Fast jeden Tag werden wir als aufmerksame Leser bei der Zeitungslektüre mit Konflikten zwischen Minderheiten und einer Mehrheit in einer Gesellschaft konfrontiert. Häufig geht es dabei um Diskriminierung der einen Gruppe durch die andere. Die Umstände können dabei völlig verschieden sein. Teilweise geht es um religiöse oder ethnische Unterschiede, teils spielen politische Ansichten oder sexuelle Präferenzen eine Rolle. Und all diese Konflikte haben gemein, dass die tieferen Ursachen und genauen Umstände sehr komplex und vielschichtig sind. Auch die beste Statistik wird also nicht dabei helfen, auch nur einen der Konflikte ansatzweise in der Kürze einer solchen Kolumne darzustellen.
Trotzdem helfen manchmal ganz elementare statistische Überlegungen, um einige Phänomene dieser Konflikte besser zu verstehen. Stellen wir uns als Zahlenbeispiel einmal die stark vereinfachte Situation vor, dass eine Gesellschaft in zwei Gruppen gespalten ist, eine Mehrheit, die 95 Prozent ausmacht, und eine Minderheitengruppe, die die übrigen fünf Prozent umfasst. In beiden Gruppen gibt es nun einige Personen, die Vorurteile gegenüber der anderen Gruppe hegen und diese durch Diskriminierung im täglichen Umgang ausleben. Nehmen wir einmal an, dass dies sowohl in der Mehrheit als auch in der Minderheit für jeweils zehn Prozent der Personen zutrifft. Einer von zehn diskriminiert also die Angehörigen der anderen Gruppe bei einem Aufeinandertreffen. Nehmen wir ferner an, dass beide Gruppen nicht unter sich bleiben, sondern rein zufällig auch mit den Angehörigen der anderen Gruppen zusammentreffen.
Was bedeutet das für die täglichen Erfahrungen der Angehörigen beider Gruppen? Die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft haben dann im Mittel bei jedem 20. Treffen Kontakt mit einer Person aus der Minderheit, da jeder 20. der Minderheit angehört. Bei jedem zehnten dieser Treffen erlebt er dann Diskriminierung, also insgesamt bei einer von 20×10= 200Begegnungen, was 0,5 Prozent aller Treffen ausmacht. Einem Angehöriger der Minderheit widerfährt dies aber bei 95% x 10% = 9,5 % aller Treffen, also bei fast jeder zehnten Begegnung. Auch wenn in beiden Gruppen die Rate der „Diskriminierer“ also gleich hoch ist, sind fast nur Angehörige der Minderheit davon betroffen. Die häufig berichtete Diskriminierung von Minderheiten hat also nicht zwangsweise damit zu tun, dass Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft weiter verbreitet sind, sondern ergibt sich fast automatisch, wenn in einer Gesellschaft insgesamt Vorurteile eine Rolle spielen.
- Achtung Statistik
Ungleiche Verteilung - 15. April 2017 - Achtung Statistik
Murphys Gesetz - 10. September 2016 - Achtung Statistik
Die „Irrsinn-Formel“ - 17. Juli 2016
Danke für die Darstellung des Zusammenhangs. Noch verständlicher wäre m.E. folgende einheitliche und kürzere Beweisführung:
Ein Angehöriger der Mehrheitsgesellschaft hat im Mittel bei 5% der Treffen Kontakt mit einer Person aus der Minderheit. Bei 10% dieser Treffen erlebt er dann Diskriminierung, also insgesamt bei 5% x 10% = 0,5 Prozent aller Treffen. Einem Angehöriger der Minderheit widerfährt dies aber bei 95% x 10% = 9,5 % aller Treffen, also bei fast jeder zehnten Begegnung.