Gemeindefusionen ohne Spareffekt

Gemeindefusionen[1] sind derzeit «en vogue». Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Gemeinden in der Schweiz durch 278 Gemeindefusionen von 2’899 auf 2’255 geschrumpft. Diese Fusionen verteilen sich auf 15 Kantone, welche Gemeindefusionen in der Regel aktiv durch Beratung und finanzielle Beiträge fördern. Die Betroffenen versprechen sich denn auch handfeste Vorteile: die Neuorganisation soll Effizienzgewinne auslösen.

Hoffnung auf Synergien

In der Theorie wie auch in der Praxis werden Gemeindefusionen oft mit Spareffekten motiviert. So wird erwartet, dass sich beispielsweise durch den Wegfall von Gemeinderäten, das Zusammenlegen von Verwaltungseinheiten, gemeinsame Materialbeschaffung, eine bessere Auslastung der Infrastruktur oder Optimierungen von Schulklassengrössen Synergien nutzen lassen. Alleine es stellt sich die Frage, ob solche potenziellen Synergien auch tatsächlich genutzt wurden. Schliesslich bedarf es dafür oft konkreter Entscheide durch den fusionierten Gemeinderat oder die Gemeindeversammlung. Solche Entscheide können sich nach der Fusion als schwierig durchsetzbar erweisen. Als prominentes Beispiel wurde 2013 in den Medien dem Glarnerland ein «Fusionskater» attestiert, da sich anstelle von Einsparungen rote Zahlen eingestellt hätten.

Kaum Untersuchungen zum Spareffekt

Untersuchungen zu den Effizienzwirkungen von Schweizer Gemeindefusionen beschränken sich bisher auf zahlreiche Fallstudien zu einzelnen Gemeindefusionen sowie Befragungen von Gemeindevertretern. So beispielsweise die Gemeindeschreiberbefragung im Rahmen des Gemeindemonitorings der Universität Bern und des IDHEAP in Lausanne. Diese Studien bringen wertvolle Einsichten. Eine systematische Analyse über alle erfolgten Gemeindefusionen hinweg besteht unseres Wissens bislang allerdings nicht. Zudem ist eine reine Vorher-Nachher-Betrachtung problematisch. Ein Vergleich der aggregierten Daten der Gemeinden A und B mit den Daten der fusionierten Gemeinde AB wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, die ausserhalb der Fusion liegen. So unterliegt ein solcher Vergleich konjunkturellen Einflüssen auf die Steuereinnahmen und die Gemeindeausgaben, rechtlichen Veränderungen auf Kantonsebene beispielsweise durch Verschiebungen von Aufgaben zwischen Kanton und Gemeinden und auch politischen Veränderungen. Eine solide Methode, solche Zusatzeinflüsse herauszufiltern besteht darin, die Entwicklung der fusionierten Gemeinden vor und nach der Fusion mit der Entwicklung anderer Gemeinden zu vergleichen, die möglichst denselben Zusatzeinflüssen unterliegen, die jedoch nicht fusioniert haben.

Umfassende Analyse …

Unsere Untersuchung basiert auf 142 Gemeindefusionen aus zehn Kantonen, die zwischen 2001 und 2014 erfolgten. Dabei wird jeder fusionierten Gemeinde AB eine künstlich fusionierte Gemeinde CD gegenübergestellt, wobei wir die Gemeinden C und D so auswählen, dass Gemeinde C eine möglichst hohe Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Gemeinde A und Gemeinde D eine möglichst hohe Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Gemeinde B aufweist. Dies unter anderem bezüglich Steuerfuss, Verschuldung, Ausgaben pro Kopf und Anzahl Einwohner. Die Ausgabenentwicklung der Gruppe der tatsächlich fusionierten Gemeinden wird danach mit der Ausgabenentwicklung der Gruppe der künstlich fusionierten Gemeinden verglichen. Das heisst, wir vergleichen die Fusionsgemeinden mit einer möglichst identischen Kontrollgruppe aus nicht fusionierten Gemeinden.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

… zeigt weder Spareffekt, …

Die empirische Analyse zeigt, dass über alle betrachteten Gemeindefusionen hinweg keine systematischen Spareffekte erkennbar sind. Folglich kann nicht automatisch von Kosteneinsparungen durch Gemeindefusionen ausgegangen werden. Im Bereich der Verwaltungsausgaben ist ein kleiner Spareffekt erkennbar. Dies vermutlich aufgrund der Tatsache, dass Gemeinderatspensen entfallen bzw. in Gemeinden mit vollamtlichen Gemeindepräsidien ein Gehalt entfällt. Bei den Gesamtausgaben sind jedoch keine systematischen Unterschiede zwischen fusionierten Gemeinden und Kontrollgemeinden erkennbar. Es ist daher davon auszugehen, dass  die Einsparungen im Verwaltungsbereich durch Ausgabensteigerungen in andern Budgetpositionen wieder kompensiert werden.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

… noch Leistungseffekt

Effizienzsteigerungen müssen sich theoretisch nicht ausschliesslich in Kostenersparnissen niederschlagen. Es ist ebenso denkbar, dass die Qualität der von den Gemeinden erbrachten Dienstleistungen nach einer Fusion bei gleichbleibenden Kosten ansteigt. Solche Qualitätsverbesserungen erhöhen die Attraktivität einer Gemeinde. Dies müsste sich mittel- bis langfristig in der Bevölkerungsentwicklung und/oder den Immobilienpreisen niederschlagen. Auch für diese beiden Indikatoren können wir im Rahmen unserer Untersuchung jedoch keine systematischen Unterschiede zwischen fusionierten und nicht-fusionierten Gemeinden feststellen.

Gründe?

Was könnten die Gründe für dieses «Nullergebnis» sein? Einerseits zeigt das Resultat, dass die pragmatische Kooperation und problemorientierte Zusammenarbeit unter den Gemeinden auch ohne Fusion wichtige Synergiepotenziale erschliessen kann. Andererseits bieten Fusionen auch die Gelegenheit, sich den angestrebten Zusammenlegungen zu widersetzen und neue und teure Projekte zu lancieren, die die Kostenersparnisse wegfressen. Gleichzeitig sollte beachtet werden, dass die Ergebnisse unserer Untersuchung für den Durchschnitt der betrachteten Gemeinden gelten. Es ist durchaus möglich, dass in Einzelfällen Einsparungen erzielt wurden, gleichzeitig ist es möglich, dass die Ausgaben in anderen Gemeinden nach der Fusion angestiegen sind. Wenn im Durchschnitt aller Fusionen aber kein Effekt erzielt wird, kann die Gemeindefusion grundsätzlich nicht als Rezept für Kostenersparnisse oder Qualitätssteigerungen dienen.

Kantonale Förderprogramme hinterfragen

Basierend auf unserer Analyse folgern wir, dass kantonale Förderprogramme nicht mit Spareffekten auf Gemeindeebene motiviert werden sollten. Andere Argumente wie eine abnehmende Bereitschaft für ehrenamtliche Tätigkeiten können durchaus für eine Fusion von Gemeinden sprechen. Die Initiative zur Fusion sollte dann von den Gemeinden selbst kommen.

[1] Der Beitrag basiert auf der Forschungsarbeit «Fiscal effects of voluntary municipal mergers in Switzerland»: http://www.srfcdn.ch/srf-data/data/2016/2016_10_Paper_Fusionseffekte.pdf. Eine Kurzfassung erscheint in der Neuen Zürcher Zeitung NZZ.

 

Christoph A. Schaltegger und Janine Studerus
Letzte Artikel von Christoph A. Schaltegger und Janine Studerus (Alle anzeigen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert