Ordnungspolitischer Kommentar
„Integrationsarbeit“
Ein Vorschlag zur Integration von Flüchtlingen

In der Flüchtlingspolitik stand bisher die Frage im Vordergrund, wie die schiere Unterbringung und Registrierung der Menschen bewältigt werden kann. Die größte Herausforderung steht aber noch bevor. Ein großer Teil der Flüchtlinge wird dauerhaft bleiben oder zumindest vorübergehend geduldet werden. Die wenigsten werden einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Wenn wir in der Integrationspolitik keine neuen Wege gehen, werden Hunderttausende leistungsfähiger und leistungs­williger Menschen über Jahre hinweg Leistungen aus den Sozialsystemen beziehen, ohne sich selbst und der aufnehmenden Gemeinschaft helfen zu können.

Mit etwas gutem Willen, könnte der hier skizzierte Vor­schlag der „Integrationsarbeit“ helfen. Sie kann allen arbeitsfähigen Flüchtlingen angetragen werden, bietet eine breite Palette von Tätigkeiten und erschließt ihnen unmittelbar sinnstiftende und integrationsfördernde Ar­beit im Dienste der sie aufnehmenden Gemeinschaft.

Ein Gedankenexperiment

Die zugrundeliegende Idee soll zunächst anhand eines Gedankenexperiments verdeutlicht werden: Nehmen wir an, ein Flüchtling erfährt die Hilfsbereitschaft einer An­wohnerin seiner Unterkunft, die ihn ehrenamtlich bei Behördengängen und beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützt. Nehmen wir weiterhin an, dieser Flüchtling würde bei einem Spaziergang bemerken, wie sich ebenje­ne hilfsbereite Person mit schweren Einkaufstaschen ab­müht. Er entscheidet ohne zu zögern, der Frau zu hel­fen, und bringt ihren Einkauf nach Hause. Sie bedankt sich freundlich, bietet ihm einen Tee an, man unterhält sich. Im Gespräch erfährt der Flüchtling, dass es der Frau schwerfällt, den Rasen zu mähen. Er bietet an, diese Ar­beit zu übernehmen. Die Frau willigt ein und freut sich zu beobachten, wie emsig der junge Mann die Aufgabe erle­digt. Bei der Verabschiedung drückt ihm die Frau zehn Euro in die Hand. Der junge Mann lehnt höflich ab. Schließlich wollte er sich für die zuvor erfahrene Hilfsbe­reitschaft erkenntlich zeigen. Die Frau wiederum will die Tatkraft des jungen Mannes nicht ausnutzen. Die beiden einigen sich schließlich darauf, dass die Frau die zehn Euro dem Flüchtlingsnetzwerk vor Ort spenden wird.

Diese Geschichte kommt vermutlich vielen märchenhaft vor. Aber es scheint doch immerhin eine schöne Ge­schichte zu sein. Ein unromantisch-kritischer Geist wird jedoch mahnend auf eventuelle unerwünschte gesell­schaftliche Folgen aufmerksam machen: Welche Folgen hat es, wenn der Flüchtling der Frau beim Einkauf oder Rasenmähen hilft? Schließlich bietet der örtliche Super­markt einen kostenpflichtigen Heimlieferservice an. Vom Angebot kommerzieller Gärtner ganz zu schweigen. Wie kommt der junge Mann auf den Gedanken, für die Frau zu arbeiten? Schließlich lebt er von den Transfers, die alle Steuerzahler finanzieren.

