Nachhaltigen Finanzen (sustainable finance, green finance) standen in den Banken lange vor allem für Wertpapier-Klassen und Fonds, die bestimmten Kriterien genügten und in Vermögensanlageentscheidungen eingingen. Als Standard haben sich die ESG-Investment-Kriterien „Environment, Social, Governance“ herausgebildet, die eine nachhaltige Vermögensanlage sicherstellen sollen und nicht zuletzt auch zur Signalisierung von Corporate Social Responsibilty von Unternehmen und Banken dienen. Die weitere Entwicklung ging dahin, dass ESG-Themen allmählich auch in die Unternehmensfinanzierung (grüne Anleihen) und das Privatkundengeschäft (grünes Sparen, grüne Investitionen) Eingang fanden. Nachhaltigkeit war freilich bereits lange vor dieser breiter werdenden Bewegung die strategische Orientierung für manche Unternehmen. Man denke an Genossenschaften oder an Familienunternehmen.
Mehr als Corporate Social Responsibility
In der Vergangenheit brachten Nachhaltigkeitsaspekte sowohl für Unternehmen als auch für nachhaltigkeitsorientierte Fonds und Finanzinstitute, die sie anbieten, Reputationsgewinne mit sich. Die Orientierung an ESG-Kriterien beruht auf den 17 Zielen – sustainable development goals, SDG – für eine nachhaltige Entwicklung, die von den Vereinten Nationen in der „Agenda 2030“ definiert wurden. Die UN-Nachhaltigkeitsziele sollen weltweit eine nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene erreichen lassen. Letztlich bilden sie die Grundlage für eine aktive Transformation der Wirtschaft hin zur Dominanz nachhaltigen Aktivitäten.
Das Klima als „game changer“
Dieser Blickwinkel wurde massiv gestärkt seit der Klimawandel in den Fokus der gesellschaftlichen Wahrnehmung gerückt ist und bereits im Pariser Klimaabkommen (2015) eine deutliche Begrenzung der Erderwärmung vereinbart wurde. Der Weg hin zu niedrigen Treibhausgasemissionen und einer klimaresistenten Entwicklung soll von den Finanzströmen unterstützt werden, wodurch nun die Aktivitäten von Unternehmen und Banken auf den Prüfstand kommen. Der „Green Deal“ der EU (2019) hat das Ziel, ab 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freizusetzen. Bereits 2018 wurde der „EU-Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen“ (Financing Sustainable Growth) entwickelt, der Maßnahmen zur Erreichung von Nachhaltigkeit im Finanzsystem beinhaltet. Dies soll durch die Lenkung von Kapital in nachhaltige Investitionen, das Management von finanziellen Risiken, die sich aus ökologischen und sozialen Problemen ergeben, sowie die Förderung von Transparenz und Langfristigkeit in Wirtschaft und Finanzen geschehen. Auch in Deutschland wird dem „Sustainable Finance“ inzwischen große Aufmerksamkeit beigemessen. So wurde ein Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung eingerichtet. Politisches Ziel ist es, Deutschland als führenden Standort für Sustainable Finance zu entwickeln. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat 2019 ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht, das allerdings bislang einen unverbindlichen Empfehlungscharakter hat und keine konkreten Prüfungsanforderungen enthält. Der Klimaschutz diktiert die Nachhaltigkeitsagenda für die Banken, der Schwerpunkt liegt dabei auf der Identifikation und Adressierung von Nachhaltigkeitsrisiken.
