Gastbeitrag
„Industrie 4.0“ in der Praxis
4.0 häufige Denkfallen

„Industrie 4.0“ ist in aller Munde, die vierte industrielle Revolution seit langem ausgerufen, und schon bald wird angeblich fast nichts mehr so sein wie es einmal war. Und in der Tat schreitet die Digitalisierung der Wirtschaft und ihrer Geschäftsmodelle mit grossen Schritten voran. Natürlich ist nicht alles Gold was glänzt und nicht überall „4.0“ drin, wo „4.0“ draufsteht. Aber zweifelsfrei steckt in der im Kern informationstechnologisch getriebenen Entwicklung gerade für hochentwickelte Volkswirtschaften mit tendenziell wissensintensiver Wertschöpfung enormes Potenzial. Die Möglichkeiten der Vernetzung – mitunter in Echtzeit und bei Weitem nicht nur in der Fertigung – sowie die zunehmende Verschmelzung von realer und virtueller Welt über cyber-physische Systeme sorgen für völlig neue Individualisierungs- und Wertschöpfungspotenziale, insbesondere auf dem Gebiet der Spitzen- und Hochtechnologien. Aber auch ausserhalb des Industriesektors verändern sich die Dinge teilweise dramatisch. Und genau diese neuen Möglichkeiten und Kräfte generieren neben Chancen gleichzeitig Anpassungsbedarfe, um Potenziale tatsächlich in Erfolg ummünzen zu können. Ansonsten werden Produktivitätsfortschritte noch lange auf sich warten lassen!

Überall wird aktuell fleissig diskutiert (und durchaus auch daran gearbeitet!) über Fragen der Geschäftsmodellinnovation, der Fertigungstechnologien und -prozesse, der rechtlich-institutionellen Gegebenheiten, der Datensicherheit, der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter (Stichworte: „Internet of things“, „Big Data“, „neue Arbeitswelten“, „Mensch-Maschine-Schnittstellen“, „Digitalkompetenz“) und so weiter. Das ist auch gut so, denn es ist letztlich eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, wirtschaftlicher und technologischer Wandel hat immer auch sozio-kulturelle Facetten. Im Zentrum des Geschehens stehen jedoch die Unternehmen, die schöpferischen Zerstörer im Schumpeter’schen Sinne.[i] Sie sind dazu verdammt, Altes durch Neues zu ersetzen, Gutes durch noch Besseres abzulösen. Der Unternehmer führt zum Erfolg oder Misserfolg, seine Fähigkeiten und Möglichkeiten sind die bestimmenden Grössen. Primär ist es naturgemäss die Aufgabe der Unternehmen bzw. deren Führungskräfte, sich mit den Herausforderungen und Möglichkeiten der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung konstruktiv auseinanderzusetzen. Die Position im globalen Wettbewerb um die Gunst der Kunden ist das ultimative Massband.

Das Denk- und Wirkungsfeld von Unternehmern und Führungskräften steht daher auch im Fokus der nachfolgenden Ausführungen. Die Erfahrungen der letzten Zeit haben mich dazu bewogen, mit diesem Beitrag das Augenmerk auf einige übergeordnete Denkfehler bzw. typische Denkfallen zu lenken – Phänomene, die im Kontext von „Industrie 4.0“ jenseits der technologischen Dimension häufig beobachtet werden und in ihrer Wirkung hoch relevant sein können. Fokus bei alledem die strategisch-normative Leistungs- bzw. Führungsebene eines Unternehmens sowie primär Ursache-Wirkungszusammenhänge im Unternehmens-Innenverhältnis. Da es mitunter Fehler bzw. Neigungen aufgrund systematischer kognitiver Verzerrungen[ii] sind, möchte ich die Beobachtungen weniger als Denkfehler bezeichnen sondern eher als Denkfallen.

Denkfalle 1.0: vorhandene Ängste um Arbeitsplätze ignorieren

Die Zukunft kann nicht gewusst werden, sie lässt sich nicht hintergehen. Aber sie muss auch nicht ertragen werden, sondern lässt sich gestalten. Und wer schlecht informiert ist oder gar einseitig mit übertrieben pessimistischen Nachrichten konfrontiert wird, entwickelt Ängste und Ablehnungsreaktionen – beides brandgefährlich, wenn es darum geht, kreativ und innovativ zu sein.

Genau vor diesem Hintergrund bereitet an der aktuellen Befassung mit dem Thema „Industrie 4.0“ folgendes Phänomen Sorge: Vielerorts tummeln sich zum Teil absurde Spekulationen und Behauptungen hinsichtlich der zu erwartenden Beschäftigungseffekte. Prominent diesbezüglich etwa die methodisch dubiose Studie des World Economic Forum[iii], wonach „Industrie 4.0“ netto Jobs in Millionenhöhe vernichten wird. Nicht dass man unschöne Prognosen ignorieren sollte. Allerdings kommt es immer noch auf die Qualität und Seriosität an. Und es ist schon erstaunlich – um bei dem Beispiel zu bleiben – mit welch beachtlicher Medienresonanz damit insbesondere diejenigen munter gemacht werden, die schon wieder das Gespenst des arbeitssparenden technischen Fortschritts in menschenleeren Fabrikhallen herumspuken sehen. Entschuldigung: ein „running gag“ mittlerweile. Was wurde nicht alles für Schwarzmalerei betrieben, als die Industrieroboter als Paradebeispiel von Job-Vernichtern Einzug in die Montagehallen fanden. Immer wenn neue Technologien vor der Haustür stehen, sieht man das Gespenst, die Angst geht um. Und kaum Beachtung finden in dieser Situation Untersuchungen, die weniger gruselige Geschichten zu erzählen haben und auf sachliche Differenzierung setzen.

