4. Würzburger Ordnungstag (2)
Arbeit der Zukunft im Maschinenbau
Industrie 4.0 verändert die Arbeitswelt und bricht starre Tarifstrukturen auf

Das Thema Industrie 4.0 oder die digitale Vernetzung der Wertschöpfungsprozesse beherrscht seit 2013 die Diskussion über die Zukunftsfähigkeit des Maschinenbaus. Neben Wissenschaft und Unternehmen haben sich Politik und Verbände dem Thema Industrie 4.0 intensiv angenommen und – mit staatlicher Finanzierung – zahlreiche Kooperationen gestartet (Plattform Industrie 4.0 auf Bundeebene, Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg). Die Befürchtung, dass Deutschland in dieser „Vierten industriellen Revolution“ zurückfallen und an Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit verlieren könnte, setzt große korporatistische Anstrengungen frei.

Das BMWi rechnet auf Basis von Positivszenarien mit einem zusätzlichen Wachstumspotenzial zwischen 200 und 425 Milliarden Euro bis 2025 allein für Deutschland. Sollte es Europa nicht gelingen, die Digitalisierung zu seinem Vorteil zu nutzen, stünden allein für die Industrie rund 600 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung auf dem Spiel. Dies entspräche einem Verlust von weit über 10 Prozent der industriellen Basis (www.bmwi.de). Nach einer Studie von BITKOM/Fraunhofer IAO (2014) könnte der deutsche Maschinenbau bis 2025 seine Bruttowertschöpfung durch Industrie 4.0  um 30 Prozent steigern(www.bitkom.org). Sofern die notwendigen Investitionen getätigt und die Mitarbeiter entsprechend qualifiziert werden.

Die Chancen, dass der deutsche Maschinenbau als weltweit führender Ausrüster von Produktionstechnik zu den Gewinnern in der digitalisierten Welt gehört, sind gut. Dafür sprechen das Know-how in der Produktionstechnik, die qualifizierten Mitarbeiter, die Vernetzung mit betriebsnahen Forschungseinrichtungen und die internationale Präsenz. Die Zahl der Maschinenbauunternehmen, die sich noch nicht mit Industrie 4.0 befasst haben, ist seit 2014 stark gesunken. 2015 bezeichneten sich  bereits 25 Prozent der Maschinenbauer als Fortgeschrittene/Erfahrene/Experten in Sachen Industrie 4.0 – im Vergleich zu 11 Prozent in der gesamten Industrie (www.impuls-stiftung.de).

Auswirkungen auf Arbeitsorganisation, Arbeitsinhalte und Arbeitsmarkt

Vor allem wird die Umsetzung von Industrie 4.0 die Arbeitswelt verändern. Für den Maschinenbau zeichnet sich ab, dass es zu Umbrüchen kommt – nicht abrupt, sondern in einem längerfristigen Prozess.  Produktionsarbeit wird wissensbasierter, indirekte Tätigkeiten nehmen zu, direkte ab. Die Maschinen werden aber weiterhin dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Bei einer Expertenumfrage von Fraunhofer IAO (2016) unter produzierenden Unternehmen gaben  96,9, Prozent der Befragten an, dass menschliche Arbeit (Planung, Steuerung, Ausführung, Überwachung) auch in fünf Jahren noch wichtig/eher wichtig sei (www.iao.fraunhofer.de)

Die Unternehmen werden sich noch stärker vernetzen, neue Geschäftsmodelle entstehen. Der flexible Personaleinsatz wird zunehmen (crowdsourcing). Es kommt zu einer stärkeren Vernetzung von flexiblen Produktionseinrichtungen und Menschen. Flexiblere Produktion eröffnet neue Spielräume für mobiles und agiles Arbeiten und damit Handlungsbedarf für Unternehmen, Tarifpartner und Staat.

Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Industrieverbände, Bundeswirtschaftsministerium sowie Arbeits- und Sozialministerium schließen sich apokalyptischen Prognosen über eine massenhafte Arbeitsplatzvernichtung nicht an. Die Einschätzung von Frey/Osborne¹, wonach in den USA 47 Prozent der Beschäftigten in Berufen arbeiten, die in den nächsten 10-20 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 70 Prozent automatisiert werden können (42 Prozent in Deutschland), entbehren einer soliden empirischen Basis. Die Ergebnisse von Frey/Osborne beruhen auf subjektiven Einschätzungen von Robotik-Experten, die zudem die Automatisierbarkeit von Tätigkeiten und Berufen gleich gesetzt haben. Technische Automatisierungsmöglichkeiten werden oft überschätzt, mit Beschäftigungseffekten gleichgesetzt und vor allem die Rationalisierungseffekte gesehen. Die vorauseilenden Beschäftigungseffekte aus der Entwicklung und Produktion neuer Produktionsmittel, neuer Produkte  und der Erschließung neuer Absatzpotenziale werden vernachlässigt. So hat sich trotz einer Zunahme des Roboter-Einsatzes um 150 Prozent in den Jahren 1993 bis 2007 in 17 Ländern die Gesamtzahl der Arbeitsstunden nicht vermindert².

Bei der Schätzung von Beschäftigungseffekten von Digitalisierung/Industrie 4.0 wird oftmals pauschal unterschieden zwischen Routine- und Nicht-Routine-Tätigkeiten, wobei erstere als technisch ersetzbar gelten. Tätigkeiten an Maschinen werden als manuelle Routine-Tätigkeiten eingeordnet, obwohl sie z.B. bei der Steuerung von Produktionsanlagen hoch anspruchsvolle Tätigkeiten sind. Das IAB (2015) rechnet aufgrund veränderter Tätigkeitsprofile bis 2025 mit einer Umschichtung von 920.000 Arbeitsplätzen -   bei einem Verlust von 490.000 Arbeitsplätzen durch Produktivitätssteigerungen und 430.000 neue Arbeitsplätze durch neu generierte Nachfrage (www.iab.de).

Herausforderung für Aus- und Weiterbildung

Im Zuge der Digitalisierung werden sich die Anforderungen an die Produktionsarbeit und indirekte Funktionen grundlegend verändern. Die kontinuierliche Qualifizierung (lebenslanges Lernen) der Beschäftigten im Unternehmen und überbetrieblichen Einrichtungen ist eine der großen Herausforderungen von Industrie 4.0. Vor allem die Fort- und Weiterbildung langjähriger (älterer) Mitarbeiter stellt eine enorme Aufgabe dar und stößt gemeinsame Aktivitäten von Verbänden, Unternehmen und Staat an.

Defizite bei der Mitarbeiterqualifikation bestehen vor allem noch in den Bereichen Kollaborationssoftware, Anwendung von Assistenzsystemen, Datenanalyse und systemisches Denken (www.impuls-stiftung.de). Die Voraussetzungen für eine Qualifizierung der Mitarbeiter im Maschinenbau -  und damit für den Erfolg in der digitalen Welt – sind aber gut: über 96 Prozent der Beschäftigten haben mindestens einen beruflichen Abschluss. 71 Prozent der deutschen Erwerbstätigen haben Erfahrung im Umgang mit Komplexität, können sich qualifizieren und 4.0 beherrschen ³.

Fehlendes Fachwissen bzw. fehlende Fachkräfte sind aber vor allem bei Neulingen in der 4.0-Umsetzung ein Haupthindernis. Es erfordert eine systematische Entwicklung der Mitarbeiter sowohl in der Erstausbildung als auch in der Weiterbildung. Gesamtmetall, IG Metall, VDMA und ZVEI haben sich im April 2016 darauf verständigt, „in einem agilen Verfahren gemeinsam die Industrie-4.0-relevanten Ausbildungsberufe und die darauf ausbauenden Fortbildungen im M+E-Bereich hinsichtlich sich verändernder Anforderungen und neuer beruflicher Perspektiven zu untersuchen“. In Baden-Württemberg hat die Allianz Industrie 4.0 die Errichtung von neun Lernfabriken an Berufsschulen beschlossen, in denen Auszubildende und Beschäftigte für die neuen Anforderungen qualifiziert werden.

Was regeln Gesetzgeber, Tarifpartner und Betriebsparteien in der flexiblen Arbeitswelt?