Nachhaltiges Finanzsystem als Hebel
Das Finanzsystem wurde als wichtiger Hebel mit zahlreichen Facetten für eine nachhaltige Entwicklung erkannt und soll entsprechend genutzt werden. Ihm soll eine Enabler-Rolle zukommen, indem nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten auf Kosten solcher finanziert werden sollen, die den ESG-Standards sowie den Zielen des Pariser Abkommens widersprechen. Davon sind die Finanz-Akteure bei der Auswahl ihrer Aktivitäten direkt betroffen. Zusätzlich werden adäquate Offenlegungspflichten sowie klimarelevante Regulierungsregeln vorbereitet. Auf EU-Ebene hat ein Prozess der Entwicklung von Taxonomien, Definitionen, Standards, Benchmarks und Indikatoren für nachhaltiges Wirtschaften begonnen. Auf der Grundlage einer solchen Financial Governance Architektur soll ein Klassifikationssystem für nachhaltige Finanzen entstehen, die die Transparenz hinsichtlich klimawandelrelevanter Tätigkeiten erhöht. Für andere umweltbezogene sowie soziale Aspekte sollen Klassifikationssysteme zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Mit dem „Network for Greening the Financial System (NGFS)“, einem Netzwerk von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, wurde für diese Themen ein Expertenforum auf internationaler Ebene geschaffen. In diesen Kontext passt auch, dass sowohl die EZB als auch die BIZ verstärkte Aktivitäten für den Klimaschutz angekündigt haben.
Chancen einer Transformation
In dem beabsichtigten umfassenden Transformationsprozess ergeben sich sowohl Chancen als auch Risiken für die Banken, die derzeit den Fokus bilden. Sie betreffen das Geschäft mit Privatkunden und Unternehmenskunden sowie das Investment Banking, auch das Eigengeschäft der Banken und ihren Geschäftsbetrieb. Ein fortgesetzter Klimawandel betrifft sie ebenso wie die aktuellen Maßnahmen, die ihn eindämmen, zumindest aber schwächen, sollen. Die Erreichung der Klimaziele erfordert hohe Investitionsvolumina, die auch privater Finanzierungsquellen bedürfen. Schätzungen der EU-Kommission ergeben für den EU-Raum einen jährlichen Investitionsbedarf von 180 Milliarden Euro, um bis 2030 die Pariser Klimaziele zu erreichen. Um die Nachhaltigkeitsstandards zu erreichen sind z.B. Großprojekte im Energie-Bereich, in der E-Mobilität und im Recycling zu finanzieren. Daneben werden Investitionen in klimarelevante Forschungs- und Entwicklungsprojekte, aber auch in Wohn- und öffentliche Immobilien und Infrastrukturen notwendig. Darüberhinausgehend gilt es einem verstärkten Interesse privater Investoren in nachhaltige Anlageformen sowie den gestiegenen Nachhaltigkeitspräferenzen jüngerer Gesellschaftsgruppen nachzukommen.
Strukturelle Klimarisiken für Banken
Physische Risiken des Klimawandels für Banken und ihre Kunden entstehen durch extreme Wetterereignisse oder längerfristige Klimaveränderungen, z.B. höhere Temperaturen, Hitzewellen, dem Anstieg des Meeresspiegels oder der generellen Verschlechterung von Produktions- und Arbeitsbedingungen in einzelnen Regionen und Volkswirtschaften. Physische Risiken für Unternehmen können als Schäden an Vermögenswerten oder einer Unterbrechung von Lieferketten zum Ausdruck kommen. Dass sich daraus unmittelbar Konsequenzen für die Banken ergeben, ist naheliegend. Es geht um Ausfälle von Krediten, Sicherheiten oder Existenzgrundlagen. Transitorische Risiken sind mit einer Transformation der Aktivitäten der Menschen in Richtung der Klimaziele verbunden. Solche können durch politische und regulatorische Maßnahmen, disruptive Technologien, Präferenzänderungen und Haftungsrisiken entstehen, die für Unternehmen Bewertungsrisiken hervorrufen, z.B. im Wert von Immobilien und Unternehmen. Zu denken ist an „stranded assets“, die mit dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen entstehen. Physische Risiken und transitorische Risiken verhalten sich gegenläufig. Für Banken schlagen sie sich in den üblichen Risikokategorien nieder. Im Vordergrund stehen Kreditrisiken, Marktrisiken, Operationelle Risiken. Im Extremfall können Risiken für die Finanzstabilität dadurch hervorgerufen werden.