So gehen etwa das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg und auch das Institut der deutschen Wirtschaft Köln nicht davon aus, dass „Industrie 4.0“ ein Beschäftigungskiller sein, sondern allenfalls den bereits seit langem stattfindenden strukturellen Wandel der Arbeitswelten – insbesondere die Entwertung von Routinen – beschleunigen wird.[iv] Unter dem Strich kann die Digitalisierung demnach eher als Chance für Erhalt von Wohlstand und Beschäftigung gesehen werden. In diese Richtung als weiteres Beispiel eine Untersuchung der Boston Consulting Group, die Deutschland als Profiteur von „Industrie 4.0“ ansieht, wenn es um die Frage der Beschäftigungseffekte geht.[v] All dies findet natürlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit als die rund um das Davoser Weltwirtschaftsforum platzierte Studie des WEF. Logisch: Wenn es irgendwo spukt, ist das natürlich interessanter als wenn es irgendwo nicht spukt!

Die berühmte Glaskugel gibt es nicht, die vorliegenden Abschätzungen schwanken zwischen „minus mehrere Millionen Arbeitsplätze“ und „beachtliche positive Netto-Effekte“. Wie dem auch sei: Nicht dass es keine potenziell beschäftigungsgefährdenden Effekte von „Industrie 4.0“ gibt. Allerdings gibt es genauso wenig Grund für Schreckensszenarien. Auch der Blick zurück in die Vergangenheit spricht dafür, dass auch dieses Mal das Gespenst nicht kommt. Es kam ja noch nie. Was zudem sicher ist: Bewusstes Abseitsstehen, in der Hoffnung, Arbeitsplätze dadurch zu sichern, führt garantiert nicht zum Ziel. Arbeitnehmer müssen sich darauf einlassen, dass Routinen entwertet werden, neue Fähigkeiten erworben werden müssen sowie selbst höhere Qualifikationen nicht automatisch vor Betroffenheit schützen. Strukturelle Veränderungen in den Arbeitswelten sind aktiv mit zu gestalten und lassen sich auf Dauer nicht aufhalten. Das ist aber nicht schlecht sondern als grosse Chance zu begreifen. Es liegen anschauliche Beschreibungen von Visionen und Bildern einer möglichen „Industrie 4.0“-Zukunft vor,[vi] und es existieren branchenspezifische praxisorientierte Hilfestellungen, die gerade auch kleineren und mittleren Unternehmen Orientierung und Sicherheit geben können.[vii] Richtig interpretiert – nämlich als realisierbare Potenziale, um die jedoch gerungen werden muss – sind auch Abschätzungen zu Effekten auf Produktivität und Wachstum durchaus zielführend.[viii]

Es gäbe also durchaus taugliches und fundiertes Material, das gezielt für eine aufklärende, aktivierende und positiv motivierende Kommunikation, für einen fruchtbaren innerbetrieblichen Diskurs genutzt werden könnte. Natürlich kann niemand sagen, was sein wird. Aber es ist doch unstrittig: Potenziale für eine gute Zukunft sind im deutschsprachigen Raum vorhanden. Die starke industrielle Basis sowie die bestehenden Branchen- und Technologie-Cluster stellen einen idealen Nährboden für eine evolutionäre Weiterentwicklung der Wertschöpfung in Richtung „Industrie 4.0“ dar. Das sollte Mut machen und eine anschlussfähige Perspektive für alle sein. Produktivität, Effizienz und Effektivität führen zu Wachstum und Beschäftigung, Innovation ist der Treiber, den es nicht zu fürchten, sondern zu fördern gilt.

Das immer häufiger zu beobachtende Zeichnen düsterer Zukunftsbilder birgt, wenn man ihm nichts entgegensetzt, die grosse Gefahr, dass auch in unseren bislang erfolgreichen Gesellschaften Angst und Technikfeindlichkeit gefördert werden, und dadurch am Ende womöglich tatsächlich Potenzial für Wohlstand und Beschäftigung vergeudet wird. Denn bei aller Unsicherheit dürfte Eines gewiss sein: Wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen oder gar technologischen und strukturellen Wandel abzulehnen, sorgt – so sind die ökonomischen Gesetzmässigkeiten nun einmal – dafür, dass den Entwertungen an der einen in der Tat kein Mehrwert an anderer Stelle gegenzurechnen ist. Der Erfolg liegt in einer technologieoffenen, auf Innovation und Flexibilität setzenden Herangehensweise – auf volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher und individueller Ebene.

