäre, also intangible Effekte berücksichtigt werden. So hat eine Sportgroßveranstaltung auch schwer zu quantifizierende Auswirkungen auf die Gesellschaft und Umwelt. Dazu zählen zum Beispiel Beeinträchtigungen durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen oder Sperrungen von Straßen wodurch Anwohner z.T. große Umwege fahren müssen. Ein weiterer Aspekt dahingehend ist auch die Lärmbelästigung oder die Müllberge in der Stadt. Wesentlich schlimmer traf es jedoch einen Teil der brasilianischen Bevölkerung, die im Zuge der WM 2014 von Zwangsumsiedlung und Entrechtung betroffen waren. Oder wie lassen sich beispielsweise Größen wie das Image oder die Standortattraktivität in Geldeinheiten darstellen? Hier fehlt es an geeigneten Indikatoren, um den tatsächlichen Nutzen der Bevölkerung zu bewerten. Ebenso verfügen Menschen über ganz unterschiedliche individuelle Präferenzen. Während sich ein Teil der Bevölkerung auf die (internationale) Atmosphäre und den großen Fanansturm freut, flüchten andere lieber ins Ausland.
Welche Perspektive sollte also bei einer Bewertung betrachtet werden?
In Studien werden, um den individuellen Nutzenaspekt abzufragen, „Willingness to pay“-Befragungen durchgeführt. Aus verschiedenen Gründen (Preuß & Werkmann 2008) sind solche Methoden zur Messung von intangiblen Effekten fragwürdig: So ist zum einen zweifelhaft, ob ein Individuum fähig ist, eine monetäre Bewertung des Nutzens unter Berücksichtigung der individuellen Präferenzen, Opportunitätskosten und der institutionellen Zwänge vorzunehmen. Zum anderen ist eine Validität bei der Messung nicht gegeben. Die Zahlungsbereitschaft ist abhängig von dem relativen verfügbaren Einkommen und der aktuellen Stimmungslage der Person. Ebenso wird eine negative Zahlungsbereitschaft gar nicht erst erfasst, sodass Personen die eine solche Veranstaltung eher als Belastung sehen und damit eher Kosten verbinden, nicht berücksichtigt werden. Zudem ist auch die Gestaltung des Befragungsinstruments problembehaftet, da sie den Probanden beeinflussen kann.
Außerdem werden die Schäden für die Umwelt in solchen Analysen nur geringfügig berücksichtigt. Der DFB hat beispielsweise eigens für die FIFA Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien ein Luxusressort errichten lassen, das zudem auch innerhalb eines Armenviertels liegt. Erst im Nachhinein mussten letztlich Strafzahlungen für Umweltschäden entrichtet werden (Spiegel 2015). Wobei fraglich ist, inwieweit sich die Natur anschließend wieder regeneriert. Wie es bzgl. der Umweltschädigung bei anderen Sportgroßveranstaltungen steht, ist in der Gesamtsumme nur schwer zu erfassen. Zwar hat beispielsweise Katar der FIFA eine kohlenstoffneutrale Ausrichtung der Weltmeisterschaft versprochen, aber bei Sportgroßveranstaltungen werden stets eine Menge an Baumaterialien und Energie verbraucht und zugleich bergeweise Abfall produziert (Wilts 2005). Bedenkt man zudem, dass extra für die Weltmeisterschaft dort acht moderne Stadien komplett neu errichtet werden und alle Stadien klimatisiert werden sollen, erscheint dies eher zweifelhaft.