Banken und Kunden sitzen im selben Boot
Sowohl die physischen als auch die transitorischen Risiken, ebenso die Chancen, treffen Haushalte und Unternehmen sowie die öffentlichen Einrichtungen, also die Bankkunden. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Privaten übertragen sich im angestrebten Transformationsprozess auf die Banken und umgekehrt, er wirkt in beide Richtungen. Banken und ihre Kunden sitzen im selben Boot. Es ist daher notwendig, dass die einzelnen Banken die sie betreffenden Klimarisiken sowie die mit einer aktiven Klimapolitik verbundenen Chancen kennen und quantitativ abschätzen können. Auf dieser Grundlage ist es sinnvoll, die Informationen über ihre Betroffenheit durch Klimawandel und durch Klimaschutz in ihre Strategie und in ihr Risikomanagement zu integrieren. Losgelöst von den zu erwartenden aufsichtsrechtlichen und regulatorischen Vorgaben ist es notwendig zügig Sensibilisierung und Kompetenz für klimarelevante Entwicklungen aufzubauen, sofern diese nicht ohnehin bereits in Strategie und Werten der Bank verankert sind.
Handlungsfelder für klimaorientierte Nachhaltigkeit von Banken
Diese Orientierung liegt im Interesse der Bank sowie ihrer Stakeholder. Konkrete Ansatzpunkte sind die Integration grüner Anlageprodukte und Finanzierungen sowie eine damit verbundene kompetente Beratung, die Organisation des eigenen Geschäftsbetriebs, z.B. bei Energie, Beschaffung, Mobilität, die Akquise junger nachhaltigkeitsorientierter Mitarbeiter sowie die Bereitschaft einen Beitrag zu den Klimazielen als Ausdruck gesellschaftlicher Verantwortung zu leisten. Klimaorientierte Nachhaltigkeit von Banken wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie in der Strategie und in Prozessen verankert ist, ebenso im Risikomanagement und in der Kommunikation mit den Stakeholdern. Die Nachhaltigkeitsstrategie muss nicht nur konkretisiert, stimmig, integriert und glaubwürdig sein, sondern sie muss auch wirtschaftlichen Erfolg ermöglichen.
Positive Anreize oder Zwang zur Nachhaltigkeit
Die große Bedeutung von Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes steht außer Zweifel. Unbestritten ist auch die Notwendigkeit noch deutlich mehr nachhaltige Elemente in Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren als dies bisher der Fall ist, auch bei den Banken. Diskussions- und ein kluger Abwägungsbedarf stellen sich allerdings beim dominanten Ansatzpunkt des „Umbaus der Finanzwelt“ heraus. Nicht überraschend betont die deutsche Kreditwirtschaft die Notwendigkeit, das Augenmerk auf praxisadäquate Rahmenbedingungen sowie auf notwendige Anreizmechanismen zu legen und nicht die EU-Vorgaben, die derzeit im Entstehen sind, zu übertreffen. Diesbezüglich sollten einige Aspekte berücksichtigt werden, die nicht im Fokus der Diskussion stehen. Erstens: Manche empirische Studien bringen das Ergebnis, dass nachhaltige Investments eine höhere Rendite aufweisen als nicht nachhaltige. Wenn diese Ergebnisse belastbar sind, kann davon ausgegangen werden, dass weder eine direkte Investitionslenkung noch große Förderprogramme notwendig sind, sondern Nachhaltigkeit sich über diese Anreize durchsetzen wird. Zweitens fällt auf, dass sich derzeit viele diskutierte Maßnahmen auf den unterschiedlichen Ebenen und Bereichen überlagern, ohne dass ihre Kompatibilität unmittelbar ersichtlich ist.