Und so eindeutig ebendies ist, so gefährlich ist es, dass in den Unternehmen fast flächendeckend keine proaktive und fundierte Auseinandersetzung mit diesen zukunftsentscheidenden Grundsätzen erfolgt. Die Top-Führung lässt ihre Mitarbeiter mit deren Ängsten und Fehleinschätzungen allzu oft alleine. Damit macht sie sich mit verantwortlich für eine verbreitete Grundhaltung, die eher erfolgsverhindernd für alle sein wird und – Stichwort Betriebsräte und Gewerkschaften – alte Gräben wieder aufmacht.

Conclusio 1.0: Es ist oberste Führungsaufgabe, eine differenzierte und konstruktive Befassung mit den Auswirkungen von Digitalisierung und Vernetzung auf die betriebliche Arbeitswelt zu fördern und einzufordern. Dabei sorgen eine möglichst offene Diskussion sowie das Einbeziehen des betrieblichen Umfeldes für Glaubwürdigkeit und breites Verständnis.

Denkfalle 2.0: Digitale Transformation mit der Giesskanne

„Industrie 4.0“ ist eine grosse, schwere Überschrift. Das „Internet der Dinge“ scheint sich über alles hinweg auszubreiten. Digitalisierung und Vernetzung sind scheinbar die neue Luft, die ein erfolgreiches Unternehmen zum Atmen braucht. Wer die Luft nicht hat, erstickt eben, geht Pleite. Doch Vorsicht! Keinen Zweifel kann es daran geben, dass Digitalisierung und Vernetzung grosse Potenziale für Neues darstellen und Alteingesessenes eliminieren werden. Unstrittig ist auch, dass es sich somit die allerwenigsten Unternehmen werden leisten können, in diesem Sinne relevante Herausforderungen zu ignorieren. Es ist vielmehr dringend anzuraten, sich ihnen in den Unternehmen intensiv und mit hoher Priorität zu widmen.

Dabei kommt den Chancen und Risiken neuer Geschäftsmodelle, die sich durch die neuen Möglichkeiten aufgrund zunehmender Digitalisierung und Vernetzung ergeben, besondere Bedeutung zu. Denn die Erfolgsfaktoren bisheriger Geschäftsmodelle werden auf den Prüfstand gestellt, Wertschöpfungs-, Leistungs- und Erlösmodelle sortieren sich zum Teil völlig neu, verschwimmen mitunter, die entscheidenden Grössen liegen plötzlich ausserhalb des eigenen Unternehmens und direkten Einflussbereichs. Neue Akteure sind auf einmal höchst relevant oder systemdominierend; nicht die bisherigen Wettbewerber sind die grosse Gefahr, sondern bisherige Kunden, Lieferanten oder gar Branchenfremde. Das Management bzw. die Führung bisheriger und neuer Wertschöpfung wird damit hochkomplex, und das Verstehen sowie – falls geboten – die Fähigkeiten zu radikalem Neukonfigurieren von Geschäftsmodellen gehören zur notwendigen Überlebensausrüstung.[ix]

Ein zukunftstaugliches Geschäftsmodell ist die Basis für möglichen unternehmerischen Erfolg, absolut notwendig. Notwendig, aber nicht hinreichend. Denn Organisation und Technologie müssen so innovativ, agil, effizient und effektiv sein, dass welches Geschäft auch immer im Vergleich zu gestern und im Vergleich zu Lösungen des Wettbewerbs Mehrwert, Zusatznutzen oder knallhart formuliert: Produktivitätsgewinne verspricht. Produktivitätsgewinne im eigenen Unternehmen (zum Beispiel durch neue Fertigungstechnologien) und Produktivitätsgewinne bei den Kunden (durch den Einsatz, den Anwendungsnutzen der Produkte). Dort ist der grosse Hebel durch Digitalisierung und Vernetzung zu suchen.

Und genau dort sieht es bei näherer Betrachtung in letzter Zeit düster aus. Relevante Produktivitätsgewinne auf gesamtwirtschaftlicher Ebene: Fehlanzeige! Betrachtet man mit dem Maschinen- und Anlagenbau eine erfolgreiche Branche, die in besonderem Masse von „Industrie 4.0“ profitieren kann und die Entwicklung diesbezüglich durch ihre technologische Integrationsstärke wesentlich mitgestaltet: auch hier keine messbaren Produktivitätsgewinne in den letzten Jahren – zumindest wenn man sich die Zahlen ansieht, die üblicherweise als Indikator ins Feld geführt werden.[x]

Nun stellt sich schon die Frage: warten die Produktivitätsgewinne tatsächlich bereits um die Ecke, wie es Barry Eichengreen jüngst formulierte? Muss man nur noch etwas Geduld haben? Sind die schlechten Werte lediglich der Ausdruck dessen, dass man sich eben in einer Generierungsphase befindet? Wird eben noch gesät, demnächst dann allerdings die fette Ernte eingefahren? Zweifel erscheinen angebracht! Es ist schon so, dass der Mehrwert der Digitalisierung ganz sicher noch lange nicht voll durchschlägt und die Unternehmen sich tendenziell im Umbruch befinden. Ähnlich zu den späten 1980er Jahren, der Zeit als die Computer massiv auf dem Vormarsch waren, und Robert Solow zunächst feststellte „You can see the computer age everywhere but in the productivity statistics.“[xi] Die Produktivitätsfortschritte kamen damals dann tatsächlich ja noch, aber bei weitem nicht im Umfange wie erwartet. Allerdings – so meine These – werden die Früchte diesesmal deutlich ungleichmässiger verteilt werden. Wer zu langsam oder unspezifisch ist in seinen Bemühungen, der wird beim Ernten nicht dabei sein und bleibt auf den Kosten und der sodann ramponierten Wettbewerbsfähigkeit sitzen.