Als weiteren Kritikpunkt an standardisierten Kosten-Nutzen-Analysen können die sportartenspezifischen inhärenten Eigenschaften von Sportveranstaltungen angeführt werden. Allein die Charakteristika der Zuschauer variieren zwischen den Sportarten erheblich. So unterscheiden sich Zuschauer eines Tennis- oder Golfevents massiv von Zuschauern eines Fußball- oder Eishockeyspiels und dies nicht nur auf die Kaufkraft bezogen, sondern auch auf die Reisefreudigkeit sowie den Grad der Identifikation mit den favorisierten Sportlern und den gelebten Emotionen. So wurden in der Schweiz im Rahmen eines Projektes der Kommission für Technologie und Kommunikation sieben verschiedene Sportevents untersucht. Die Ergebnisse über die zurückgelegten Reisekilometer pro Person wiesen z.B. eine Variation von 30 (CSIO Reitturnier) und 1246 Kilometern (Ruder WM) auf (Settler 2004). Insgesamt wird deutlich, dass ein Vergleich zweier verschiedener Sportarten-Events nicht so einfach gegeben ist und eben viele weitere Faktoren berücksichtigt werden müssen.
Des Weiteren spielen die geografischen und sozio-ökonomischen Strukturen des Austragungsortes eine entscheidende Rolle für das Konsumverhalten der Eventbesucher (Preuß, Kurscheidt & Schütte 2009). Ebenso haben die Wetterverhältnisse einen wesentlichen Einfluss auf das Kaufverhalten von Eventbesuchern. Daher liefern ex post-Auswertungen vorheriger Sportgroßveranstaltungen keine gesicherten Ergebnisse. Die Bewertung wäre nur dann konsistent, wenn die Veranstaltung am selben Ort zur selben Zeit stattfände.
Als letzter Punkt bleibt zu erwähnen, dass schwierig festzustellen ist, welche Effekte auch ohne die Sportgroßveranstaltung eingetreten wären. Dies gilt z.B. für den Ausbau der Infrastruktur, die früher oder später sowieso angefallen wären. Diese Kosten dürften dann nur in relativer Höhe berücksichtigt werden. Das gleiche betrifft auch den Tourismus und die Konsumausgaben. Es ist schwierig festzustellen, welche Touristen trotzdem nach Deutschland gekommen wären, auch wenn keine Sportveranstaltung stattgefunden hätte. Und ohne die Sportveranstaltung wären ggf. andere Produkte oder Dienstleistungen konsumiert worden.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass eine standardisierte Methode zur Ex Ante-Bewertung nur ein wissenschaftlicher Traum bleibt. Dazu gibt es zu viele Unwägbarkeiten, die im Vorlauf nur schwer zu prognostizieren sind. Und der wirtschaftliche Erfolg einer Veranstaltung ist eben auch von diesen Faktoren abhängig. Ebenso würde eine standardisierte Kosten-Nutzen-Analyse zukünftige Veränderungen in der Bewertung von Kosten und Nutzen vernachlässigen.
Quellen:
Delegiertenbüro der Deutschen Wirtschaft (2014): https://www.efficiency-from-germany.info/ENEFF/Redaktion/DE/Downloads/Publikationen/Zielmarktanalysen/marktanalyse_katar_2014_gebaeude.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Preuß, H., Kurscheidt, M. & Schütte, N. (2009): Ökonomie des Tourismus durch Sportgroßveranstaltungen – Eine empirische Analyse zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Gabler Verlag Wiesbaden.
Preuß, H. & Werkmann, K. (2011): Erlebniswert Olympischer Winterspiele in München 2018. In: Sport und Gesellschaft. Jg. 8 (2011). Heft 2. S. 97 – 123.
Settler, J. (2004): Ökonomisch nachhaltig? – Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Sport- Events – Fallbeispiele aus der Schweiz. In: Schriftenreihe Sport und Umwelt. Heft 22: Großveranstaltungen im Sport. Dokumentation des 11. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 27.-28. November 2003 in Bodenheim/Rhein. Hrsg: Deutscher Sportbund / Sport mit Einsicht e.V.
Wilts, H. (2005): Sportevents und Nachhaltigkeit. – Projekt: Eventkultur und Nachhaltigkeit. In: Handbuch Eventkultur.lab. Nordrhein-Westfalen Institut Arbeit und Technik. Wuppertal.
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