Differenzierung von Kunden-Bank-Beziehungen
Drittens gilt es, die Transaktionskosten für die Erhebung detaillierter Nachhaltigkeitsinformationen bei Unternehmen und Banken zu berücksichtigen. Ebenso sollten die adäquaten Anreize zur Nachhaltigkeit nicht durch eine intensive Bürokratie in den Banken und in den Aufsichtsbehörden überlagert werden. Die diskutierte Herangehensweise und manche Erfahrungen lassen entsprechende Befürchtungen aufkeimen. Viertens sollten unterschiedliche Kunden-Bank-Beziehungen berücksichtigt werden, wenn der Informationsbedarf und ggf. Vorgaben für Nachhaltigkeit festgelegt werden. Dauer- und Hausbankbeziehungen haben ihren Beitrag zur langfristigen Orientierung in der Vergangenheit bereits unter Beweis gestellt. So sind es vor allem auch die Genossenschaftsbanken, die sich durch Dauerbeziehungen und ein nachhaltiges Geschäftsmodell auszeichnen. Ihrer Governance ist die Nachhaltigkeit inhärent. Die Klimathematik bietet ihnen daher eine weitere Chance, sie in ihre MemberValue-Strategien explizit zu integrieren und ihre Kommunikation glaubwürdig aufzuwerten. Denn die adäquaten Reaktionen der Banken auf den Klimawandel und die Klimapolitik bestehen in letzter Konsequenz in einer stärkeren Orientierung an der Realwirtschaft, langfristigen Transaktionen und der Verantwortung, die dadurch für den Standort und für die Gesellschaft übernommen wird. Gerade dies zeichnet Genossenschaftsbanken seit jeher aus. Allerdings würden gerade sie es sein, die überproportional von einer bürokratischen Ausgestaltung des Transformationsprozesses hin zu einem nachhaltigen Finanzsystem belastet würden. Diesen Pfad gilt es möglichst zu vermeiden, indem auf gute Anreizsysteme gesetzt wird.
Literatur:
BaFin (2018): Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_Nachhaltigkeitsrisiken.pdf?__blob=publicationFile&v=9
European Commission (2018): A Clean Planet for all. A European strategic long-term vision for a prosperous, modern, competitive and climate neutral economy, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52018DC0773
European Commission (2018): Action Plan: Financing Sustainable Growth, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52018DC0097
Network for Greening the Financial System (2020): Overview of Environmental Risk Analysis by Financial Institutions, https://www.ngfs.net/sites/default/files/medias/documents/overview_of_environmental_risk_analysis_by_financial_institutions.pdf
Network for Greening the Financial System (2019): A call for action. Climate change as a source of financial risk, https://www.ngfs.net/sites/default/files/medias/documents/ngfs_first_comprehensive_report_-_17042019_0.pdf
…und diese Heuchelnummer sollen wir alle glauben? Wir haben Rhein und Bodensee mit Hilfe der Abwasserverordnung sauber bekommen und das Schwefeldioxid aus der Luft mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz.
Woher sollen die Banken und Unternehmen wissen, wieviel und welchen Umweltschutz die Wähler haben wollen?
Wie lösen sie das Anreizproblem (auch Public-Goods-Game aka Allemendeproblem genannt)?
usw., usf.
Warum spüre ich bei einem Satz wie „Ihrer Governance ist die Nachhaltigkeit inhärent“ so einen tiefen aber nur schwer lokalisierbaren Schmerz?
Ein willkommene Mahnung. Man möchte darüber hinaus noch auf die Gefahr aufmerksam machen, dass ein Veröffentlichungs-Wildwuchs dem eigentlichen Ziel schadet. Daten über die umweltrelevante Nachhaltigkeit sind in den entsprechenden Nachhaltigkeitsberichten, in eventuellen auf Emissionen bezogenen Selbstverpflichtungen, in eventuellen Dokumenten grüner Finanzinstrumente und in eventuellen vertraglichen Verpflichtungen enthalten. Der Dieselskandal gibt eine öffentlichkeitswirksame Einführung in die Problematik der Verlässlichkeit solcher Daten. In Fachkreisen wird Ähnliches (und aufgrund der Problematik eher noch Komplizierteres) im Zusammenhang mit den „Scope 3“ viel zurückhaltender diskutiert. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sollten bei kluger Planung die Berichtskosten wesentlich verringern und die Zuverlässigkeit der Daten wesentlich erhöhen können. Es drängt sich aber leider der Eindruck auf, dass diese Möglichkeiten nicht gezielt genutzt werden.