Daher ist es den Unternehmen dringend anzuraten, bereits in der jetzigen Umbruchsphase nach geeigneten Indikatoren zu suchen, die den Zustand und Fortschritt des eigenen Unternehmens möglichst gut abbilden – und zwar bezogen auf die Erreichung eines hinreichend scharfen und spezifischen Zielfotos des eigenen Geschäfts. Das Fieberthermometer tradierter Produktivitätsmessung taugt hierfür immer weniger. Zudem kommt es mehr denn je auch auf das Tempo an, denn wie gesagt: es werden nicht alle dabei sein bei der Ernte. Tempo machen heisst für Klarheit, Orientierung und Konsequenz sorgen. Und das ist oberste Führungsaufgabe, das ist nicht delegierbar. Und Klarheit, Orientierung und Konsequenz sind gerade dann von existenzieller Wichtigkeit, wenn es um die Frage geht, welche Bereiche des Unternehmens in welcher Weise zu höheren Vernetzungs- und Digitalisierungsgraden gebracht werden sollen.

Und diesbezüglich kann der Hinweis nicht deutlich genug ausfallen: Digitalisierung und Vernetzung haben keinen Selbstzweck. Im Gegenteil: Digitalisierung und Vernetzung ohne intelligente Zielrichtung erhöhen den Grad der Komplexität und erzeugen Verwirrung und Handlungsunfähigkeit. Sabotage durch Digitalisierung und Vernetzung – das funktioniert! Und es ist beängstigend, was teilweise in den Unternehmen passiert: Man weiss, dass man sich dem Themenkomplex rund um „Industrie 4.0“, Digitalisierung und Vernetzung stellen muss. Man weiss aber oft nicht, wie man den Elefanten in Scheiben schneiden muss und wie man den konkreten Bezug zur eigenen Wertschöpfung und dem Nutzen der eigenen (potenziellen) Kunden herstellt. Und dann – oft unter dem Motto „Jetzt schaffen wir erst mal die Voraussetzungen intern“ – werden mit der Giesskanne im Unternehmen Initiativen losgetreten. Auf den Fahnen steht dann meist „Digitale Transformation“. Der ganze Laden wird umgestellt auf digital, ohne dass klar ist, für was! Oft genug ist es bei Licht betrachtet kaum mehr als das sinnlose interne Verbreiten Sozialer Medien, die man in der Vergangenheit – in der Regel zu Recht – eher restriktiv gehandhabt hat. Was bringt das tatsächlich an Produktivitätsgewinnen? Steigert das dann die Effizienz, Effektivität und Flexibilität? In der Regel nicht. Ausser Spesen nichts gewesen! Die Suche nach echtem Mehrwert, nach echtem Nutzen – das hat der erste Schritt zu sein. Und da sind wir dann wieder bei den Geschäftsmodellen. Und beim Führen.

Conclusio 2.0: Digitale Transformation hat zunächst einmal keinen Eigenwert, ist Mittel zum Zweck. Nur eine systematische, geschäftsmodellbasierte Identifikation von echtem Zusatznutzen weist den Weg für sinnvolle Digitalisierungsmassnahmen. Letztlich müssen die Massnahmen nachweislich die eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern und die Nachfrage der Kunden sicherstellen bzw. steigern. Digitale Transformation mit der Giesskanne ist eine Beruhigungspille, die nicht lange gut tut.

Denkfalle 3.0: Der Komplexität ins Primitive entfliehen

Das mit Denkfalle 2.0 beschriebene „Giesskannen-Phänomen“ ist eine besondere Ausprägung einer darüberliegenden, generellen Gemengelage, die ich einmal „Komplexitätsflucht“ bezeichnen möchte. Es ist im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden, den Überblick zu behalten, als Führungskraft Orientierung zu vermitteln. Es sind an und für sich positive Entwicklungen, die dazu geführt haben: Globalisierung, technischer Fortschritt, steigende weltweite Vernetzung – technisch, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich – und auch gesellschaftliche sowie individuelle Emanzipationsbewegungen vielfältigster Art. Für sich genommen wohlfahrtssteigernde Entwicklungen. Auf der Kehrseite der Medaille finden sich jedoch jede Menge Effekte von rasant gestiegener Komplexität und Dynamik. Die Welt ist flach, das Tempo hoch, alles hängt irgendwie voneinander ab, das entscheidungs- und handlungsrelevante System ist beliebig gross geworden.