In der Tat stehen dem zunächst begrüßenswert erschei­nenden Arrangement massive Bedenken gegenüber. Die zur Integration der Flüchtlinge etablierten Arbeitsgele­genheiten (Ein-Euro-Job) begegnen solchen Befürchtun­gen durch institutionelle Beschränkungen und erschließen den Teilnehmern nur zusätzliche und gemeinnützige Ar­beit. Da es sich weder um Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung handelt noch um ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Ar­beitsrechts, verhindern weder hohe Versicherungsbeiträge noch ausländerrechtliche Beschränkungen der Erwerbstä­tigkeit oder der gesetzliche Mindestlohn den Einsatz von Flüchtlingen. Hinter den harmlos anmutenden Begriffen der Zusätzlichkeit und der Gemeinnützigkeit verbergen sich aber in der Praxis Fallstricke, die einen massenhaf­ten, sinnstiftenden und kostenneutralen oder gar kosten­sparenden Einsatz verhindern.

„Zusätzlichkeit“ und „Gemeinnützigkeit“

Das Zusätzlichkeitserfordernis soll die Verdrängung regu­lärer Beschäftigung verhindern. Als zusätzlich gilt eine Tätigkeit daher strenggenommen dann, wenn die zu leis­tende Arbeit sonst nicht verrichtet werden würde. Solche Maßnahmen sind offenkundig nicht dringend nachge­fragte, relativ überflüssige, womöglich sogar unsinnige Tätigkeiten. Der Gesetzgeber erlaubt daher auch solche Tätigkeiten, die zwar eventuell irgendwann auch ohnedies in Angriff genommen würden, jedoch nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt. Aus ökonomi­scher Perspektive erscheint eine so definierte Zusätzlich­keit wie ein systematisches Verbot produktiver Einsätze.

Zusätzlich im volkswirtschaftlichen Sinne wäre eigentlich jede Arbeitsleistung, die der Gesellschaft einen höheren Nutzen stiftet, als sie an Kosten verursacht und andern­falls nicht erbracht würde. Solange die Teilnehmer in den Maßnahmen kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern weiter­hin von den Transferbezügen leben, auf die sie ohnehin einen Anspruch haben, gilt: Je pro­duktiver die Teilneh­mer in ihrer Tätigkeit sind, desto höher der Zusatznutzen für die Gemeinschaft. Aus ge­samtwirtschaftlicher Sicht verdrängen die Maßnah­menteilnehmer keine reguläre Beschäftigung, sie ermög­lichen zusätzliche Leistungen. Spart die Kommune bei den Kosten für die Grünflächen­pflege, kann sie mit den frei gewordenen Mitteln Klassen­räume renovieren lassen oder Ferienfreizeiten für bedürf­tige Kinder und Jugendli­che organisieren.

Das gesetzlich verankerte Kriterium der Gemeinnützig­keit oder des öffentlichen Interesses soll verhindern, dass der Einsatz von Maßnahmenteilnehmern Privatpersonen zugutekommt statt der ganzen Gemeinschaft. Operationalisiert wird dieser richtige Grundsatz durch eine Be­schränkung der zulässigen Auftraggeber: Arbeitsgelegen­heiten dürfen nur bei staatlichen, bei kommunalen und bei steuerrechtlich gemeinnützigen Trägern angesiedelt wer­den. Flüchtlinge dürfen bei Altenpflege­einrichtungen und Krankenhäusern in karitativer Träger­schaft arbeiten, nicht aber bei deren privatrechtlichen Konkurrenten. Sie dürfen den städtischen Bauhof unter­stützen, nicht aber die Pri­vatfirmen, die kommunale Auf­träge ausführen.

Aus ökonomischer Perspektive wirkt eine solche Beschränkung der Auftraggeber wettbewerbsverzerrend und wie ein systematisches Verbot der Nutzung vorhandener Fähigkeiten und Talente aufseiten der Maßnahmeteil­nehmer. Und es offenbart ein erstaunlich naives Ver­ständnis vom Nutzen einer Leistung. In einer wettbe­werblich und arbeitsteilig organisierten Wirtschaftsord­nung wird der Nutzen einer Arbeitsleistung gewöhnlich zwischen allen an der Produktion und dem Konsum be­teiligten Akteuren aufgeteilt, die Konzentration auf den Arbeitgeber ist also höchst irritierend. Gemeinnützig im volkswirtschaftlichen Sinne wäre jede Maßnahme, die den Kommunen, Ländern oder dem Bund Mittel zuführt oder Ausgaben erspart.