Bei allen Akteuren herrscht Konsens: die heutigen Regeln im Arbeitsrecht und in den Tarifverträgen müssen an die Arbeitswelt in 4.0 angepasst werden. Strittig ist nur: wer regelt was? Jörg Hofmann (IG Metall) warnt davor, der Wandel dürfe nicht zu einem Einfallstor für den Gesetzgeber werden, Aufgaben an sich zu ziehen, die Sache der Tarifvertragsparteien seien⁴. Der Gesetzgeber solle einen verbindlichen Rahmen setzen, den die Tarifvertragsparteien ausfüllen und die Tarifpartner sollten dann wiederum Gestaltungsoptionen an die Betriebe delegieren. Ähnlich äußert sich Hartmut Seifert (WSI): „Aufgabe der Tarifpolitik und des Gesetzgebers wäre es, die Rahmenbedingungen für eine innovative Arbeitszeitpolitik so zu reformieren, dass in einem zweiten Schritt betriebliche Spezialisierungen problemadäquate Lösungen erlauben“⁵. Damit verbunden sei eine aktive, gestalterische Rolle der Betriebsräte, die nicht nur Tarifverträge ausführen, sondern die Arbeitswelt gestalten.

Die Veränderbarkeit der Regelarbeitszeit wird zu einem neuen Gestaltungsprinzip in der flexiblen Arbeitswelt. Der klassische Arbeitsalltag mit Präsenzpflicht von 8 bis 17 Uhr ist ein Auslaufmodell, das vor allem auch nicht mehr den Arbeitszeitvorstellungen der Generation Y und der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben entspricht.

Reicht es nun aus, einzelne Passagen in den Manteltarifverträgen, z.B. Zuschläge für Mehr-, Spät- Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, zu ändern oder brauchen wir ein neues tarifliches Regelwerk “Arbeiten 4.0“? Wer freiwillig und aus eigener Motivation nach 19 Uhr noch arbeitet, kann keinen Anspruch auf Spätarbeitszuschlag haben.  Anpassungsbedarf besteht auch beim Arbeitszeitgesetz, um mobiles und agiles Arbeiten zu ermöglichen – z.B. bei den Ruhezeiten. Warum sollte der Ingenieur, der um 16 Uhr nach Hause geht, um sich um sein Kind zu kümmern, und von 20 bis 22 Uhr sich noch einmal an den Rechner setzt, am nächsten Morgen nicht wieder vor 9.30 Uhr arbeiten dürfen ? Anpassungsbedarf besteht bei neuen Formen des crowdsourcing auch bei den Regeln für Zeitarbeit und Werkverträgen.

In der flexiblen Welt von Industrie 4.0, in der sich der Maschinenbau im internationalen Wettbewerb behaupten muss, sollten wir die Betriebe nicht  mit neuen Regeln fesseln. Unternehmensleitungen, Betriebsräte und Beschäftigte können selber dafür sorgen, dass es nicht zu einer Entgrenzung der Arbeit kommt.

Betriebe preschen wieder vor

Einzelne innovative Unternehmen warten wieder nicht, bis der Gesetzgeber oder die Tarifpartner neue Rahmen schaffen, sondern vereinbaren in betrieblichen Bündnissen mit ihren Beschäftigten flexible Regelungen für mobiles und agiles Arbeiten in der Arbeitswelt 4.0. So können viele Mitarbeitergruppen 20 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil, an welchem Ort auch immer, leisten. Oder es wird eine Jahresarbeitszeit von 1600 oder 1700 Stunden vereinbart, die nach Arbeitsanfall flexibel über das Jahr verteilt geleistet werden.

Ein potenzielles Problem stellt dabei die Vereinbarkeit von betrieblicher Flexibilität und Zeitsouveränität der Beschäftigten dar. Ein intelligentes Personalmanagement und dezentrale Abstimmung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten können besser zu einer Vereinbarkeit von betrieblichen Bedürfnissen und Privatleben beitragen als zentrale Regulierungen.So kommt es bei dem Ditzinger Maschinenbauer Trumpf zu einer Kapazitätssteuerung durch Vorgesetzten und Mitarbeiter ohne Einschaltung von Betriebsrat und Unternehmensleitung. Derartige Regelungen stoßen – wie auch Angebote für lebensphasenorientierte Arbeitszeiten – auf nachhaltiges Interesse der Mitarbeiter und erhöhen die Arbeitgeberattraktivität. Die Unternehmen erzielen wesentliche Produktivitätsgewinne durch am Arbeitsanfall orientiertes Arbeiten und ersparen sich Zuschläge für Spät- und Wochenendarbeit. Größere individuelle Zeitsouveränität der Beschäftigten bedingt auch höhere Eigenverantwortung – z.B. bei der Aufzeichnungspflicht und möglichen Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz.

Derzeit kommt es zu einer Wiederholung von Entwicklungen in der zweiten Hälfte der 90er Jahre: Einzelnen Pionierunternehmen ist das Tarifkorsett zu eng. Unternehmensleitungen und Betriebsräte vereinbaren in betrieblichen Bündnissen für Arbeit und/oder in Ergänzungstarifverträgen  bahnbrechende Lösungen für die flexible Gestaltung der Arbeitszeit und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitigen Beschäftigungsgarantien. Die Tarifpartner dürften später wieder – wie 2004 in Pforzheim – Regelungen in den Flächentarifvertrag übernehmen, die in einzelnen Unternehmen erfolgreich praktiziert wurden. Dies geschieht im Vorfeld teilweise mit Ergänzungstarifverträgen, teilweise in der rechtlichen Grauzone (§ 77 Abs.3 BetrVG). Einzelne Unternehmen dienen der IG Metall auch als Experimentierfelder und für das Sammeln von Erfahrungen, bevor Regelungen in Tarifverträgen in Stein gemeißelt werden.

Fazit

Industrie 4.0   führt zu neuen Geschäftsmodellen und gravierenden Veränderungen bei Arbeitsorganisation und Arbeitsinhalten. Entscheidend für den Erfolg des deutschen Maschinenbaus in der digitalen Welt wird die Qualifizierung der Beschäftigten sein. Die Voraussetzungen sind gut. Die Beschäftigungseffekte lassen sich noch schwer abschätzen, dürften aufgrund der Erfahrungen mit der Roboterisierung ex post eher positiv sein. Flexible Produktion und vernetzte Strukturen eröffnen neue Chancen für mobiles und agiles Arbeiten und die Vereinbarkeit von Berufs-und Privatleben. Das erfolgreiche Arbeiten in der digitalen Welt erfordert eine Anpassung von Arbeitsgesetzen und Tarifverträgen. Einzelne Pionierunternehmen gehen wieder voran und bewirken flexiblere Tarifverträge. Eine zunehmende Vielfalt von  betrieblichen Arbeitszeit- und Entgeltsystemen fördert den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt und bricht starre Tarifstrukturen auf.

Literatur:

  1. Frey/Osborne, The future of emmployment : How susceptible are jobs to computerisation, 2013
  2. Graetz/Michaels, CEP Discussion Paper No 1335 – Robots at Work, 2015 und Hammermann/Stettes, Beschäftigungseffekte der Digitalisierung, IW Trends, 2015
  3. Pfeiffer, Industrie 4.0 – Qualifizierung 2025, VDMA Nachrichten 7/2016
  4. IG-Metall-Chef fürchtet übereifrigen Gesetzgeber, FAZ v. 23.6.2016
  5. Seifert, Anforderungen an eine innovative Arbeitszeitpolitik, in Hoffmann/Bogedan, Arbeit der Zukunft, 2015

Hinweis: Der Beitrag ist die schriftliche Fassung eines Vortrages auf dem “4. Würzburger Ordnungstag“ am 5. Oktober 2016 in Frankfurt. In loser Folge werden hier weitere Vorträge dieses wirtschaftspolitischen Symposiums erscheinen.

Beiträge des 4. Würzburger Ordnungstages:

Norbert Berthold, Migration, Ungleichheit und Umverteilung.
Erodieren Flüchtlinge den Sozialstaat?

Eine Antwort auf „4. Würzburger Ordnungstag (2)
Arbeit der Zukunft im Maschinenbau
Industrie 4.0 verändert die Arbeitswelt und bricht starre Tarifstrukturen auf