Klar ist damit natürlich einerseits, dass nur ganzheitliche, dynamische Management-Ansätze tauglich sein können, für erfolgreiche Orientierung zu sorgen. Es ist sogar so, dass sich gerade in einem solch komplexen und dynamischen Umfeld die Stärke dieser Ansätze zeigt. Andererseits nehmen mit der Zunahme von Einflüssen und Alternativen logischerweise auch die Anforderungen an das Management zu, kontextbezogen zu analysieren, interpretieren, entscheiden und für die erfolgreiche Umsetzung zu sorgen. Die Richtigkeit von Entscheidungen, die Effektivität und Effizienz von Umsetzung sind mehr und mehr unscharf und relativ. Der Kontext ändert sich permanent – insofern variieren Ableitungen, Interpretationen und Bedeutungen gerade im relativen Zueinander im Laufe der Zeit. Und dies gilt selbst auf Basis eines tauglichen Denkgerüsts wie beispielsweise dem St. Galler Management-Ansatz bzw. dem Konzept Integriertes Management.[xii]

Ebendiese Gemengelage führt zu folgender, geradezu grotesken Situation: Auf der einen Seite sind ganzheitliche, dynamische Führungs- und Managementansätze erkennbar das Mittel der Wahl, auf der anderen Seite jedoch ist es offenkundig so, dass eben die Zunahme von Komplexität und Dynamik den Markt bereitet für völlig ungeeignete Lösungsangebote, infantile Checklisten, Patentrezepte, sinnlos detaillierte Prozessbeschreibungen oder monokausale Entscheidungs- und Handlungsregeln. Wer sich darauf einlässt, greift zu einem süssen Gift, denn es ist eine Schein-Flucht aus der Komplexität heraus in eine Klarheit und Einfachheit, die es nicht geben kann. Modelle und Konzepte stellen immer und völlig bewusst eine Reduktion von Komplexität dar. Jedoch stets mit dem Ziel, eine taugliches Gedankenkonstrukt zu sein, mit der in der Realität vorhandenen Komplexität bestmöglich umgehen zu können. Keinesfalls darf die Vereinfachung so weit gehen, dass sie den Verständnis- und Möglichkeitsraum des Anwenders einschränkt. Doch der Mensch neigt dazu, gerade in Situationen von Umbrüchen und zunehmender Komplexität auf atavistische Denkmuster zurückzufallen, indem er nicht zu Regulierendes noch weiter zu regulieren versucht, sich in Schein-Sicherheiten flüchtet oder – wenn ihm diese Wege verstellt erscheinen – im Status quo zu verharren droht.[xiii]

Wir können beobachten, dass dieses Phänomen über sämtliche Unternehmenstypen und Branchen hinweg in den letzten Jahren mehr oder weniger stetig an Bedeutung gewonnen hat, und die Verunsicherung und obig beschriebene Verhaltensweisen dort besonders ausgeprägt sind, wo die Komplexität, Dynamik und Vernetzung am höchsten sind. So naheliegend dies auf den ersten Blick erscheinen mag, so gefährlich ist dies auch. Denn der Erfolg unserer Unternehmen auf den Weltmärkten zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass Innovationsstärke und Komplexitätsbeherrschung – oft technologisch – in begeisternden Kundennutzen transformiert werden. Das ist bislang unsere Erfolgsformel, und wenn dies unter dem Strich auch zukünftig so bleiben soll, dann muss man sich auch in Führungs- und Managementfragen der Komplexität stellen.

Conclusio 3.0: Es muss der Versuchung widerstanden werden, vermeintlich einfachen Mustern und Lösungen zu folgen, selbst wenn perverserweise dafür gerade mit zunehmender Komplexität und Dynamik ein wachsender Markt vorhanden zu sein scheint. Vielmehr muss es in den Unternehmen darum gehen, das Verständnis von Komplexität und ganzheitlichen Management-Ansätzen sowie die Fähigkeit zu kontextbezogenen Interpretationen zu fördern und auch einzufordern. Man kann der Komplexität nicht aus dem Weg gehen. Sie findet einen immer.

Denkfalle 4.0: Führung wie gehabt oder gleich ganz abschaffen

Das Phänomen „Komplexitätsflucht“ gibt schon einen deutlichen Hinweis darauf, was „des Pudels Kern“, was die wesentliche Grösse für Erfolg oder Misserfolg auf dem Weg ins digitale Zeitalter ist: Führung! Denn es ist – um auf die drei bisher genannten Denkfallen abzustellen – Aufgabe der Führung dafür zu sorgen, dass Ängste und Bedenken eben nicht ignoriert sondern proaktiv im Diskurs bearbeitet werden, dass Digitale Transformation eben nicht mit der Giesskanne sondern intelligent betrieben wird und dass steigender Komplexität und Vernetzung eben nicht primitiv sondern vielmehr mit der gebotenen Intelligenz und Dynamik begegnet wird. Das Top-Management eines Unternehmens, die Top-Führung ist der Ursprung bzw. massgeblicher Stellhebel für die Anpassungs- und Leistungsfähigkeit eines unternehmerischen Gesamtsystems. Ebendort liegt die Verantwortung, den normativen und strategischen Überbau für alles Weitere zu schaffen und dessen Gültigkeit bzw. Wirksamkeit sicherzustellen – nun eben im Zeitalter zunehmender Digitalisierung, Dynamik und Vernetzung.[xiv]

