Vor fast genau drei Jahren wurde in diesem Blog intensiv über die Kosten des Atomausstiegs diskutiert (hier). Diese nicht nur hier geführte Diskussion um die Aspekte von Endlagerung/Entsorgung ist zwischenzeitlich immer wieder aufgeflammt, doch scheint mit dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 2017, Az.: 2 BvL 6/13, der erst dieser Tage verkündet wurde, vorerst die letzte große Etappe der vielschichtigen großen Auseinandersetzungen beendet.
Der erste Meilenstein wurde nach langen Verhandlungen zwischen den „Atomkonzernen“ (eigentlich ein schreckliches Wort, aber ich verwende es wegen seiner Kürze und allgemeinen Gebräuchlichkeit) und der öffentlichen Hand im vergangenen Herbst erreicht. Die Konzerne werden insgesamt rund 23,5 Milliarden Euro in einen „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ einzahlen und dadurch weitestgehend aus ihren bisherigen Verpflichtungen in diesem Bereich kommen. Der Betrag enthält neben den bisherigen Rückstellungen auch einen Risikozuschlag von etwa 6,2 Milliarden Euro, um den bis zuletzt heftig gepokert wurde. Außerdem sollte Ende 2016 die Brennelementesteuer auslaufen, was von Kritikern ebenso wie die aus ihrer Sicht viel zu geringe Kompensationssumme als Geschenk an die Atomlobby attackiert wurde.
Entgegen der Wünsche der Bundesregierung wurden in diesem Deal nicht die rechtshängigen Auseinandersetzungen um Entschädigungen für die die vorzeitige Stilllegung von Atomkraftwerken und die Rechtmäßigkeit der Brennelementesteuer verarbeitet. Der erste dieser beiden Punkte wurde im Dezember 2016, also nur rund zwei Monate nach dem Handschlag in Sachen Entsorungsfonds geklärt. In seinem Urteil zu den Az. 1 BvR 2821/11, 1 BvR 1456/12 und 1 BvR 321/12 erklärte das Bundesverfassungsgericht die für diese Causa relevante 13. Novelle des Atomgesetzes zwar für prinzipiell mit dem Grundgesetz vereinbar, sah aber in einigen Laufzeitverkürzungen nicht tragbare Eingriffe in das Eigentumsrecht, was zu einem Entschädigungsanspruch der betroffenen Kraftwerksbetreiber führt. Die dabei resultierende Summe dürfte zwar am Ende deutlich unter den Beträgen liegen, die von den Klägern postuliert wurden, doch folgte das Gericht sehr deutlich auch im oben genannten Blog adressierten Überlegungen, nicht zuletzt zum Vertrauensschutz bei rückwirkenden Gesetzesänderungen. Trotz anders lautender Kommentare durch die Bundesregierung hatten die Atomkonzerne also einen Achtungserfolg errungen, der die Rechtmäßigkeit von Handeln und Dulden sehr viel differenzierter beschrieb als manche schlagwortgetriebene Propaganda zu diesem Thema.
Mit der nunmehr ergangenen Entscheidung zur Brennelementesteuer ist das Pendel dann endgültig zugunsten der Atomkonzerne ausgeschlagen. Die Reaktionen liegen zwischen kleinlaut (Bundesregierung) bis hämisch betreffend das Ergebnis sowie tendenziell zustimmend betreffend die Argumentation des Gerichts. Das alles wirkt eigentlich fast zu homogen, wenn man bedenkt, dass die Kritik aus dem rot-grünen Lager nicht die Steuer an sich kritisiert hatte, sondern ihre Koinzidenz mit der zwischenzeitlichen Laufzeitverlängerung, deren unerwartetes Ende ja selbst Gegenstand vormaliger rechtlicher Auseinandersetzungen war. Die Begründung für die Entscheidung war dann über die Atomkraft hinaus auch eher ein erfreulicher Schlag gegen den fiskalischen Erfindungsgeist der Legislative im Allgemeinen, der so manchen Regierungskritiker im Grunde sicher nicht mehr begeistern wird, wenn der aktuelle Anlass erst einmal Geschichte ist.
Nun gut: Karlsruhe locuta – causa finita? In rechtlicher Hinsicht zunächst (!) ja. Allerdings traten sofort Juristen vor die Kameras, die eine Neuauflage der Steuer in Form einer formal anders eingekleideten Abgabe als Rückschlagsmöglichkeit für die Bundesregierung reklamierten. Das wurde von der Opposition natürlich dankbar aufgegriffen, für die eine handwerkliche Schludrigkeit und der Verzicht auf die Einbindung in den Entsorgungskompromiss plötzlich im Vordergrund standen nach dem Motto „Die Steuer ist zwar mies, aber das Geld wollen wir trotzdem!“. Früher hieß so etwas kürzer und vorbehaltloser: „Holt die Kohlen von den Monopolen!“. Sollte es im Herbst nicht zu Rot-Rot-Grün kommen, wird sich die neue Bundesregierung vermutlich gut überlegen, ob sie einen entsprechenden Schritt wagt, denn ein nochmaliges Scheitern in Karlsruhe wäre für sie eine mediale Katastrophe – naja, vielleicht auch nicht, wenn man sich das Perpetuum mobile namens Erbschaftsteuer ins Gedächtnis ruft (hier).
Von einer nüchternen Diskussion sind wir also einerseits noch weit entfernt, aber andererseits wird der Atomausstieg selbst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in etwas ruhigerem Fahrwasser verlaufen und das sollte uns nicht stören. Man sollte einfach abwarten, welche Prognosen von den tatsächlich anfallen Kosten eher bestätigt werden und welche bekannten Probleme schlagend sowie welche bislang unbekannten plötzlich relevant werden. Je nach Betroffenheit werden dann manche der heutigen Kommentatoren verschämt schweigen und andere im Brustton der Überzeugung, es schon immer gewusst zu haben, neue Debatten befeuern, vor allem dann, wenn irgendetwas sogar unabhängig von vorhergesagten Schwierigkeiten furchtbar schief läuft. Nicht nur insofern müssten wir nicht besonders traurig sein, wenn es in Zukunft keinen Anlass gäbe, darüber privat oder öffentlich nachzudenken. Die Chancen für ein solches „Ausklingen“ sind indessen eher gering: Es wäre ja auch zu schön, wenn von dieser irritierenden Angelegenheit zwei bemerkenswerte Entscheidungen des Bundesverfassungerichts als Letztes im Gedächtnis hängen blieben!
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