  1. Lieber Herr Hermani,

    vielen Dank für einen sehr interessanten Beitrag zu einem für den Standort Deutschland und dessen global erfolgreiche Schlüsselbranche, den Maschinen- und Anlagenbau, sehr wichtigen Thema.
    Ich stimme Ihnen in allen aufgeführten Punkten zu. Insbesondere kann man das Schreckgespenst der menschenleeren Fabrikhallen nicht oft genug vertreiben. Wir müssen nämlich alle aufpassen, dass die Angst vor ebendiesem Gespenst nicht zu Ablehnung von Innovationen und Verunsicherung führt. Nicht dass es dadurch dann vielleicht tatsächlich um die Ecke kommen könnte. Vielmehr werden es dann eben andere Unternehmen, Branchen und Nationen sein, die die Chancen von „Industrie 4.0“, die Chancen von Digitalisierung und Vernetzung in Wohlstand und Beschäftigung ummünzen. Das Ergebnis für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze hierzulande wäre jedoch negativ; ironischerweise dann tatsächlich als Folge von „Industrie 4.0“, allerdings als Folge der nicht genutzten Chancen auf diesem Feld.
    Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, hier für Klarheit und Orientierung zu sorgen. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft müssen hier an einem Strang ziehen. Jede gesellschaftliche Gruppierung kann einen Beitrag leisten.
    Unabhängig von alledem gestatten Sie mir bitte noch folgende Ergänzung: die Auswirkungen auf Arbeitsorganisation, Arbeitsinhalte und Arbeitsmarkt sowie die Herausforderungen für Aus- und Weiterbildung werden immens sein, keine Frage. Allerdings wird es am Ende des Tages eine Frage der unternehmerischen Kraft, eine Frage der Führung sein, ob aus Chancen und Herausforderungen tatsächlich erfolgreiche Geschäftsmodelle und Produkte werden. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer!
    Der technologische Fortschritt sowie die Digitalisierung der Wirtschaft und ihrer Geschäftsmodelle beschleunigen den Prozess zunehmender Führungskomplexität und entwerten tradierte Führungsmechanismen. Wertschöpfung findet verstärkt interdisziplinär, über Abteilungen und Unternehmen hinweg, zunehmend international und interkulturell statt. Zentralistische Strukturen und Hierarchien haben vielerorts ihre Kraft verloren, intelligente Wertschöpfungsnetzwerke müssen sich je nach Aufgabestellung neu konfigurieren, dezentrale Intelligenz und Autonomie sind auf übergeordnete Zielsetzungen auszurichten – das ist die schwierige Aufgabe, die es in den Unternehmen zu meistern gilt. Doch wie führt man eigentlich in zunehmend digitalisierten Welten, die sich noch dazu dadurch auszeichnen, dass ein immer grösser werdender Anteil der zu führenden Personen(gruppen) ausserhalb des direkten Verantwortungsbereichs und ausserhalb der eigenen bzw. unternehmensspezifischen Know-how-Felder liegt?
    Ein ganz entscheidender Punkt, der über Triumph und Niederlage entscheiden wird. Und man ist hier nicht so weit, wie man gerne sein wollte und auch sollte. Selbst der ehemalige Präsident des VDMA, „Industrie 4.0“-Vorreiter und „Entrepreneur des Jahres“ Manfred Wittenstein lenkt den Blick bewusst auf ebendieses Lern- bzw. Handlungsfeld. „Industrie 4.0“ verlangt „Führung 4.0“ (siehe etwa hier und hier).
    Und noch etwas kann ich mir nicht verkneifen: Aus meiner Erfahrung selbst aus auf dem Gebiet der Digitalisierung weit fortgeschrittenen Unternehmen kann man diesen Hinweis nicht deutlich und oft genug geben. Digitaliserung und Vernetzung haben keinen Selbstzweck. Im Gegenteil: Digitalisierung und Vernetzung ohne intelligente Zielrichtung erhöhen den Grad der Komplexität und können als Waffe eingesetzt werden, um Verwirrung und faktische Handlungsunfähigkeit zu erzeugen. Sabotage durch Digitalisierung und Vernetzung – das funktioniert! Und es ist aus meiner Sicht zum Teil beängstigend, was in den Unternehmen passiert: Man weiss, dass man sich dem Themenkomplex rund um Industrie 4.0, Digitalisierung und Vernetzung stellen muss. Man weiss aber oft nicht, WIE man den Elefanten in Scheiben schneiden muss und wie man den konkreten Bezug zur eigenen Wertschöpfung und dem Nutzen der eigenen (potenziellen) Kunden herstellt. Und dann – oft unter dem Motto „Jetzt schaffen wir erst mal die Voraussetzungen intern“ – werden mit der Giesskanne im Unternehmen Initiativen losgetreten. Auf den Fahnen steht dann meist „Digitale Transformation“. Der ganze Laden wird umgestellt auf digital, ohne dass klar ist, für was! Was bringt das tatsächlich an Produktivitätsgewinnen? Steigert das dann die Effizienz, Effektivät und Flexibilität? In der Regel nicht. Ausser Spesen nichts gewesen! Die Suche nach echtem Mehrwert, nach echtem Nutzen – das hat der erste Schritt zu sein. Und da sind wir dann wieder bei den Geschäftsmodellen. Und beim Führen.
    Herzliche Grüsse aus der Schweiz,
    Dr. Christian Abegglen

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