Nun ist es jedoch so, dass in den Unternehmensleitungen mit Blick auf die Herausforderung „Industrie 4.0“ zwar in der Tat so einiges diskutiert und entschieden wird. Deutlich zu kurz kommt jedoch die konsequente Befassung mit dem Fragenkomplex „Welche neuen Herausforderungen ergeben sich für das Management, das Führen auf Top-Level in einem solchen Umfeld? Wie führt man eigentlich in zunehmend digitalisierten Welten, die sich noch dazu dadurch auszeichnen, dass ein immer grösser werdender Anteil der zu führenden Personen(gruppen) ausserhalb des direkten Verantwortungsbereichs und ausserhalb der eigenen bzw. unternehmensspezifischen Know-how-Felder liegt?“ Nicht dass man plötzlich und unverhofft eine neue Form der Führung bräuchte; seit längerem funktioniert die klassische Führung über hierarchische Mechanismen immer weniger. „Mehr und mehr müssen Führungskräfte ausserhalb ihres durch die Aufbauorganisation zugewiesenen Verantwortungsbereichs für Ziele und Orientierung sorgen. Das ist eine schon lange andauernde Entwicklung, die durch „Industrie 4.0“ allerdings eine zusätzliche Dynamik erfährt. Vernetzung, Geschwindigkeit, die Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung von Ereignissen, Digitalisierung, das Verheiraten unterschiedlicher Technologien und Disziplinen, unternehmensübergreifende Kooperationen – das sind nur einige Begriffe, die jedoch zeigen, dass die Anforderungen an Führung steigen. Meinetwegen nennen wir es plakativ Führung 4.0“ – Sätze des sehr erfolgreichen Unternehmers, ehemaligen VDMA-Präsidenten und „Industrie 4.0“-Pioniers Manfred Wittenstein.[xv]

Und es ist tatsächlich so, die Komplexität von Führung ist eine andere geworden. Die Wertschöpfung findet verstärkt interdisziplinär, über Abteilungen und Unternehmen hinweg, zunehmend international und interkulturell statt. Die Zeiten zentralistischer, tayloristisch organisierter Wertschöpfungsketten sind vorbei, Hierarchien haben vielerorts ihre Kraft verloren. Mehrwert entsteht in intelligenten Wertschöpfungsnetzwerken, die sich je nach Aufgabenstellung neu konfigurieren müssen. Das Ausrichten von dezentraler Intelligenz und Autonomie auf eine übergeordnete Zielsetzung, noch dazu bei einem grösser werdenden Beeinflussungsbereich – das ist die schwierige Aufgabe, die es zu meistern gilt. Dabei kann es optimale Führung nie geben; dafür sorgen bereits die sich laufend ändernden äusseren Umstände. Aber ebendiese Tatsache weist auch den Weg, auf dem man sich dem Ideal der optimalen Führung stetig versuchen muss zu nähern: nicht statisch und zentralistisch sondern anpassungsfähig und in Netzwerken, nicht entlang von Berichtslinien sondern über Begeisterung und Orientierung, nicht arrogant und selbstsicher sondern kritisch-rationalistisch, achtsam und bescheiden im Popper’schen Sinne – „Mutmassung statt Anmassung“ als Devise.[xvi] Zudem muss man in seinem Tun „infektiös“ sein, denn mehr und mehr braucht es Multiplikatoren und „Satelliten“ im unternehmerischen Netzwerk; alleine kann niemand führen.

Diese Form von Führung ist die einzige Möglichkeit, die real existierende Zunahme von Vernetzung, Geschwindigkeit und Komplexität in der Unternehmung und den angrenzenden Systemen hinreichend abzubilden. So eindeutig ebendies, so eindeutig auch die Tatsache, dass die Herausforderung weder trivial noch universell ist. Letztlich sind für jedes Unternehmen basierend auf dessen Ressourcenausstattung, Wertschöpfungsarchitektur sowie Werte- und Zielesystem Fragen zu beantworten, die unter anderem lauten:

  • Wo liegen die Grenzen zentralistischer, tayloristisch-hierarchisch organisierter Wertschöpfungs- und Führungsmuster?
  • Wie funktioniert erfolgreiches Führen in intelligenten Netzwerken?
  • Wie schafft und erhält man anschlussfähige und attraktive Hochleistungsnetzwerke mit der Fähigkeit zur Selbststeuerung und Neukonfiguration in Raum und Zeit?
  • Wie lassen sich die erforderliche Achtsamkeit sowie die Fähigkeit zur Innovation von Geschäftsmodellen in der Organisation etablieren?
  • Wie lassen sich dezentrale Intelligenz und Autonomie auf übergeordnete Zielsetzungen hin ausrichten, ohne dass generell auf hierarchische Mechanismen zurückgegriffen werden kann?
  • Wie erreicht man Anschlussfähigkeit, Orientierung und Konsequenz über Vision, Sinnhaftigkeit und Werte?
  • Wie funktioniert Führung durch Multiplikation und „Satelliten“?

Diese und weitere Fragen sind in einer Welt, die zunehmend digitalisiert, vernetzt und komplex wird, essentiell für den Erfolg von Unternehmen und damit für Wohlstand und Beschäftigung eines Landes. Gerade, wenn der Erfolg auf Innovation und Technologieführerschaft beruht, bedeuten die damit verbundenen guten Voraussetzungen und Chancen nämlich gleichzeitig auch das Plateau für einen möglichen tiefen Fall.