Risiken und Nebenwirkungen sind vermeidbar

Dem Grundsatz nach ist also jede Tätigkeit von Flücht­lingen zusätzlich, wenn diese andernfalls untätig blieben. Jeder Arbeitseinsatz nützt der Gemeinschaft, wenn dieser die erzielten Ersparnisse oder Einnahmen zugutekommen. Theoretisch kommt eine Vermittlung der Flüchtlinge in die unterschiedlichsten Einsätze in Frage. Eine kommuna­le Vermittlungsstelle kann die Teilnehmer in Arbeitsein­sätze vermitteln, in denen deren unterschiedlichen Fähig­keiten, Erfahrungen und Eignungen Rechnung getragen wird. Die für die Arbeit der Teilnehmer bestehende Zah­lungsbereitschaft der Auftraggeber fließt als Entleihge­bühr an die Kommune. Die Flüchtlinge erlangen durch ihre Einsätze in der Integrationsarbeit Fähigkeiten, die ihnen bei einer späteren Eingliederung in den regulä­ren Arbeitsmarkt behilflich sein können. So lernen sie, sich in der hiesigen Arbeitswelt zurechtzufinden, lernen typische Arbeitsweisen und übliche Anforderungen ken­nen. Ne­benbei verbessern sie im Kontakt mit deutschen Kollegen und Auftraggebern ihre Sprachkenntnisse. Zu­dem knüp­fen sie soziale Kontakte außerhalb der Flücht­lingsgruppe und beginnen so, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Vor allem aber erhalten sie die Möglichkeit, die zermür­bende und lähmende Zeit des untätigen Abwartens zu beenden. Den meisten Menschen wohnt ein Schaffens­drang inne, der ihnen Motivation genug ist, einer erkenn­bar sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die ihnen Aner­kennung und Selbstbewusstsein erschließt. Zudem mögen viele Flüchtlinge den Wunsch haben, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, die ihnen einen Neuanfang ohne Angst um Leib und Leben ermöglicht.

Die Gegebenheiten in den Kommunen sind lokal sehr unterschiedlich. Daher sollten die Kommunen möglichst freie Hand haben, wie sie die In­tegrationsarbeit konkret umsetzen. Die Akteure vor Ort werden dabei mit Augen­maß vorgehen und erkennbare Beeinträchtigungen etab­lierter Unternehmen vor Ort ge­nauso vermeiden wie wie­derholte Arbeitseinsätze bei denselben Auftraggebern gegen zu geringe Verleihgebühren. Außerdem kann über­legt werden, allen Bürgern vor Ort ein Vetorecht gegen konkrete Arbeitseinsätze einzu­räumen, sofern sie ein un­mittelbares Eigenin­teresse geltend machen können. Des Weiteren kann vor Ort darüber entschieden werden, ob die Teilnehmer zusätzli­che An­reize in Form von Zertifi­katen zur Dokumentation ihrer Tätigkeiten sowie privile­gierten oder über Bildungs­gutscheine subventionierten Zugang zu weiterführenden Sprachkursen erhalten. Es kann vor Ort entschieden wer­den, ob man den Flüchtlin­gen die Integrationsarbeit auf freiwilliger Basis anbietet oder sie – falls ausreichend Arbeitseinsätze organisiert werden kön­nen – verpflich­tend einsetzt.

Wesentlich zur Umsetzung der Integrationsarbeit er­scheint es lediglich, die Kriterien der Gemeinnützigkeit und der Zusätzlichkeit gesamtwirtschaftlich sinnvoll zu definieren sowie dafür Sorge zu tragen, dass kein Ar­beitseinsatz der Flüchtlinge die Gemeinschaft mehr kos­tet, als er an Ersparnissen oder Einnahmen erwarten lässt.

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