Nun gibt es zwar in der Literatur abgesichertes Wissen über Führung von Institutionen in hochkomplexen, dynamischen und offenen Situationen, und auch passende Managementsysteme sind schon länger vorhanden. Mit dem ganzheitlichen, dynamischen St. Galler Managementansatz[xvii] etwa steht eine geeignete Referenzarchitektur, ein adäquates Denkgerüst zur Verfügung. Gerade im Wandel und bei hoher Komplexität zeigt der Ansatz seine Stärke als verlässlicher Kompass; je turbulenter das Umfeld, umso grösser seine potenzielle Relevanz.

Auch ist es beileibe nicht so, dass es keine guten Beispiele für zeitgemässe, zukunftsfähige Führungspraxis gäbe. Aber: selbst innerhalb von sehr erfolgreichen Unternehmen und dort auf Top-Level besteht das grösste Hindernis im Verharren in gerade eben hierarchisch geprägter Denke, in einem Verständnis von Wertschöpfung in den Mustern gegebener Aufbauorganisation. Oft ist es die Angst, in der Vergangenheit erfolgreiche Denkmuster und Strukturen aufzugeben, die Angst vor mehr Ungewissheit. Doch moderne Führung tauscht Gewissheiten gegen Freiheit und Möglichkeiten ein. Schulterklappen stehen für eine Klarheit, die es nicht mehr gibt! Kontroll- und Messwahn können das nicht ausgleichen, sorgen allenfalls für noch mehr Verwirrung, Scheingewissheiten und Demotivation.[xviii] Doch „Führung wie gehabt“, oft angereichert um „dann eben noch mehr zentrale Kontrolle“ macht eine grosse Fraktion der aktuellen Unternehmenskulturen insgesamt aus – keine guten Aussichten!

Die zweite grosse Fraktion hat „Führung ganz abschaffen“ auf dem Trikot stehen. Die Formulierung vielleicht überspitzt, die Übertreibung allerdings in guter Absicht. Denn es sind oft diejenigen Unternehmen bzw. diejenigen Führungskräfte, die sich einen erkennenden, modernen Anstrich verpassen wollen und mit dem Finger vorwurfsvoll auf die „Ewiggestrigen“ zeigen. Der Anstrich ist oft jedoch von dünner Farbe und der Versuch, die eigene fehlende visionäre Kraft, mangelnde Orientierung und geringe Führungsstärke zu übermalen. Und es ist dabei sogar wohl so, dass eher ein starker Unternehmer mit tradiertem, hierarchischem Führungsstil Erfolg hat als eine schwache Persönlichkeit, die ihre Wirkungslosigkeit hinter pseudo-modernen Nicht-Führungs-Philosophien verstecken möchte. Es sei gewarnt vor einer übertrieben romantischen Vorstellung von Führung. Es wird immer einen Rest, ein Grundgerüst an – auch hierarchischer – Ordnung, an Disziplin und Konsequenz brauchen; auch sollte in einem Wertschöpfungssystem mit einem noch so dezentralen und freiheitlichen Setting die Führung nach wie vor als Vorbild und Visionär taugen. Es gibt Grössen, die galten für gute Führung schon immer und werden es auch weiterhin tun. Willen, Durchsetzungsstärke und Haltung sind drei davon. Und auch Macht braucht es mitunter, ob einem das passt oder nicht. Ein Unternehmen wird nicht basisdemokratisch geführt.

Conclusio 4.0: „Industrie 4.0“ verlangt „Führung 4.0“. Dabei ist auf unternehmensindividueller Ebene basierend auf einem ganzheitlichen, dynamischen Management- und Führungsverständnis nach Ansätzen zu suchen, die einerseits die Vorteile von Kleinteiligkeit, dezentraler Autonomie und Heterogenität nutzen, andererseits jedoch eine gemeinsame strategische Ausrichtung sowie die erforderliche Disziplin und Konsequenz gewährleisten. Denn Kreativität, Kooperation, Effizienz, Effektivität, Agilität und Resilienz lassen sich weder diktatorisch-zentralistisch anordnen noch kann ein romantisch-verklärter Laissez Faire Führungsstil das Mittel der Wahl sein. Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen, und um die jeweils richtige Wahrheit muss vor Ort gerungen werden.

Schlussbemerkungen

Die mit diesem Beitrag aufgeführten vier Denkfallen gehören aus meiner Erfahrung auf Unternehmensebene zu den häufigsten Phänomenen, die im Kontext von „Industrie 4.0“ zu beobachten und als kritisch zu werten sind. Doch weder soll der Eindruck entstehen, die vier genannten Denkfallen seien die einzig relevanten, noch soll der Anschein erweckt werden, die Phänomene treten überall auf. Sehr wohl jedoch wurde die Reihenfolge der einzelnen Beobachtungen in der vorliegenden Form bewusst gewählt. Denn es ist Eines ganz klar und soll unterstrichen werden: im Zentrum steht die Führung, das Top-Management. Dort wird über Wohl und Wehe entschieden. Das war schon immer so, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Die Anforderungen an gute Führung haben sich verändert, die Bedeutung von Führungsleistung ist jedoch nicht geringer geworden. Ganz im Gegenteil.

„Industrie 4.0“ ist eine grosse Chance. Aber Chancen muss man ergreifen. Und „Industrie 4.0“ ist ein beeindruckender Lackmustest für zukunftsfähige Führungsfähigkeit. Dabei ist das Testergebnis wenig erfreulich, die Kluft zwischen theoretischem Wissen und praktischer Umsetzung bzw. überhaupt einmal der Erkenntnis, was ein tauglicher Weg sein kann, ist ernüchternd gross. Diese Lücke ist dringend zu schliessen, sonst laufen uns andere Nationen den Rang ab. Es besteht die Hoffnung, dass die jüngsten Entwicklungen rund um die Themenfelder Digitalisierung, „Industrie 4.0“, Vernetzung sowie die damit einhergehenden Konsequenzen bezüglich Robustheit existierender Geschäftsmodelle und Wirksamkeit bestehender Führungs- und Steuerungsmechanismen das erforderliche Umdenken begünstigen. Der Handlungsdruck ist unübersehbar, adäquate Haltungen und Herangehensweisen sind dringend zu suchen. Wichtige und unumstössliche Prämisse dabei: Führung und Management brauchen die Bereitschaft und Überzeugung, zunehmender Komplexität nicht – erfolglos – ausweichen zu wollen, sondern sich ihr zu stellen und ihr die Chancen abzuringen, die sie neben den Risiken mit sich führt.

Dabei ist auch wichtig zu verstehen, dass die Digitalisierung ihre grossen Effekte vor allem auf Seiten der Fertigung/Industrie sowie deren Geschäftsmodelle hat. Dort sind die wahren Potenziale zu heben, nicht unmittelbar in der alltäglichen Welt der Konsumenten. Eine neue Handy-App ist wenig bahnbrechend, die heutigen Innovationen sind letztlich weniger bedeutsam für die Menschheit als diejenigen der Vergangenheit, der technologische Wandel hat sich verlangsamt.[xix] Insofern finden die tatsächlich fundamentalen Änderungsprozesse primär innerhalb bestehender und sich neu bildender Wertschöpfungsnetzwerke statt. Dort wird die Schlacht geschlagen, dort gilt es, für Orientierung und Wirksamkeit zu sorgen. Das kann nur auf Basis ganzheitlicher, dynamischer, echtzeitfähiger und auf verteilte Intelligenz setzender Management-Ansätze gelingen. Kochrezepte für den unternehmerischen Erfolg oder gute Führung wird es dabei nie geben können. Taugliche Denkgerüste und Hilfestellungen, um so manche Denkfalle zu erkennen und zu meiden, sehr wohl.

Hinweis: Dieser Beitrag ist in leichter Modifikation erschienen in Bleicher/Abegglen (2017).

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[i] Siehe Schumpeter (1912).

[ii] Siehe dazu etwa Kahneman/Slovic/Tversky (1982) oder auch Pohl (2004).

[iii] Siehe WEF (2016).

[iv] Siehe Dengler/Matthes (2015) und Hammermann/Stettes (2015).

[v] Siehe BCG (2015).

[vi] siehe beispielsweise BMBF (2014).

[vii] siehe beispielsweise VDMA et al. (2015).

[viii] siehe dazu etwa BITKOM/Fraunhofer IAO (2014).

[ix] Zu Geschäftsmodellen in der digitalen Ökonomie siehe etwa Stähler (2001), Kagermann/Österle (2007) und Bauernhansl/Emmrich et al. (2015).

[x] Dazu siehe zum Beispiel SVR (2015) und Grömling (2016).

[xi] Solow (1987).

[xii] Siehe Bleicher (2011).

[xiii] Für eine verständliche Zusammenschau und Erläuterung derartiger und weiterer verhaltenspsychologischer Phänomene siehe etwa Kahneman (2011).

[xiv] Zu nachfolgenden Ausführungen siehe Abegglen (2016).

[xv] Siehe VDMA (2016, S. 40).

[xvi] Zur Falsifizierbarkeit in diesem Sinne als Methode siehe Popper (1934).

[xvii] Siehe zum Beispiel Bleicher (2011).

[xviii] Siehe dazu etwa Falk/Kosfeld (2004).

[xix] Siehe zum Beispiel Gordon (2014, 2016).

Literatur:

Abegglen, C. (2016): Industrie 4.0 – Hype, Schreckgespenst und echte Chance, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=19244

Bauernhansl, T., V. Emmrich et al. (2015): Geschäftsmodell-Innovation durch Industrie 4.0, München.

BCG (2015): Industry 4.0. The Future of Productivity and Growth in Manufacturing Industries, The Boston Consulting Group, April 2015.

Bleicher, K. (2011): Das Konzept Integrierten Managements. Visionen – Missionen – Programme, 8. Auflage, Frankfurt / New York.

Bleicher, K., C. Abegglen (2017): Das Konzept Integriertes Management. Visionen – Missionen – Programme, 9. Auflage, Frankfurt / New York.

BITKOM/Fraunhofer IAO (2014): Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland.

BMBF (2014): Zukunftsbild „Industrie 4.0“, Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Dengler, K. und B. Matthes (2015): Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt. Substituierbarkeit von Berufen in Deutschland, IAB Forschungsbericht 11/2015.

Falk, A. und M. Kosfeld (2004): Distrust – The Hidden Cost of Control, IZA Discussion Paper 1203, Bonn.

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